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Veröffentlicht am 01.03.2024

Spannende Reise in die japanische Mythologie

Die Perlenjägerin
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Die amerikanische Autorin Miya T. Beck folgt mit großer Neugier den Spuren ihrer japanischen Herkunft. Diese Wurzeln führen sie zu den Mythen und Legenden Japans, aus denen sie eine ganz neue fantastische ...

Die amerikanische Autorin Miya T. Beck folgt mit großer Neugier den Spuren ihrer japanischen Herkunft. Diese Wurzeln führen sie zu den Mythen und Legenden Japans, aus denen sie eine ganz neue fantastische Geschichte für Jugendliche webt. Auch für mich als Erwachsene war es ein großer Lesegenuss in diese Bilderwelt einzutauchen.

‘Eintauchen‘ ist da die passende Metapher, denn mit den beiden Hauptcharakteren, den Zwillingen Kai und Kishi lernen wir zwei blutjunge Perlentaucherinnen kennen. Kai stellt ihre Familie vor, in der die Frauen die Aufgabe des Tauchens übernehmen. Eine gefährliche Tätigkeit, so mussten sie vor nicht allzu langer Zeit erleben, wie die geliebte Tante Hamako ihr Leben dabei verlor. Kein Wunder, dass die Eltern nun natürlich noch vorsichtiger sind und strenge Regeln aufstellen.

So hat Kishi jüngst den Schritt getan und hat sich beim Perlentauchen ihre Tauchkappe verdient. Kai muss sich da noch bemühen, denn es fällt ihr schwer, sich geduldig und folgsam den Anweisungen der Mutter zu fügen. Diese verlangt zum Beispiel, dass bei einem Tauchgang auch nur ein Perlenfund mit an die Wasseroberfläche geholt werden darf.
Doch genau so ein Regelverstoß Kais führt dazu, dass Kishi in die Fänge des legendären Geisterwals gerät und in die Tiefen der Unterwelt verschleppt wird. Ihre Zwillingsschwester Kai lässt sich nicht daran hindern, alles zu versuchen, Kishi zu retten. Doch wer kann verhindern, dass die Schwester ins Reich der Toten übergeht?

Kai zögert nicht, in Verhandlung mit dem mythischen Drachenkönig zu treten, einen Handel mit der Göttin der Unterwelt einzugehen und zu versuchen, die verlangte magische Perle der Königin der Fuchsdämonen zu erringen. Eine abenteuerliche, gefahrvolle Reise steht Kai bevor, die sie fort vom geliebten Meer in die Lüfte, auf die Berge, in Höhlen und auf den Rücken eines Pferdes führen wird.
Nicht jeder, der ihr Hilfe anbietet, stellt sich als Freund heraus. Nicht jeder, der sie verletzt, ist ein Feind.

Fazit
Zunächst möchte ich mal meine Begeisterung über die bezaubernde Cover- und Buchschnitt-Gestaltung ausdrücken. Das Cover greift einige Elemente der Geschichte auf und bringt sie so fantastisch ins Bild.

Durch das Cover wird man gleich auch in den japanischen Background eingeführt. Genau diese Bilderwelten der japanischen Mythologie und Legenden hatten mich interessiert. Sie werden sehr einfühlsam und bildreich in die Geschichte eingewoben, sodass man nie überfordert ist. Doch auch mit der Härte, Gewalt und Grausamkeit jener Zeit wird man konfrontiert.

Die Riege der Protagonisten ist zwar vielfältig, aber auch gut überschaubar. Die junge Perlentaucherin Kai schildert aus ihrer Sicht das Geschehen. Man kann sich wunderbar mit dieser Figur identifizieren, die viele Abenteuer und eine rasante persönliche Entwicklung durchlebt. Die Zwillinge sind sehr gegensätzliche Charaktere, lieben sich aber innig. Kai sieht sich eher als den „bösen“ Zwilling. Tatsächlich ist sie anfangs ungeduldig und ungehorsam, aber ihr Durchsetzungswillen und Zielstrebigkeit sind es, die sie als tapfere Heldin durch ihr Abenteuer hindurch tragen werden. Ihre Liebe und Ergebenheit zu Kishi lassen sie treu ihre Mission durchhalten. Diese gefahrvolle Reise lässt sie reifen, erwachsen werden und Verantwortung übernehmen. Immer wieder stehen schmerzhafte Entscheidungen vor ihr. Von Anfang an zieht Kai aus den Mythen ihrer Heimat, die sie seit Kindertage begleiten, Weisheit und Kraft. Vielleicht schafft sie damit sogar einen neuen Heldenmythos. Das mitzuerleben ist sehr bereichernd.

