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Rico

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 08.10.2016

echte Entdeckung

DNA
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Der Mörder schlägt in dem isländischen Thriller „DNA“ unbarmherzig und voller Brutalität zu. Eine Frau wird sein erstes Opfer und deren Tochter ist die einzige heiße Spur für Kommissar Huldar, der vorne ...

Der Mörder schlägt in dem isländischen Thriller „DNA“ unbarmherzig und voller Brutalität zu. Eine Frau wird sein erstes Opfer und deren Tochter ist die einzige heiße Spur für Kommissar Huldar, der vorne auf dem Buchumschlag, als Kommissar Haldur angekündigt wird. Das Mädchen hat entsetzlich mit ansehen und hören müssen. Auch ich musste bei den gewählten Todesarten wirklich schlucken. Was mir auch nicht mehr alle Tage passiert. Als dann noch ein weiteres Opfer ins Jenseits befördert wird ist die Verwirrung des Ermittlerteams und der Leser perfekt. Denn die Autorin ist eine Meisterin darin falsche Fährten zu legen und der Mörder hinterlässt kaum Spuren, die verwertbar scheinen. Soweit so gewöhnlich. Das ist es dann aber auch schon an Erwartbarem.

Schon das Ermittlerteam hat es in sich. Kommissar Huldar ist das, was man vor Jahrzehnten einen Schwerenöter nannte, also ein Mann, der den Dreh raus hat beim weiblichen Geschlecht. Wenn er auch manchmal mit unlauteren Waffen kämpft, wie die Polizeipsychologin Freyja meint, die eine ganze Nacht mit dem angeblichen Tischler verbrachte und ihm von nun an mit Rat und Tat und sexuell frustriert zur Seite steht. Großartig ist auch der typische Internet Nerd Karl, der eigentlich lieber als Amateurfunker unterwegs ist, weil dem Gewohnheitsloser da praktisch niemand in die Quere kommt. Als ihn dann sonderbare Botschaften erreichen beginnt die Geschichte zu brennen.

Obwohl die Story im Grunde klassisches Thriller Futter mit einem ebenfalls klassischen Psychopathen ist bin ich sehr angetan von dem Buch. Der Roman wirkt gut durchdacht, ist durchgehend spannend und der Schreibstil ist genau mein Ding. Diese Autorin mit dem unaussprechlichen Namen hat so Art sich in die Psyche eines Menschen einzufühlen, wie man es im Thriller Bereich nur selten zu lesen bekommt. Dafür ein Sonderlob! Die Charaktere kommen ungeheuer lebendig und wahrhaftig rüber, als ginge man selbst mit der Erzählerin die Tatorte ab. Extrem gut gelungen finde ich den Schluss, der mit einer faustdicken Überraschung aufwartet. Ein sehr lesenswerter Roman, voller Spannung und dramatischen Ereignissen.

Veröffentlicht am 17.09.2016

leiser Sieg!

Lebensgeister
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Wenn es noch niemals einen Roman der ganz leisen Töne geschrieben worden ist, dann hat ihn Banana Yoshimoto mit « Lebensgeister » geschrieben. Knapp 160 Seiten zählt das neue Werk der weltweit erfolgsverwöhnten ...

Wenn es noch niemals einen Roman der ganz leisen Töne geschrieben worden ist, dann hat ihn Banana Yoshimoto mit « Lebensgeister » geschrieben. Knapp 160 Seiten zählt das neue Werk der weltweit erfolgsverwöhnten Japanerin. Ausgerechnet der Tod steht im Mittelpunkt. Es gibt leichtere Themen.

Doch keine Bange, diesem schmalen Diogenes Band fehlt es gänzlich an deutscher Schwermut, um die Zeit danach zu beweinen. Die Autorin wählt einen anderen Weg, fast devot mit außergewöhnlicher Leichtigkeit nähert sich ihre Protagonistin Sayoko der unabänderlichen Wahrheit an, dass ihr Freund bei einem Autounfall, bei dem sie zugegen war tödliche Verletzungen erlitten hat und ins Reich der Toten übergetreten ist.

Ja, da durchweht durchaus ein Hauch Esoterik die aufgeschlagenen Seiten und dennoch dürfte es selbst geübten Zynikern schwerfallen sich diesem Text zu entziehen. Denn die Zeilen üben ohne Zweifel eine Sogwirkung aus, was nich zuletzt dem formidablen Schreibstil der Autorin geschuldet ist. Banana Yoshimoto hat eine Gabe mit wenig Worten sehr viel auszusagen. Sie ist zweifelsfrei eine Künstlerin der Reduktion.

Schon das Anfangsbild, wie Sayoko selbst von einer Metallstange durchbohrt im Auto verharrt ist so ungeheuer stark dargebracht, dass man den Roman in der Folgezeit praktisch nicht aus der Hand legen kann. Sayoko überlebt, aber sie ist nicht mehr die Alte. Noch ist es ihr unmöglich von ihrem Freund loszulassen und so wählt sie den Weg aller Introvertierten nach innen zu gehen, womit in Japan vielleicht jene von Geistern beseelte Zwischenwelt gemeint ist, die auf dem Buchumschlag angekündigt wird.

