Profilbild von Seitenseglerin

Seitenseglerin

Lesejury Star
offline

Seitenseglerin ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Seitenseglerin über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 31.12.2018

3,5 Sterne: Solides Kinderbuch, leider fehlt mir dieses Mal ein bisschen das Herzblut

Die kleine Hummel Bommel und die Zeit
0

Inhalt

Oma kommt zu Besuch. Die kleine Hummel Bommel ist vor Vorfreude ganz aufgeregt. Doch die Wartezeit scheint sooo langsam zu vergehen! Bommel wird ungeduldig und fragt sich, warum die Zeit manchmal ...

Inhalt

Oma kommt zu Besuch. Die kleine Hummel Bommel ist vor Vorfreude ganz aufgeregt. Doch die Wartezeit scheint sooo langsam zu vergehen! Bommel wird ungeduldig und fragt sich, warum die Zeit manchmal so rast und manchmal kriecht wie eine Schnecke. Einige andere Tiere verraten daraufhin Tipps, wie sie mit der Zeit umgehen. Am Ende wird der kleinen Hummel klar, dass es vor allem auf eines ankommt: wie man die vorhandene Zeit nutzt.

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Band #4 einer Reihe
Erzählweise: Figuraler Erzähler, Präsens
Perspektive: aus männlicher Perspektive
Tiere im Buch: + Es werden im Buch keine Tiere verletzt.

Warum dieses Buch?

In die kleine Hummel habe ich mich im ersten Buch vollkommen verliebt. Aus diesem Grunde führte auch an diesem Band wieder kein Weg vorbei.

Meine Meinung

Geschichte (+)

Der Ausgangspunkt der Geschichte gefällt mir prinzipiell gut, auch wenn es nicht wirklich logisch ist, dass die kleine Hummel so lange auf die Großmutter am Bahnhof warten muss, dass sie in dieser Zeit so viele Leute und Freunde besuchen und mit ihnen reden kann. Mir gefällt, dass erneut ein wichtiges Thema aufgegriffen wird, das für Kinder in der empfohlenen Altersgruppe (3-6 Jahre) relevant ist: das Konzept der Zeit. Kindgerecht, einfach und verständlich wird die Zeit erklärt und warum diese manchmal rast und in anderen Momenten ganz langsam vergeht. Auch schwierige Themen wie Vergänglichkeit und das Altern werden sehr sanft adressiert, und – ganz wichtig! – ohne die Kinder zu ängstigen oder zu überfordern. Sehr gut gefallen hat mir die wertvolle Botschaft am Ende: Es kommt vor allem darauf an, die Zeit zu genießen und sinnvoll zu nutzen.

Schreibstil (+/-)

Wie auch in den letzten Bänden ist der Text wieder einfach, leicht verständlich und altersgemäß formuliert, sodass hier kein Kind Probleme haben sollte, die Geschichte zu verstehen. Irgendwie kam es mir bei diesem Band jedoch leider so vor, als sei die Luft ein bisschen raus und als hätte man mittlerweile schon ein Schema entwickelt, dem man (ohne übermäßigen Enthusiasmus) folgt. Mir sind weniger kreative Einfälle aufgefallen, es gab dieses Mal keine kunstvollen und charmanten Wortneuschöpfungen, und auch der Humor kam mir etwas zu kurz. Das Buch wirkt routinierter, aber leider auch etwas liebloser.

Illustrationen (+/-)

Dieser Eindruck setzte sich leider auch bei den Illustrationen fort. Sie sind zwar immer noch niedlich und hübsch anzusehen, jedoch gibt es dieses Mal weit weniger liebevolle Details, die zum Entdecken einladen. Vor allem der Hintergrund erschien mir an manchen Stellen etwas leer. Schade! Ich hoffe, dass man dem nächsten Band (der bestimmt folgen wird und den ich mir auch sicher nicht entgehen lassen werde!) wieder mehr Herzblut und Leidenschaft für die Geschichte ansieht. Vor allem nach der Lektüre des süßen Kinderbuches „Der Sternenmann“ von Max von Thun hinterließ die kleine Hummel bei mir dieses Mal ein vages Gefühl von Enttäuschung im Bauch.

Figuren (+)

Auch dieses Mal steht unsere zuckersüße Hummel Bommel wieder im Mittelpunkt der Geschichte. Wieder überzeugt das kleine Wesen mit seiner kindlichen Niedlichkeit und seinem lieben, neugierigen Verhalten. Man spürt auf jeder Seite, was für eine liebevolle Familie Bommel hat und wie gern sich alle haben. Die Nebenfiguren spielen wie immer nur sehr kleine Rollen und sind erneut dementsprechend blass (was aber nicht wirklich stört, da die Seitenzahl im Kinderbuch eben begrenzt ist). Hier hätten detailliertere Zeichnungen den Figuren mit Sicherheit noch etwas mehr Tiefe verleihen können.

Song (+/-)

Ich liebe ja das Konzept, einen passenden Song zum Kinderbuch zu produzieren, weil so das junge Zielpublikum die Geschichte zusätzlich musikalisch erleben und verarbeiten kann. Normalerweise fand ich die Songs von Maite Kelly (wenn sie auch nicht immer meinen Geschmack trafen) für Kinder sehr passend, dieses Mal erscheint mir das Lied trotz der wichtigen Botschaft aber kühl, weniger liebevoll geschrieben und nicht wirklich kindgerecht. Der Beat und die Melodie scheinen eher einen typischen Schlagersong für Erwachsene zu repräsentieren und kein Lied, das Kinder animiert, mitzusingen.

Geschlechterrollen & Vielfältigkeit (+/-)

Was den Aspekt der Vielfältigkeit betrifft, bin ich auch dieses Mal insgesamt zufrieden, da auch eine dunkelhäutige Figur wieder Teil der Geschichte ist. Sicher ist aber noch Luft nach oben.

Die Darstellung von Frauen und Männern im Buch ist dieses Mal sicher besser gelungen als im letzten Band (der letzte Band war diesbezüglich ja furchtbar!), jedoch gibt es auch hier wieder Kritikpunkte, die ich ansprechen möchte: Frauen sollten zukünftig öfter in aktiveren Rollen und weniger stereotyp dargestellt werden. Beispiele: Die Mama redet sanft, Frauen streiten oberflächlich miteinander, sind Keksverkäuferinnen, Kellnerinnen (interessanterweise sind die Jobs von Frauen immer eng verbunden mit „Hausfrauenqualitäten“) oder Mütter, die sich beschweren, dass die Kinder so schnell groß werden, sie stricken und sind liebevoll. Die Männer hingegen haben klischeehafte, aber vielfältige (oftmals angesehene oder sehr wichtige) Berufe: Sie sind Schaffner, Kofferträger, Gärtner, Balkenbohrer und Professoren. Auch Bommels Freunde sind erneut zwei Jungen. Hier würde ich mir einfach wünschen, dass die Autorin endlich sensibler mit dem Thema umgeht, dass sie bewusst mit schädlichen, einengenden Geschlechterstereotypen bricht und starke weibliche Figuren mit angesehen Jobs in die Geschichte einbaut, die jungen Mädchen als Vorbild dienen können. Wie wäre es einmal mit einer Professorin? Mit einer Ärztin? Und wie wäre es einmal mit einem liebevollen Vater, der sich um die Kinder kümmert? Es ist sicher nicht immer einfach, die vorgelebten Rollenbilder zu hinterfragen und kritisch zu betrachten – dennoch erwarte ich gerade das von einer modernen, guten Kinderbuchautorin.

Mein Fazit

„Die kleine Hummel Bommel und die Zeit“ ist ein solides Kinderbuch, das erneut mit seiner niedlichen, kindlich-neugierigen Hauptfigur glänzen kann. Die Geschichte ist kindgerecht geschrieben, bringt dem Zielpublikum auf sanfte Weise die Zeit und die Vergänglichkeit näher, ohne diese zu überfordern oder zu ängstigen. Am Ende steht wieder eine wichtige Botschaft: Es kommt vor allem darauf an, die Zeit, die wir haben, zu genießen und sinnvoll zu nutzen. Obwohl der Schreibstil wieder leicht verständlich ist und die Illustrationen insgesamt schön anzusehen sind, hinterließ dieser Band dennoch ein vages Gefühl von Enttäuschung meinem Bauch: Er wirkt routinierter und leider auch etwas liebloser. Man scheint ein Schema gefunden zu haben, dem man mit weniger Enthusiasmus folgt. Das merkt man sowohl an den Zeichnungen als auch am Schreibstil, am Song und an den Figuren. Für den Folgeband (den ich mir sicher wieder nicht entgehen lassen werde!) würde ich mir wünschen, dass endlich mehr starke, weniger stereotype Frauenfiguren in die Geschichte eingebaut werden und dass man dem Gemeinschaftsprojekt wieder mehr Herzblut und Leidenschaft ansieht.