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Veröffentlicht am 18.04.2024

Die unbekannte Frau hinter Adenauer

Gussie
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Wie Memorykärtchen, die gerade aufgedeckt werden, so kommt mir das wunderschöne Cover auf den ersten Blick vor. Man ahnt schon, dass es sich um eine aparte junge Frau handelt, die sich dahinter verbirgt. ...

Wie Memorykärtchen, die gerade aufgedeckt werden, so kommt mir das wunderschöne Cover auf den ersten Blick vor. Man ahnt schon, dass es sich um eine aparte junge Frau handelt, die sich dahinter verbirgt. Doch wer ist sie? Interessanterweise zeigt dieser Ausschnitt ein Gemälde einer Frau, die Gussie gerufen wurde. So lautet ja auch der Titel des Buches.

Wer verbirgt sich hinter diesem Rufnamen? Es ist Auguste Adenauer, geborene Zinsser, die zweite Ehefrau des ersten Bundeskanzlers der Bundesrepublik Deutschland, Konrad Adenauer. Das Gemälde war sein Lieblingsbild seiner Frau.

Ausgangspunkt dieses Romans, der die Biographie von Gussie Adenauer ins Zentrum stellt, ist das Jahr 1948. Gussie Adenauer ist erst 52 Jahre alt und liegt im Bonner Johannes-Hospital im Sterben. Um ihr Ende wissend blickt sie zurück auf ihr Leben, sie „reist zurück in der Zeit“. Wie beim Memory-Spiel wird ein Erinnerungskärtchen nach dem anderen aufgedeckt, bis vor unseren Augen ein Persönlichkeitsbild dieser Frau erscheint. Dabei kehren wir immer wieder zur sterbenden Gussie zurück.

Wir lernen Gussie als junges Mädchen kennen, eine Arzttochter, die 1919 den verwitweten Kölner Oberbürgermeister (seit 1917) Konrad Adenauer heiratet. Dieser ist 19 Jahre älter als sie, Vater von drei minderjährigen Kindern und hat unter tragischen Umständen seine Frau Emma verloren. Gussies Familie war mit der Familie Adenauer aus der Nachbarschaft bereits freundschaftlich verbunden. Dabei verabschiedet sie sich von ihren Zukunftsträumen „man kann nur ein Leben leben…“ (S. 157)

Gussie wird eine verliebte Ehefrau, eine liebevolle Stiefmutter und schenkt selber fünf Kindern das Leben. Der traurige Verlust des ersten Sohnes wenige Tage nach der Geburt begleitet sie ihr Leben lang.
Es ist sehr spannend, das Schicksal der Adenauers nach dem Ende des 1. Weltkriegs, durch die wilden 20iger Jahre bis zum Durchbruch des Dritten Reiches zu beobachten. In Gussies Leben verflechten sich Familiäres, Öffentliches und Politisches eng. Die junge Frau engagiert sich sozial und politisch.

Mit der Machtübernahme der Nazis ändert sich das Leben der Familie komplett. Konrad Adenauer wird observiert, verfolgt, er muss fliehen, sich verstecken, wird inhaftiert. Sein Leben ist in Gefahr. In dieser Zeit erdrückt die Last, die Gussie zu tragen hat, sie fast.
Am Ende stehen Verhöre der Gestapo, eine unmenschlich erzwungene Entscheidung und Lagerhaft. Gussie Adenauer stirbt nur wenige Jahre nach dem Krieg an den Folgen dieser Ereignisse. Sie erlebt nicht mehr, wie ihr Mann der erste Bundeskanzler wird. Er wird sie um fast 20 Jahre überleben.

