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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 23.04.2019

Berührend, erschreckend, atemlos spannend - möglicherweise das beste Jugendbuch des Jahres!

Sadie
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Die Rezension enthält leichte Spoiler!


Inhalt

Sadies geliebte kleine Schwester wurde ermordet – damit hat Sadie alles verloren, was ihr je etwas im Leben bedeutet hat. Nun hat sie nur noch ein Ziel: ...

Die Rezension enthält leichte Spoiler!


Inhalt

Sadies geliebte kleine Schwester wurde ermordet – damit hat Sadie alles verloren, was ihr je etwas im Leben bedeutet hat. Nun hat sie nur noch ein Ziel: Sie will Matties Mörder finden und sich an ihm rächen. // West McCray erhält einige Monate später einen Hilferuf von May Beth, der „Ziehgroßmutter“ der beiden Mädchen. Obwohl er zu Beginn eigentlich nicht will, willigt er schließlich ein, Sadie zu suchen. Er folgt ihrer Spur von Stadt zu Stadt und wird dabei immer tiefer in ihre düstere Vergangenheit gezogen. Wird er Sadie rechtzeitig finden? Kann er sie heil zu May Beth zurückbringen?

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Verlag: Beltz & Gelberg
Seitenzahl: 359
Erzählweise: True-Crime-Podcast und Ich-Erzähler, Präsens
Perspektive: weibliche und männliche Perspektive
Kapitellänge: kurz bis mittel
Tiere im Buch: + Im Buch werden keine Tiere verletzt oder getötet.

Warum dieses Buch?

Da Rot nicht gerade meine Lieblingsfarbe ist, hätte ich im Laden wohl eher einen Bogen um das Buch gemacht. Doch als so viele Leser/innen so davon geschwärmt haben und ich nur Gutes darüber gehört habe, wurde ich nach und nach immer neugieriger, bis irgendwann feststand: Ich muss dieses Buch unbedingt lesen!

Meine Meinung

Einstieg (♥)

Ich habe absolut problemlos in die Geschichte gefunden, konnte sofort in sie eintauchen. An die originelle Erzählweise – den Podcast – musste ich mich nicht erst gewöhnen, vielmehr habe ich von der ersten Seite an beim Lesen West McCrays Stimme in meinem Ohr gehört.

"Es ist eine Geschichte über Familie, über Schwestern und das Leben in einer amerikanischen Kleinstadt. Darüber, wie weit wir gehen, um unsere Liebsten zu beschützen ... und wie hoch der Preis ist, wenn es uns nicht gelingt.
Und sie beginnt, wie so viele Geschichten, mit einem toten Mädchen." Seite 5

Schreibstil & Aufbau (♥)

„Es verschwinden ständig Mädchen.“ Seite 21

Für ihre kreative Erzählweise hat die Autorin großes Lob verdient: Kapitel, in denen Sadie selbst zu Wort kommt, wechseln sich ab mit dem transkribierten True-Crime-Podcast des Journalisten West McCray, der es sich zum Ziel gesetzt hat, die verschwundene Neunzehnjährige zu finden und sie heil zurückzubringen. Dabei verfolgt West immer fieberhafter ihre Spur von Stadt zu Stadt. Immer dichter scheint er ihr auf den Fersen zu sein, immer mehr scheint er aufzuholen. Schon auf den ersten Seiten kommt dieses typische „Podcast-Feeling“ auf, was an der mündlich geprägten Sprache und den sehr lebendigen, authentisch unperfekten Dialogen liegt. Auch, wenn ich am Anfang nicht immer wusste, wer gerade im Studio ist anwesend ist, so fühlte ich mich schon bald, als würde ich tatsächlich den verschiedenen Stimmen im Radio lauschen. Diese Erzählweise ist so wunderbar erfrischend und originell, dass mir das Lesen großen Spaß gemacht hat!

An dieser Stelle noch ein Vorschlag: Als Hörbuch wäre dieses Buch sicher auch ein ganz tolles Erlebnis. Wenn es möglich wäre, sich Wests Show wirklich anzuhören, wäre das die Kirsche auf der Torte und würde die Atmosphäre noch dichter werden lassen. Auch eine Verfilmung könnte ich mir übrigens sehr gut vorstellen.

