Profilbild von SeitenRaupe

SeitenRaupe

Lesejury Profi
offline

SeitenRaupe ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit SeitenRaupe über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 14.05.2019

„Du musst jetzt tapfer sein“

Der Fall Collini
0

Wenn ein Satz, in einem grausamen Moment gesprochen, das ganze Leben nachhallt und Schmerzen verursacht


Da ich mich bislang kaum mit Hörbüchern oder Hörspielen (für Erwachsene) befasst habe, war „Der ...

Wenn ein Satz, in einem grausamen Moment gesprochen, das ganze Leben nachhallt und Schmerzen verursacht


Da ich mich bislang kaum mit Hörbüchern oder Hörspielen (für Erwachsene) befasst habe, war „Der Fall Collini“ quasi eine Premiere für mich, die wie ein Feuerwerk eingeschlagen hat. Das Hörspiel hat mich absolut begeistert, ich was Feuer und Flamme von der Inszenierung, der Darbietung. Auch kenne ich weder das Buch noch den Film und kann so keine Vergleiche ziehen. Aber für sich gesehen ist das Hörspiel ein wahres Highlight für die Ohren und das daraus entstehende Kopfkino.

Der 70-jährige Fabrizio Collini hat mehr als 30 Jahre in Deutschland gelebt und gearbeitet. Dann – wie scheint – bringt er den 84-jährigen namenhaften Großindustriellen Hans Meyer wie aus heiterem Himmel auf bestialische Art und Weise in dessen Hotelzimmer mit einer Pistole und Kopffußtritten um.
Pflichtverteidiger wird der junge Strafverteidiger Caspar Leinen. Es ist kein leichter Job für ihn. Nicht nur, weil es sein erster Fall ist, sondern auch, weil er das Mordopfer aus Kinder- und Jugendtagen kennt. Hans Meyer war fast wie ein Vater für ihn, er hat ihn gefördert wo er nur konnte, so dass er letztendlich auch erfolgreich sein Studium bewältigen konnte. Und Johanna, die Tochter Meyers, war mal seine Jugendliebe. Obwohl er sozusagen involviert ist, gibt er den Fall nicht mehr ab. Vielleicht steigert er sich gerade deshalb in diesen Mordfall so rein, schließlich will er den Mörder und sein Motiv verstehen. Collini schweigt aber vehement. Voller Ehrgeiz kniet sich Caspar in den Fall rein, springt sogar über seinen Schatten und bittet seinen Vater, zu dem er schon lange keinen Kontakt mehr hat, ihm zu helfen und gibt ihm eine Menge Ordner mit Akten zu NS-Verbrechen. Mit Nina, einer jungen Studentin, die bei einem Pizzaservice jobt, an seiner Seite macht er sich sogar auf den Weg nach Italien, um in Collinis Heimatdorf Zeitzeugen nach Collini zu befragen. Als der Name „Hans Meyer“ fällt, verdüstern sich die Gesichter älterer Menschen. Diese Reaktion veranlasst Caspar sich immer tiefer in die Machenschaften der Nationalsozialisten in Italien und der Besatzungszeit in Italien einzuarbeiten. Dabei macht er eine fürchterliche Entdeckung, deren Tragweite bis in die Gegenwart reicht.

Das Hörspiel ist mit 140 Minuten nur etwas länger als der Film (123 Minuten). Dies ist aber logisch, schließlich muss der Sprecher diverse Szenen beschreiben, die man im Film ja sieht. In Stephan Schad haben die Hörspielmacher einen genialen, die oft bedrückte Stimmung gut wiederzugeben, Sprecher gefunden. Fantastisch ist vor allem auch, dass die Schauspieler die Hörspielrollen übernehmen. So bleiben einem die Stimmen vertraut, egal ob man zuerst den Film oder das Hörspiel 'konsumiert'. Mit Hintergrundgeräuschen und bewegender, tragender Musik kommt die tragische Stimmung der Geschichte sehr gut rüber. Nicht selten haben ich Gänsehaut bekommen und war den Tränen nahe.

Mit gut eingebrachten Rückblicken in die Vergangenheit, in der die Kinder- und Jugendzeit von Caspar und die besondere Verbundenheit zur Familie Meyer wiedergegeben wird, bekommt das Hörspiel eine besondere emotionale und lebendige Note.

Am meisten mitgenommen hat mich aber der Zeitsprung ins Jahr 1944 und zwar ins Heimatdorf von Fabrizio. Fabrizio wurde Zeuge einer schrecklichen Tat, die er sein Leben lang nicht vergessen konnte, so tief sitzt der Schmerz. Diese Szene ist mir so ins Ohr gedrungen, und dann so zu Herzen gegangen, dass ich lange – emotional überwältigt - daran denken musste.

