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Veröffentlicht am 14.05.2019

Eine schier unglaubliche Geschichte

Die Hungrigen und die Satten
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Eine schier unglaubliche Geschichte, die mich - ich kann es nicht besser beschreiben - ziemlich mitgenommen hat. Im Sinne von: gepackt, abgeholt, beeindruckt. Ganz kurz umschrieben geht es vordergründig ...

Eine schier unglaubliche Geschichte, die mich - ich kann es nicht besser beschreiben - ziemlich mitgenommen hat. Im Sinne von: gepackt, abgeholt, beeindruckt. Ganz kurz umschrieben geht es vordergründig um die nahe, leider nur allzu vorstellbare Zukunft, in der Europa seine Grenzen abgeschottet hat und Millionen Menschen in Riesenflüchtlingslagern in Afrika vor sich hin vegetieren. Ohne Perspektive oder Hoffnung auf irgendwas nutzen 150.000 von ihnen die Anwesenheit eines deutschen Fernsehstars, um medienwirksam in Richtung Europa zu marschieren.

Ich hatte von Beginn an 1.000 Fragen, die sich, neben dem ganz allgemeinen wieso, weshalb, warum, so ziemlich alle mit der Logistik dieses Unterfangens beschäftigten. Und fast alle Fragen wurden im Laufe dieses Buches mehr oder weniger ausführlich beantwortet oder zumindest soweit erklärt, dass ich zufrieden war. Allein das hat mich schon sehr beeindruckt.

Das Buch wird oft als Satire beschrieben, doch das trifft es für mich nicht ganz. Auch würde ich es nicht in erster Linie als "Humor" einsortieren. Natürlich sind fast alle Charaktere sehr überspitzt gezeichnet, an der Grenze zum Albernen, und ich kann durchaus nachvollziehen, dass das vielen Lesenden auf die Nerven gegangen ist - hatte ich in anderen Büchern auch schon so. Hier nicht, aus zwei Gründen: Zum einen finde ich, als medieninteressierter Mensch, die grotesken Zeichnungen der Medienschaffenden herrlich absurd. (Allein die Gedankengänge einer Astrid von Roëll sind so verbogen, abgedreht und treffsicher neben allem, was guten Geschmack oder gesunden Menschenverstand ausmacht, dass es fast zu schön ist, um wahr zu sein - und dann surft man ein wenig auf www.topfvollgold.de und denkt sich "ach ne, geht noch schlimmer". Die Passagen der von Roëll gehören übrigens für mich auch für die am besten gelesenen Kapitel von Christoph Maria Herbst, wie er das vorträgt, ist allergrößtes Kino.)

Der zweite Grund, warum ich auch nach 300+ Seiten das gruselige Englisch und die grenzenlose Naivität von Nadeche Hackenbusch ertragen konnte: Sie ist dadurch auch ein bisschen mein "Engel im Elend" geworden, mein kleiner Lichtblick, der zum leicht genervten Augenrollen, aber eben auch leicht verschmitzen Grinsen inmitten all dieses Trübsals animiert. Denn das große Ganze, das eigentliche Thema dieses Buches, ist alles andere als lustig. Deshalb konnte ich auch nicht wirklich laut lachen, an keiner Stelle - was allerdings nicht als negative Kritik zu verstehen ist! Ein paar amüsante Running Gags haben mir durchaus Freude bereitet (die Ergüsse der von Roëll, oder die "eigentlich zuverlässige Anke"...), aber "Lol"? Dafür war es mir zu ernst, zu "real", zu bedrohlich, zu "wie soll das ausgehen"? Dafür brauchte ich Nerv-Nadeche und Co., zur Auflockerung von meinen düsteren Gedanken, die diese Thematik, diese Idee, diese Beschreibung in mir ausgelöst hat. So gesehen empfand ich das absurd-alberne hier sehr willkommen.

Oben habe ich geschrieben, dass es vordergründig um den Zug geht. Der Zug als Symbol für Menschen, die so wenig Perspektiven haben, dass sie sich auf dieses schier unmögliche Unterfangen einlassen. Und wie gehen wir, die reichen Nationen damit um, außer, es als TV-Highlight des Jahres zu begaffen und gaaanz viele Werbeeinnahmen zu generieren? Ja, hier wird ein ganz großer Spiegel aufgefahren. Hier wird die Flüchtlingspolitik zynisch-böse kommentiert. Der kluge Innenminister Leubl bringt es auf den Punkt, wenn er (in etwa) sagt: Die Flüchtlinge kommen, und sie werden das Land verändern, so oder so. Entweder, weil sie dann irgendwann da sind, oder, weil die durch den Treck noch mehr erstarkten Rechten sie irgendwie daran hindern. Der Zug wird Deutschland also auf jeden Fall zu einem anderen Land machen, die Frage ist nur, zu welchem... Das hat gesessen. Wie auch einige der großen Plotpoints [achtung inhaltlicher SPOILER: (view spoiler)] und natürlich das Ende.

