Warum spricht sie nicht?
Die stumme PatientinAlicia wird mit einer Waffe neben ihrem toten Ehemann gefunden. Die Beweise gegen sie sind erdrückend. Doch sie hat einfach aufgehört zu sprechen. So wird sie als unzurechnungsfähig in die geschlossene ...
Alicia wird mit einer Waffe neben ihrem toten Ehemann gefunden. Die Beweise gegen sie sind erdrückend. Doch sie hat einfach aufgehört zu sprechen. So wird sie als unzurechnungsfähig in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen. Theo ist Psychotherapeut und hat den Fall in den Medien verfolgt. Sechs Jahre später spricht Alicia immer noch nicht unnd Theo beschließt, ihr zu helfen und nimmt in der Klinik einen Job an...
Ich bin sehr gut in die Geschichte gestartet. Die Kapitel sind angenehm kurz und der Schreibstil lässt sich leicht und schnell lesen.
Die Figuren, allen voran Theo und Alicia, sind sehr schön ausgearbeitet. Man erfährt viel über ihre Vergangenheit und darüber, was in ihnen vorgeht.
Theo ist ein sehr reflektierter Mensch, was mit seiner Ausbildung und Arbeit als Psychotherapeut zu tun hat. Wir erfahren immer welche Gefühle seine Gegenüber in ihm auslösen und wie er diese einordnet. Dass der Autor eine Ausbildung in diese Richtung gemacht hat, merkt man total. Die Gedanken die Theo hat, sind die eines Therapeuten. Er ist in der Lage, sich selbst zu durchschauen und kann übertragene Gefühle gut von seinen eigenen unterscheiden. Manchmal entscheidet er sich aber bewusst nicht zu reflektieren oder ignoriert, was er gerade über sich herausgefunden hat und handelt dem entgegen. Seine eigene Zerrissenheit und wie er seine Vergangenheit aufarbeitet oder auch verdrängt ist sehr spannend mitzuerleben. Eine Figur zu begleiten, die so offen Gefühle preisgibt und auch direkt bewertet, ist mir noch nie begegnet. Ich fand das sehr erfrischend.
Sowohl seine privaten Verstrickungen als auch der Fall, mit dem er sich beschäftigt, waren aufregend zu verfolgen. Er steigert sich ziemlich stark in seinen neusten Fall rein. Er beginnt grade zu Detektivarbeit zu leisten, um Alicia zu helfen. Ob nur sein Wunsch ihr zu helfen hinter seinem hohen Engagement steckt, bleibt fraglich. Er überschreitet Grenzen und Kompetenzen und verliert sich fast in dem Fall. Kann ich sehr gut nachvollziehen. Ich wollte auch dringend wissen, was passiert war und warum Alicia schweigt. Und langsam, Schritt für Schritt, bekommt er einen Zugang zu Alicia.
Über Alicia erfahren wir häppchenweise, aber auch sehr subjektiv, das eine oder andere aus ihrem Leben. In Tagebucheinträgen von Alicia oder aus ihrer Akte oder von Familie und Bekannten. Einiges widerspricht sich und nichts ist offensichtlich. Es ist absolut spannend, wir kriegen immer wieder Puzzleteile, aber sie zusammenzusetzen ist fast unmöglich. Das ganze Buch war ein einziges Rätsel. Ich habe mich keine Sekunde gelangweilt, obwohl es eine eher ruhige Geschichte ist. Trotzdem ist man die ganze Zeit angespannt. Die Atmosphäre ist teilweise unerträglich beklemmend.
Das Ende kam für mich nicht sehr überraschend, es hatte sich schon angedeutet. Ich hatte mit einem aha-Effekt gerechnet, aber der kam nicht. Der Plottwist hatte sich im letzten Drittel quasi angekündigt. Ich will nicht behaupten, es sei von Anfang an klar gewesen, aber irgendwann halt schon... Trotzdem gutes Ende und insgesamt ein gelungener Thriller.