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Veröffentlicht am 28.02.2020

Unvorhersehbar mitten ins Herz geflutscht

Das Evangelium der Aale
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Ich mag Aal.

Vor allem in geräucherter Form.

Doch bereits als ich dieses Buch aus dem Hanser Verlag zum ersten Mal in den Händen hielt, wurde mir bewusst, dass ich schon langen keinen mehr gegessen hatte. ...

Ich mag Aal.

Vor allem in geräucherter Form.

Doch bereits als ich dieses Buch aus dem Hanser Verlag zum ersten Mal in den Händen hielt, wurde mir bewusst, dass ich schon langen keinen mehr gegessen hatte. Das war kein bewusster Entschluss.

Es ergab sich nicht. Das Angebot war nicht da.

Bei fortschreitender Lektüre wurde mir auch klar warum.

Der europäische Aal (Anguilla anguilla) stirbt. Was es bedeutet, wenn eine Art ausstirbt und welche Umstände ausgerechnet den Aal, der schon so viel länger auf der Erde existiert als der Mensch, in seiner Existenz bedrohen, beschreibt der Autor im vorliegenden Werk auf ganz außergewöhnliche Weise.

„Das Evangelium der Aale“ von Patrik Svensson ist in vielerlei Hinsicht ein ungewöhnliches Sachbuch. In einem Stil verfasst, der jedem romantisch-prosaischen Roman zur Ehre gereicht, vermittelt es stichhaltige Fakten über den Aal und ist gleichzeitig Biografie: Biografie der Gattung Anguilla, der Familie Svensson und deren Verhältnis zum Aal, der Natur und dem Leben.

Lange Zeit war der Aal ein Mysterium. Schon Aristoteles trieb die Frage nach der Entstehung des Aals um. Der junge Siegmund Freud versuchte vergeblich, die Fortpflanzungsorgane des schlangenartigen Fisches freizulegen, eine Fixierung, die ihm auch in späterer Tätigkeit erhalten blieb und noch heute gibt der Aal unzählige Rätsel auf.

So gerät die „Aalfrage“ zur Glaubensfrage.

Wir glauben zu wissen, dass sich der Aal in den Tiefen der Sargassosee fortpflanzt und danach stirbt. Aber hundertprozentig sicher sein können wir nicht. Noch nie wurde der Aal bei der Paarung beobachtet. Noch nie wurde ein ausgewachsener Blankaal in der Sargassosee gesehen.

„Um den Aal zu verstehen, müssen wir uns für ihn interessieren, und um uns für ihn zu interessieren, müssen wir ihn weiterhin jagen, töten und essen. (…) Ein Aal wird nie einfach nur ein Aal sein dürfen, ein Aal wird nie einfach nur um seiner selbst willen existieren dürfen.“

Über die jahrhundertelange Forschung am Aal scheibt Patrik Svensson in einer so außergewöhnlichen, poetischen und teilweise schonungslosen Weise, dass mir an der einen oder anderen Stelle schier „das Herz aufging“, sich die „Schleusen öffneten“ und ich weinen musste. Wie es einem halt so ergeht, wenn man zu glauben beginnt, in einem Fisch ein Stück weit sich selbst zu erkennen. Sich selbst mit all den Zweifeln und Fragen nach dem eigenen Ursprung und dem Sinn des Lebens. Ich habe durch dieses Buch etwas über mich selbst und meinen eigenen Glauben gelernt. Wer erwartet denn so etwas, wenn er ein Sachbuch über Aale aufschlägt. Unerwartet und außergewöhnlich.

„Meine Großmutter glaubte an Gott, mein Vater und ich dagegen nicht. Viel später jedoch, als meine Großmutter im Sterben lag, saß ich neben ihr, und sie weinte und sagte: »Ich werde immer bei euch sein.« Und das glaubte ich ihr natürlich. Dazu brauchte ich keinen Glauben an Gott.“

Der Wunsch, den Aal am Leben zu erhalten bleibt und so versuchen wir weiterhin, aus Glauben Wissen zu machen.

Was ich weiß?

Der Anguilla anguilla ist mit seinem schlanken rundgeschuppten schleimigen Körper unwiderruflich in mein Herz geflutscht und ich bin mir sicher, dass nie wieder einer von ihnen auf meinem Teller landen wird. Das ist das Mindeste was ICH tun kann.

Doch so wie es aussieht, bedarf es wohl unsererseits noch viel mehr, damit der Aal auch weiterhin den Weg zurück zu seinem Ursprung und Lebensziel in der Sargassosee findet, wo er auf bisher unbekannte Weise vergeht und neues Leben hervorbringt, im ewigen Kreislauf des Lebens.

Wenn WIR uns unseres Lebensziels nur auch immer so sicher wären.

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