Die Geschichte ist gut aufgebaut und zeigt an diesem Einzelfall wie mit der Vergangenheitsbewältigung deutscher Rechts-Geschichte umgegangen worden ist. Zutiefst betroffen – ja sogar entsetzt bin ich – wie mit Naziverbrechen umgegangen worden ist. Es ist wirklich ein Justizskandal wenn man bedenkt, dass es Ende der 1960er Jahre zu einer Gesetzesänderung kam, in der Naziverbrechen nur noch als Totschlag eingestuft wurden und somit sind/waren die in der Nazizeit verübten Verbrechen verjährt. (Da schüttele ich nur den Kopf.)

Das Hörspiel ist absolut empfehlenswert und ist hohe Unterhaltungskunst, bei der man etwas lernen kann und über das man sich Gedanken machen sollte. Mit dem Ende der Geschichte fangen nämlich gedankliche und emotionale Nachwirkungen an.
Deshalb vergebe ich 5 Sterne! ✶ ✶ ✶ ✶ ✶

Veröffentlicht am 14.05.2019

„Teufelsbrut“ - Wenn ungewollt Schwangere verstoßen, missachtet und misshandelt werden

Das Haus der Verlassenen
0

„Das Haus der Verlassenen“ (englischer Titel: The girl in the letter) ist der im März 2019 im Heyne Verlag erschienene Debutroman der englischen Autorin und Drehbuchschreiberin Emily Gunnis.
…. „Teufelsbrut“, ...

