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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 27.08.2019

Das Entdecken einer ganz neuen Welt....

Harry Potter und der Stein der Weisen (Harry Potter 1)
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Zuerst möchte ich anmerken, dass ich dieses Buch als siebenjähriges Kind zum ersten Mal gelesen habe. Meine Rezension habe ich nach dem (ersten und bisher einzigen) Reread im September 2018 getippt).

Die ...

Zuerst möchte ich anmerken, dass ich dieses Buch als siebenjähriges Kind zum ersten Mal gelesen habe. Meine Rezension habe ich nach dem (ersten und bisher einzigen) Reread im September 2018 getippt).

Die Vorgeschichte:
Muss ich euch etwas erzählen von einer Faszination, die mich als Kind befiel und nicht mehr losliess? Von fiebrig glänzenden Augen, zitternden Händen und dem Eintauchen in eine nie dagewesene Welt, die mein ganzes Universum verändert hat?
Ich habe Woodstock und die Queen verpasst, aber ich hatte das Glück, mit Harry Potter aufzuwachsen und nicht nur das: ich gehörte zu einem dieser Jahrgänge, die mit Harry grösser, älter und erwachsener geworden sind.
Ungefähr in den Jahren 1999/2000/2001 las ich nämlich die ersten vier Bände im Alter von sieben, acht und neun Jahren (den vierten Band bekam ich zum neunten Geburtstag) und musste mich nachher jeweils ganze!!! zwei!!! Jahre!!! gedulden, bis ich 2003/2005/2007 den nächsten Band ergattern konnte. Ja, auch ich habe um Mitternacht die Buchhandlungen gestürmt und dann gelesen, bis mir die Augen zugefallen sind. Und dann ging das grosse Warten los, endlos lange, bis der nächste Band endlich da war... Wenigstens war es dazwischen möglich, die Filme anzusehen und so immerhin noch ab und zu in die Potterwelt einzutauchen und nicht komplett die Geduld zu verlieren. Vor allem die ersten drei Filme mit ihrer grandiosen Filmmusik konnten mich überzeugen. Ab dann ging es abwärts, den siebten/achten Film wollte ich mir gar nicht mehr ansehen (und habe dies erst vor zwei Jahren nachgeholt und tatsächlich: die Musik ist eine Katastrophe) und ich hielt mehr und mehr an der Potterwelt fest, die sich mir beim Lesen der Bücher eröffnet hatte.
Aus Angst, im Erwachsenenalter nicht mehr die gleiche Faszination und Liebe für meine Helden und ihre Geschichte aufbringen zu können, verzichtete ich auf einen Reread und verliess mich auf meine positiven Erinnerungen. Aber eigentlich wollte ich schon lange wieder einmal zu den Büchern greifen und in der Nacht vom 1. zum 2. September (mit der Fahrt des Hogwarts-Express beginnt das Schuljahr in Hogwarts am 1.9.) war es dann endlich so weit und ich griff erneut zum ersten Band, nach fast zwanzig Jahren...

Leseeindrücke:
Nicht einmal eine Seite habe ich gebraucht und schon war ich wieder im Ligusterweg 4 und konnte auch nach so vielen Jahren kaum glauben, welche neue Welt sich mit jedem gelesenen Satz, jeder weiteren Figur, die ich wiedererkannte, vor mir auftat. Wie nur kann eine einzelne Autorin so ein komplettes, durchdachtes und in sich logisches Universum aufbauen? Wohl wirklich nur mit Magie...
Ich fasse euch keine Handlung zusammen, ich erzähle jetzt nichts zum Schreibstil und den Figuren, aber etwas erwähne ich wirklich sehr gerne:
Ich hätte nicht gedacht, dass mich diese Geschichte auch Mitte Zwanzig und nach so vielen anderen gelesenen Büchern und so vielen geschauten Filmen noch genau gleich mit ihrem Setting, den Figuren, der ganzen Handlung, der Erzählsprache, den Emotionen und Beschreibungen überzeugen kann, wie vor achtzehn Jahren. Versteht mich nicht falsch: ich habe an den ungebrochenen Zauber dieser Geschichte geglaubt und auch daran, dass keine auf sich aufbauende und siebenteilige Jugendbuchreihe vorher und nachher je wieder so zeitlos, stets aktuell und publikumswirksam sein würde, wie "Harry Potter", aber ich habe nicht damit gerechnet, dass ich die Geschichte auch wirklich immer noch als SOOOO gut und vor allem noch besser empfinde, als damals. Nun nämlich, wo ich weiss, wohin das Ganze führt/führen wird/führen kann, ist der Zauber des ersten Lesens verflogen klar, aber ich bewundere die wunscherschönen Beschreibungen, das ausgereifte Handlungskonstrukt, die grandios skizzierten Figuren, die Recherchearbeit und die der Geschichte eigene (magische) Logik und erzählerische Schönheit noch mehr.