„Die wenigen Mutigen kommen ihr in den Sinn. Sie haben mit ihrem Leben bezahlt. Wärest du dazu bereit gewesen, Gussie? Es ist nur menschlich, vor der eigenen Angst in die Knie zu gehen. Widerstand ist ein großes Wort. Wer sind wir, uns ein Urteil anzumaßen?“ (S. 79)

Fazit:
Der Autor Christoph Wortberg wagt ein Buch, das von Anfang an das tragische Ende offenlegt und nie aus den Augen verliert. Das ist sehr berührend. Es gibt ihm die Möglichkeit, dass Gussie, ihr Leben nochmal vor Augen, kommentieren und gewichten kann. Gleichzeitig zieht sich so ein Hauch von Melancholie durch die Seiten.

Sehr gelungen empfinde ich, dass der Autor Christoph Wortberg bei den Rückblickskapiteln eine gewisse Chronologie einhält und zwischendurch immer wieder zur sterbenden Gussie zurückkehrt. Denn auch noch in den letzten Tagen zeigt sie ihre besondere Persönlichkeit.
Die Zeitstränge lassen sich gut einordnen, da kleine (nachempfundene) datierte Briefzitate an und von Gussie den Kapiteln vorangestellt werden. Nebenbei wird so auch die Zeitgeschichte durch Gussies Augen erlebbar.

Man bekommt einen sehr berührenden Eindruck von Gussies Charakter. Ihre Emotionen, ihre Sicht auf die Zeit und auch die Zweifel an den eigenen Entscheidungen sind sehr gut nachvollziehbar.

Von Anfang an beweist die junge Frau großen Mut, Empathie und Stärke. Man kann sich kaum vorstellen, wie ihr Mann seine Familie, gesellschaftliche und politische Aufgaben je ohne sie hätte bewältigen können.

Besonders berührt haben mich ihre Jahre im Dritten Reich, in denen sie vor schier unlösbare Aufgaben gestellt wird und an der Grausamkeit der nationalsozialistischen Machthaber zugrunde geht. Die Atmosphäre der Bedrohung, Angst, Ausweglosigkeit ist selbst beim Lesen sehr beklemmend. Hier gehen die Geschehnisse unter die Haut.
Dem Buch liegt eine sehr gründliche Recherche zugrunde. Die Romanform schenkt dem Autor gegenüber einem biographischen Sachbuch einige Freiheiten. So können wir als Leser*in auch viel besser in die Gefühlswelt Gussies eintauchen.

Der Schreibstil ist bildhaft, knapp und mit einer großen Tiefe, sodass ich das Buch ungern aus der Hand legte. Von mir aus hätte es gern noch ausführlicher und länger sein dürfen.

Auguste Adenauer werde ich gewiss nicht so schnell vergessen durch diese sehr bewegende und tiefgründige Darstellung.

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Veröffentlicht am 04.09.2024

Eine magische Ermutigung

Das magische Funkeln
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Das Bilderbuch „Das magische Funkeln“ kann ich mir wunderbar für 3 bis 4 jährige Kinder vorstellen. Hier haben viele Kinder noch einmal sehr sensible Phase, haben mit Schüchternheit und Unsicherheiten ...

Das Bilderbuch „Das magische Funkeln“ kann ich mir wunderbar für 3 bis 4 jährige Kinder vorstellen. Hier haben viele Kinder noch einmal sehr sensible Phase, haben mit Schüchternheit und Unsicherheiten zu kämpfen. Nicht anders ergeht es dem Bärenjungen in dieser Geschichte.

Anders als seine Geschwister hat das kleine Bärenkind noch nicht seinen eigenen Namen gefunden. So soll es doch wohl ein Name sein, der die Eigenschaften und Bestimmung des Jungbären genau beschreibt.

Der kleine Bär verrät niemanden, was ihn bedrückt: er fühlt sich im Innern noch gar nicht wie ein Bär. Er hat noch nicht zu sich selbst gefunden. Dies hindert ihn daran, zusammen mit den Geschwistern Abenteuer zu erleben.
Mit der Hilfe der magischen Feder eines Feuervogels gelingt es ihm, seine innere Kraft zu finden.

Die Geschichte handelt über den Schritt eines kleinen Wesens zur Selbstwahrnehmung. Die Kinder erleben, wie der kleine ängstliche Bär den Glauben an sich selber und Selbstbewusstsein erlangt und sich gleich für Schwächere einsetzt.
Die Gestaltung des Buches ist außerordentlich ansprechend gelungen und hat mich gleich bezaubert. Die feinen Illustrationen sind mehr oder weniger realistisch. Mir gefällt auch sehr die Farbpalette mit gebrochenen Farbtönen, den typischen Farben des Waldes. Die Ausnahmen bilden der farblich prächtige magische Feuervogel und seine Feder. Die leuchten natürlich ganz besonders gegen den dunklen Hintergrund. Die goldenen Sprenkel auf dem Cover verleihen ihnen eine ganz spezielle Magie.

