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Veröffentlicht am 24.05.2020

Noch so ein wunderbares Buch

Noch so eine Tatsache über die Welt
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Ich freue mich, schon wieder kann ich fünf Sterne vergeben. Meisterhaft vermag es die junge australische Autorin, Gefühle von Trauer und Verlust zu beschreiben. Das kann man nur, wenn man selbst tief getrauert ...

Ich freue mich, schon wieder kann ich fünf Sterne vergeben. Meisterhaft vermag es die junge australische Autorin, Gefühle von Trauer und Verlust zu beschreiben. Das kann man nur, wenn man selbst tief getrauert hat, habe ich die ganze Zeit über gedacht, und tatsächlich erfährt man im Nachwort, im allerletzten Satz, vom Tod ihrer Mutter. Drei Protagonisten erfand Brooke Davis, die ihrem Schmerz Ausdruck verleihen. Das sonderbare, aber liebenswerte siebenjährige Mädchen Millie, dessen Vater stirbt und das daraufhin von ihrer Mutter einfach in einem Kaufhaus zurückgelassen wird. Den 87jährigen Karl, dem Millie dort begegnet. Carl ist ein Altersheim-Flüchtling und nennt sich selbst der Tasttipper, weil er alles, was er sagt, gleichzeitig mit den Fingerspitzen vor sich hin tippt. Er hat seine geliebte Frau verloren. Dann ist da noch die alte Agatha, die nach dem Tod ihres Mannes eine aus ihrem Fenster schreiende Frau wurde und ihr Haus nicht mehr verließ. Stattdessen folgt ihr Leben unsinnigen, immer gleichförmigen Ritualen, um der Einsamkeit zu entkommen. Agatha wohnt gegenüber von Millies Familie und kennt, wie sich im Laufe der Geschichte herausstellt, auch Karl vom Sehen.
Sehr schnell ans Herz gewachsen ist mir Millie. Sie kann dem Leser einfach nur leid tun. Ihre Mutter hat gar kein Interesse an ihr. Selbst als Millies Vater noch lebt, sitzt er eigentlich nur vor dem Fernseher. Alleingelassen, treibt Millie ihre eigenen Studien und versucht der Vergänglichkeit zu begegnen, indem sie alles in ihr "Buch der toten Dinge" einträgt. Die kindliche Perspektive war dabei sehr gut eingefangen. Millie hat mich oft nicht nur zu Tränen gerührt, sondern ihre Studien habe mich manchmal auch zum Lachen gebracht. Da werden zum Beispiel bei einem Mitschüler, der Millie Geburten erklären soll, Plazentas mal eben zu Placebos.
Auch Agatha war mir mit wenigen Ausnahmen überraschend sympathisch. Im wahren Leben würde man wohl schnell die Straßenseite wechseln, wenn man ihr begegnet, aber Brooke Davis hat für mich Agathas Verhalten begreifbar gemacht. Außerdem hat es mich, wenn Agathas zu Beginn alles laut herausschreit, was sie gerade macht ("Ich wasche mich gerade!") und eigentlich nur aus Ausrufezeichen besteht, nicht nur gerührt, sondern bei allem Mitleid irgendwie auch zum Schmunzeln gebracht. Nur "Tasttipper" Karl ist mir nicht so nahe gekommen. Die Idee des Tasttippens hat mir auch nicht so gut gefallen und ich habe nicht verstanden, was es Karl genau bedeutet. Mehr habe ich aber wirklich nicht auszusetzen.
Agatha, Karl und Millie begeben sich auf eine verrückte Reise quer durch Australien, immer auf der Suche nach Millies Mutter, obwohl man doch weiß, dass diese von ihrer kleinen Tochter nicht gefunden werden will. Aber zum Glück gibt es noch eine Tante... Agatha und Karl kommen sich immer näher und finden langsam zurück ins Leben. Das Ganze wird in einer ganz eigenen Sprache berichtet, überwiegend im Präsens, die vielen Dialog kursiv gesetzt und ohne Anführungszeichen. Manche Sätze möchte man sich notieren, so gehen sie unter die Haut, z.B. "Das Fehlen seines Namens fühlte sich an wie ein Schwindelanfall". So beschreibt Davis das Fehlen des Namens von Agathas verstorbenen Mann auf dem Anrufbeantworter.
Sicher wird das Buch nicht jedem gefallen. Daher war ich überrascht und erfreut, dass es in Australien ein Bestseller ist. Wer oberflächliche Schönwetterliteratur mag, wird den Roman schnell aus der Hand legen. Wer Verlust kennt und selbst tief getrauert hat, wird das Buch zu schätzen wissen.