Ein sehr beeindruckendes, kluges, goteskes, aber auch böses und zynisches Buch, das mich sehr nachdenklich gemacht hat, nicht zuletzt, weil es so real scheint. In Er ist wieder da hat Timur Vermes 2012 durchgesponnen, wie "leicht" ein wiederauferstandener Hitler in der heutigen Zeit erneut aufsteigen könnte. 2012 schien das noch sehr überspitzt und grotesk, wie schnell er Medien und Menschen für sich gewinnen konnte. 2018 schaue ich mir rechte Politiker und Parteien und die mediale Aufmerksamkeit, die sie erhalten, an, und es schüttelt mich. Und jetzt dieses Buch, auch wieder so nah dran, so "was wäre wenn...". Schauen wir mal, was die nächsten fünf Jahre passiert und treffen uns dann hier wieder. Mir ist jetzt schon ein bisschen mulmig.

Um mit positiven Vibes zu enden: Christoph Maria Herbst, yeah! Super gelesen, und da war einiges gefordert: Sehr viele Sprechrollen, Stimmungen, Dialekte. Und er hat sie alle gut geliefert, das war eine Freude, da zuzuhören.

Veröffentlicht am 14.05.2019

Ich bin sehr begeistert.

Ohne Heute gäbe es morgen kein Gestern
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Wow. Wenn das mal nicht zum Denken anregt, dann weiß ich auch nicht. Mein Kopf schwirrte so oft, und ich habe total den Überblick verloren, wie vielen Leuten ich diverse von diesen Gedankenexperimenten ...

Wow. Wenn das mal nicht zum Denken anregt, dann weiß ich auch nicht. Mein Kopf schwirrte so oft, und ich habe total den Überblick verloren, wie vielen Leuten ich diverse von diesen Gedankenexperimenten nacherzählt habe - so sehr haben mich diese interessiert, fasziniert und beschäftigt.

Einfach mal den Geist auf Reisen schicken und auf den Spuren der großen Philosophen und ihrer Schulen wandeln - denn das ist dieses Buch ebenfalls, eine Einführung in die Geschichte der Philosophie, ihrer wichtigsten Strömungen, Theorien und Vertreter. Da das alles immer unmittelbar mit Gedankenspielen beispielhaft erklärt wird, lernt und grübelt man also parallel. Ganz toll vermittelt, gut umgesetzt und - speziell auf das Hörbuch bezogen - auch wirklich sehr gut gelesen.

Hat bei mir die Lust auf sehr viel mehr geweckt. Alleine das Kapitel über Moral... und erst das über Zeitreisen! Total irre (im positivsten Sinne). Ich bin sehr begeistert.

Veröffentlicht am 14.05.2019

Sicher nicht für jedermann...

Sorry
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Drvenkar ist sicher nicht für jedermann - seinen Schreibstil kann man vermutlich nur lieben ode rhassen. So oder so, er ist auf jeden Fall anders und speziell - mir gefällt's!

"Sorry" hat verschiedene ...

Drvenkar ist sicher nicht für jedermann - seinen Schreibstil kann man vermutlich nur lieben ode rhassen. So oder so, er ist auf jeden Fall anders und speziell - mir gefällt's!

"Sorry" hat verschiedene Erzählstimmen und -perspektiven. Es gibt alles: Den Erzähler der ersten Person, der zweiten Person (gut gemacht!) und natürloch dritte Person. Man kann sich nie sicher sein, ob alle Erzähler auch wirklich verläßlich sind, dabei führen sie nicht unbedingt willentlich in die Irre - sie wissen es vielleicht nicht besser. Und der Leser weiß nichts. Es dauert auch eine Weile, bis man die Stimmen zuordnen kann, einige bleiben zunächst anonym. Aber die Geduld lohnt sich, denn der Moment der Klarheit ist sehr befriedigend.

"Sorry" handelt von vier Freunden, gescheiterte Existenzen allesamt. Sie ernten gemeinsam Erfolg mit einer Agentur, die sich im Namen anderer entschuldigt. Schuld, Verantwortung und Scham sind zentrale Themen des Buchs, ebenso wie Moral und Ethik. Die Geschichte schreitet zügig voran, ist brutal und hat mich teilweise an meine Grenzen gebracht - Menschen können so unmenschlich sein.