Meine Empfehlung:
Nach so vielen technischen Details und Infos bleibt mir nur zu sagen, dass ich "Harry Potter" ungebrochen empfehle und dass es eigentlich gar keine Worte gibt, um dies zu begründen. Ich bin unendlich dankbar, mit diesen Büchern und Figuren aufgewachsen zu sein und wer diese Emotionen damals nicht durchlebt hat, das Warten auf den nächsten Band, die Spannung, bis um Mitternacht endlich die Türen der Buchhandlung öffneten, der ist erstens zu bedauern und der wird zweitens wohl nie ganz verstehen können, was "Harry Potter" für eine ganze Generation war. Verzichtet aber bitte trotzdem nicht (und NIE) darauf, euch nach Hogwarts zu begeben und die Geschichten nicht nur selber immer wieder zu lesen, sondern diese Bücher auch euren Kindern und Kindeskindern vorzulesen, zu kaufen, zu leihen und ihnen vorzuleben, dass es sich immer wieder lohnt, für seine Überzeugungen zu kämpfen und den Glauben an das Gute nicht zu verlieren. Denn wenn uns Harry und seine Geschichte etwas gelehrt haben, dann dass: auch in Kinder- und Jugendbüchern hat es Platz für Politik und es ist nie zu früh, mit seinen Kindern über Werte, Mitgefühl, Respekt und Toleranz zu sprechen.

Veröffentlicht am 26.08.2019

Liebevoll geschrieben und aussergewöhnlich aufgemacht

Mein Leben mit Mozart
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Meine Meinung:

Mit Mozart verbindet mich eine sehr ambivalente Beziehung. Als Musikerin begleitet er mich durch mein ganzes Leben, er ist in meinem Alltag omnipräsent und weckt wundervolle, aber auch ...

Meine Meinung:

Mit Mozart verbindet mich eine sehr ambivalente Beziehung. Als Musikerin begleitet er mich durch mein ganzes Leben, er ist in meinem Alltag omnipräsent und weckt wundervolle, aber auch sehr ermüdende Erinnerungen. Während vor allem sein Vokalwerk, insbesondere natürlich das Requiem und seine Opern, mit denen ich mich im Studium intensiv befasst habe, mich stets aufs Neue begeistern und berühren, langweilen mich die eigentlich grandios komponierten, aber leider viel zu oft lieblos aufgeführten Klaviersonaten und Sinfonien, die als Einheitsbrei daherkommen, zu Tode... Schmitt hat sich aber auf ganz eine andere Weise mit Mozarts Musik auseinandergesetzt und vor allem an einem sehr verzweifelten Punkt in seinem Leben zum ersten Mal den Zauber dieser grandiosen Kompositionen erlebt.

Von Liebe, Leidenschaft, dem Menschwerden und -sein, vom geschriebenen Wort und dem magischen Moment, die einer Aufführung innewohnen kann, vom Hadern, Suchen und letztendlich Finden schreibt Eric-Emmanuel Schmitt in seiner Briefesammlung "Mein Leben mit Mozart". Und er weckt damit eine Sehnsucht nach der im Buch erwähnten Musik, die hoffentlich zu einem genaueren Hinhören und Umdenken sowohl des Publikums, als auch einiger Kunstschaffender dieser Welt führen kann. Kurze und längere Briefe werden in "Mein Leben mit Mozart" direkt an den grossen Komponisten gerichtet und so erfahren wir Leserinnen und Leser einige Details, Gedanken und Gefühle aus Schmitts Leben. Diese liebevolle Mischung aus musikalischen Details, Lebensgeschichte und schriftstellerischer Glanzleistung, macht "Mein Leben mit Mozart" zu einem ganz wundervollen und aussergewöhnlichen Buch.