Die Schrift ist sehr gut lesbar. Die Handlung ist kurz, einfach und überschaubar, dass die Kleinen nicht überfordert sind. Ein absoluter Augenschmaus.

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Veröffentlicht am 14.08.2024

Erwachsenwerden in Yorkshire

Unser Buch der seltsamen Dinge
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Die Autorin Jennie Godfrey ist in Yorkshire aufgewachsen. Ihre Kindheit wurde von den Ereignissen, die den Hintergrund ihres Debütromans bilden, sehr geprägt. Ich könnte mir schon vorstellen, dass sie ...

Die Autorin Jennie Godfrey ist in Yorkshire aufgewachsen. Ihre Kindheit wurde von den Ereignissen, die den Hintergrund ihres Debütromans bilden, sehr geprägt. Ich könnte mir schon vorstellen, dass sie viel von ihren eigenen Gefühlen in dem Alter der 12 jährigen Miv, der Erzählerin der Geschichte, mitgegeben hat.

Wir tauchen ein in das Jahr 1979 in Yorkshire, im Norden Englands. Die Konservativen haben gerade die Unterhauswahlen gewonnen. Margaret „Maggie“ Thatcher wird Premierministerin des Landes. “Maggie, The Milk Snatcher“ tituliert man sie, weil sie den Kindern die Schulmilch nimmt. Für die Menschen in Yorkshire sind die Zeiten nach dem Strukturwandel und der Deindustrialisierung in den 60iger und 70iger Jahren finster. Nur die alten, leer stehenden Fabrikruinen erzählen noch die Geschichte einer blühenden Textilindustrie und des Bergbaus. Die „Eiserne Lady“ Thatcher bringt nur noch mehr Armut, Arbeitslosigkeit und Abwandern der Industrie.

Bislang haben die Leute in den kleinen Gemeinden die Häuser nicht abgeschlossen, die Kinder spielten vom Morgen bis zur Abenddämmerung draußen, die Nachbarn tratschten und klatschen bei einer Tasse Tee.

Wir sehen nun wie sich der Alltag auch hier verfinstert, denn es geht ein Serienmörder um. Nein, der Yorkshire Ripper, der 13 junge Frauen brutal ermordete und 7 weitere versuchte zu töten, ist leider keine Fiktion, sondern Teil der realen Hintergründe des Romans. Es ist keine Überraschung, dass die Frauen in Yorkshire sich von diesem Monster bedroht fühlen, sich als ängstlich und verletzlich empfinden, besonders, wenn sie allein oder nachts unterwegs sind. Es sind Jahre der Angst, die die Frauen und die Familien teilweise lebenslang prägen.
In dieser finsteren Atmosphäre, der Situation des Niedergangs und der Bedrohung baut die Autorin ihre Szenerie auf: die Schule, ein Laden an der Ecke, die Kirche, die unterschiedlichen Wohngegenden, die Kulisse der verfallenen Industriegebäude.

Ein wohltuender Kontrast ist, dass wir daneben auch ein bisschen nostalgisch in das Leben am Ende der 70iger Jahre aufgefangen werden. Die Kinder spielen noch sehr frei und unkontrolliert, für Teenager ist die „Röhrenjeans“ das Must-have, die beiden Protagonistinnen gehen gerade über von der Zeit mit der Holly-Hobbie-Puppe zum ersten Glitzer-Lipgloss.

In dieser Umgebung wächst also die Hauptperson der Geschichte auf: die 12jährige Mavis, genannt Miv. In ihrem Haushalt lebt der Vater und dessen Schwester Tante Jean. Die Tante ist zu ihnen gezogen, weil sich Mivs Mutter offensichtlich in einem psychischen Ausnahmezustand befindet. Seit zwei Jahren scheint sie im Haus nur teilnahmslos und stumm vor sich hin zu vegetieren, wenn sich nicht wieder einen ihrer regelmäßig notwendigen Aufenthalte im Krankenhaus hat. Mivs Vater verdrückt sich gern abends mal aus dieser Situation, z.B. auf ein schnelles Bier in den Pub. Doch Mivs Leben ist liebevoll und behütet.