Ihr Freund war ein international anerkannter Künstler, den im fernen Osten kaum einer kannte. Sayoko kümmert sich von nun an um den Nachlass und nimmt Verbindung zu den Toten auf. Es entsteht tatsächlich eine geradezu magische Atmosphäre, die mich natürlich manchmal an Murakami erinnerte. Aber Banana Yoshimoto schreibt bei weitem zarter, extrem einfühlsam und voller kleiner und großer Lebensweisheiten, die hängen bleiben.

Überhaupt Japan. Der ganze Roman wird durchweht von diesem Land und atmet Achtsamkeit, Tradition und Hingabe. Danke für dieses wunderschöne Buch !

Veröffentlicht am 15.09.2016

guter Versuch!

Die Geheimnisse der Küche des Mittleren Westens
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Wer zum Teufel ist in diesem Roman eigentlich die Hauptfigur und worum geht es hier eigentlich? Das habe ich mich über weite Strecken der Geschichte gefragt. Gut, irgendwann hatte ich dann begriffen, dass ...

Wer zum Teufel ist in diesem Roman eigentlich die Hauptfigur und worum geht es hier eigentlich? Das habe ich mich über weite Strecken der Geschichte gefragt. Gut, irgendwann hatte ich dann begriffen, dass es es Eva Thorwald ist, die im Mittelpunkt der Ereignisse steht. Sie, die ihren Vater früh verloren hat und überhaupt ziemlich alleine dasteht, hat den absoluten Geschmackssinn. Eine Eigenschaft, auf die amerikanische Landeier pfeifen, deren Verpflegungswünsche sich im Verzehr von T-Bone Steaks und Hot Dogs erschöpfen. Eva ist unter diesen Leute eindeutig im falschen Film, ein Schicksal das mich beim Lesen dieses Buches ebenfalls traf.

Denn der Autor vermeidet es aus mir unerfindlichen Gründen Eva eine Erzählperspektive zu zubilligen, in die ansonsten jeder Hinz und Kunz aus ihrer direkten Umgebung schlüpfen darf. So wird die eigentliche Protagonisten lediglich umkreist statt zur Sache zu kommen, was sich phasenweise mühselig liest. Über weite Strecken des Buches hat mich das Geschehen deshalb nicht packen können und die Protagonistin gerät, wie die Essensschiene zu reiner Staffage durch die eigenwillige Vorgehensweise des Autors. Mag sein, dass dieses Buch einen künstlerischen Meistergriff darstellt, den nur Kunstkritiker richtig zu schätzen wissen. Packend sieht jedenfalls anders aus.

Dabei beginnt der Roman ganz formidabel. Keine Frage, J. Ryan Stradal kann sehr gut schreiben und Stimmungen erzeugen. In seinen besten Momenten fühlte ich mich an T.C. Boyle erinnert, der die Amerikaner ebenfalls ungeheuer genau skizzieren kann und einen ähnlichen ironischen Unterton benutzt. In diesen Augenblicken ist das Buch angenehm krude, witzig und weise, vor allem, was Evas Mutter angeht, war ich über den Realitätsgehalt und die moderne Kraft dieser Frauenfigur sehr angetan. Sprachlich ist der Roman wirklich unterhaltsam und überdurchschnittlich gut gelungen, gegen Ende wird er sogar wieder klug, indem er die Geschichte auf die plausibelste und damit überraschendste Weise ausklingen lässt. Doch was bleibt von dem Buch bei mir hängen? Vielleicht der Leser eines experimentellen Textes gewesen zu sein, der sicherlich durchaus Freunde finden wird. Einfach weil das Teil definitiv gehaltvoll ist. Insgesamt bleibe ich allerdings besagten Gründen etwas enttäuscht zurück.

Veröffentlicht am 15.09.2016

atemberaubend gut!

DIE WAHRHEIT
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Melanie Rabe erzählt eine ungewöhnliche Geschichte. Es ist sieben Jahre her, dass Sarah ihren Mann das letzte Mal gesehen hat. Philipp ist auf einer Reise nach Kolumbien spurlos verschwunden und taucht ...

Melanie Rabe erzählt eine ungewöhnliche Geschichte. Es ist sieben Jahre her, dass Sarah ihren Mann das letzte Mal gesehen hat. Philipp ist auf einer Reise nach Kolumbien spurlos verschwunden und taucht nun plötzlich wieder in ihrem Leben auf, doch Sarah steht vor einem Fremden. Wer ist dieser Mann, der behauptet mit ihr verheiratet zu sein? Erzählt wird der Roman fast ausschließlich aus Sarahs Perspektive.