Meine Empfehlung:
Eric-Emmanuel Schmitt hat mit diesem Buch geschafft, was sonst nur eine wirklich brillante Aufführung einer Mozartsinfonie schaffen kann: er hat mich - zumindest für den Moment - ein wenig mit Mozart versöhnt. Von mir gibt es deshalb eine deutliche Leseempfehlung.

Veröffentlicht am 21.08.2019

Ein berührendes Buch mit viel Nachhall

Lempi, das heißt Liebe
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Inhalt:

Eine zähe Traurigkeit und ein grosser Verlust prägen dieses Buch. Lempi ist verschwunden und abwechslungsweise erzählen ihr Ehemann, der Bauernsohn Viljami, ihre Magd Elli und ihre Zwillingsschwester ...

Inhalt:

Eine zähe Traurigkeit und ein grosser Verlust prägen dieses Buch. Lempi ist verschwunden und abwechslungsweise erzählen ihr Ehemann, der Bauernsohn Viljami, ihre Magd Elli und ihre Zwillingsschwester Sisko von ihren Erinnerungen an Lempi, von gemeinsamen Erlebnissen, Enttäuschungen und Erfahrungen. Drei Stimmen sind es, die aus drei sehr unterschiedlichen Perspektiven erzählen. Viljamis Sicht ist von Liebe und Trauer geprägt, Ellis Abschnitt wird überschattet von ihrer Eifersucht auf Lempi, während Sisko sehr viel aus ihrem eigenen Leben verrät und stets mit Bewunderung und Fürsorge von ihrer Schwester spricht. Was aber klar wird: Lempi fehlt, sie kommt nicht zu Wort, ihre Geschichte zieht sich als einzige grosse Leerstelle durch das Buch und so zeigt sich, wie unterschiedlich Meinungen doch sein können, wie sehr sich Erfahrungen voneinander unterscheiden und dass ein Mensch, der verschwindet, immer eine Lücke hinterlässt, die es aufzufüllen gilt.


Meine Meinung:

Vor den Hintergründen des zweiten Weltkriegs entspinnt sich eine zarte Erzählung, die sich schwer vor Trauer und Sorge dahinschleppt. Gerade, wer sich mit der finnischen Geschichte nicht so gut auskennt, sollte übrigens unbedingt zuerst das Nachwort der Übersetzerin lesen, in der diese hilfreiche Hinweise auf die Verknüpfungen Finnlands mit der Geschichte Deutschlands und der Sowjetunion gibt. Im Roman selber finden sich nämlich zahlreiche Andeutungen und Ereignisse, die sich nach Lektüre des Nachworts auf jeden Fall besser eingliedern und erkennen lassen.

Von der Liebe Viljamis geprägt, erscheint das erste Drittel wie ein einziger grosser Schmerz, eine zerreissende Sehnsucht und Ungewissheit machen sich breit und die melancholische und auch ein wenig vergrämte Grundstimmung des ganzen Buches zeichnet sich schon ganz am Anfang ab. Ich konnte mich herrlich darin suhlen, habe das Leid und die Sehnsucht gespürt und hätte so gerne noch mehr erfahren. Ellis von Hass und Eifersucht geprägter Abschnitt hat mich dann aufgerüttelt und das Bild von Lempi ein wenig getrübt. Wer war sie? Wie war sie? Welche Einschätzungen stimmen nun? Welches Bild dieser auf jeden Fall sehr starken, spannenden und für sich einstehenden Frau kann man nach diesen Worten bilden?

Erst Siskos Abschnitt lässt erkennen, wie die Situation der finnischen Frauen zu Zeiten des zweiten Weltkriegs aussah. Vor welche Entscheidungen sie gestellt wurden, welche Optionen sie hatten, wie mit ihnen verfahren wurde. Einige hatten Glück, Sisko nicht. Und Lempi?