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Veröffentlicht am 24.05.2020

Liebe unterm Hollerbusch

Holunderherzen
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Wirklich begeistert hat mich das Cover diese Taschenbuches. Blätter in zartem Blau auf weißen Grund mit auberginefarbenen Holunderbeeren auf weißem Grund, dazwischen ein Vogel, der sich auch auf dem Buchrücken ...

Wirklich begeistert hat mich das Cover diese Taschenbuches. Blätter in zartem Blau auf weißen Grund mit auberginefarbenen Holunderbeeren auf weißem Grund, dazwischen ein Vogel, der sich auch auf dem Buchrücken wiederfindet: Das sieht im Buchregal sehr hübsch aus. Leider konnte nach meinem Geschmack die Geschichte nicht ganz mit der hübschen Verpackung mithalten. Nach einer gescheiterten Beziehung flieht Anne zu ihrer Tante Tilly auf ein heruntergekommenes Grundstück an der Lübecker Bucht. Anne wirkte auf mich häufig nicht wie über 40, sondern wie ein unreifer Teenager. Sie geht noch in diesem Alter gern "starke Männer gucken", indem sie sich vor ein Fitness-Studio setzt beispielsweise. Dass innere Stärke zählt, muss sie erst mühselig begreifen. Die Teenagerin Kyra scheint häufig reifer als Anne, während Anne verblüffenderweise schon überfordert ist, wenn Kyra ihr von Problemen mit ihrem Freund berichtet. Dass Kyras Vater, der verwitwete Arzt Carsten, Annes neuer Auserwählter wird, daran lässt die Autorin von Beginn an keinen Zweifel. Dieser Carsten wird mal als Vogelscheuche, mal als schöner Mann beschrieben, normale Mitteldinger scheint es nicht zu geben. Schon nach der ersten Begegnung entbrennt Anne in Sehnsucht nach ihm, obwohl sie ihn ewig nicht wieder trifft. Bei der zweiten Begegnung stolpern sie ineinander, und nun ist es endgültig um Anne geschehen. Eben wie ein Teenie...
Die Highlights des Buches waren für mich die exzentrische Tante Tilly und ihr bisisiger Mops Hugo sowie dass Holunderbüsche, die ich einfach liebe, in der Story eine Rolle spielen. Anne eröffnet ein Café auf dem Grundstück, dessen Angebot auf Holunderprodukten basiert. Zum Glück wird man hier aber nicht mit endlosen Rezepten genervt wie in manch anderem Roman, in dem die Protagonistin in der kulinarischen Branche tätig ist.
Leider ist Tilly an Alzheimer erkrankt. Sie möchte niemandem zur Last fallen und wählt einen ziemlich drastischen Ausweg. Das ermöglicht, dass der Roman sein reines Unterhaltungsniveau beibehalten kann. Einen endlosen Verfall, das muss ich fairerweise sagen, hätte ich aber nicht gern miterlebt. Auch bei Tilly finden sich manche Motive, die ich übertrieben fand, so die plötzliche hingebungsvolle Liebe eines alten Fischers, der sich willig von ihr beschimpfen und von Hugo wiederholt bis aufs Blut beißen lässt.
Insgesamt habe ich die Geschichte nicht ungern gelesen, wenn mir auch der Vorläufer "Winterapfelgarten" einen Tick besser gefallen hat. Bedauerlicherweise ist auch das Strickmuster sehr ähnlich. In den "Holunderherzen" findet sich zudem ein Stilmittel, das mir beim letzten Roman nicht aufgefallen ist: Die unentschlossene Anne führt Monologe nach dem Strickmuster "Ja? Nein? Oder doch?" wiederholt, was sie noch unreifer erscheinen lässt und nervt. Auch wirkt es ein wenig, als sollte die Wortzahl künstlich gesteigert werden.
Fazit: Kann man lesen, muss man aber nicht.