Aber die Kapitel aus Sadies Sicht sind mindestens ebenso gelungen. Auch wenn sie am Beginn etwas langatmig wirkten und ich mich erst an Sadies Stimme gewöhnen musste, fand ich sie mit jeder Seite besser. Courtney Summers schreibt zwar einfach – was der Zielgruppe gefallen wird –, aber niemals oberflächlich. Im Gegenteil, ihre Worte sind eindringlich, bewegend und intensiv und beschreiben auf einfühlsame Weise die Gefühls- und Gedankenwelt einer Jugendlichen, die sich im Ausnahmezustand befindet. Beide Teile dieser Erzählweise greifen hierbei ineinander wie Zahnräder und verbinden sich zu einer großartigen Geschichte.

Inhalt, Themen, Botschaften & Ende (♥)

Sadie und Mattie sind in einem Trailerpark aufgewachsen – als Kinder einer Drogensüchtigen und in einer Stadt ohne Perspektiven. Schon auf den ersten Seiten wird deutlich, dass diese Geschichte zum Teil auch eine Milieu-Studie ist, die das harte Leben der Unterschicht im ländlichen Amerika eindrucksvoll in all seiner deprimierenden Trostlosigkeit und Tristesse beschreibt. An diesem Ort beginnt die Geschichte. Courtney Summers ist mit diesem Roman einen mutigen Weg gegangen. Sie beschäftigt sich mit menschlichen Abgründen und sehr ernsten Themen und schafft es, diese tiefgründig, einfühlsam und für Jugendliche geeignet aufzubereiten. Trotzdem werden auch Erwachsene an der Geschichte großen Gefallen finden. Themen wie Verlust, die Sehnsucht nach Liebe, zerrüttete Familien, Drogen, Alkohol und ein Leben voller Armut und Perspektivlosigkeit behandelt die Autorin in ihrem Roman. Im Mittelpunkt stehen jedoch Pädophilie, sexueller Missbrauch, das Leid der Opfer, unverzeihliche Fehler, Schuldgefühle und Rache – Themen, die eine Herausforderung für wohl jede/n Autor/in darstellen – Courtney Summers meistert sie problemlos.

„Sadie“ verlangt seinen Leser/innen einiges ab und präsentiert ihnen eine komplexe und schmerzhafte Realität: Das Böse lauert oft dort, wo man es nicht erwarten würde, Unschuldige werden verletzt, Verbrecher kommen davon und die Hauptfigur ist eine gebrochene Frau, die einen Mord plant. „Sadie“ betet Jugendlichen nicht vor, welches Verhalten gut und welches schlecht ist, sondern spielt mit den Graubereichen zwischen richtig und falsch und lässt das Publikum selbst entscheiden.

„Sadie“ ist ein Roman, der sich mit jeder Seite mehr in mein Herz geschlichen hat, ein Roman, der mich mit jedem Satz mehr fesselte, berührte, schockierte und zum Nachdenken brachte. Auch Tage nach der Lektüre hat mich die Geschichte immer noch nicht richtig losgelassen. Wohl auch wegen des relativ offenen Endes, das mich zwar unfassbar unbefriedigt und wütend zurückgelassen hat, das aber gerade deswegen so genial ist: Courntey Summers lässt Sadies Geschichte enden, wie viele ähnliche Geschichten in der realen Welt nun einmal enden und schafft damit einen Schluss, der schockiert, bewegt und lange nachhallt. Das Buch eignet sich auch perfekt als Schullektüre – allerdings würde ich dringend empfehlen, dass es im Anschluss intensiv nachbereitet wird, um die Heranwachsenden mit ihren Gefühlen nicht allein zu lassen, um moralische Fragen zu diskutieren und deutlich zu machen, dass Selbstjustiz niemals der richtige Weg sein kann. Und um mit ihnen über Missbrauch und sexualisierte Gewalt zu sprechen und auf Hilfsangebote und Anlaufstellen zu verweisen.