Es gibt viele Twists und Turns, und wer auf deratige dunkle, abgefahrene Geschichten steht, ist hier gut bedient und kann sich in der Geschichte verlieren.

Veröffentlicht am 14.05.2019

Sagenhaft spannend.

Rattentanz
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Ich konnte es, einmal angefangen, kaum mehr aus der Hand legen - und ich musste in den zwei (!) Tagen, in denen ich das durchgelesen habe, auch so ziemlich jedem davon erzählen. Diese Was-Wäre-Wenn-Geschichte ...

Ich konnte es, einmal angefangen, kaum mehr aus der Hand legen - und ich musste in den zwei (!) Tagen, in denen ich das durchgelesen habe, auch so ziemlich jedem davon erzählen. Diese Was-Wäre-Wenn-Geschichte lässt keine Fragen offen. Alles ist haarklein geschildert, irgendwo ist immer ein Charakter, der sich einem Problem gegenüber sieht, über das ich mich wenige Seiten zuvor gewundert habe. Die vielen Charaktere und Handlungsstränge verwirren auch nicht, zwar sind es viele Namen, mit denen der Autor hantiert, doch der Leser kann den Überblick behalten.

Zwei kleinere Schwachpunkte des Buches: 1) gerade eingangs erscheinen einige Szenen etwas zu krass, aber wer weiß schon, wozu Menschen in Extremsituationen fähig sind? Oder, wie es auch in dem Buch heißt: Man hat schon Pferde kotzen sehen. 2) Der Stil der Autors ist ziemlich locker und einfach, was ich nicht unangenehm fand - allerdings übertreibt er den Gebrauch von Ausrufezeichen etwas. Hier wäre weniger mehr gewesen, nicht jede Feststellung muss mit einem ! enden.

Trotz dieser Minimankos kriegt das Buch 5 Sterne, denn auch wenn es über 800 Seiten hat, lässt der Spannungsbogen nicht einmal nach. Es gibt keine Pausen, keine Zeit zum Verschnaufen. Es gibt nur weiter, weiter, weiter.

Also: LESEN!

Veröffentlicht am 14.05.2019

Die Freude hält an...

Das Känguru-Manifest (Känguru 2)
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Meine Freude über und mein Spaß mit dieser links-komischen Trilogie hält nicht nur an, er hat sich sogar noch gesteigert. Was mir im Vergleich zu dem schon sehr guten ersten Teil (Review hier) am zweiten ...

Meine Freude über und mein Spaß mit dieser links-komischen Trilogie hält nicht nur an, er hat sich sogar noch gesteigert. Was mir im Vergleich zu dem schon sehr guten ersten Teil (Review hier) am zweiten Band noch besser gefällt ist die Entwicklung der Beziehung zwischen Känguru und Marc-Uwe: War er dem Beuteltier im ersten Band noch fast immer unterlegen, entwickelt er sich hier zu einem ebenbürtigen "Partner in crime". Auch wenn ich die "das Känguru macht Marc-Uwe semantisch/logisch/inhaltlich platt"-Schiene schon sehr amüsant fand, ist das neue, eher ebenbürtige hin und her erfrischend und noch unterhaltsamer. Hinzu kommt, neben den vielen schönen Nicklichkeiten, ein grundsätzlicher Plot, der dem zweiten Teil noch einmal ein angenehmes Gerüst gibt. Die neuen Charaktere (die "Überintegrierten", Krapotke, das Asoziale Netzwerk) sind eine willkommen Ergänzung, die Darstellung des Pinguins als Antagonisten überzeugt durch viele humoristische Details.

Nach wie vor begeistert mich ganz grundsätzlich der politisch linke Humor (zu meiner großen Freude war das RAF-Schach wieder dabei) und überhaupt, die ganzen wunderbaren Running Gags sind so gut platziert und zünden immer. Den ganzen Spaß zum Trotz war meine größte emotionale Reaktion aber eher nachdenklich - bezogen auf das "Weihnachtslied" des Kängurus, awww.

Aber am allerschönsten: die falsch zugeorgneten Zitate. Eine total simple Idee, die mich restlos begeistert hat. Drei willkürliche Beispiele:

"Frage nicht, was dein Land für dich tun kann, frage was du für dein Land tun kannst." - Kim Jong-il

"Heinrich, mir graut's vor dir" - Thomas Mann

„Die Proletarier haben nichts zu verlieren als ihre Ketten.“ – Heidi Klum

Hach, schön. Und wie immer bei Marc-Uwe Kling: Absolute Empfehlung fürs Hörbuch!