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Veröffentlicht am 24.05.2020

Wirklich mal etwas ganz Anderes

Das gläserne Meer
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Zunächst einmal dies: Schon allein von der Optik her hat der Dumont-Verlag hier ein wunderschönes Buch geschaffen, das auch nach dem Lesen ein echtes Schmuckstück im Regal ist. Die Zeichnung einer beinahe ...

Zunächst einmal dies: Schon allein von der Optik her hat der Dumont-Verlag hier ein wunderschönes Buch geschaffen, das auch nach dem Lesen ein echtes Schmuckstück im Regal ist. Die Zeichnung einer beinahe märchenhaft anmutenden Landschaft, in der sogar Phönixe fliegen, zieht sich über den gesamten Buchumschlag und ziert so auch den Buchrücken. Alles ist in Weiß und Rot gehalten. Normalerweise mag ich Rottöne gar nicht, aber hier handelt es sich um ein sehr sanftes, dezentes Hummerrot. Dann ist der Roman auch noch herrlich dick und kann den Leser so eine etwas längere Zeit begleiten.
Anklänge an russische Märchen hat auch die Geschichte um die Zwillinge Jarik und Dima. In ihrem Heimatort Petroplawilsk wird ein gigantisches Gewächshaus errichtet, eben das gläserne Meer aus dem Titel. Es dehnt sich immer mehr aus, verschluckt ganze Landstriche, alle Gebäude, die zu hoch sind, werden einfach gekappt. Ununterbrochen soll es produzieren und so wird es von gigantischen Spiegeln erhellt, die nachts das Sonnenlicht aus dem All heranlenken. Dunkelheit gibt es nicht mehr, und so verschwindet nach und nach auch beinahe alle Freizeit. Nur wer daran mitwirkt, das Gewächshaus weiter zu bauen, gilt etwas. Zunächst arbeiten Jarik und Dima gemeinsam dort, bis Jarik von dem dahinter stehenden Investor, dem Miliardär Basarow, quasi entdeckt und immer weiter gefördert wird. Jarik soll den Arbeitern als Leitbild dienen und vorgaukeln, auch sie könnten den Aufstieg schaffen. Beschrieben wird Basarow bei der ersten Begegnung wie der leibhaftige Teufel, und genauso führt er Jarik, der für Frau und Kinder sorgen muss, auch erfolgreich in Versuchung.
Dima hingegen war schon immr ein Träumer. Lange Zeit interessiert er sich überhaupt nicht für Frauen, sondern lebt nur für das beinahe symbiotische Verhältnis mit seinem Bruder. Er ist dem Arbeitsdruck nicht lange gewachsen und hört eines Tages ganz auf zu arbeiten. Von da an geht sein Abstieg immer weiter, Strom und Gas werden in der gemeinsam mit der Mutter bewohnten Wohnung nach und nach abgestellt, sie leben von verdorbenen Essensresten. Alles Geld, das Dima von Jarik erhält, spart er, um davon eines Tages die Datsche ihres verstorbenen Onkels zurückzukaufen und mit seinem Bruder dort wie in Kindertagen zu leben. Eher unfreiwillig wird Dima zur Leitfigur der Revolutionäre, die zum alten Leben zurückkehren wollen, und bringt später sogar einen kleinen Teil des Glashaus-Daches zum Einsturz. Seine Verwandtschaft mit Dima wird für Jarik immer gefährlicher und er muss weitere Kompromisse eingehen, um Dima zu schützen. Doch im Grunde hat er sich längst gegen seinen Bruder und ihre Herkunft entschieden.
Der Roman wirft viele Fragen auf, die auch ich mir manchmal schon gestellt habe. Ab wann ist der Preis für den Erfolg zu hoch? Ist nicht Zeit im Grunde komplett unbezahlbar? Die Brüder stehen dabei für zwei Extreme, denn so wie Dima möchten sicher die wenigsten leben.
Nur zum Ende hin hatte die Geschichte für mich leichte Längen, ansonsten hat sie mich unerwartet gefesselt. Außerdem ist dies mal ein ganz eigener Roman, der mich wirklich an keinen anderen erinnert hat. Das Ende war mir persönlich zu offen gestalten und ich hätte mir noch mehr Märchenmotive gewünscht. Das ist aber auch die einzige Kritik. Dieses Buch werde ich in sehr guter Erinnerung behalten!