„‘Menschen ändern sich nicht. Sie lernen nur, besser zu verheimlichen, wer sie wirklich sind.‘“ Seite 80

Protagonistin und Figuren (♥)

Der Verlag schreibt, dass Courtney Summers Bücher sich durch eigensinnige, kompromisslose Frauenfiguren auszeichnen – und genau so könnte Sadie beschrieben werden. Sie ist eine starke, komplexe, intelligente Heldin, die sich zwar oft härter gibt, als sie eigentlich ist, die die Leser/innen aber in selten, berührenden Momenten aber auch ihre verletzliche Seite sehen lässt. Zudem stottert sie und kann sich dadurch meist nicht so ausdrücken, wie sie möchte. Doch auch davon lässt sich Sadie nicht unterkriegen. Sie ist eine wunderbare Protagonistin, die mir mit jeder Seite mehr ans Herz gewachsen ist. Auch wenn ich niemals handeln würde wie sie, konnte ich die Motive dieser trauernden, wütenden Jugendlichen, der alles genommen wurde, die nichts mehr zu verlieren hat und die gerade deshalb wie besessen an ihrem Plan festhält, den Mörder ihrer Schwester zu töten und sie damit zu rächen – auch wenn sie sich selbst dabei in große Gefahr begibt –, absolut nachvollziehen. Ihre widerstreitenden Gefühle, Ängste und Zweifel haben mich tief berührt, und die Tragik von Sadies Geschichte hat mir das Herz gebrochen.

Auch die anderen Figuren sind erstaunlich dreidimensional und liebevoll gezeichnet, obwohl die meisten Sadie nur auf einem ganz kurzen Stück ihrer Reise begleiten. Sie hat dabei das Glück, auf einige ganz tolle Menschen zu treffen. Die Figuren sind meiner Meinung nach bei einem Roman sehr wichtig – und was das betrifft, hat Courtney Summers alles richtig gemacht.

"Aber Liebe ist kompliziert, sie ist wirr. Sie kann Selbstlosigkeit hervorrufen, Egoismus, unsere größte Erfolge und unsere schlimmsten Fehler. Sie bringt uns zusammen und kann uns genauso gut auseinanderreißen." Seite 155

Spannung & Atmosphäre (♥)

Dabei schafft es die Autorin nicht nur, große Emotionen auszulösen, sondern auch atemlose, unheilvolle Spannung und eine dichte Atmosphäre zu erzeugen. Immer wieder hatte ich beim Lesen Gänsehaut, immer wieder konnten mich Wendungen vollkommen überraschen. Je dichter West Sadie auf den Fersen war, desto schneller habe ich gelesen, weil ich unbedingt wissen wollte, wie es weitergeht und weil ich so gehofft habe, dass er Sadie finden und heil nach Hause bringen kann, bevor sie eine Dummheit begeht oder ihr etwas Schlimmes zustößt. Über allem liegt ein gewisser Zeitdruck: Man hat beim Lesen ständig das Gefühl, dass West die Zeit davonrennt, was einen die Seiten automatisch noch schneller umblättern lässt. Ein Treufelskreis entsteht – und ein unglaublicher Pageturner, der auch euch nicht kaltlassen wird!

Feministischer Blickwinkel (♥)

Was diesen Aspekt betrifft, gehört die Autorin mit Lob überschüttet: Sie setzt eine starke, furchtlose junge Frau ins Zentrum ihrer Geschichte, erlaubt Männern zu weinen (ohne dass sie dafür jemals verurteilt werden), adressiert LGBTQAI-Aspekte, kritisiert toxische Männlichkeit (Missbrauch, Sexismus, Gewalt gegen Frauen) und zeigt auf, wie gefährliche die Welt für junge Frauen und Kinder auch heute leider noch ist. Nirgends sind sie sicher: Nicht in fremden Autos, wenn sie trampen, nicht beim Sporttraining – nicht einmal in den eigenen vier Wänden. Das stimmt übrigens: Die größte Gefahr für Frauen und Kinder geht nicht vom Fremden aus, der sie ins Auto locken will oder ihnen in einer dunklen Gasse auflauert – sondern von Freunden, Bekannten und der eigenen Familie. Danke an Courtney Summers dafür, dass sie versucht, mit diesem Buch aufzurütteln und uns zu ermahnen, ganz genau hinzusehen. Missbrauch kann nämlich jede/n treffen – auch die geliebte Nichte, den kleinen Bruder oder das eigene Kind.