Bewertung

Idee: 5 Sterne
Geschichte: 4 Sterne
Ausführung: 3,5 Sterne
Schreibstil: 3,5 Sterne
Personen: 3,5 Sterne
Hauptperson: 5 Sterne ♥
Illustrationen: 3,5 Sterne
Vielfältigkeit: +
Rollenbilder: -

Insgesamt:

❀❀❀,5 Lilien

Dieses Buch erhält von mir solide 3,5 Lilien!

Veröffentlicht am 16.11.2018

3,5 Sterne: Gelungener, innovativ erzählter Roman - warum ich trotzdem ein bisschen enttäuscht bin

Verdammt perfekt und furchtbar glücklich
1

Die Rezension enthält leichte Spoiler!


Inhalt

Ottila McGregor hat immer noch an der Trauer um ihren Vater zu knabbern, und ihr schlechtes Gewissen, weil sie sich ihrer psychisch kranken Schwester ...

Die Rezension enthält leichte Spoiler!


Inhalt

Ottila McGregor hat immer noch an der Trauer um ihren Vater zu knabbern, und ihr schlechtes Gewissen, weil sie sich ihrer psychisch kranken Schwester gegenüber in der Jugend nicht immer sehr freundlich verhalten hat, hält sie nachts wach. Zudem hat Ottila ein Alkoholproblem, ist in eine ungesunde Affäre mit ihrem Chef verwickelt und hat das Gefühl, dass ihr Leben außer Kontrolle gerät. Doch damit soll von nun an Schluss sein. Ottila sucht sich eine Therapeutin, die sie bei ihrem nicht ganz einfachen Vorhaben unterstützt, endlich eines zu werden: verdammt perfekt und furchtbar glücklich…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Verlag: Blumenbar
Seitenzahl: 400
Erzählweise: Ich-Erzähler, Präsens
Perspektive: aus weiblicher Perspektive (Ottila McGregor)
Kapitellänge: sehr kurz bis mittel
Tiere im Buch: + / - Tiere werden ohne Reflexion verspeist, manchmal schien es mir sogar so, als würde bei all dem lockeren Geplänkel über Tieropfer vergessen, dass es sich hierbei um fühlende Lebewesen handelt. Das hat mir nicht gerade gefallen. Zudem wird ein Opferritual zusammengefasst, bei dem zwei Ziegenböcke und ein Hund getötet werden. Einmal wird sogar gesagt, dass der einzige Grund, dass Ottila und Thales keine Opferung durchführen, nur sei, dass es illegal ist. Zudem werden die Lammschlachtungen zu Ostern als lustig dargestellt und Murmeln angepriesen, die Stinkkäfer enthalten. Weil auch in der Kindheit der Protagonistin wieder eine Katze alleine gehalten wurde, hier wieder meine Anmerkung: Katzen sind alleine niemals glücklich (sind sind EinzelJÄGER, keine EinzelGÄNGER), sondern sehr einsam und unglücklich. Sie können verschiedene Verhaltensstörungen entwickeln und depressiv und/oder aggressiv werden. Wer seine Katze liebt, schenkt ihr deshalb mindestens einen Gefährten.

Warum dieses Buch?

Wer mich kennt, weiß, dass mich Anneliese Mackintoshs intensiver Erzählband „So bin ich nicht“ vor wenigen Jahren regelrecht umgehauen hat. Ich war wahnsinnig begeistert und schwor mir damals, das nächste Werk der Autorin zu lesen, egal, worum es gehen würde. Diesen Plan habe ich natürlich (wie man an dieser Rezension sehen kann) in die Tat umgesetzt.
Meine Meinung

Einstieg (+)

Den Einstieg fand ich auch dieses Mal sehr stark, da ich mich sofort an „So bin ich nicht“ erinnert fühlte, als ich die betrunkenen, gnadenlos ehrlichen SMS las, die von der Protagonistin an Silvester verschickt wurden. Meine Erwartungen stiegen weiter, als ich den interessanten Aufbau des Buches bemerkte: Die Autorin kreiert eine zusammenhängende Erzählung (und zeichnet ein Gesamtbild von Ottilas chaotischem Leben), die aus vielen kleinen Schnipseln besteht. Das ungewöhnliche, innovative und abwechslungsreiche Leseerlebnis setzt sich zum Beispiel aus SMS, Therapeutengesprächen, Zitaten, Flyern, Listen, Briefen, Tagebucheinträgen, Gästebucheinträgen, Totenscheinen, einem selbstgemachten Scrapbook, Blog-Einträgen und einem Übungsbuch für AlkholikerInnen auf Entzug zusammen – ein sehr interessanter Aufbau, der niemals langweilig oder vorhersehbar wird.

„Morgens probiere ich immer irgendwas zu machen, das mir guttut. Eine Banane essen, meditieren, Fotos von Leberzirrhose googeln. Manchmal schreie ich auch in mein Kissen.“ E-Book, Position 215

Schreibstil (+/-)

Der Schreibstil ist durch die vielen verschiedenen Beiträge verschiedener Menschen nicht einheitlich, die Sprache wird stets auf die verschiedenen Charaktere und ihre spezifischen Sprechweisen angepasst (zum Beispiel werden Orthographie und Stil verändert), was den Eindruck von Authentizität erzeugt. An den Kapiteln, die aus Ottilas Sicht geschrieben sind, gibt es eigentlich nicht viel auszusetzen. Die Sprache ist einfach, dabei jedoch niemals lieblos, flüssig, angenehm lesbar. Auch gibt es wieder manche Formulierungen, die mich entweder schlucken, nachdenklich werden oder schmunzeln haben lassen. Jedoch fehlte mir dieses Mal diese unverwechselbare Intensität, die mich am Vorgängerwerk so begeistern und emotional mitnehmen konnte. Meiner Meinung nach liegen der Autorin kürzere, verdichtete Werke mehr, weil sie da jedes Wort viel bewusster zu setzen scheint. Wow-Momente waren jedenfalls dieses Mal sehr selten.

Inhalt, Themen, Botschaften & Ende (+)

Auch dieses Mal zeigt Anneliese Mackinstosh keine Scheu vor schwierigen, ernsten und traurigen Themen und geht wieder in die Tiefe, wenn es um Alkoholismus, Krebs, Sterben, Trauer, psychische Krankheiten, selbstverletzendes Verhalten, Suizid, toxische Beziehungen und Gewalt gegen Frauen geht. Erneut konnte mich die Autorin mit ihrem ehrlichen und gleichzeitig sensiblen Umgang mit diesen Aspekten überzeugen, auch wenn sie mich nicht so emotional mitnehmen und treffen konnte wie mit ihrem Erstling. Das liegt möglicherweise am insgesamt lockereren Ton und einem Humor, der sich leichter zeigt als im Vergleichswerk. Jedoch könnte das Buch für labile Menschen, die gerade selbst mit einer schwierigen Phase oder Depressionen kämpfen, trotzdem schwer zu verdauen sein – daher nähert euch diesem Werk am besten mit Vorsicht. Das Ende fand ich gelungen, es wird mir aber nicht lange im Gedächtnis bleiben. Für mich war das Debüt der Autorin damals sehr nah an der Perfektion und meine Erwartungen an dieses Buch waren dementsprechend sehr hoch. Ich weiß, dass die Autorin es noch besser kann und dass man hier durchaus noch emotional viel mehr herausholen können hätte. Deshalb bin ich hier wohl strenger als ich es bei einem anderen Buch wäre und – ja, leider – auch ein kleines bisschen enttäuscht.