„Das Haus der Verlassenen“ (englischer Titel: The girl in the letter) ist der im März 2019 im Heyne Verlag erschienene Debutroman der englischen Autorin und Drehbuchschreiberin Emily Gunnis.
…. „Teufelsbrut“, ja so werden die unehelich und außerehelich geborenen Babys von den Nonnen im Mutter-Kind-Heim St. Margaret's genannt!...
Sussex, 1956: Die junge Ivy Jenkins wird von ihrer großen Liebe, einem angehenden Fußballstar schwanger. Es ist eine Schande! Und so schickt sie ihr kaltherziger Stiefvater – auch auf Anraten des Hausarztes – ins naheliegende Heim für ledige Mütter, das St. Margaret's. Schlimme, harte Jahre fristet sie dort ihr Dasein. Verlassen wird sie diese Höhle nie mehr.....
Ihr einziger Lichtblick in dieser Hölle ist ein junges, etwa 8-jähriges Mädchen namens Elvira, mit der sie sich anfreundet und zur Flucht aus dem Heim verhilft. Sie soll ein besseres Leben haben als sie und hofft, dass es ihr gelingt, ihre Zwillingsschwester Kelly aufzusuchen, die bei ihrer richtigen Familie wohnen darf. Die Flucht gelingt, aber...
Anfang Februar 2017 entdeckt die junge, alleinerziehende Journalistin Samantha (Sam) in der Wohnung ihrer seit einem Jahr verwitweten Großmutter (Nana) einen herzergreifenden Brief der jungen Ivy, geschrieben an den den Vater (Alistair) des gemeinsamen Kindes. Sam, ist neugierig und will wissen, wie und warum in aller Welt solch ein bewegender Brief im Besitz ihrer Großeltern geraten ist. Der journalistische Ehrgeiz packt sie und so beginnt eine spannende und aufreibende Recherche, die die Aufarbeitung der eigenen Familiengeschichte mit einbezieht, wobei grausige und auch blutige Details, die bis in die Gegenwart reichen ans Licht kommen.
Dieser Roman hat mich gepackt wie es seit langem kein anderer mehr geschafft hat. Von den ersten Sätzen an, die mit einem bewegenden Brief der jungen Ivy an Elvira beginnen, schafft es der Roman die absolute Aufmerksam zu erzielen. Man ist gleich mitten im Geschehen und kommt gar nicht mehr raus; ein hundertprozentiger rasanter Pageturner!
Schon allein das Cover-Bild hat mich richtig in den Bann gezogen!
Beim Cover bekommt der Name „Einband“ eine richtige Bedeutung, da das Umschlagbild sich vom Frontdeckel über den Buchrücken bis Rückdeckel erstreckt. Das gezeichnete Bild kommt mit seinen farblich abgestimmten Feinheiten schon einem Kunstwerk gleich. Man kann sich in dem Bild mit dem verlassenen Anwesen – welches das St. Margaret's-Heim darstellen soll - , eingegrenzt von einem schmiedeeisernen Zaun, richtig verlieren. So waren wohl auch die vielen ungewollt schwangeren, meist junge Frauen teils auch junge Teenager, in dem Haus verloren.
Der fiktive Roman, der der Kategorie „Romane und Erzählungen“ zugeordnet ist, ist meines Erachtens aber ein gelungenes Beispiel, genreübergreifend zu arbeiten:
Die historische Komponente kommt nicht zu kurz. So geht es in der Geschichte um die Darstellung und Aufarbeitung eines düsteren Kapitels des 20. Jahrhundert, die Magdalenenheime. Dies waren Mutter-Kind-Heime (meistens religiöse Träger), in die ungewollt Schwangere von ihren Familien abgeschoben wurden, um dort ihr Kind auf die Welt zu bringen, welches dann oftmals auf Druck der Familie, Ärzte und Sozialarbeiter zur Adoption freigegeben werden mussten. Die jungen Mütter waren in den Einrichtungen sämtlichen Schikanen ausgesetzt und wurden mit extremer Verachtung behandelt. Außerdem wird angedeutet, dass an vielen jüngeren Kindern, die z.B. aufgrund einer leichten Behinderung nicht adoptiert wurden, Medikamentenversuche durchgeführt wurden.
Des weiteren hat der Roman Züge eines Krimis (wenn nicht sogar Thrillers). Im Laufe der Erzählung stellt sich heraus, dass viele Menschen, die in den Briefen von Ivy an Alistair erwähnt wurden, auf mysteriöse Art und Weise in den letzten – etwa - 50 Jahren ums Leben gekommen sind. Aufgeklärt wurden diese Todesfälle damals nicht. Auch diesen düsteren Ereignissen forscht Sam mit Hilfe ihres Kollegen Fred nach. Aber sie hat nicht viel Zeit, denn das Geheimnis der Vergangenheit befindet sich im zum Abriss freigegebenen Heim St. Margaret's. Sam bleiben nur zwei Tage!
Man kann in dem Roman ebenfalls einen kleinen Frauen- und Liebesroman sehen, geht es doch um die vielen jungen Frauen, die in den Heimen ein hartes, unwürdiges Dasein fristeten. Es war ja kein Leben. Jeder Tag war ein Kampf ums Überleben. Seelische Grausamkeiten waren an der Tagesordnung, so durften sie nicht ihre Babys sehen und mussten immer das klägliche Schreien der Neugeborenen, die keine Geborgenheit erfahren haben, mit anhören. Ja, und wenn sich die Frauen nicht an die strengen Regeln der Einrichtung hielten, drohte man ihnen, dass man ihren Babys nichts mehr zu essen geben würde. Eine solches unmenschliches Verhalten ist unvorstellbar.
