Geheimdienst – Gemein-Dienst
Slow HorsesRiver Cartwright, einst M15-Agent, hat einen Einsatz im Bahnhof von King's Cross vermasselt und ist daraufhin auf einen niedrigen Posten – quasi aufs Abstellgleis – in eine untere Abteilung versetzt worden, ...
River Cartwright, einst M15-Agent, hat einen Einsatz im Bahnhof von King's Cross vermasselt und ist daraufhin auf einen niedrigen Posten – quasi aufs Abstellgleis – in eine untere Abteilung versetzt worden, wo er mit niedrigeren Arbeiten beschäftigt wird, wie Müllsäcke nach Beweismaterial zu durchforsten oder abgehörte Telefonate aufzuschreiben. Und wäre nicht sein einflussreicher Großvater – Ex-Agent – gewesen, wäre River sogar ganz ausgeschieden. River ist ehrgeizig, er möchte zurück zum M15. Als er durch ein Video erfährt, dass ein pakistanischer junger Mann öffentlich im Internet geköpft werden soll, nimmt er die Ermittlungen auf eigene Faust auf und versucht mit Hilfe einiger Kollegen den Entführten zu retten. Dabei stößt er auf viele Ungereimtheiten.
Der Agenten-Thriller „Slow Horses“ ist der erste Roman der Agentenserie um den Agenten-Chef Jackson Lamb, Kopf der „ausrangierten“ M15-Agenten, die ins sogenannte „Slogh House“ als „Slow Horses“ (lahme Gäule) abgeschoben wurden.
In englischer Sprache gibt es mittlerweile fünf Bücher dieser Serie, in denen Mick Herron London als Hauptschauplatz dieser Agenten-Einsätze gewählt hat. Mick Herron legt dabei aber auch viel Wert auf die Darstellung der Personen, die im Roman eine wichtige Rolle spielen, da auch ihre persönlichen Eigenschaften die Handlung tragen. Sie sind meist an individuellen Problemen gescheitert (Alkohol, Drogen, Ehe zerrüttet etc.) und müssen mit diesen zurecht kommen. Gleichzeitig werden sie aber auch mit gesellschaftlichen Problemen (politische und soziale Miseren, Terroranschläge) konfrontiert, die es ebenfalls zu lösen gilt. Ein schwieriger Spagat!
„Slow Horses“ ist ein komplexer Roman, dessen Handlung nicht unbedingt gradlinig verläuft. So gibt es immer wieder neuwachsende Spannungskurven. Wenn man sich in der politischen Welt etwas auskennt, erleichtert es das Verstehen der Handlung.
Gleich am Anfang wird der Leser Zuschauer des verpatzten Einsatzes von River Cartwright. Anschließend erfolgt ein Schnitt und man findet sich im „Slough House“, ein runtergekommendes, altes und unscheinbares Gebäude, wieder, wo River mit seinem Chef Jackson Lamb und sieben weiteren Kollegen und Kolleginnen eher Handlangerarbeiten erledigen als sich großen Dingen zu widmen. Damit man weiß, wer dorthin abgeschoben wurde und warum es zu dem tiefen Fall kam, werden die Charaktere detailliert beschrieben und der „Faux Pas“ erläutert. Dies hat zwar nicht direkt mit der Handlung zu tun, zeigt aber, dass nicht nur Personen für die Handlung wichtig sind, sondern dass Individuen mit ihren persönlichen Schwächen und Stärken von Bedeutung sind und somit Persönlichkeiten sind.
Im „Slough House“ teilen sich die Ex-Agenten meist zu zweit ein Büro, aber jeder ist im Prinzip ein Einzelkämpfer. Erst als das besagte Video im Internet auftaucht, in dem angekündigt wird, dass ein pakistanischer Jugendlicher in 48 Stunden öffentlich im Internet enthauptet werden soll, werden die „Slow Horses“ wachgerüttelt. Auf einmal entwickelt sich so was wie ein Wir-Gefühl. Mehrere der „Lahmen Gäule“ schließen sich zusammen und versuchen die Entführer und das Opfer zu finden. Sie wollen die Katastrophe verhindern aber gleichzeitig möchten sie dem Team der M15-Agenten zuvorkommen, um selbst als Helden dazustehen.
Bei der Auflösung des Falls werden immer mehr und größere Verschwörungen aufgedeckt. Es zeigt sich, dass unter den Mitarbeitern von Jackson Lamb Maulwürfe weilen, die eher für die Chefin des M15 arbeiten und gegen Lamb agieren. Aber auch in die andere Richtung ist das Vertrauen gestört. Selbst Politiker tauchen auf, denen ein Fair-Play fremd ist und die Opposition durch widrige Aktionen ins schlechte Licht rücken wollen. Somit wird deutlich, dass die Entführung letztendlich eine Inszenierung ist. Aber dennoch ist die Abwendung aufgrund der Involvierung verschiedenster Personen nicht weniger gefährlich und spektakulär, da alles irgendwie aus dem Ruder läuft.
Beim Lesen der Geschichte stellt sich immer wieder die Frage: Wer kann hier wem noch trauen? Wer arbeitet für und mit wem? Gegen wen werden Intrigen geplant, um jemanden zu schaden? Und Das ist gut gelungen! Es zeigt, dass oft miese Wege recht sind, um seinen eigenen Kopf aus der Schlinge zu ziehen.
Die Handlung ist sehr verstrickt/verwoben, so dass man den Thriller konzentriert lesen muss und am besten auch ohne große Pausen lesen sollte, damit man aufgrund der Komplexität den Faden nicht verliert. Dass besonders Wert auf die Beschreibung der einzelnen Charaktere gelegt wird, erzeugt beim Leser Nähe zu den Protagonisten und schafft Sympathien, aber auch Antipathien.
Die Handlung springt häufig von der Gegenwart in die Vergangenheit, was den gradlinigen Handlungsverlauf beeinträchtigt und vom Geschehen ablenkt. Den Schreibstil würde ich nun nicht als flüssig bezeichnen. Einige Stellen musste ich häufiger lesen, um nicht aus dem Geschehen rauszufallen.
Die Idee, ausrangierte Agenten in den Mittelpunkt einer Roman-Serie zu stellen, gefällt mir gut, da nun nicht nur die Top-Leute, die „Super-Cops“ im Mittelpunkt stehen, sondern Menschen, die Fehler gemacht haben und begehen. Somit sind sie fast schon auf einer Augenhöhe und nahbar.
Das Ende der Geschichte, wieder ein Blick auf das „Slough House“ ist ein ruhiger Ausklang, was auch durch den sanften Schreibstil unterstrichen wird. 'Diese' Arbeit der „Slow Horses“ ist zwar beendet, aber die Arbeit geht weiter, aber wie? Der Roman beinhaltet eine in sich geschlossene Handlung, macht aber neugierig auf weitere und neue Einsätze der „Lahmen Gäule“ um den Leiter Jackson Lamb.
Meine Quintessenz die ich nach dem Lesen des Romans habe: Trau schau wem! Und: Traurig, dass die Welt so verlogen ist und Gemeinheiten – ohne Rücksicht auf Verluste - an der Tagesordnung sind, wenn es darum geht, auf der Karriereleiter schnell und weit nach oben zu kommen.