Mein Fazit

„Sadie“ ist ein originell geschriebener, rundum gelungener Jugendthriller, der mich absolut begeistern konnte. Das lag unter anderem am einfachen (perfekt für die Zielgruppe geeigneten), aber unheimlich eindringlichen, einfühlsamen und intensiven Schreibstil, an der liebevollen Figurenzeichnung und an der kreativen Erzählweise, die Kapitel aus Sadies Sicht und einen True-Crime-Podcast gelungen verbindet. Mit Sadie hat die Autorin eine starke, mutige, kompromisslose und tragische Hauptfigur geschaffen, die auch ihre schwachen Momente hat, mit der ich mitfühlen und mitleiden konnte und die mir mit jeder Seite mehr ans Herz gewachsen ist. Atemlose spannend, wendungsreich und atmosphärisch dicht behandelt Courtney Summers schwierige Themen wie sexuellen Missbrauch, Trauer, Schuld- und Rachegefühle tiefgründig und eindrucksvoll. Dabei gelingt es der Autorin, uns aufzurütteln und uns zu ermahnen, ganz genau hinzusehen. Missbrauch kann nämlich jede/n treffen – auch die geliebte Nichte, den kleinen Bruder oder das eigene Kind. Die Geschichte hat mich aufgewühlt, schockiert, berührt, mitgerissen und mich nach der Lektüre lange nicht losgelassen.Fazit: "Sadie" ist ein großartiges Jugendbuch, das mir das Herz gebrochen hat – möglicherweise sogar das beste des Jahres.

Empfehlung: Das Buch ist auch als Schullektüre geeignet. Im Anschluss sollte das Buch aber auf jeden Fall intensiv mit den Jugendlichen nachbesprochen werden, um sie nicht alleine mit ihren (ohne Zweifel aufgewühlten) Gefühlen zu lassen, um über Moral und Selbstjustiz zu diskutieren und um mit ihnen über Missbrauch, sexualisierte Gewalt und Hilfsangebote zu sprechen.

Uneingeschränkte Leseempfehlung!

Bewertung

Idee, Themen, Botschaft: 5 Sterne ♥
Umsetzung: 5 Sterne ♥
Worldbuilding: 5 Sterne ♥
Einstieg: 5 Sterne ♥
Schreibstil: 5 Sterne ♥
Figuren: 5 Sterne ♥
Atmosphäre: 5 Sterne ♥
Spannung: 5 Sterne ♥
Ende / Auflösung: 5 Sterne ♥
Emotionale Involviertheit: 5 Sterne ♥
Feministischer Blickwinkel: ♥

Insgesamt:

❀❀❀❀❀♥ Lilien

Dieses Buch bekommt von mir fünf begeisterte Lilien und ein Herz – und somit den Lieblingsbuchstatus!

Veröffentlicht am 22.04.2019

Leider nicht so berührend wie erhofft

Ein Song bleibt für immer
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Spoilerfreie Rezension!


Inhalt

Alice Martineau leidet schon seit ihrer Geburt an Mukoviszidose, einer vererbbaren Stoffwechselstörung, die vor allem zu Problemen mit den Atemwegen und der Verdauung ...

Spoilerfreie Rezension!


Inhalt

Alice Martineau leidet schon seit ihrer Geburt an Mukoviszidose, einer vererbbaren Stoffwechselstörung, die vor allem zu Problemen mit den Atemwegen und der Verdauung führt. Wie lange sie noch zu leben hat, weiß sie nicht. Aber als sie eines Tages ihren Modeljob kündigt, beschließt sie, von nun an ihrem Herzen zu folgen und die ihr verbliebene Zeit zu nutzen, um sich endlich ihren größten Traum zu erfüllen: eine berühmte Sängerin zu werden und die Menschen mit ihrer Musik zu berühren. Eine anstrengende Reise voller Hindernisse und großer Hoffnungen beginnt…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Verlag: Bastei Lübbe
Seitenzahl: 432
Erzählweise: Ich-Erzählerin, Präteritum und Präsens
Perspektive: aus weiblichen Perspektiven (Mutter und Tochter)
Kapitellänge: kurz bis mittel
Tiere im Buch: +/- Im Buch werden zwar keine Tiere verletzt oder getötet – im Gegenteil, Alice und ihre Familie kümmern sich sehr liebevoll um ihre zwei (juhuu! Endlich mal keine Einzelhaltung) Katzen. Jedoch wird im Buch Pelz getragen und viel Fleisch gegessen.

Warum dieses Buch?

Der Klappentext klang so interessant, dass ich das Buch unbedingt lesen wollte. Zudem hat es natürlich auch mein Interesse geweckt, dass Robbie Williams dieses Buch als „Inspirierend“ bezeichnet hat. Nach dem Lesen wurde mir auch klar, warum gerade er am Cover zitiert wird: Er hat selbst eine kleine „Rolle“ im Buch. Ein geschickter Schachzug der Autorin!