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Veröffentlicht am 17.05.2020

Seelenlose High Society

Schöne Seelen
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Bei diesem speziellen Roman war ich hinsichtlich der Gesamtbewertung immer wieder schwankend. Streckenweise hat er mich so amüsiert, dass ich sicher war, das werden fünf Sterne! Gerade zum Ende hin wurde ...

Bei diesem speziellen Roman war ich hinsichtlich der Gesamtbewertung immer wieder schwankend. Streckenweise hat er mich so amüsiert, dass ich sicher war, das werden fünf Sterne! Gerade zum Ende hin wurde er aber dann doch etwas ennuierend, und ich hatte den Eindruck, dass die ohnehin überschaubare Handlung plötzlich planlos versickert. Sprachlich ist das Buch wirklich herausragend. Wer wie ich in seiner Jugend Marcel Prousts zehnbändiges Werk "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" gelesen hat, genießt es einfach, wenn ein Autor verschachtelte Sätze über die Seite mäandern lassen kann, ohne je den Überblick zu verlieren. Zudem richtet Philipp Tingler einen äußerst scharfsichtigen, beinahe sezierenden Blick auf die Schönen und Reichen, immer auf der Suche nach einer brillianten Pointe. Stets scheint durch, dass der Autor Kolumnist ist, und ich vermute, dass mir seinen Kolumnen sicher auch viel Vergnügen bereiten würden. Es tut mir aber leid, es sagen zu müssen: Die Grundidee kann einfach nicht ein ganzes Buch tragen.
Tatsächlich kann man die gesamte Handlung in nur wenigen Sätzen zusammenfassen: Die reiche Milvina van Runkle stirbt an der letzten ihrer zahlreichen Schönheits-OPs. Ihre Adovtivtochter Mildred weiß nicht, dass sie adoptiert ist. In Mildreds Ehe mit Viktor kriselt es so mächtig, dass sie Viktor zu einer Therapie drängt. Dieser probt jedoch heimlich für ein Theaterstück und hat dazu seiner Meinung nach keine Zeit. Daher entsendet er seiner Freund, den Schriftsteller Oskar Canow, zu einer Art Stellvertreter-Therapie. Oskar schildert dort die Probleme Viktors und Mildreds, als wären es die seiner eigenen Ehe mit Lauren. Oskar verstrickt sich immer mehr in die Therapie, während sein Wunsch nach schriftstellerischer Inspiration sich nicht erfüllt. Schließlich fliegt der Schwindel auf und Mildred erfährt sogar von der Adoption. Die Handlung nimmt dann noch einen eher unmotiviert wirkenden Schlenker in die USA.
Große Freude haben mir Beschreibungen wie diese bereitet: "Die knochige Gestalt wurde von einer unerhörten Strickjacke mit Zopfmuster umschlottert, deren unheilvolles Grau möglicherweise nur davon herrührte, dass sie zu oft gewaschen worden war." Die Beobachtungsgabe Tinglers ist einfach wunderbar, einen derartigen Gesprächspartner würde ich mir im Alltag einmal wünschen. Leider färbt die innere Leere seiner Protagonisten aber etwas ab und bewirkt eine gewisse Handlungsarmut.

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Veröffentlicht am 17.05.2020

Lieblingswort "Atem"

Vor hundert Jahren und einem Sommer
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Darf man einen Roman nicht mögen, der bereits vor seiner Drucklegung mehrfach prämiert wurde? In meinem Fall ist es leider so. Ich hätte ihn nicht einmal zu Ende gelesen, hätte ich mich nicht aus Anstand ...