Meine Empfehlung:

"Lempi, das heißt Liebe" musste ich erst einmal sacken lassen. Es ist ein Buch, das scheinbar zart und leicht die grössten Gefühle weckt und keine der im Buch erzählten Geschichten ist schön. Jede Sicht ist tragisch und von einer persönlichen Unzufriedenheit und Trauer geprägt. Alle Personen, die zu Wort kommen, haben offene Rechnungen, ungestillte Sehnsüchte und traumatische Erinnerungen. Und gerade weil die drei Sichten auf Lempi so unterschiedlich sind und weil man dabei auch nebenbei noch so viel über Finnland und den zweiten Weltkrieg erfährt, ist dieses Buch enorm lesenswert. "Lempi", das ist eine poetische Sprache, das sind historische Hintergründe aber vor allem ist es eine Frau, die fehlt und deren Fehlen, respektive deren Verschwinden, eine riesige Lücke hinterlässt, die Raum für Spekulationen und Gelegenheit zur Abrechnung bietet.

Veröffentlicht am 20.08.2019

Stalin aus der Sicht eines Kindes, voller Metaphern und grandios

Guten Morgen, Genosse Elefant
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Meine Meinung:
Der KiWi-Verlag hat mich mit diesem Rezensionsexemplar überrascht und dabei komplett ins Schwarze getroffen. Wer hier schon länger mitliest weiss ja, dass mir die damalige Sowjetunion literarisch ...

Meine Meinung:
Der KiWi-Verlag hat mich mit diesem Rezensionsexemplar überrascht und dabei komplett ins Schwarze getroffen. Wer hier schon länger mitliest weiss ja, dass mir die damalige Sowjetunion literarisch und vor allem musikalisch sehr am Herzen liegt und ich mich sehr für deren Geschichte natürlich auch für Bücher, die dort spielen, interessiere.
Mir wurde "KEIN Wohlfühlbuch" versprochen, aber ein Buch, das zum Nachdenken und Schmunzeln einlädt, eines, das niemanden kalt lässt und viel Diskussionsstoff bietet. Genau dies und noch viel mehr habe ich auch bekommen. Besonders gut gefallen hat mir der wundervolle Protagonist und der Schreibstil, der es geschafft hat, authentisch, intelligent und spannend aus der Sicht eines Zwölfjährigen zu erzählen.
Selbstverständlich geht es in diesem Buch aber nicht nur um Juri, sondern auch um ein System, das mit Doppelgängern, Manipulation, Vertuschung, Saufgelagen und Intrigen arbeitet, mit Machtmissbrauch, Gewalt, Folter und der Auslöschung unerwünschter Stimmen. Was ist wahr? Was ist real? Historische Ereignisse vermischen sich mit Fiktion, Namen werden geändert und als Leser kann man munter miträtseln, wer sich hinter welchem Pseudonym versteckt und wie die Fäden der Geschichte zusammenlaufen (könnten).

"Dieser Patient hat keine Vorgeschichte"
"Aber jeder Mensch hat eine Vorgeschichte", protestiert Papa, "Allein schon, weil er geboren wurde."
"Der Genosse ist ein Elefant, der eine äusserst hohe Stellung einnimmt. Besässe er eine medizinische Vorgeschichte, wäre er krank gewesen, und das könnte ihm als Schwäche ausgelegt werden, als ein Versagen seiner Macht und Vitalität, eine Begrenzung seiner Fähigkeiten."
S. 44


Schreibstil und Handlung:
Juri ist zwölf Jahre alt, leidet nach mehreren schweren Unfällen an Epilepsie, hat ständig ein Grinsen in seinem Gesicht und wirkt auf seine Mitmenschen ein wenig debil. Er ist aber alles andere als das. Vielmehr hat er von seinem Vater sehr viel über das Gehirn von Säugetieren gelernt, denkt logisch und verfügt über eine sehr charmante, kluge und gewinnende Art. Alle Menschen wollen sich ihm anvertrauen und schnell wird dem Leser klar, dass Juri ein kleines Rädchen im grossen Getriebe ist und in dem komplexen und totalitären System verschwinden und eingespannt werden soll.