Und wenn man sich die zarten Annäherungsversuche von Fred und Sam anschaut, dann sieht man ebenfalls eine kleine Beziehungsgeschichte.
Der Roman hat grob zwei Zeitebenen – also Gegenwart und Vergangenheit. Während die Gegenwart sich an zwei Tagen im Februar 2017 abspielt, spielt die Vergangenheit von September 1956 bis ca. Dezember 1999.
Der Wechsel zwischen den Zeiten ist spannend aufgezogen. Werden in der Gegenwart Überlegungen/Andeutungen über vergangene Gegebenheiten genannt, wird im Folgekapitel, das immer ein konkretes in der Vergangenheit liegendes Datum nennt, das tatsächliche Geschehen oftmals atemberaubend und Gänshaut erzielend dargestellt. So erarbeitet man sich sich – wie es die Journalistin Sam auch tut – peu à peu an die grausame Wahrheit, die sich hinter den Mauern des Heimes abgespielt hat bzw. an die mit den Machenschaften der verschiedensten internen und externen involvierten Personen, heran. Es ist wie ein Puzzle und man macht sich selber wie ein Detektiv Gedanken, welche Überraschungen der Roman als nächstes auf Lager hat. Man ist somit nicht nur passiver sondern auch aktiver Leser. Und genau dieses ständige Grübeln und die gelegentliche Bestätigung mit seiner Vermutung richtig gelegen zu haben, macht das Lesen zu einem wahren Erlebnis. Ich habe nicht immer richtig gelegen, und somit sind diese überraschenden Wendungen ein große „Wow-Effekt“.
Mir hat das Buch extrem gut gefallen. Es hat einen flüssigen, gut zu lesenden Schreibstil und ist spannend von vorne bis hinten. Ich hatte keine Durststrecke und auch nicht das Gefühl, dass die Story in die Länge gezogen wird. Die Charaktere sind gut und authentisch herausgearbeitet und man kann sich gut in sämtliche Protagonisten hineinversetzen. Die Darstellung dieser Mutter-Kind-Heime und wie die Nonnen die in ihrer Obhut befindenden Frauen behandeln – bzw. misshandeln – ist ergreifend und extrem fesselnd dargestellt. Emily Gunnis hat es geschafft mit kriminalistischen Spürsinn ein sensibles und dunkles Thema der nahen Vergangenheit aufzugreifen und anhand der erfundenen Familiengeschichte Ivys darzustellen.
Es ist eine an die Nieren gehende und zu Tränen rührende Geschichte, die noch lange nachhallen wird und von mir die allerhöchste Leseempfehlung erhält. ✶✶✶✶✶
„Das Haus der Verlassenen“ (englischer Titel: The girl in the letter) ist der im März 2019 im Heyne Verlag erschienene Debutroman der englischen Autorin und Drehbuchschreiberin Emily Gunnis.
…. „Teufelsbrut“, ja so werden die unehelich und außerehelich geborenen Babys von den Nonnen im Mutter-Kind-Heim St. Margaret's genannt!...
Sussex, 1956: Die junge Ivy Jenkins wird von ihrer großen Liebe, einem angehenden Fußballstar schwanger. Es ist eine Schande! Und so schickt sie ihr kaltherziger Stiefvater – auch auf Anraten des Hausarztes – ins naheliegende Heim für ledige Mütter, das St. Margaret's. Schlimme, harte Jahre fristet sie dort ihr Dasein. Verlassen wird sie diese Höhle nie mehr.....
Ihr einziger Lichtblick in dieser Hölle ist ein junges, etwa 8-jähriges Mädchen namens Elvira, mit der sie sich anfreundet und zur Flucht aus dem Heim verhilft. Sie soll ein besseres Leben haben als sie und hofft, dass es ihr gelingt, ihre Zwillingsschwester Kelly aufzusuchen, die bei ihrer richtigen Familie wohnen darf. Die Flucht gelingt, aber...
Anfang Februar 2017 entdeckt die junge, alleinerziehende Journalistin Samantha (Sam) in der Wohnung ihrer seit einem Jahr verwitweten Großmutter (Nana) einen herzergreifenden Brief der jungen Ivy, geschrieben an den den Vater (Alistair) des gemeinsamen Kindes. Sam, ist neugierig und will wissen, wie und warum in aller Welt solch ein bewegender Brief im Besitz ihrer Großeltern geraten ist. Der journalistische Ehrgeiz packt sie und so beginnt eine spannende und aufreibende Recherche, die die Aufarbeitung der eigenen Familiengeschichte mit einbezieht, wobei grausige und auch blutige Details, die bis in die Gegenwart reichen ans Licht kommen.
Dieser Roman hat mich gepackt wie es seit langem kein anderer mehr geschafft hat. Von den ersten Sätzen an, die mit einem bewegenden Brief der jungen Ivy an Elvira beginnen, schafft es der Roman die absolute Aufmerksam zu erzielen. Man ist gleich mitten im Geschehen und kommt gar nicht mehr raus; ein hundertprozentiger rasanter Pageturner!
Schon allein das Cover-Bild hat mich richtig in den Bann gezogen!