Darf man einen Roman nicht mögen, der bereits vor seiner Drucklegung mehrfach prämiert wurde? In meinem Fall ist es leider so. Ich hätte ihn nicht einmal zu Ende gelesen, hätte ich mich nicht aus Anstand gegenüber Vorablesen dazu verpflichtet gefühlt.
Der Autor weiß hervorragend zu formulieren. Hätte er nur eine Geschichte geschaffen, die den Leser interessiert, mit Figuren, die plastisch sind und einen nicht kalt lassen. Im Grunde wirkt das Ganze beinahe wie eine Dokumentation, vor allem, weil es fast gar keine direkte Rede gibt. Taucht sie doch einmal auf, erscheint sie in kursiver Schrift ohne Anführungszeichen, als wäre schon das allein irgendwie künstlerisch.
Zunächst dachte ich, wenigstens gibt es hier schöne Metaphern, als der Autor vom „Atem des Meeres“ sprach. Leider atmet hier aber einfach alles: der Holzfußboden, der Regen rinnt in Atemzügen hinab usw. Das wirkt schon nach kurzer Zeit redundant und einfach nur nervig, fast wie eine Art Tick. Selbst der Atem des Meeres taucht später wieder auf. Auf mich wirkte dieses Selbstzitat unfreiwillig komisch.
Hauptprotagonistin ist Annemie, unehelich geboren, von ihrer Mutter in Pflegschaft gegeben. Dennoch wird sie von ihren Zieheltern innig geliebt und gut behandelt. Sie wächst zusammen mit dem Pflegekind Jonathan auf. Als sie das Haus ihrer Pflegeeltern verlässt, landet sie zunächst im Armenhaus und dann bei einem Experimenteur, der ihr betrunken gemeinsam mit einem weiteren Mann eines Nachts Gewalt antut. Dennoch zieht sie erst weiter, als der Experimenteur sie hinauswirft. Eine weitere Leidenszeit beginnt, denn Annemie ist schwanger. Das ungewollte Kind stirbt jedoch nach einer Weile. Später begegnet sie Jonathan wieder. Die beiden werden ein Paar. Seltsamerweise gibt es einen reichen Fabrikanten, der Unsummen zahlt, wenn er Kirschen schon im März bekommt. Unter einigen Widrigkeiten bauen Annemie und Jonathan, inzwischen Eltern, zu diesem Zweck ein Gewächshaus und kommen so zu Geld. Das wirkte auf mich etwas an den Haaren herbeigezogen.
Dann bricht ein Krieg aus und Jonathan wird eingezogen. Für mich völlig überraschend, wird Annemie zur Mörderin, als sie dem Experimenteur wiederbegegnet. Sie bringt ihn nicht nur aus Rache um, sondern foltert ihn auch noch vorher. Zu so etwas fähig zu sein, dazu gehört schon einiges. Nichts deutet für mich vorher in Annemies Charakter darauf hin, und mir wurde angesichts dessen klar, wie vollkommen blass und nichtssagend sie bis dahin geblieben war. Dasselbe muss man über Jonathan sagen. Als er als Kriegsflüchtling einen armen Hund umbringt, der sich ihm vorher eng angeschlossen hat, war ich einfach nur angewidert. Jonathan fürchtet, der Hund habe seine Verfolger auf seine Spur gebracht. Dann bringt es aber auch nichts mehr, ihn nun umzubringen. Von da an habe ich Jonathan alles Schlechte gewünscht und mich gefreut, als er zunächst wieder eingefangen wurde. Leider überlebt er dann als einziger doch noch. Meinte der Autor das, als er in der Widmung sagte, er solle ein Märchen schreiben? Bis auf das unrealistische Ende sucht man Märchenmotive leider vergebens. Immerhin war es das einzige Mal, das mich die Figur nicht kaltgelassen hat. Dass der Autor Abscheu gegen Jonathan erregen wollte, glaube ich aber eigentlich nicht.
Noch etwas störte das Lesen erheblich: Der Text hat links einen breiten Rand, rechts fast keinen. Das Taschenbuch ist sehr eng gebunden, es geöffnet zu halten, führte schnell zu verkrampften Händen. Ich habe mit Erstaunen gesehen, dass das Buch eigentlich gerade als gebundene Ausgabe zu einem sehr stolzen Preis herausgebracht wurde. Anscheinend ist das mir übersandte Leseexemplar als Taschenbuch eine Sonderanfertigung.
Ich schreibe sehr ungern negative Rezensionen. Auch lese ich nicht nur Unterhaltungsliteratur, sondern oft mit großem Vergnügen Anspruchsvolles und Klassiker. Dieses Buch hat mich leider in keiner Weise erreicht.

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