„Es gab zwar eine vernünftige Form der Trauer, die ich ausleben konnte. […] Aber es gibt noch eine andere Sorte Trauer, eine unbezähmbare, die immer wieder in mir hochkocht. Eine Trauer, die faucht und beißt. Eine Trauer, die sich an der gesamten Menschheit rächen will.“ E-Book, Position 4689

Protagonistin (♥)

Erneut gelingt es der Autorin, eine Protagonistin zu erschaffen, die man schnell ins Herz schließt. Ottila ist liebevoll ausgearbeitet, eine komplexe, komplizierte Person mit vielen authentischen Schwächen und Stärken und einer schwierigen Vergangenheit. Sie macht im Laufe der Geschichte eine glaubwürdige Entwicklung durch. Ihre Ehrlichkeit ist entwaffnend und schonungslos, ihr Humor oft düster, ihre Versuche, sich zu verändern, und ihr wiederholtes Scheitern dabei ließen mich mitfühlen und mitleiden. Ottila kennt keine Tabus, breitet ihre Fehler und kleinen, charmanten Verrücktheiten vor den LeserInnen aus, ohne sie jemals zu beschönigen oder sich zu rechtfertigen. Vielmehr präsentiert sie sich einfach, wie sie ist, und überlässt es dann uns, zu urteilen. Eine Situation, die sich sehr ungewöhnlich anfühlt! Ottila hat mich mit ihrer impulsiven, leicht verrückten, unbedarften Art ein wenig an Lucy in „Fische“ von Melissa Broder erinnert. Solche ungewöhnlichen Protagonistinnen finde ich einfach wunderbar!

„Meine Zunge wurde ein bisschen taub, und ich wusste, dass ich schon ziemlich betrunken war, weil ich die Augen weiter aufriss als üblich. Das war immer ein sicheres Zeichen. Keine Ahnung, warum ich das machte. Vielleicht ein Flirtversuch mit dem Leben.“ E-Book, Position 1296

(Neben)Figuren & Liebesgeschichte (♥)

Was die Nebenfiguren betrifft, gibt es hier nur Lob auszusprechen. Besonders beeindruckt hat mich die glaubwürdige Zeichnung der psychisch kranken Schwester Mina, die so viele Facetten von ihr einfängt, ihre schwierigen Verhaltensweisen beschreibt und sie dabei niemals unsympathisch oder gar monströs oder klischeehaft erscheinen lässt. Mir gefällt auch, wie hier oft mit Vorurteilen gebrochen wird (auch wenn die psychiatrische Anstalt teilweise auf mich doch sehr altmodisch, stereotypisch und nicht mehr zeitgemäß wirkte). Auch die Mutter, die immer wieder unerwartete Familiengeheimnisse enthüllt, langsam dem Alkohol verfällt und mit ihrem Leben und ihrer Trauer kämpft, empfand ich als sehr dreidimensional.

Die Liebesgeschichte strotzt vielleicht nicht unbedingt vor Chemie und kribbelnden Momenten, aber ich finde sie authentisch und gelungen: Endlich mal keine Insta-Love, sondern die Zuneigung entwickelt sich langsam, ist nicht perfekt, sondern einfach echt und gesund und dabei sehr schön zu lesen.

„Aber die Pfleger lassen sich nicht täuschen, genauso wenig wie ich: Minas Blick ist zwar ruhig, aber ihr Kopf ist hellwach, tüftelt immer neue Möglichkeiten aus, sich umzubringen, und fragt sich, ob sie je den Mut haben wird, es durchzuziehen.“ E-Book, Position 1698

Spannung & Atmosphäre (+/-)

Auch wenn dieses Buch eine lockerere, positivere, weniger deprimierende Grundstimmung aufweist, so gibt es dennoch auch melancholische Momente, die es zu einer nicht immer leicht verdaulichen Lektüre machen. Obwohl ich neugierig war, wie es mit Ottila weitergeht, und trotz des interessanten Aufbaus hatte das Buch meiner Meinung nach ein paar Längen, genügend Spannung war für mich trotz mancher unerwarteten Wendung nicht immer vorhanden, manche Beschreibungen und Vorkommnisse fand ich im Vergleich zum Vorgängerband auch einfach ein bisschen banal und nicht so mitreißend.

Geschlechterrollen & Vielfältigkeit (♥)

Das Buch enthält sehr viele starke, interessante Frauenfiguren, was mir sehr gut gefallen hat. Die bisexuelle Protagonistin selbst kümmert sich nicht um gesellschaftliche Erwartungen, ist gebildet und eine Feministin, die in der Ehe eine frauenfeindliche, veraltete Institution sieht, die für Frauen nur Nachteile hat. Ihr Partner Thales ist ein moderner, sensibler Mann, der eine gleichberechtigte Beziehung mit Ottila lebt, ebenfalls feministisch eingestellt ist und zum Beispiel auch sehr gerne kocht. Das Buch verstärkt keine schädlichen Gender-Stereotypen, sondern bricht mit ihnen, wenn zum Beispiel die Mutter mit der Tochter einen Angelausflug macht oder mit Mitte 50 ihre Liebe für Paintball entdeckt. Die zwei Stellen, an denen frauenfeindliche Ausdrücke verwendet werden (1x Miststück, 1x Schla+++), kann ich verzeihen, obwohl sie natürlich trotzdem angesprochen werden sollen. So ist dieses Buch, was diesen Aspekt betrifft, sicher nicht perfekt, aber durchaus nah dran.

„Erstens wäre ich als Rapunzel völlig fehlbesetzt, allein schon, weil mein Haar so kurz und splissig ist. Und selbst wenn ich üppige, kräftige blonde Locken hätte, würde ich sie abschneiden und mich selbst aus dem Fenster abseilen, vielen Dank. Ich brauche keinen Man, der mich rettet.“ E-Book, Position 1057

Mein Fazit

Mit ihrem ersten Roman hat Anneliese Mackintosh eine gelungene Geschichte vorgelegt, die sich nicht nur durch die außergewöhnliche, innovative Erzählweise (ganz viele Schnipsel setzen sich zu einer zusammenhängenden Geschichte zusammen) auszeichnet, sondern sich auch durch die humorvolle und gleichzeitig tiefgehende und sensible Behandlung ernster und trauriger Themen wie Trauer, Alkoholismus und psychische Krankheiten von der Masse abhebt. Der Schreibstil zeigt sich einfach und angenehm (dabei niemals lieblos) und hat mich einige Male schmunzeln, nachdenklich werden oder schlucken lassen. Die Protagonistin ist so schonungslos ehrlich, kompliziert und liebevoll ausgearbeitet, dass ich sie sofort ins Herz schließen musste und auch die Nebenfiguren und die Liebesgeschichte wirken sehr „echt“. Trotz dieser positiven Punkte bin ich ein bisschen enttäuscht vom Buch, weil ich weiß, die Autorin kann es noch viel besser. Manche Schilderungen empfand ich als etwas banal, es gab ein paar Längen und obwohl „Verdammt perfekt und furchtbar glücklich“ durchaus einige sehr gelungene Momente aufweist, so fehlt ihm die unverwechselbare Intensität des Vorgängerwerkes („So bin ich nicht“). Ich habe mir so viel von diesem Buch erhofft, wollte erneut emotional mitgerissen werden, Worte lesen, die sich anfühlen wie ein Schlag in die Magengrube, so in das Buch verwickelt werden, dass ich mich fast darin verliere. Doch auch wenn die Geschichte gut ist, so steht sie wie die kleine, weniger talentierte Schwester im Schatten des tatsächlich „verdammt perfekten“ Debüts, "So bin ich nicht".

Leseempfehlung: Fans des Debüts sollten sich diesen Roman natürlich trotzdem nicht entgehen lassen, alle anderen sollten dem Buch einfach eine Chance geben. Wer „So bin ich nicht“ übrigens noch nicht kennt – es sei euch hiermit wärmstens und überschwänglich ans Herz gelegt.

Bewertung

Idee, Themen, Botschaft: 5 Sterne
Worldbuilding: 3 Sterne
Ausführung: 3,5 Sterne
Einstieg: 5 Sterne
Schreibstil: 3,5 Sterne
Protagonistin: 5 Sterne ♥
(Neben)Figuren: 5 Sterne ♥
Atmosphäre: 3 Sterne
Spannung: 2-3 Sterne
Ende: 4 Sterne
Emotionale Involviertheit: 3,5 Sterne
Liebesgeschichte: 4 Sterne
Geschlechterrollen: ♥
Regt zum Nachdenken an!

Insgesamt:

❀❀❀,5 Lilien

Dieses Buch bekommt von mir 3,5 nicht ganz zufriedene Lilien!

Veröffentlicht am 14.09.2018

Stellenweise fasziniert und hellauf begeistert, aber leider nicht durchgehend

Uns gehört die Nacht
0

Die Rezension enthält leichte Spoiler!