Beim Cover bekommt der Name „Einband“ eine richtige Bedeutung, da das Umschlagbild sich vom Frontdeckel über den Buchrücken bis Rückdeckel erstreckt. Das gezeichnete Bild kommt mit seinen farblich abgestimmten Feinheiten schon einem Kunstwerk gleich. Man kann sich in dem Bild mit dem verlassenen Anwesen – welches das St. Margaret's-Heim darstellen soll - , eingegrenzt von einem schmiedeeisernen Zaun, richtig verlieren. So waren wohl auch die vielen ungewollt schwangeren, meist junge Frauen teils auch junge Teenager, in dem Haus verloren.
Der fiktive Roman, der der Kategorie „Romane und Erzählungen“ zugeordnet ist, ist meines Erachtens aber ein gelungenes Beispiel, genreübergreifend zu arbeiten:
Die historische Komponente kommt nicht zu kurz. So geht es in der Geschichte um die Darstellung und Aufarbeitung eines düsteren Kapitels des 20. Jahrhundert, die Magdalenenheime. Dies waren Mutter-Kind-Heime (meistens religiöse Träger), in die ungewollt Schwangere von ihren Familien abgeschoben wurden, um dort ihr Kind auf die Welt zu bringen, welches dann oftmals auf Druck der Familie, Ärzte und Sozialarbeiter zur Adoption freigegeben werden mussten. Die jungen Mütter waren in den Einrichtungen sämtlichen Schikanen ausgesetzt und wurden mit extremer Verachtung behandelt. Außerdem wird angedeutet, dass an vielen jüngeren Kindern, die z.B. aufgrund einer leichten Behinderung nicht adoptiert wurden, Medikamentenversuche durchgeführt wurden.
Des weiteren hat der Roman Züge eines Krimis (wenn nicht sogar Thrillers). Im Laufe der Erzählung stellt sich heraus, dass viele Menschen, die in den Briefen von Ivy an Alistair erwähnt wurden, auf mysteriöse Art und Weise in den letzten – etwa - 50 Jahren ums Leben gekommen sind. Aufgeklärt wurden diese Todesfälle damals nicht. Auch diesen düsteren Ereignissen forscht Sam mit Hilfe ihres Kollegen Fred nach. Aber sie hat nicht viel Zeit, denn das Geheimnis der Vergangenheit befindet sich im zum Abriss freigegebenen Heim St. Margaret's. Sam bleiben nur zwei Tage!
Man kann in dem Roman ebenfalls einen kleinen Frauen- und Liebesroman sehen, geht es doch um die vielen jungen Frauen, die in den Heimen ein hartes, unwürdiges Dasein fristeten. Es war ja kein Leben. Jeder Tag war ein Kampf ums Überleben. Seelische Grausamkeiten waren an der Tagesordnung, so durften sie nicht ihre Babys sehen und mussten immer das klägliche Schreien der Neugeborenen, die keine Geborgenheit erfahren haben, mit anhören. Ja, und wenn sich die Frauen nicht an die strengen Regeln der Einrichtung hielten, drohte man ihnen, dass man ihren Babys nichts mehr zu essen geben würde. Eine solches unmenschliches Verhalten ist unvorstellbar.
Und wenn man sich die zarten Annäherungsversuche von Fred und Sam anschaut, dann sieht man ebenfalls eine kleine Beziehungsgeschichte.
Der Roman hat grob zwei Zeitebenen – also Gegenwart und Vergangenheit. Während die Gegenwart sich an zwei Tagen im Februar 2017 abspielt, spielt die Vergangenheit von September 1956 bis ca. Dezember 1999.
Der Wechsel zwischen den Zeiten ist spannend aufgezogen. Werden in der Gegenwart Überlegungen/Andeutungen über vergangene Gegebenheiten genannt, wird im Folgekapitel, das immer ein konkretes in der Vergangenheit liegendes Datum nennt, das tatsächliche Geschehen oftmals atemberaubend und Gänshaut erzielend dargestellt. So erarbeitet man sich sich – wie es die Journalistin Sam auch tut – peu à peu an die grausame Wahrheit, die sich hinter den Mauern des Heimes abgespielt hat bzw. an die mit den Machenschaften der verschiedensten internen und externen involvierten Personen, heran. Es ist wie ein Puzzle und man macht sich selber wie ein Detektiv Gedanken, welche Überraschungen der Roman als nächstes auf Lager hat. Man ist somit nicht nur passiver sondern auch aktiver Leser. Und genau dieses ständige Grübeln und die gelegentliche Bestätigung mit seiner Vermutung richtig gelegen zu haben, macht das Lesen zu einem wahren Erlebnis. Ich habe nicht immer richtig gelegen, und somit sind diese überraschenden Wendungen ein große „Wow-Effekt“.
Mir hat das Buch extrem gut gefallen. Es hat einen flüssigen, gut zu lesenden Schreibstil und ist spannend von vorne bis hinten. Ich hatte keine Durststrecke und auch nicht das Gefühl, dass die Story in die Länge gezogen wird. Die Charaktere sind gut und authentisch herausgearbeitet und man kann sich gut in sämtliche Protagonisten hineinversetzen. Die Darstellung dieser Mutter-Kind-Heime und wie die Nonnen die in ihrer Obhut befindenden Frauen behandeln – bzw. misshandeln – ist ergreifend und extrem fesselnd dargestellt. Emily Gunnis hat es geschafft mit kriminalistischen Spürsinn ein sensibles und dunkles Thema der nahen Vergangenheit aufzugreifen und anhand der erfundenen Familiengeschichte Ivys darzustellen.
Es ist eine an die Nieren gehende und zu Tränen rührende Geschichte, die noch lange nachhallen wird und von mir die allerhöchste Leseempfehlung erhält. ✶✶✶✶✶