Der einfühlsam geschriebene Thriller schlägt Haken, wie ein davon laufender Hase. Er liest sich auch Sau- schnell und ist sehr einfühlsam geschrieben, was vor allem für die Anfangsphase gilt, welche eine ganz schöne Sogwirkung ausübt. Gerade das Innenleben Sarahs wird anschaulich erkundet und natürlich kommen da aus der Vergangenheit Dinge nach oben, die so nicht einmal annähernd zu erahnen sind. Dubios der angebliche Ehemann. Wenig hilfreich das persönliche Umfeld der verwunderten Sarah, die sich schon bald bedroht fühlt. Selbst ihre demente Schwiegermutter fällt ihr verbal in den Rücken, was durchaus eine gewisse Komik hat. Vor allem ein Umstand macht Sarah misstrauisch. Denn der Gemahl hat ihr eine Stange Geld hinterlassen, auf das es viele Leute abgesehen zu scheinen haben.

Nun, wie finde ich das Buch? Über weite Strecken des Romans habe ich das Buch als spannend empfunden, wenn es auch letztlich nur zwei Möglichkeiten gibt, auf die das Ganze hinausläuft. Ist das ihr Ehemann oder nicht? Schwächen sehe ich vor allem in der Logik, die manchmal arg zurechtgebogen wird. Und dennoch hat mir das Buch durchaus gefallen. Melanie Raabe hat einfach ein Händchen für vielschichtige Charaktere und unterhaltsame Geschichten, keine Frage. Vor allem ihr Schreibstil ist unschlagbar gut. Was allerdings die Schwächen nicht gänzlich auffangen kann. Alles in allem ein interessanter Roman mit einigen Mängeln. Aber durchaus zu empfehlen.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Ein tolles Buch!

Meine geniale Freundin
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Das Buch „Meine geniale Freundin“ beginnt mit dem Verschwinden einer alten Dame. Der Sohn sucht seine Mutter und bittet deren liebste Freundin seit Kindheitstagen, um Hilfe. Elena glaubt, dass Lila ein ...

Das Buch „Meine geniale Freundin“ beginnt mit dem Verschwinden einer alten Dame. Der Sohn sucht seine Mutter und bittet deren liebste Freundin seit Kindheitstagen, um Hilfe. Elena glaubt, dass Lila ein altes Versprechen wahr gemacht hat und erinnert sich an ihre gemeinsame Vergangenheit in Neapel. Und schon steht man mitten in einem fulminant erzählten Roman, der sich liest, als wäre er direkt im Vesuv entsprungen, um sich in das Herz des Lesers zu fressen. Denn zweifellos hat der Erzählstrom etwas von glühend heißer Lava, die sich in Richtung Meer bewegt. Raffaella Cerullo, genannt Lila ist ein äußerst begabtes Mädchen, dem Wissen nur so zuzufliegen scheint, während sich ihre Freundin Elena alles hart in der Schule erarbeiten muss. Was jedoch keineswegs zur Verstimmung zwischen den Beiden untereinander führt. Im Gegenteil! Hier haben sich zwei junge Mädchen gesucht und gefunden.

Die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg ist eine Zeit des Aufbruchs, der großen Maulhelden und Messerstechern, aus einem kleinbürgerlichen Milieu entsprungen. Ein Ort der Spieler, Engherzigen, Verlierer, Schläger und Fantasten, deren natürliche Grenze das Meer und windschiefe Klassenlehrerin ist, jedenfalls solange man noch zur Schule geht. Lila ist anders. Sie geht wie so viele überdurchschnittlich Begabte einen sehr eigenen Weg. Sie wirft die Möglichkeiten ihrer Intelligenz und Lernfähigkeit fort, weil sie kein blinder Denkapparat werden will, um es gegen Glück einzutauschen, was zu dieser Zeit dummerweise immer irgendwie mit Männern zu tun haben muss. Als könnten Frauen Glücklich sein nicht alleine! Aber das ist ein anderes Thema. Elena bleibt zunächst einmal auf der Einbahnstraße Schule, Hochzeit, Kinder. Sie übertrifft mit ihren schulischen Leistungen sogar ihre Freundin, einfach weil sie hart an sich arbeiten muss, um andere und sich selbst nicht zu enttäuschen.

Und die Überraschung passiert. Dieses im Grunde ja relativ simple Romankonstrukt wird zu Glühen gebracht. Allein dafür gehört der Autorin schon meine Bewunderung. Das ist alles so Lebensprall erzählt, dass ich nur ins Schwärmen geraten kann. Das Italien der damaligen Zeit erscheint dem Leser vor Augen, die Menschen bekommen ein Gesicht und das Geschehen berührt den Leser. Einziges Manko: ich hätte gerne ein bisschen mehr Drama gehabt. Womit wir wieder beim Vesuv wären! Man kann nur hoffen, das der zweite Teil ähnlich gut abgeht. Auf ein neues!