Tante Jean : „There’ll be trouble at t’mill“ ist nicht glücklich über Thatcher und den Niedergang Yorkshires und mit der Situation durch den Serienmörder schon mal gar nicht. Die Bedrohung durch den Yorkshire-Ripper macht auch ihnen zu schaffen, als Miv heimlich ein Gespräch zwischen ihrem Dad und Tante Jean belauscht.
Hört sie recht? Die beiden erwägen einen Umzug, fort von Yorkshire? Das würde den Verlust von Mivs bisherigem Leben bedeuten!

Oh nein! Was würde aus ihrer Heimat, in die sie verwurzelt ist, Cricket, der geliebten Freundin Sharon? Unvorstellbar! Denn neben allen Problemen gibt es hier viele liebenswerte Menschen. Mivs rettender Gedanke ist, die Identität des Mörders selber auf eigene Faust aufzuklären. Dann gäbe es keinen Grund mehr für einen Umzug. Schließlich hat sie ja die „5 Freunde“-Bücher verschlungen!
Inspiriert von Tante Jean, die ihr ganzes Alltagsleben mit Listen für alles und jedes strukturiert, startet Miv eine eigene Liste der auffälligen Dinge. Hier führt sie Buch über die Menschen, mit denen sie in Kontakt kommt und hofft so, dem Ripper auf die Spur zu kommen. Ihre beste Freundin Sharon hat Miv enthusiastisch zur Mitarbeit überredet. Bald ist Miv von ihrer Idee vollkommen besessen.

Miv erzählt von den „Ermittlungsarbeiten“ über einen längeren Zeitraum. Es ist eine Zeit des Umbruchs zur Jugendlichen. Natürlich verändert sie sich. Im Laufe der Zeit werden aus Miv und Sharon Teenager. Während Miv sich auf ihre Verfolgungsidee fixiert, merkt sie, dass Sharon allmählich erwachsener wird. Ihre berührende Freundschaft öffnet sich für zwei tolle Jungs, dem pakistanischstämmigen Ishtiaq. und Paul. Doch die Liste wird das Geheimnis der Mädchen bleiben.

Abwechselnd mit den Kapiteln aus Mivs Sicht, erleben wir in weiteren Kapiteln die Blickwinkel von Erwachsenen, auf die Mivs scharfes Auge des Verdachts fällt. Denn die Leute in ihrem Ort sind nicht so harmlos, wie sie an der Oberfläche erscheinen. Manche Wahrheiten sind dann schwer zu ertragen. Miv stochert herum, bringt Dinge in Gang, die sich selbst weiter entwickeln. Mal in positive Richtungen aber auch in negative.
Aber sie muss auch viele „seltsame Dinge“ revidieren, weil sich die Verdachtspersonen als harmlos, liebenswert, warmherzig und absolut unschuldig herausstellen. Miv lernt fürs Leben.


Fazit
Das farblich positiv anmutende Cover stellt ein kleines Rätsel dar, was wir nun gut lösen können. Die Zettel ordnen wir Mivs Liste zu, die Milchflaschen Mrs. Thatcher. Was will uns der Rabe sagen? Mag man ihn als dunklen Boten sehen? Ich schätze Raben eher als clevere helle Köpfe, Knobler und Problemlöser. Vielleicht findet ihr die Lösung.

Der Roman erzählt eine Coming-of-age-story aber auch eine kleine Gesellschaftsstudie vor recht deprimierenden, düsteren Hintergrund. Dabei hat man nie das Gefühl, dass dies Miv vollkommen herunterzieht. Miv ist durchaus klar, wie nah und gefährlich die Bedrohung ist, vor allem als sie erfährt, dass das 19 jährige Opfer Josephine Whitaker aus Halifax nur wenig älter ist als sie. Aber sie hat eine gewisse Resilienz entwickelt.

Mit Miv hat die Autorin eine unvergessliche Hobbydetektivin geschaffen. Sie hat diesbezüglich einen guten Instinkt, auch wenn sie nicht immer versteht, was sie da eigentlich aufgedeckt hat. Interessant ist, dass sie aber den Blick auf ihr eigenes Zuhause bis zuletzt vermeidet. Anfangs ist sie noch sehr naiv, aber sie macht eine nachvollziehbare Entwicklung durch.