Veröffentlicht am 01.05.2019

Freundschaft: Sucht und Suche

Dschungel
0

Der Debütroman von Friedemann Karig ist ein gelungener Abenteuerroman über eine außergewöhnliche Freundschaft.
Felix, aufgeschlossen und kontaktfreudig, der schon immer die Gefahr und das Extreme sucht ...

Der Debütroman von Friedemann Karig ist ein gelungener Abenteuerroman über eine außergewöhnliche Freundschaft.
Felix, aufgeschlossen und kontaktfreudig, der schon immer die Gefahr und das Extreme sucht und braucht, kommt von einer spontanen Reise nach Kambodscha nicht zurück. Weder seine Mutter noch sein bester Freund erhalten eine Nachricht. In Sorge um ihren Sohn bittet Dorothea Julius (den Erzähler), ihren Sohn zu finden, denn nur er, Felix' bester Freund, wird ihn finden können, wird herausfinden, warum er Deutschland den Rücken gekehrt hat. Und so reist Julius spontan – die Reisekosten übernimmt Dorothea, seine Freundin Lea ist halbwegs einverstanden – nach Kambodscha und beginnt, mit einem Foto von Felix auf dem Smartphone, die lange Suche: „Have you seen this guy?“

Bereits die ersten Sätze im Roman sind so packend, weil man sich gleich mitten im Geschehen einer mutigen Ferienaktion zweier 15-jährigen Jungen befindet. Sie stehen am Rand einer Klippe, einer 70 m hohen, senkrechten Felswand, „einen Schritt vom Tod entfernt“ (S.11). Was wollen die da? Und ab hat mich das Buch nicht mehr losgelassen!

Der Roman spielt im Jahr 2018 und ist in der Ich-Perspektive des Erzählers geschrieben. Der Schreibstil ist flüssig, jung und packend. Es ist aber keine Geschichte, die man mal so nebenbei liest; sie erfordert aufgrund vieler philosophischer Textpassagen und zum Nachdenken anregender Äußerungen, ein gewisses Maß an Konzentration. (Der Vorteil beim Buch ist hier, dass man die Lesegeschwindigkeit anpassen kann oder den ein oder anderen Satz erneut lesen kann.)
Das ist für mich auch ein großer Pluspunkt im Roman, da nicht nur allein die Handlung die Geschichte bestimmt, es sind ebenso die sprachlichen Raffinessen und die Kunst, mit Worten zu spielen, die die Geschichte lebendig machen.

Mir gefällt unwahrscheinlich gut, dass der Roman mit zwei Zeitebenen aufgebaut ist. Man pendelt immer zwischen Vergangenheit und Gegenwart. In der Vergangenheit erfahren wir, dass z.B. die besondere Freundschaft der beiden Protagonisten mit einem Faustschlag ins Gesicht beginnt, als sie sieben Jahre waren. Anschließend sieht man das Gespann in Zwei-Jahres-Zeitsprüngen die verschiedensten Dinge erleben: Mutproben, verrückte Ideen aushecken, heimliches Rauchen, Mädchengeschichten etc. In der Gegenwart begleitet man den Erzähler auf seinem durchaus nicht ungefährlichen, sonderbaren und teils extravaganten individuellen Tripp durch Kambodscha, auf dem er ungewöhnlichen Individualisten (in Hostels und einer Aussteiger-Kommune) begegnet, die ihm häppchenweise Hinweise auf das Verbleiben und Reisen von Felix servieren. Es ist beeindruckend, was der Erzähler alles in Kauf nimmt, nur um Felix auf den Fersen zu bleiben. Er will nicht einfach nur „suchen“. Er will Felix „finden“. Der Plan, der Wunsch, wird zu einer richtigen Obsession, bei der er sich selbst, aber aber auch sein „Zuhause“ vergisst. Es ist schon der helle Wahnsinn, wie weit er geht, um quasi weiterzukommen. Begleitet und getragen wird der suchende Erzähler auch immer von verschiedensten Liedern (Popsongs, Schlager, Filmliedern), die ihm immer passend zur Situation in den Kopf und über die Lippen kommen aber auch sonst so passend zur Handlungssituation auftauchen. Und immer wieder ist und hört er Felix in seinem Kopf.
Beim Lesen kommt man sich vor, als wäre man selbst in den Strudel der unermüdlichen Suche nach dem Besonderen der Freundschaft und der Rettung dieser geraten, da man sich - mit dem Wissen über die Vergangenheit der beiden - die Frage stellt: Was ist das für eine Freundschaft, wodurch wird sie geprägt? Hat sie eine Zukunft?