Inhalt

Ein Mädchen aus der Unterschicht trifft auf den Sprössling einer sehr reichen, einflussreichen Familie. Nach und nach verwandelt sich die obsessive, ungesunde ...

Die Rezension enthält leichte Spoiler!


Inhalt

Ein Mädchen aus der Unterschicht trifft auf den Sprössling einer sehr reichen, einflussreichen Familie. Nach und nach verwandelt sich die obsessive, ungesunde Affäre in eine zarte, aber verbotene Liebe. Wie weit sind Jamey und Elise bereit zu gehen, um ihre Liebe zu verteidigen?

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Genre: Roman / Liebesgeschichte
Verlag: Diogenes
Seitenzahl: 464
Erzählweise: Figuraler Erzähler, meist Präsens, selten Präteritum
Perspektive: aus weiblicher Perspektive
Kapitellänge: mittel bis lang
Tiere im Buch: +/- Einerseits behandeln Elise und Jamey ihren Hund Buck sehr liebevoll (er wird sogar zu einer wichtigen Figur), andererseits werden Missstände, was Tiere betrifft, ungeschönt geschildert und nichts wird dagegen unternommen. Der Hund einer armen Familie bekommt nicht die medizinische Betreuung, derer er bedürfte, er wird vernachlässigt, seine Zähne und sein Zahnfleisch sind verfault, ein anderer Hund stirbt röchelnd und erhält keine Hilfe oder Zuwendung. Zudem werden kränkliche Kätzchen beschrieben, die in einem Zooladen verkauft werden und hungrige Streuner. Hier meine Bitte: Kauft niemals Tiere in Zoohandlungen, sie kommen nicht vom privaten, befreundeten Züchter, sondern werden unter schlimmsten, tierquälerischen Bedingungen meist im Ausland „produziert“. Zudem haben sie meist viele Krankheiten, viele weibliche Tiere sind bereits trächtig. Bitte unterstützt diese Tierquälerei nicht, sondern kauft eure Tiere bei seriösen (dies ist bitte genau zu prüfen!) Züchtern oder schenkt einem Tier aus dem Tierheim oder aus dem Tierschutz ein schönes, neues Zuhause. Und noch eine wichtige Information, weil im Buch Katzen mit Milch gefüttert werden: Katzen vertragen keine normale Milch, da sie unter einer Laktoseintoleranz leiden. Um ihnen und sich selbst als BesitzerIn unangenehmen Durchfall und Bauchschmerzen zu ersparen, sollten die Stubentiger nur spezielle Katzenmilch oder einfach laktosefreie Milch erhalten. Allerdings auch nur als Leckerchen, die Hauptflüssigkeitszufuhr sollte aus Wasser bestehen, da Milch einen sehr hohen Fett- und Milchzuckergehalt aufweist – was zu einer Reihe weiterer Probleme führen kann.

Warum dieses Buch?

Dieses Buch ist eines der seltenen Fälle, die rein aufgrund ihres wundervollen Covers und ihres schönen Titels meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben. Eigentlich lese ich selten Liebesgeschichten, doch diese schien etwas Besonderes zu sein, deshalb wollte ich unbedingt mehr erfahren.

Meine Meinung

Einstieg (♥)

Der Einstieg fiel mir sehr leicht, denn der emotionale Prolog hat es in sich. Elise zielt mit einem Gewehr auf Jameys Brust. Sofort tauchten viele Fragen auf: Wie konnte es so weit kommen? Was ist geschehen? Wird sie abdrücken? Dann springt die Geschichte rund eineinhalb Jahre in die Vergangenheit und nimmt uns mit zu den Anfängen im Januar 1986 und dem ganz und gar unspektakulären Zusammentreffen der zwei Protagonisten.

„Falls der Eindruck entsteht, das Zimmer sei klein, das ist es nicht. Es ist aufgebläht, riesig – es pocht wie eine Milliarde Herzen, so wie ein Raum pulsiert, wenn sich die Menschen darin ihrer Macht bewusst werden. Elise wird die Augen schließen, das Gesicht abwenden und das Gewehr entsichern.“ Seite 9f

Schreibstil (+/-)

Der Schreibstil hat zwei Seiten, besteht aus Schatten und Licht. Manchmal schreibt Jardine Libaire romantisch, emotional, fast märchenhaft, schaut ganz genau hin, wenn Liebe und Schönheit im Leben von Jamey und Elisa aufblitzen, andererseits wird ihr Ton oft auch entwaffnend, ja fast schon schockierend direkt, schmutzig, beinahe vulgär, beschönigt nichts. Eines steht mit Sicherheit fest: Die Sprache ist teilweise wirklich anspruchsvoll. In seinen guten Momenten glänzt der Schreibstil mit wunderbar bildlicher Sprache, gelungenen Vergleichen, Beschreibungen und Metaphern. In seinen schwächeren Momenten wirkt er bemüht, die Metaphern ausufernd, abstrakt, schwer verständlich, die Formulierungen sperrig und nicht flüssig lesbar. Klar ist, dass dieses Buch keinesfalls nebenher gelesen werden muss, die Sprache verlangt die volle Aufmerksamkeit.

„Er braucht eine Weile, aber schließlich grinst er. Dann lacht er – sein goldenes, schmutziges Lachen. Seine Skepsis zerbricht, und aus der kaputten Schale rinnt ein Dotter.“ Seite 273

Inhalt, Themen, Botschaften & Ende (+/-)

Die Geschichte um Jamey und Elise ist in verschiedene Monate unterteilt. Innerhalb der Kapitel werden viele kurze, oft nur eine halbe Seite lange Episoden abwechselnd aus Jameys und Elises Sicht erzählt. Was am Beginn als obsessive, manische, ungesunde Affäre beginnt, entwickelt sich nach und nach, glaubwürdig und langsam zu einer tiefen Liebe. Hierbei geht die Autorin vor allem bei den zahlreichen Liebesszenen teilweise sehr ins Detail und schildert diese nicht gerade poetisch – das wird nicht für jeden etwas sein, auch mir hat das nicht immer gefallen. Jedoch ist es schön zu sehen, wie sich die beiden immer mehr ineinander verlieben, etwas, das vor allem Jamey sehr unerwartet trifft, dem als reicher Erbe eine solche Beziehung strengstens untersagt ist. Aus diesem Grund stellt auch seine snobistische Familie die größte Hürde für das junge Glück dar, mit allen Mitteln wird versucht, Jamey wieder „auf den richtigen Weg“ zurückzubringen.

Beide Protagonisten versuchen, sich von ihrer Herkunft zu lösen und unabhängig zu werden. Da Elise von ganz unten kommt, eine schwierige Kindheit voller Gewalt und Drogen hinter sich hat, und da Jamey der Oberschicht entstammt, inklusive exzellenter Bildung und Millionen auf dem Konto, treffen sich die beiden irgendwo in der Mitte, wo sie sich ein gemeinsames Leben aufbauen. Jardine Libaire geht in ihrem erstaunlich handlungsarmen (!) Buch der Frage nach, wie sehr unsere Herkunft unser Leben bestimmt und wie schwierig es ist, ihr zu entfliehen, und behandelt die wenigen anderen Themen wie Eifersucht, Krankheit, Drogen, (falsche) Freundschaft und Opferbereitschaft tiefgründig. Manches bleibt dennoch oberflächlich, wird nur angerissen, hier hätte ich gerne noch mehr erfahren (beispielsweise über Jameys Innenleben) und trotz vieler gelungener Ansätze, konnte mich die Geschichte insgesamt leider nicht so mitreißen, berühren und faszinieren, wie ich es mir erhofft hatte. Das Ende war zwar keine Offenbarung, es hat mir aber gut gefallen.

Protagonisten (+/-)

Elise und Jamey sind beide interessante Hauptfiguren, die von ihrer Herkunft und ihrer Vergangenheit gezeichnet sind. Nach und nach gelingt es beiden, sich immer mehr davon zu befreien, was sehr spannend ist. Beide Figuren erhalten Stärken und Schwächen, Träume und Ängste, es wurde sich bemüht, sie komplex zu zeichnen und ihre Entwicklungen authentisch zu beschreiben. Dennoch blieb beim Lesen leider immer eine gewisse Distanz, ich konnte irgendwie keine tiefergehende Beziehung zu den beiden aufbauen. Manchmal schienen sie mir trotz allem zu stereotyp, etwas zu sehr die klassischen, tragischen Liebenden (der melancholische, reiche Erbe und die impulsive, lebenshungrige Frau aus der Unterschicht) zu sein. Manchmal schien ihre Persönlichkeit nur daraus zu bestehen. Dennoch: Jamey mochte ich eigentlich gern, seine Denkweise, die stets etwas ins depressive geht, fand ich wirklich faszinierend. Es gelang mit zwar nicht immer, mit den Figuren mitzufiebern, aber in manchen Momenten wurde ich doch ins Herz getroffen, berührt und erschüttert.