Die Blickwinkel der erwachsenen Charaktere in einzelnen Kaptieln fand ich erhellend und nachvollziehbar. So wird manches klar, was Miv noch nicht interpretieren kann. Manche Charaktere hätten aber noch mehr Aufmerksamkeit verdient.
Ein Charakter, der nie dargestellt wird, aber immer wie ein Schatten über allem schwebt, ist der sogenannte „Yorkshire Ripper“. Er vernichtete nicht nur das Leben der ermorderten Frauen, sondern raubte auch tausenden von Frauen ihr Recht, sich sicher zu fühlen und frei zu bewegen. Das ist in der Geschichte durchaus zu spüren. (Der Täter Peter Sutcliffe wurde von der Polizei 1981 gefasst und zu lebenslanger Haft verurteilt.)

In die Handlung sind auch einige dunkle Realitäten einer kleinbürgerlichen Gesellschaft verwoben wie Mobbing, Rassismus, häusliche Gewalt Ausgrenzung, Pädophilie, Sexismus, Bigotterie, Ehebruch, Suizid, Alkoholismus. Miv stochert halt in alle dunklen Ecken und wird mit harten Tatsachen über ihre Mitmenschen konfrontiert. In dieser geballten Form hat man manchmal das Gefühl, dass es Miv förmlich anzuziehen scheint.
Wie gut ist es, dass sie auch die positiven Überraschungen, Mitgefühl, Liebe, Zusammenhalt und Solidarität erlebt.

Der Schreibstil ist sehr angenehm und nie zu kindlich, wenn aus Mivs Sicht erzählt wird. Allerdings ist mir das Erzähltempo manchmal etwas zu langatmig gewesen, da hätte mehr Tempo gutgetan. Bei Miv fehlen auch die gelegentlich frechen Kommentare eines Teenagers. Sie ist schon sehr Ich- bewusst und wenig impulsiv, ansonsten ist sie ein sehr liebenswerter Charakter.

Ein wunderbares Buch für diesen Sommer! Ich würde es als Buch für Jugendliche und Erwachsene bezeichnen, denn beide können es mit Spannung und Freude lesen.

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Veröffentlicht am 27.02.2024

Elyssa & Aenaeas - eine tragische Liebe in Karthago

Elyssa, Königin von Karthago
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Das Cover, sehr zurückhaltend, klassisch mit dem zarten Gold eines sich auflösenden Schleiers leitet sehr treffend zu diesen Roman hinüber.

Die Grundlage dieses Romans bildet die klassische Geschichte ...

Das Cover, sehr zurückhaltend, klassisch mit dem zarten Gold eines sich auflösenden Schleiers leitet sehr treffend zu diesen Roman hinüber.

Die Grundlage dieses Romans bildet die klassische Geschichte um den trojanischen Prinzen Aeneas, den wir schon aus Homers Ilias kennen. Die letzte Schlacht um Troja ist geschlagen. Aeneas trägt seinen Vater auf den Schultern durch die Flammen. Zusammen mit seinem Gefolge zieht er auf einer Irrfahrt durch das Mittelmeer. Am Ende erreichten sie das Gebiet um den Fluss Tiber, um dort das „neue Troja“ zu gründen, aus dem später Rom entstand.

Eine unter mehreren Stationen auf Aeneas langer Irrfahrt war die junge Stadt Karthago. Diese war von Elyssa (auch Dido genannt) gegründet worden. Die phönizische Prinzessin war mit ihrem Gefolgsleuten vor ihrem Bruder hierher an die Küste Nordafrikas geflohen.

Vergil kommt ins Spiel

Der römische Dichter Vergil erzählt in seiner „Aineas“ seine eigene Geschichte um Aeneas und Elyssa. Er lässt den geflohenen trojanischen Helden in einen Sturm geraten. Dieser verschlägt ihn mit seinen Leuten, darunter auch sein kleiner Sohn Iulus, an das Ufer der neu gegründeten Stadt Karthago. Hier wird er von der Herrscherin Elyssa freundlich aufgenommen. Ihr erzählt Aeneas vom Schicksal Trojas, den Listen der Griechen, seiner Irrfahrt und auch von dem Orakel der Götter.
Die verwitwete Elyssa verliebt sich in Aeneas. Doch eine Beziehung zwischen beiden widerspricht dem Willen von Zeus, der auf die Gründung des neuen Weltreiches besteht.