Der Hinweis, dass es sich hier um einen 'neu-erfundenen Reiseroman' handelt, ist eher irritierend und mag Enttäuschungen und Verwirrungen hervorrufen. Für mich ist es eher ein spezieller Roadtrip durch ein unbekanntes Land und deren Geschichte, aber ebenso eine Reise zu sich selbst und eine Auseinandersetzung mit dem eigenen 'Ich' der Vergangenheit und der Gegenwart.
Mich hat lange nicht mehr ein Roman so packen und fesseln können wie dieser hier. Die Haupt-Protagonisten sind authentisch ausgearbeitet und die besondere Freundschaft der beiden, wie der Erzähler fühlt und denkt, konnte ich sehr gut nachvollziehen.

Ich gebe 5 Sterne (- da leider nicht mehr auf der Skala zur Verfügung stehen).

Veröffentlicht am 20.04.2019

Was lange währt, wird endlich..... Liebe

Immer noch wir
0

Elja Janus hat mit ihrem im FeuerWerke Verlag erschienen Buch „Immer noch wir“ einen mit 10.000 Euro dotierten Preis der Leselupe-Literaturagentur und des Feuerwerke-Verlags gewonnen.

Lina und Joe waren ...

Elja Janus hat mit ihrem im FeuerWerke Verlag erschienen Buch „Immer noch wir“ einen mit 10.000 Euro dotierten Preis der Leselupe-Literaturagentur und des Feuerwerke-Verlags gewonnen.

Lina und Joe waren als Kinder unzertrennlich. Sie waren die besten Freunde und waren extrem miteinander vertraut. Doch dann verloren sie sich aus den Augen, weil Joe weggezogen ist.
25 Jahre später stehen sie auf einmal wieder voreinander. Irgendwas zieht sie zwar magisch an, aber sie kennen sich nicht sofort wieder. Aufgrund eines Fotos wird beiden klar, wer sie sind und was sie mal füreinander waren. Nun fragen sie sich, wie geht es weiter? Beide wollen so viel mehr als nur Freundschaft, aber auch beide haben Angst, dass der Wunsch und das Verlangen nach dem absoluten „Alles“ mehr zerstören könnte als sie jetzt haben. Herz und Kopf kämpfen mit- und gegeneinander. Immer wieder ringen Lina und Joe mit einem „Nein“ und einem „Ja“. Lina hofft Hilfe bei ihren Freundinnen Isabelle und Bianca zu bekommen, bei Joe ist es der 'ältere' Zwillingsbruder Mats, der auf ihn einredet und Joe hilft, seine gefühlsverletzte Vergangenheit zu bewältigen.

Für das Buch gibt es zwei verschiedene Cover: Einmal zieren Schmetterlinge den Einband (kartonierter Einband), das andere Mal sind es Vergissmeinnicht-Blumen (E-Book).
Beide Cover finde ich sehr passend für diesen Liebesroman, denn die beiden Protagonisten haben schließlich Schmetterlinge im Bauch und erinnern sich gerne an ihre frühe Kindheit, in der sie eine unbeschwerte und tiefe Seelenverwandtschaft hatten.

Mir hat diese Liebesgeschichte gut gefallen. Sie ließ sich leicht und entspannt lesen. Sie wird im Wechsel jeweils aus der Ich-Perspektive von Lina und Joe erzählt, so dass man sich gut mit beiden Personen identifizieren konnte. Man konnte sich richtig gut in diese Auf-und-Ab-Liebesgeschichte fallen lassen und hat mit Lina und Joe richtig gut mitfühlen können, welches Gefühlschaos sie gerade erleben und durchleben. Die Sprache ist sehr feinfühlig, zart und leicht. Auch wenn die Handlung keine großartigen Überraschungen bereit hält und das Ende der Geschichte schon von Anbeginn absehbar, ist sie lesenswert. Denn in meinen Augen muss ein Roman nicht zwingend von der Handlung getragen werden, oft ist auch die sprachliche Umsetzung, das Spiel mit den Worten, ein Kriterium, sich mit einer Geschichte vertraut zu machen. Einige Elemente, die das sich Zueinanderhingezogen und das Zueinandergehören symbolisieren ist das gegenseitige „Einatmen und Ausatmen“. Es taucht immer wieder auf und zieht sich wie eine Perlenschnur durch den Roman und gibt was Vertrautes / Inniges wieder.