„Elise hat langgestreckte Glieder und runde feste Brüste. Jungshüften. Ein Windhund, aerodynamisch, geprügelt, schnell wie der Teufel, zum Rennen gemacht, zum Verlieren geboren.“ Seite 14

Nebenfiguren & Beziehungen (+/-)

Die wenigen Nebenfiguren bleiben teilweise blass, sind teilweise aber auch erstaunlich liebevoll gezeichnet, manche konnten mich durchgehend, und auch wenn sie nur kleine Rollen in der Geschichte einnahmen, absolut begeistern und überzeugen. Besonders Matt mit all seinen Unsicherheiten, dem gespielten Stolz und seinem Snobismus hat mir als Figur sehr gut gefallen. Jameys und Elises Familien werden zudem authentisch (wenn auch etwas klischeehaft) beschrieben, jeder Blick, jedes Wort aus ihrem Mund ist hierbei ganz und gar von ihrer Herkunft durchdrungen.

Spannung & Atmosphäre (+/-)

Hier bin ich zwiegespalten, besonders das erste Drittel der Geschichte, die ungeschönten Beschreibungen der dreckigen, aber auch schillernden Seiten von New York und New Haven fand ich wirklich spannend. Wenn ich mit Freunden über das Buch gesprochen habe, dann in einem enthusiastischen Ton, ich hatte das Gefühl, etwas Großartiges in den Händen zu halten. Doch nach und nach nahmen die bemühten, ausufernden, schwer verständlichen Metaphern und Formulierungen zu und der Spannungsbogen baute sich regelmäßig und brach wieder ein. Manche Situationen, die geschildert wurden, waren unspektakulär und banal, und auch wenn das einerseits sicher auch zur Schönheit und Authentizität der Liebesgeschichte beiträgt, so kann es in manchen Momenten auch etwas ermüdend sein. Ich hatte immer wieder das Gefühl, dass man kürzen können hätte, dass das Buch dadurch profitiert hätte und noch besser geworden wäre.

„Der Tag ist warm genug , um die Eiszapfen in den Bäumen zu schmelzen, woraus eine Art Regen entsteht, der fällt, wenn er Lust hat, mehr tierisch als mineralisch, ein Regen mit eigenem Willen, Empfindungen.“ Seite 20

Feministischer Blickwinkel (+/-)

Einerseits ist Elise eine sehr starke, mutige Frauenfigur, die genau weiß, was sie will, sich auf eigene Faust durchschlägt, von ihrer Familie (und Herkunft) befreit und auch in Liebesdingen oft den ersten Schritt macht. Andererseits gibt es einige Beispiele für Sexismus, beispielsweise werden Frauen als „Miststück“ und „Schla+++“, einmal sogar als „Fo+++“ bezeichnet. Zudem wird Jamey vorgehalten, er würde einen „Frauenjob“, also einen minderwertigen Job machen. Auch häusliche Gewalt gegen Frauen und Kinder wird thematisiert, allerdings wird auf diese Weise keinesfalls unkritisch (die Folgen werden aufgezeigt) das Milieu beschrieben, aus dem Elise stammt. Dennoch ist es natürlich frustrierend zu sehen, wie abhängig Elises Mutter von ihrem Schläger-Freund ist, wie viel sie (und andere Frauen) sich gefallen lässt. Auch wenn ich mir hier noch etwas mehr Sensibilität vor allem für das Thema „sexistische Sprache“ wünschen würde, bin ich insgesamt zufrieden mit diesem Buch, nicht nur aufgrund der starken, weiblichen Hauptfigur, sondern auch, weil sich Männer im Haushalt beteiligen, beim Abwaschen beobachtet werden können und Emotionen zeigen dürfen.

Mein Fazit

„Uns gehört die Nacht“ konnte mich insgesamt leider nicht so berühren, mitreißen und faszinieren, wie ich mir das erhofft hatte. Der Schreibstil, der manchmal sehr romantisch ist, zeigt sich an anderen Stellen schockierend direkt, manchmal sogar vulgär und beschönigt nichts. Teilweise konnten mich die bildhafte Sprache und die gelungenen Metaphern hellauf begeistern, manchmal wirkten sie aber auch bemüht, uferten aus, waren so abstrakt, dass sie schwer verständlich waren. Manchmal wirkten die Formulierungen sperrig und waren nicht flüssig zu lesen. Jardine Libaire behandelt nur wenige Themen, viele dafür aber tiefgehend. Im Fokus steht die verbotene Liebesgeschichte zwischen Elise und Jamey und deren Versuche, sich von ihrer Herkunft zu befreien. Obwohl die Figuren glaubwürdige Schwächen, Stärken, Ängste und Träume haben, blieb stets eine gewisse Distanz zu ihnen, ich konnte keine enge Bindung zu ihnen aufbauen, nur manchmal mit ihnen mitfiebern und mitleiden. Teilweise wirkten sie stereotyp und schienen nur aus ihrer Herkunft zu bestehen. Was die Spannung und die Atmosphäre betrifft, so gab es zum einen vor allem im ersten Drittel des Buches viele gelungene Momente und anschauliche Schilderungen der Sonnen- und Schattenseiten New Yorks und New Havens, zum anderen führte die Schilderung von oft unspektakulären, banalen Szenen zu Spannungseinbrüchen. „Uns gehört die Nacht“ ist ein Buch mit viel Potential, das mich stellenweise wirklich begeistern, faszinieren und berühren konnte, aber leider nicht durchgehend.

Leseempfehlung: Wenn euch Cover, Titel oder Klappentext neugierig machen, einfach mal hineinlesen und dann entscheiden! Und jetzt nehmen wir uns bitte noch einen Moment Zeit und bewundern das wundervolle Cover. Danke!

Bewertung

Idee, Themen, Botschaft: 3,5 Sterne
Worldbuilding: 4 Sterne
Ausführung: 3,5 Sterne
Einstieg: 5 Sterne ♥
Schreibstil: 3,5 Sterne
Protagonisten: 3,5 Sterne
Nebenfiguren: 3 Sterne
Atmosphäre: 4 Sterne
Spannung: 2,5 Sterne
Ende: 4 Sterne
Emotionale Involviertheit: 3 Sterne
Feministischer Blickwinkel: +/-

Insgesamt:

❀❀❀,5 Lilien

Dieses Buch bekommt von mir 3,5 Lilien!

Veröffentlicht am 09.09.2018

Unterhaltsamer Roadtrip mit Schwächen

Blanca
0

Spoilerfreie Rezension!


Inhalt

Blancas Leben besteht aus ständigem Ankommen und Weiterziehen, an keinem Ort hält ihre Mutter es lange aus. Sie verwehrt ihrer Tochter eine richtige Heimat, ein richtiges ...

Spoilerfreie Rezension!


Inhalt

Blancas Leben besteht aus ständigem Ankommen und Weiterziehen, an keinem Ort hält ihre Mutter es lange aus. Sie verwehrt ihrer Tochter eine richtige Heimat, ein richtiges Zuhause. Nach einem weiteren Streit mit ihrer impulsiven, schwierigen Mama reicht es Blanca endgültig. Sie nimmt sich kurzerhand das ersparte Geld und reißt aus. Ihre Reise führt das 15-jährige Mädchen nach Italien. Ihr Ziel: das Haus von Karl und Toni, wo sie in ihrer Kindheit ein wunderschönes Jahr verbracht hat. Doch was in ihrer Planung ein einfacher Trip von A nach B ist, gestaltet sich in der Realität viel schwieriger, Blanca muss Umwege nehmen und lernt dabei viele kuriose und interessante Persönlichkeiten kennen.

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Genre: Jugendbuch / Roman
Verlag: Aufbau Verlag
Seitenzahl: 256
Erzählweise: Ich-Erzähler, Präteritum
Perspektive: aus weiblicher Perspektive
Kapitellänge: mittel
Tiere im Buch: +/- Es werden keine Tiere gequält oder verletzt, aber eine Frau fängt eine Ente, um sie später zu töten. Blanca hingegen behandelt Tiere sehr gut, streichelt eine Katze und rettet sogar die Würmer aus ihren Kirschen.

