"We Shall Overcome"
Die Arena: Grausame SpieleDas England der Zukunft ist in zwei Klassen eingeteilt. Die Pures auf der schillernden Seites Lebens und die Dregs auf der Schattenseite. Die Dregs sind der Abschaum der Menschheit und werden auch wie ...
Das England der Zukunft ist in zwei Klassen eingeteilt. Die Pures auf der schillernden Seites Lebens und die Dregs auf der Schattenseite. Die Dregs sind der Abschaum der Menschheit und werden auch wie solcher behandelt. Es wird darüber gesprochen, sie "in den Griff zu kriegen", sie zu "regulieren" und vor allem die Zahl möglichst gering zu halten. Einige Dregs werden von dem berühmten Zirkus ausgewählt und zu Artisten und Artistinnen ausgebildet. Was zunächst wie ihre Rettung erscheint, entpuppt sich als pure Folter. Für die Dregs geht es nur um's nackte Überleben, denn leben tun sie schon lange nicht mehr. Ben, ein Pure, sieht sich zum ersten Mal den Zirkus an und spürt, dass das nicht richtig ist. Wird er seine Ansichten über die Dregs ändern? Kann er ihre Rettung sein?
Nach und nach wird man in die Gegenwart dieser Welt eingeführt, in die Missstände, die die meisten Menschen einfach so hinnehmen und unter welchen große Teile der Bevölkerung leiden. Die erschreckenden Details und deren Ausmaße werden von Seite zu Seite deutlicher und ließen mich wütend werden. Es ist einfach ungerecht.
Die Geschichte wird abwechselnd aus der Perspektive des Dreg-Mädchens Hoshiko und dem Pure-Jungen Ben erzählt. Ben wirkt ganz unschuldig und unbedarft und man nimmt ihm garnicht übel, dass er von den desaströsen Gegebenheiten, dem Leid der anderen, profitiert. Er lebt abgeschirmt von der Welt und vor allem von den Dregs und kriegt nichts von dem Unglück draußen mit. Für ihn ist es besonders leicht, wegzuschauen. Seine Dienerin Priya ist ein kleiner Berührungspunkt mit den Dregs und sie legt mit ihren Gesprächen mit Ben den Grundstein für berechtigte Zweifel am System, an der Meinung über Menschen, denen eine ausländische Herkunft zugeschrieben wird, den Dregs.
"Der Zirkus ist kein traumhaftes Wunderland, Ben. Sondern ein Straflager." S. 36
Die ganze Zeit über war mir das Alter von Ben nicht klar. Es gab Widersprüche. Er verhielt sich sehr kindlich, ist recht eigenständig, aber irgendwie auch sehr behütet. Als es hieß, er sei 15 oder 16 war ich überrascht. Das hat irgendwie nicht so richtig gepasst. Aber vielleicht kann man das auf sein behütetes Leben schieben.
Insgesamt finde ich die Charaktere und die Entwicklung ihrer Beziehungen nicht sehr gelungen. Manches ist nicht nachvollziehbar oder entwickelt sich viel zu schnell. Sie sind eher eindimensional und es fehlt ihnen etwas an Farbe und Tiefe. Ich konnte keine Connection zu den beiden Hauptfiguren aufbauen, habe ihre Geschichte emotional distanziert verfolgt.
Vom Schreibstil und der Gestaltung der Charaktere her, hätte ich das Buch ab 12 empfohlen. Von der Story und der Brutalität her, lieber so ab 16. Es ist einfach nicht ganz stimmig... Die Dialoge sind mal mehr und mal weniger authentisch. Insgesamt liest sich der Schreibstil aber recht angenehm und vor allem schnell.
Hoshiko ist eine der Artistinnen des Zirkus' und ihre Geschichte ist nur schwer zu ertragen finde ich... so viel Hass und Demütigung. Die brutale Gewalt fand ich noch am harmlosesten. Auch wenn es sich hier um eine überspitzte Darstellung der Realität handelt, ist es trotzdem wahr und allgegenwärtig. Sie lebt schon lange im Zirkus und hat dort ihre neue Familie gefunden. Der Zusammenhalt der Dregs im Zirkus war wirklich schön. Sehr viel Menschlichkeit war da zu finden.
"Denke selbst. Urteile selbst. Triff deine eigenen Entscheidungen." S. 106
Ben beginnt selbst zu denken, mit dem Herzen und dem Verstand, wie Prya ihm geraten hat, und erkennt das Unrecht. Mit seiner Veränderung beginnt die Geschichte richtig an Fahrt aufzunehmen und wird fast unerträglich aufregend :D ich habe mitgefiebert und mitgezittert.
Was mir nicht so ganz klar war, waren die Umstände, wo diese Dreg-Regelung überall gilt. Ist das ein Ding in England, dann stellt sich die Frage, warum die sogenannten Dregs das Land nicht verlassen. Ist es eine weltweite Regelung, stellt sich mir die Frage, wann ein Mensch als Dreg gilt. Also wenn ein Dreg jemand ist, dem ausländische Wurzeln zugeschrieben werden, dann gäbe es ja mindestens ein Land für sie, in denen sie keine Dregs wären. Und sind Engländer in beispielsweise Tokyo auch Dregs? Das war mir nicht so richtig klar und somit war für mich die gesamte Prämisse nicht ganz schlüssig.
Leider flachte meine anfängliche Begeisterung zum Ende hin immer weiter ab. Die Autorin machte es sich mit Bens Einfluss viel zu leicht. Die Geschehnisse wurden immer unglaubwürdiger und die Charaktere entwickelten sich nicht, sie änderten einfach ihr Verhalten. Genauso verhält es sich auch mit den Gefühlen der Figuren. Sie sind nicht entstanden, sie waren plötzlich da. Das mag manchmal auch in der Realität so sein, hier in dem Fall war es nicht stimmig.
Die Story an sich fand ich aber super und auch wie sie sich entwickelt und wo sie hinführt, hat mir gut gefallen. Der Spannungsbogen war hoch, die Message war wichtig und der Realitätsbezug schmerzhaft. Das Buch trifft genau den richtigen Ton. Bei der Ausarbeitung der Figuren wäre für mich noch Luft nach oben. Auf die Fortsetzung bin ich trotzdem neugierig, auch wenn meine Erwartungen nicht allzu hoch sind.