Leider aber wird meines Erachtens etwas zu viel des Guten „geatmet“, so dass der Roman dann letztendlich recht – wenn nicht sogar zu - langatmig ist und man sich dann doch das unweigerlich passierende „Happy End“ herbeisehnt. (Das ist etwas schade. Denn bei den letzten 30/35 Seiten war bei mir die Luft raus.)

In meinen Augen ist diese leicht-beschwingte Liebesgeschichte eine schöne Frühjahrs-/Sommerlektüre, mit der man es sich unbeschwert entspannt im Liegestuhl bequem machen kann und einfach mal 'chillig' abschalten und (mit)träumen kann.
Und der Appell dieser Geschichte schwingt ständig mit: „Gibt der Liebe eine Chance!“

Veröffentlicht am 16.04.2019

Frauen, die die Welt verändern

Powerfrauen
0

Starke Frauen können starke Frauen stark machen!

Der Untertitel: „Was Beyoncé mit Michelle Obama und Anne Frank verbindet“ wirft erstmal Fragen auf. Was haben eine Sängerin, eine Frau eines ehemaligen ...

Starke Frauen können starke Frauen stark machen!

Der Untertitel: „Was Beyoncé mit Michelle Obama und Anne Frank verbindet“ wirft erstmal Fragen auf. Was haben eine Sängerin, eine Frau eines ehemaligen Staatsoberhaupts und ein jüdischer Teenager, der dem Naziregime zum Opfer fiel, gemeinsam? Wie stehen sie zueinander in Verbindung? Dieses Buch zeigt einleuchtend und leicht nachvollziehbar auf, wo und wie dieses Verbindungsnetzwerk zu finden ist.

Das Buch „Powerfrauen“, in dem wichtige, außergewöhnliche historische Persönlichkeiten aus dem 19. und 20. Jahrhundert vorgestellt werden, fand ich sehr beeindruckend, da ich von sehr, sehr vielen Frauen noch nie was gehört habe. Im Buch werden z.B.: Widerstandskämpferinnen, Künstlerinnen, Wissenschaftlerinnen sowie, Sportlerinnen vorgestellt. Viele Frauen haben z.B.: im Schatten ihrer Männer und Partner viel geleistet und wichtige Fäden in der Hand gehabt; und ohne ihre Frauen wären diese Männer nie zu dem geworden, was sie sind (bzw. zu der Zeit waren.). Aber letztendlich waren hier die Frauen die Hauptakteure! Andere Frauen haben sich in Männer dominierten Bereichen durchgesetzt und sind ihren eigenen Weg gegangen.

Im farblich brillant aufgemachten Buch werden 85 Frauen auf jeweils einer Doppelseite vorgestellt. Die Informationen, die man hier über diese Frau bekommt sind meines Erachtens ausreichend, um sich ein gutes Bild über diese tolle Persönlichkeit machen zu können, da hier direkt aus dem Leben der Frau – im lockeren Erzählstil - berichtet wird. Es sind nicht nur reine Fakten. Durch die Art, wie die Frauen präsentiert werden, bekommen sie ein Gesicht und werden einem gleich sympathisch. Unterstrichen wird dieser Aspekt dieser „Lebendigkeit“ auch dadurch, dass die Frauen in ihrem typischen Lebensumfeld auch gemalt bzw. portraitiert werden. Durch diese Illustrationen / die Visualisierung gelingt es den Machern des Buches, dass die Frauengeschichten / diese Frauengesichter leichter im Kopf und der Erinnerung bleiben – eine wahre Bereicherung!

Das Buch ist interessant gestaltet: Besonders gefällt mir, wie in diesem Buch das Frauen-Netzwerk veranschaulicht wird. Denn wenn man sich über eine der vielen Frauen informiert, sieht man auf der Doppelseite weitere Portraits von Frauen, die einem in diesem Buch ebenfalls begegnen. So weiß man sofort, wie und warum diese Frauen miteinander in Beziehung stehen. Sei es, dass sie sich persönlich kennen (gekannt haben) oder dass sie sich gegenseitig durch ihre Biographie inspirieren konnten.

Ein informatives und locker gestaltetes Sachbuch und Nachschlagewerk, das zum Lesen, Betrachten, Verweilen und Staunen einlädt. Da es so vielfältige Themen beinhaltet macht es auch Mut, an sich und seine eigenen Fähigkeit zu glauben. Es ist ein Buch, das man peu à peu genießen sollte, damit die Kraft der Frauen so richtig wirken kann.

Dieses Buch sollten nicht nur 'Mädels' lesen, auch 'Jungs' sind herzlich eingeladen, solche Powerfrauen mal kennenzulernen!