"Wie es der Zufall will, habe ich eine kleine Aufgabe für dich. Du errätst bestimmt nicht, worum ich dich bitten will."
"Soll ich Augen und Ohren offen halten und Ihnen Bericht erstatten?"
"Gut gebrüllt..." Er blinzelt und runzelt überrascht die Stirn. "Wie um alles in der Welt bist du nur darauf gekommen?"
Ich zucke die Achseln. "Ich bin zwar noch neu im Geschäft der Politik", gestehe ich, "aber ich lerne dazu."
S. 114

Juri erzählt in Ich-Form aus seiner Sicht und schildert interessante, humorvolle und tragische Ereignisse aus seinem Alltag. Dabei hat mich begeistert, wie wunderbar es dem Autoren immer wieder gelingt, Juri im Dunkeln zu lassen, was um ihn herum geschieht. Aufgrund der Andeutungen und dem Wissen, das wir erwachsenen Leser natürlich im Nachhinein von der russischen Geschichte haben, erkennen wir viel schneller, was es mit einigen Begebenheiten auf sich hat, und sehen viel schneller die Gefahren, in die Juri hineinschlittert. Dies ist vom Autor wirklich grandios gelöst und sorgt für uns Leser natürlich auch für eine gewisse Beklemmung, weil wir viel mehr Zusammenhänge erkennen und schneller sehen, was Juri leider auch noch alles erdulden muss.
Ja, es wird traurig, auch brutal und ungemütlich. Und trotzdem hat der KiWi-Verlag recht mit jedem seiner Versprechen: dieses Buch macht auch glücklich. Es regt zum Nachdenken an und lässt zwar tief in ein brutales System blicken (was für fundierteste Recherchen des Autors spricht), es sorgt aber vor allem für ganz viel Liebe zu diesem herzerweichenden Protagonisten und dessen Geschichte, für ganz viel Dankbarkeit, dass man in einer Demokratie leben darf und für immer mehr Lust auf (russische) Geschichte, auf historische Hintergründe und weitere spannende Bücher des Autors.

"Ideen sind mächtiger als Waffen. Wir lassen nicht jeden eine Waffe tragen, warum sollten wir sie also Ideen haben lassen?"
S. 148

Meine Empfehlung:
Dieses berührende, beklemmende und trotzdem immer wieder von einem kindlichen Optimismus geprägte Buch möchte ich euch besonders ans Herz legen. Äusserst fundierte Recherchen des Autors, eine gelungene Verknüpfung historischer Fakten mit Fiktion, viel Humor, der herrlich naive und zugleich kluge und menschenfreundliche Protagonist und ein Schreibstil, der in seiner Finesse und Authentizität seinesgleichen sucht, machen "Guten Morgen, Genosse Elefant" mit jeder Seite zu einem zum Nachdenken anregenden Stück Literatur, das im wahrsten Sinne des Wortes nach den Sternen greift.

Veröffentlicht am 20.08.2019

Düster und wunderschön

Dunkelgrün fast schwarz
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Inhalt:
Da sind zuerst Motz und Raf, Anhängsel und Anführer, da sind Gewalt, Freundschaft, Familienzwiste und ein Gefühl von Macht und Ohnmacht. Immer wieder erfahren wir auch die Sicht von Marie, der ...