Warum dieses Buch?

Für dieses Buch sprach die @Buchkolumne eine große Empfehlung aus, erst dadurch bin ich darauf aufmerksam geworden.

Meine Meinung

Einstieg (+)

Gleich der erste, etwas verrückt klingende Satz mit seinem humorvollen Unterton hat mir sehr gut gefallen. Auch wenn der Anfang aufgrund der Rückblenden wenig Tempo besaß, dauerte es nur ein paar Seiten, bis ich mich bereits mitten in der Geschichte befand und bereit war, mich mit Blanca auf ihren abenteuerlichen Roadtrip zu begeben.

„Hätte die Auflaufform mich getroffen, wäre alles anders gekommen. Aber ich sprang gerade noch rechtzeitig ins Badezimmer und schlug die Tür hinter mir zu.“ Buchbeginn, E-Book, Position 44

Schreibstil (+/-)

Der Schreibstil von Mercedes Lauenstein ist flüssig und angenehm und schnell lesbar. Auch wenn das Buch eigentlich nicht offiziell als Jugendbuch eingeordnet ist (und es scheint sich tatsächlich irgendwo zwischen Jugendliteratur und Erwachsenenroman zu verorten), so wird die einfache Sprache jungen LeserInnen sicher gefallen. Mir gefielen sowohl Blancas treffende Beobachtungen als auch ihre intelligenten, unkonventionellen, manchmal von jugendlicher Verrücktheit geprägten Reflexionen und Gedanken. Die vielen Bandwurmsätze, meist mit Beistrich verbundene Hauptsätze (Parataxen), spiegeln Blancas Ruhelosigkeit, ihr Nirgends-Ankommen und Nirgendwo-zu-Hause-Sein sehr gut wider. Jedoch haben mich die vielen sprachlichen Wiederholungen, gleichen Satzanfänge und der fehlende Anspruch des Schreibstiles beim Lesen zunehmend gestört. Eine etwas feingeschliffenere Sprache hätte das Buch mit Sicherheit noch besser gemacht.

„Kurze Zeit später lag meine Mutter mit einer Grippe im Bett. Ich fragte sie, ob sie jetzt dran sei mit Sterben. ‚Kann sein‘, sagte sie, ‚es kann immer alles sein, Blanca, daran musst du dich gewöhnen.‘ Sie sah mich mit dramatischem Ernst an und strich mir über den Kopf.“ E-Book, Position 100

Inhalt, Themen, Botschaften & Ende (+/-)

Im Zentrum der Geschichte steht unter anderem Blancas komplizierte, von Hassliebe geprägte Beziehung zu ihrer impulsiven, intelligenten, nur 16 Jahre älteren Mutter, die sich keinen gesellschaftlichen Konventionen unterwirft und stets erfolglos dem Glück nachjagt. Es ist eine Frau, die ihre Stimmungsschwankungen an ihrem Kind auslässt und immer wieder fragwürdige Erziehungsmethoden anwendet. Blancas Kindheit war schwierig, geprägt von ständigem Umziehen, teilweise litten Tochter und Mutter sogar Hunger. Eines wurde Blanca immer verwehrt: ein Zuhause. Deshalb begibt sich das Mädchen auch auf diese Reise mit dem Ziel, jenen Ort aufzusuchen, der für es am nächsten an eine Heimat herankommt.

Aber auch andere, für Roadtrip-Romane typische Elemente und Themen lassen sich in diesem Buch finden: Es geht um Unabhängigkeit, Erwachsenwerden, Freundschaft, Abenteuer, verrückte Bekanntschaften, verschiedene Lebensentwürfe und das verwegene Sich-alleine-Durchschlagen. Nicht alle Aspekte werden jedoch mit Tiefe behandelt. Auch vor empfindlichen Themen wie Alkohol- und Zigarettenmissbrauch und Beschreibungen von Blancas Liebesleben schreckt die Autorin nicht zurück, meist sind Blancas Partner fast oder sogar tatsächlich doppelt so alt wie sie. Ich muss ehrlich gestehen, dass mich das Verhalten der Männer, die keine moralischen Bedenken haben, ein 15-jähriges Mädchen auszunutzen, echt angewidert hat.

Einige Szenen sind so verrückt, tiefgründig oder einprägsam, dass sie mir mit Sicherheit länger in Erinnerung bleiben werden, vieles werde ich aber leider sehr schnell wieder vergessen haben. Dafür bietet „Blanca“ einfach zu wenig Neues, Innovatives. Zudem hat die Geschichte erstaunlich wenig Handlung. Besonders im letzten Viertel hatte ich das Gefühl, dass ihr die Puste ausging. Mehr größere Höhepunkte, mehr Handlungsstränge und eine gerafftere, klarere Struktur hätten dem Buch mit Sicherheit gutgetan. Zum Schluss: Obwohl das Ende relativ offen ist, finde ich es passend – auch wenn ich gerne gewusst hätte, wie es mit Blanca weitergeht. Viele Fragen bleiben leider unbeantwortet.

Protagonistin (♥)

Blanca ist eine tolle Heldin, die ich schnell ins Herz geschlossen habe. Sie ist liebevoll und komplex gezeichnet, ihre Entwicklungen, Wünsche, Ängste und Träume sind glaubwürdig, ihr Verhalten stets nachvollziehbar. Ich fand es toll, wie mutig und frech sie ist, wie tiefgründig sie die Welt und die Menschen analysiert und wie empathisch sie oft handelt. Bei Rückschlägen habe ich mit ihr gelitten, ihre Hassliebe zur Mutter konnte ich sehr gut nachvollziehen. Oft hat Blanca mir, bei allen Gemeinheiten, die sie ertragen muss, auch sehr leidgetan. Interessant fand ich auch die teilweise synästhetischen Schilderungen – so haben für Blanca Geräusche zum Beispiel auch eine bestimmte Farbe und Form. Stellenweise hat mich Blanca mit ihren kleinen Verrücktheiten, ihren kindlichen Momenten und ihren davongaloppierenden Gedanken an June aus „Sag den Wölfen, ich bin zu Hause“ erinnert – wer dieses wundervolle Buch übrigens noch nicht kennt, sollte dies unbedingt nachholen!

„Ich habe für die Schule mal einen Aufsatz mit dem Titel ‚Warum ist alles, wie es ist?‘ geschrieben. Wir sollten über etwas schreiben, das uns beschäftigt. Ich bekam den Aufsatz ohne Bewertung zurück. Die Lehrerin sagte, sie könne einen Aufsatz, der aus zehn Seiten hintereinanderweg geschriebener Fragen bestehe, aber keine einzige Antwort oder auch nur einen einzigen Satz mit Punkt am Ende enthalte, einfach keine Note geben, es tue ihr leid.“ E-Book, Position 677

Nebenfiguren & Beziehungen (+/-)

Die Nebenfiguren hingegen sind nicht alle so gut gelungen. Manche (wie die Mutter) überzeugen mit einer starken Persönlichkeit, mit authentischen Schwächen und Stärken, andere bleiben – wohl auch aufgrund der winzigen Rollen, die sie im Buch spielen – sehr blass und farblos. Besonders gemerkt habe ich das, als sich Blanca an einer Stelle an all die Menschen erinnert, die sie auf ihrer Reise bereits getroffen hat – manche hatte ich schon wieder völlig vergessen.

„Meine Mutter sagt, das ist die große Traurigkeit. Ich hab sie mal gefragt: Welche Traurigkeit? Sie hat gesagt: die des Lebens. Einige haben die, andere nicht. Wenn man sie hat, entkommt man ihr nicht. Man fühlt nur dauernd diese unbestimmte Sehnsucht nach etwas, das nicht zu bekommen ist, und weil diese Sehnsucht unauflösbar bleibt, sammelt sie sich als Traurigkeit im Bauch.“ E-Book, Position 316

Spannung & Atmosphäre (+/-)

Vor allem die erste Hälfte habe ich, was Spannung und Atmosphäre betrifft, sehr stark gefunden. Ich habe sehr mit Blanca mitgefiebert und war gespannt auf ihr Abenteuer. Die Beschreibungen der italienischen Städte mit all ihren schönen und weniger schönen Seiten, mit ihren vielfältigen Gerüchen und verschiedenen Stadtteilen waren sehr anschaulich und gelungen. Vor allem im letzten Viertel des Buches trat die Geschichte dann leider etwas auf der Stelle, aufgrund der sich wiederholenden Begegnungen mit fremden Menschen erschien mir mancher Abschnitt etwas langatmig. Dieser Eindruck hängt sicher mit dem handlungsarmen Plot zusammen. Ein großer Pluspunkt ist jedoch, dass die Geschichte niemals vorhersehbar ist und so manche unerwartete Wendung bietet.