Elyssa rückt wieder ins Rampenlicht

Auf Vergils Version greift die spanische Autorin Irene Vallejo in dem Roman „Elyssa“ zurück. In ihrer Wiedererzählung der Mythologie betrachtet sie die Ereignisse aus wechselnden Perspektiven von Elyssa, ihrer Halbschwester Anna, des trojanischen Helden Aeneas, dem Gott der Liebe Eros und sogar aus der des Dichters des Epos Vergil selber.

Themen und Figuren aus der griechischen Mythologie werden in der modernen, auch gerade feministisch orientierten Literatur zur Zeit gerne aufgegriffen und neu erzählt. Mich haben da besonders die Erzählungen von Madeline Miller („Circe“) oder Natalie Haynes begeistert. Vielleicht bin ich deshalb mit einer bestimmten Erwartungshaltung an diesen Roman herangegangen. Die konnte allerdings nicht in allen Punkten erfüllt werden.

Das Schicksal des Aenaes nach dem trojanischen Krieg oder der Mythos um Karthago war mir nicht so präsent, dass ich problemlos in die Geschichte hätte einsteigen können. Leider fehlen dem Roman entweder eine erläuternde Einführung oder ein paar Zeilen im Anhang zum Nachschlagen. Da bleibt einem nur die eigene Internetrecherche um die Wissenslücken zu füllen. Natürlich kann man das Buch auch ohne Nachschlagen lesen, aber mir persönlich fehlt dann der Hintergrund.

Untypische Heldinnen

Der Wechsel der Perspektiven der handelnden Charaktere erfolgt kapitelweise. Dieser Sichtwechsel ist recht interessant und abwechslungsreich. Vor allem die Schilderungen des Gottes Eros zeigten gewissen Witz. Auch dass man in die Schreibblockade und die Gefühlswelt des Dichters des Epos, den Römer Vergil, Einblicke bekommt, empfand ich als sehr frische, auflockernde Idee.
Die Charaktere Elyssa und Aeneas haben einiges gemeinsam. Er – ein typischer Held, der letzte Überlebende des trojanischen Königsgeschlechtes auf der Suche nach einem Neuanfang, Sie - eine mutige, heldenhafte Frau, als Prinzessin geboren, taktisch-kluge Stadtgründerin. Beide sind im mittleren Alter mit einer ehelichen Beziehung hinter sich. Trotzdem oder gerade deshalb sind sie keine klassischen Helden, sondern Menschen mit Zweifeln, Unsicherheiten und dem Bedürfnis nach Liebe und Sicherheit. Das ist ein echter Pluspunkt dieser Geschichte.

Mit Elyssa wird auch eine bislang eher unbekannte Frau aus dem Dunkel der Mythen ins Licht der Aufmerksamkeit gestellt. Sonst ist sie vielleicht eher bekannt als kleine Randnotiz der Geschichte Karthagos. Auch Karthago als Handlungsort fällt aus dem Rahmen. Beides finde ich sehr erfrischend neu.

Der Schreibstil ist ansonsten eher etwas distanziert, in ruhigerem Tempo und an der Klassik orientiert. Das führte allerdings zu einer gewissen inneren Distanz zu den Figuren bei mir, so dass ich mich nicht in die Handlung hineingezogen fühlte. Dabei ist durchaus ein Spannungsbogen geboten. Die Konflikte durch innere und äußere Feinde setzen die Charaktere nämlich ziemlich unter Druck.

Die Konflikte, die in und um Karthago herum stattfinden, muten einem als Leser
in nicht antik, sondern leider nur zu aktuell an: Kolonialismus, Vertreibung anderer Völker, Genozid, Fremdenhass, Intrigen, Ermordung politischer Gegner etc.
Vermutlich tut man sich als Leser*in etwas leichter, wenn man nicht gleich mit einer bestimmten Erwartungshaltung an diesen Roman herangeht und auch ein ruhiges Erzähltempo entspannend findet.

Immerhin ist der Mythos um die Stadt Karthago mal etwas Neues im Reigen der mythologischen Neuerzählungen.

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