Inhalt:
Da sind zuerst Motz und Raf, Anhängsel und Anführer, da sind Gewalt, Freundschaft, Familienzwiste und ein Gefühl von Macht und Ohnmacht. Immer wieder erfahren wir auch die Sicht von Marie, der Mutter von Motz, die so lange schon wusste, wie alles enden würde, aber immer weggeschaut hat. Ausserdem springt die Geschichte zwischen den einzelnen Figuren und Jahren hin und her. Und dann kommt Jo ins Spiel und die Geschichte wird komplizierter. Denn jetzt geht es auch um Liebe, um Verrat, um Selbstzerstörung. Vielleicht um Hass.
Und auch wenn es immer wieder um Schuld geht und um Unschuld, um die Tatsache, dass ein Hinsehen vielleicht besser gewesen wäre als ein Wegschauen, so geht es doch am Ende immer um die Kraft, die fehlt, damit sich wirklich etwas ändern kann. Die Kraft, sich von jemandem loszusagen, die Kraft, treu zu bleiben oder sich ganz zu trennen, die Kraft, gar nicht erst anzufangen mit dem Betrug, dem Verrat, mit den Lügen und die Kraft, den Mund aufzumachen, bevor alles zu spät ist. Und warum fehlt diese Kraft? Weil alle Figuren, auch die, welche eher glücklich sind und sich auf eine eigensinnige Art und Weise mit ihrem Leben arrangiert haben, gelähmt sind von einer Dunkelheit, von einer Angst und von einem erstickten Zorn auf die eigene Situation und die Macht der anderen und auf diesen verdammten Ort, an dem alle über alle sprechen und an dem alles seinen Anfang nimmt.

Meine Meinung:
Normalerweise lasse ich die Hände von Büchern, die einen Hype auslösen. So lange, bis sich der Hype beruhigt hat. Bei diesem Buch konnte ich mich nicht zurückhalten und ich wurde belohnt. Denn alles, was über dieses Buch gesagt und geschrieben wurde, ist wahr (mit Ausnahme der Aussage, dass das Ende nicht passen würde, das stimmt überhaupt nicht, das Ende passt perfekt, es ist sogar so, dass ich mir für dieses Buch gar kein anderes Ende hätte vorstellen können).
"Dunkelgrün fast schwarz" ist fordernd, laut, schmerzhaft, manchmal unangenehm. Und die Gefühle und Abgründe sind so unbarmherzig direkt und mitten ins Herz hinein beschrieben, dass man gar nicht anders kann, als berührt zu werden.
In schillernden, sanften, schrillen und schmerzenden Farben sieht Motz die Menschen und erkennt ihr Innerstes manchmal besser, als sie selber. Seine sensible und auch ein wenig naive Art lassen ihn aber so sehr an das Gute im Menschen glauben, dass er nur mit einem Kohlestift auf Papier erfassen kann, was er wirklich fühlt. Klar, dass dies ausgenutzt wird, von Raf, einer Figur, für die man nur Abscheu und Faszination zugleich empfinden kann und weil Jo das Duo zu einem Trio macht, weil alle älter werden und die Verletzungen damit auch grösser und tiefer und weil es Marie nicht mehr immer gelingt, die Fäden zusammenzuhalten, wird das Chaos perfekt.

Meine Empfehlung:
Die Kunst der Autorin Mareike Fallwickl besteht nicht in erster Linie darin, eine Geschichte aus mehreren Perspektiven, mit Rückblenden und Zeitsprüngen, so zu erzählen, dass plötzlich alles zusammenpasst, dass alles Sinn macht. Und dass man sich auf den letzten Seiten an die ersten Seiten erinnert und ein Lächeln im Gesicht hat. Und die Kunst besteht auch nicht in erster Linie darin, dass jede Figur für sich so einen eigenen Charakter hat, dass Jo, Motz und Raf so verschieden denken und fühlen, als wären sie von unterschiedlichen Autoren geschaffen worden. Obwohl das schon so viel ist, mehr als andere Bücher zuweilen bieten können (leider), dass dies allein vielleicht sogar schon ausreichen würde. Aber nein, Fallwickl toppt dies noch. Sie schreibt nicht nur eine grandiose und mitreissende Geschichte voller Figuren, von denen man ausgehen muss, dass es sie gibt (wie sonst hätten sie so fesselnd beschrieben werden können). Nein, sie erzählt dies alles und auch alles, was zwischen den Zeilen steht, in einer Sprache, für die es keine Worte gibt. Es gibt darum keine Worte, weil Mareike Fallwickl alle Worte, denen eine aussergewöhnliche Kraft und Härte und Derbheit und Verletzlichkeit und Ästhetik innewohnt, schon verwendet hat, sie stehen alle in diesem Buch. Lest es.