Feministischer Blickwinkel (+)

Was das Thema Geschlechterrollen betrifft, bin ich insgesamt mit diesem Buch sehr zufrieden. Auch wenn ihre Mutter Blanca hin und wieder unangemessene Tipps zum Umgang mit Männern (und generell Leuten) gibt und auch wenn es ein Beispiel von Slutshaming gibt, so ist Blanca doch eine unkonventionelle, starke, mutige Heldin, die sich nicht in gesellschaftlich verlangte Rollenbilder drängen lässt. Zudem gestaltet Blanca auch ihr Liebesleben selbstbestimmt so, wie es ihr gefällt, ohne sich jemals Vorwürfe dafür zu machen. Auch Blancas Mutter ist eine Rebellin, die für ihre Überzeugungen kämpft und zum Beispiel einfach von zu Hause ausriss, als ihre Ärzte-Eltern sie zu einer Abtreibung zwingen wollten. Das gefällt!

Mein Fazit

„Blanca“ ist ein verrückter Roadtrip, der viele gute Ansätze beinhaltet, der mich aber nicht ganz für sich gewinnen konnte. Der Schreibstil ist einfach, flüssig und angenehm lesbar, enthält interessante Reflexionen einer 15-Jährigen, gelungene Metaphern und anschauliche Beschreibungen der Schauplätze. Leider war mir die Sprache mit ihren vielen Parataxen oft zu einfach und zu wenig anspruchsvoll und enthielt mir zu viele Wiederholungen (z. B. gleiche Satzanfänge). Blanca ist eine liebevoll ausgearbeitete, starke, mutige Protagonistin, die ich sehr mochte, bei den Nebenfiguren blieben leider viele blass und austauschbar. Einige Szenen sind so verrückt, tiefgründig oder einprägsam, dass sie mir mit Sicherheit länger in Erinnerung bleiben werden, andere werde ich aber leider schnell wieder vergessen haben. Viel Neues, Außergewöhnliches bietet die Geschichte nämlich nicht. Insgesamt hätten dem Buch mehr Handlung, mehr Spannung, eine klarere Struktur und mehr Tempo gutgetan, auch wenn ich in manchen Momenten durchaus mitgefiebert habe. „Blanca“ hat mich insgesamt stellenweise wirklich gut unterhalten, konnte mich letzten Endes jedoch nicht ganz überzeugen.

Bewertung

Idee, Themen, Botschaft: 4 Sterne
Worldbuilding: 3.5 Sterne
Ausführung: 3,5 Sterne
Einstieg: 4 Sterne
Schreibstil: 3,5 Sterne
Protagonistin: 5 Sterne ♥
Nebenfiguren: 3 Sterne
Atmosphäre: 3 Sterne
Spannung: 2-3 Sterne
Ende: 4 Sterne
Emotionale Involviertheit: 3,5 Sterne
Feministischer Blickwinkel: +

Insgesamt:

❀❀❀,5 Lilien

Dieses Buch bekommt von mir 3,5 Lilien!

Veröffentlicht am 26.08.2018

Nicht ganz überzeugt

Der Schatten
0

Spoilerfreie Rezension!


Inhalt

Norah ist nach der Trennung von ihrem Freund Alex gerade nach Wien gezogen, um eine neue Stelle anzunehmen, als sie eines Tages eine mysteriöse Prophezeiung erhält: ...

Spoilerfreie Rezension!


Inhalt

Norah ist nach der Trennung von ihrem Freund Alex gerade nach Wien gezogen, um eine neue Stelle anzunehmen, als sie eines Tages eine mysteriöse Prophezeiung erhält: Angeblich wird sie am 11. Februar einen Mann namens Arthur Grimm töten und zwar aus guten Gründen und absolut freiwillig. Norah tut die Prophezeiung zuerst als die Worte einer verwirrten Frau ab, doch schon bald muss sie sich fragen, ob sie tatsächlich einen Grund hat, Arthur Grimm zu hassen. Einmal davon abgesehen könnte Norah doch niemals jemanden töten. Oder?

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Verlag: btb
Seitenzahl: 416
Erzählweise: Ich-Erzähler, Präteritum & Präsens
Perspektive: hauptsächlich aus weiblicher Perspektive, selten auch aus männlicher
Kapitellänge: mittel bis kurz
Tiere im Buch: + Es werden ein Goldfisch und eine Katze getötet, Letztere mit Absicht. Es werden unzählige Vögel grundlos getötet, und Tierversuche werden ohne jeglichen kritischen Kommentar zitiert. Hier auch wieder meine Empfehlung: Wenn ihr ebenfalls gegen sinnlose, grausame Tierversuche seid, schaut bitte beim Verein „Ärzte gegen Tierversuche“ vorbei, die schon jahrelang engagiert und teilweise sogar schon erfolgreich für Alternativen und für tierversuchsfreie Forschung kämpfen.

Warum dieses Buch?

Ich habe den Hype komplett verpasst und war eine der letzten Leserinnen, die noch nichts von der Autorin gelesen hatte. Als Thriller-Liebhaberin, die etwas auf sich hält, musste das natürlich geändert werden. Zudem klang der Klappentext herrlich unheimlich und rätselhaft.

Meine Meinung

Einstieg (-!)

Der Einsteig war für mich eine große Hürde und ist mir sehr schwer gefallen. Das lag vor allem am dialogarmen Beginn. Auch später gibt es über weite Strecken nur wenige Dialoge, da Norah meist alleine und mit sich selbst beschäftigt ist, jedoch gewöhnt man sich daran. Wer allerdings viel Wert auf Gespräche legt, wird mit diesem Buch nicht glücklich werden. Ich fürchte auch, dass die Geschichte, die nur relativ zäh in Schwung kommt, einige LeserInnen schon am Anfang verlieren wird. Dabei lohnt es sich durchaus, durchzuhalten.

„‘Du bringst den Tod‘, sagte die Frau.
Ihre Stimme klang ruhig und rau.
Stirnrunzelnd blickte Norah sie an.
‚Was haben Sie gerade zu mir gesagt?‘ […]
‚Blumen welken‘, sagte sie. ‚Uhren bleiben stehen. Die Vögel fallen tot vom Himmel.‘“ Seite 21

Schreibstil (♥)

Melanie Raabe hat einen außergewöhnlichen Schreibstil, an den ich mich erst einmal gewöhnen musste. Er besteht oft aus kurzen Sinneseindrücken, die in Ellipsen und unvollständigen Sätzen geschildert werden und die uns einen Einblick in Norahs Welt geben. Bereits nach einigen Seiten lernte ich jedoch den flüssigen, routinierten, angenehmen Schreibstil, der sich durch angemessene Komplexität und teilweise lange Bandwurmsätze auszeichnet, zu schätzen. Auch gelingt es der Autorin spielend, sprachlich das Tempo anzuziehen, wenn dies notwendig ist. Melanie Raabes Wortschatz ist zwischendurch durchaus als etwas anspruchsvoller zu beschreiben, so manches Fremdwort kann man hier bestimmt noch dazulernen. Besonders toll fand ich die sehr bildhaften, kreativen und gelungenen Metaphern und Vergleiche, die die Autorin gekonnt in ihren Text einwebt. Manchmal hat man auch das Gefühl, dass zwischen den Zeilen immer wieder auch symbolische Bedeutung steckt.

„Doch dann drangen die Geschehnisse der letzten Tage an die Oberfläche, einzelne Gesichter und Szenen tauchten vor ihrem inneren Auge auf, in rascher Folge, wie die Aufnahme eines Karussells, das sich schneller und schneller drehte und seine Passagiere schließlich aus seinem Orbit schleuderte, mit verrenkten Gliedmaßen, wie Ballerinas im Sprung.“ Seite 203

Inhalt, Themen, Botschaften & Ende (+/-)

Die Autorin hat eine sehr spannende, vielversprechende Ausgangssituation voller Geheimnisse und Rätsel geschaffen, die man unbedingt ergründen und lösen möchte. Es handelt sich um eine wendungsreiche Geschichte, die immer wieder überraschen kann. Melanie Raabe nimmt sich viel Zeit, um Norahs Gedankengänge und Gefühle klar und detailliert auszuformulieren, behandelt Themen wie Schuld, Angst, Rache, Einsamkeit, Liebeskummer und Trauer sehr tiefgründig. Etwas schlecht kommt zwischenzeitlich Österreichs Hauptstadt Wien weg, in der sich hauptsächlich schwierige, tratschende, Pelz tragende, misogyne und transphobe Menschen zu tummeln scheinen, allerdings wird Norahs negative Weltsicht zumindest zu einem späteren Zeitpunkt noch revidiert.

Doch die Erwartungen waren sehr hoch (bei dem Hype kein Wunder!) und ein Problem hatte ich leider mit der Geschichte: Obwohl ich stellenweise wirklich gefesselt und gebannt auf die Auflösung gewartet habe, so konnte sie mich leider schlussendlich nicht überzeugen. Ich hätte mir hier irgendwie mehr erwartet, irgendetwas Größeres, Logischeres, einen Aha-Moment. Eigentlich bin ich immer ein Fan ungewöhnlicher Ausgänge, aber hier muss ich leider jenen enttäuschten LeserInnen zustimmen, die behaupten, die Geschichte wirke konstruiert und an den Haaren herbeigezogen.

„[…] und plötzlich war da ein Summen. Sie spürte den Ton mehr, als dass sie ihn hörte, irgendwo zwischen Zwerchfell und Brustbein. Nein, es war kein Ton. Es war ein Gefühl, und sie brauchte einen Moment, bis sie es benennen konnte, weil sie es in den letzten Jahren, in denen sie praktisch nie alleine gewesen war, beinahe vergessen hatte. Ihre Einsamkeit war ohrenbetäubend.“ Seite 24

Protagonistin (♥)

Norah ist eine sehr liebevoll ausgearbeitete, komplexe Protagonistin, die ich sehr mochte und die mir schnell ans Herz gewachsen ist. Mir fiel es sehr leicht, mit ihr mitzufühlen und mitzufiebern. Die Autorin nimmt sich Zeit für ihre Protagonistin, was ich sehr wichtig finde. Norah ist intelligent, hat einen großen Gerechtigkeitssinn und ist eine stolze Feministin, die tatsächlich auch im Alltag gegen Sexismus kämpft (und genau das ist so wichtig!). Sie hat mich teilweise ein bisschen an mich selbst erinnert, auch wenn Norah eine viel impulsivere, direktere, wütendere Weise hat, auf Ungerechtigkeiten zu reagieren (oft waren ihre Reaktionen jedoch so befriedigend, weil die Leute sie einfach verdient haben!). Auch Norahs "soziale Projekte" fand ich sehr sympathisch - mit ihrer Hilfsbereitschaft, ihrem gutem Herzen, ihrem Mut, tatsächlich etwas zu verändern, mit ihrem tollen Musikgeschmack, ihrer sozialen Kompetenz und mit all ihren Fehlern und Schwächen hat mich sofort für sich gewonnen und sehr beeindruckt. Die österreichische Künstlerin Soap&Skin, die auch im Buch immer wieder erwähnt wird, sei LiebhaberInnen guter Musik und melancholischer, düsterer Töne übrigens sehr ans Herz gelegt. Hört einmal rein – es lohnt sich!

Nebenfiguren (♥)

Auch die Nebenfiguren sind sehr gut ausgearbeitet, erscheinen wie plastische Menschen, die auch abseits des Rampenlichts ihre Leben weiterführen. Sogar Figuren, die nur selten vorkommen, erhalten ihre Fehler, sympathischen Seiten und ihre schwierige Vergangenheit. Hier gibt es also überhaupt nichts auszusetzen, im Gegenteil, ich bin sehr begeistert!

Spannung & Atmosphäre (+/-)

Die Geschichte kommt (wie erwähnt) nur sehr schleppend in Gang, es dauerte relativ lang (zwischen 50 und 100 Seiten), bis ich wirklich von der Geschichte gefesselt war. Ab dann gelingen der Autorin Spannungsaufbau und -steigerung aber sehr gut. Norahs Situation ist so unerklärlich und rätselhaft, dass man unbedingt wissen möchte, wie es weitergeht. Ständig versucht man, Antworten auf die vielen Fragen zu finden. Immer wieder gibt es unerwartete Wendungen, die mich unvorbereitet getroffen haben und gut unterhalten konnten. Besonders loben möchte ich an dieser Stelle auch die düstere, unheimliche Atmosphäre, die im Buch ständig mitschwingt. Die Autorin weiß ihr Setting, das winterliche Wien, sehr gut zu nutzen.

Ich mochte an sich die ruhige Erzählweise, dennoch gibt es leider immer wieder Spannungseinbrüche, manche Abschnitte wirken langatmig und zäh. An diesen Stellen hätte gekürzt werden können, denn dies hätte das Buch noch besser gemacht und ihm das nötige Tempo verliehen.

„Und die Bettler. Die Obdachlosen. Wie Geister kamen sie ihr vor. Ihre Rufe halten durch die Straßen, immer und immer wieder, wie die von Gespenstern. Hallo? Hallo? Und die Lebenden fröstelten, wenn sie ihre Stimmen vernahmen, und taten so, als hörten sie nichts.“ Seite 16

Geschlechterrollen (♥)

Norah ist eine sehr selbstbewusste, soziale, starke und mutige Frau, die erfolgreich im Beruf ist und die sich als überzeugte Feministin für Gleichberechtigung und gegen Misogynie und Transphobie/Homophobie stark macht. Dafür gibt es ein großes Lob! Erfrischend war für mich auch die Tatsache, dass die Autorin darauf achtet, ganz verschiedene Frauen und Männer zu porträtieren. In männlich dominierten Berufen stellt Melanie Raabe sicher, dass auch Frauen gezeigt werden, um Geschlechterstereotypen entgegenzuwirken. Zudem gibt es hier keine Lästereien über das Aussehen oder Liebesleben von anderen Frauen. Gerade das finde ich wirklich wichtig - dass Frauen zusammenhalten und sich gegenseitig unterstützen!

Mein Fazit

„Der Schatten“ von Melanie Raabe ist ein Thriller mit vielen Stärken, aber auch einigen Schwächen. Der angenehme, routinierte, bildhafte Schreibstil voller schöner Vergleiche und Metaphern konnte mich ebenso überzeugen wie die liebenswert ausgearbeitete, mutige, gutherzige, starke Heldin und die ebenfalls komplexen Nebenfiguren. Über weite Strecken kann die Autorin auch, was Spannung und Atmosphäre betrifft, punkten. Der Schauplatz, das winterliche, düstere Wien, wird sehr gut eingeflochten, es gibt einige überraschende Wendungen, viele Geheimnisse wollen von den LeserInnen entdeckt werden. Leider kommt es jedoch immer wieder zu Spannungseinbrüchen, manchmal ist die Geschichte langatmig und verläuft schleppend, und der Einstieg fiel mir aufgrund der wenigen Dialoge sehr schwer. Obwohl ich ihm entgegengefiebert habe, konnte mich das Ende nicht überzeugen, ich empfand es als zu konstruiert, hätte mir etwas anderes erwartet. Was moderne Geschlechterrollen betrifft, so punktet Melanie Raabe aber mit ihrer feministischen Protagonistin, die sich gegen Misogynie, Homophobie und andere Ungerechtigkeiten engagiert einsetzt. Insgesamt hat mich „Der Schatten“ also dennoch gut unterhalten, auch wenn er sein Potential nicht voll ausschöpfen konnte. Den Hype kann ich, was dieses Buch betrifft, aber leider nicht wirklich verstehen.

Mein letztes Buch der Autorin wird es definitiv nicht bleiben, weil ich die Figuren und den Schreibstil sehr mochte. „Die Falle“ habe ich bereits als Hörbuch bestellt.

Bewertung

Idee, Themen, Botschaft: 3,5 Sterne
Worldbuilding: 4 Sterne
Ausführung: 3,5 Sterne
Einstieg: 2 Sterne
Schreibstil: 5 Sterne ♥
Protagonistin: 5 Sterne ♥
Nebenfiguren: 5 Sterne ♥
Atmosphäre: 4 Sterne
Spannung: 3 Sterne
Ende: 2,5 Sterne
Emotionale Involviertheit: 4,5 Sterne
Geschlechterrollen: ♥
Tiefgründig!

Insgesamt:

❀❀❀,5 Lilien

Dieses Buch bekommt von mir 3,5 Lilien!