Meine Meinung

Einstieg (+/-)

„Ich lebe seit sechsundzwanzig Jahren mit Mukoviszidose. Wenn ich aufwache, spüre ich meine Lungen und meine Brust und sonst gar nichts. Bevor ich das Haus verlasse, muss ich immer eine Handvoll Pillen schlucken und bestimmte Wirkstoffe aus Maschinen inhalieren, die mir das Atmen erleichtern. Mein Husten ist immer da. Es ist mein ständiger Begleiter, Tag und Nacht.“ E-Book, Position 162

Der Einstieg ist mir leicht gefallen, da sich die Geschichte sehr flüssig lesen lässt. Jedoch hat es trotzdem lange gedauert, bis ich in der Geschichte angekommen war und sie mich in gewissem Maße fesseln konnte.

Schreibstil & Aufbau (+/-)

Die Geschichte wird hauptsächlich aus Alices Sicht erzählt, doch dazwischen gibt es immer wieder Tagebucheinträge ihrer Mutter zu lesen, die uns ihre Sichtweise der Ereignisse und ihre Sorgen mitteilt. Es muss sehr schwer sein, ein todkrankes Kind zu haben und zu wissen, dass man es in nicht allzu ferner Zeit verlieren wird.

Einerseits ist der Schreibstil sehr einfach, flüssig und angenehm zu lesen. Alice Peterson schreibt anschaulich, aber geht bei ihren Beschreibungen nicht zu sehr ins Detail, wodurch sich die Geschichte sehr schnell lesen lässt. Leider wirkte die Sprache auf mich durch die geringe Komplexität und die einfache, wenig abwechslungsreiche Wortwahl ein wenig oberflächlich. Sie erinnerte mich stellenweise (nicht immer) an diesen „Chick-Lit“-Stil, den ich leider nicht besonders mag. Auch die pathetische, teilweise sehr kitschige Art der Autorin, Vorkommnisse zu schildern trug zu diesem Eindruck bei. Manche Szenen haben bei mir daher zu innerlichem Augenrollen geführt.

Inhalt, Themen, Botschaften & Ende (+/-)

„Als sie mich auf meine schlanke Figur ansprach, hätte ich ihr erzählen können, dass ein Teil meines Darms entfernt worden ist – inzwischen fehlen mir bestimmt drei Viertel. Ich bin so schlank, weil ich Nahrung nicht richtig verdauen und daher auch nicht ausreichend verwerten kann; dazu kommen das ständige Husten und das mühsame Atmen. Das alles verbrennt in jeder Sekunde meines Lebens Tausende Kalorien.“ E-Book, Position 175

Viele Dinge haben mir, was den Inhalt betrifft, sehr gut gefallen. Zum einen gefiel mir, wie sensibel und doch ehrlich die Autorin das Leben mit dieser furchtbaren Krankheit beschreibt. Dabei konnte ich sehr viel dazulernen. Die Lebensfreude, die Alice und ihre ebenfalls erkrankten Freundinnen trotz allem haben, ist stets spürbar, und Alice Peterson zeigt in ihrem Roman, dass Kranke viel mehr sind als ihre Krankheit: Sie sind ebenso komplex, emotional, humorvoll und launisch wie gesunde Menschen. Im Buch geht es um Liebe, Freundschaft, Hoffnungen und Träume, Familie, den Alltag mit einer tödlichen Krankheit, den Umgang mit der eigenen Sterblichkeit und den Wunsch, der Nachwelt etwas von sich zu hinterlassen und somit in gewisser Weise unsterblich zu werden.

Alices Kraft und ihren Ehrgeiz, es trotz aller Hindernisse bis ganz nach oben zu schaffen, haben mich sehr beeindruckt! Ihre Hoffnungen, Ängste und Zweifel wurden zudem glaubwürdig und tiefgründig geschildert. Sehr überrascht war ich, als ich am Ende des Buches herausgefunden habe, dass das Buch auf einer wahren Geschichte und Person basiert. Alice Martineaus Lieder kann man sich auf „Youtube“ tatsächlich anhören. Das Ende kam dann überraschend schnell; ich fand es (auch wenn ich mir ein anderes gewünscht hätte) dennoch rund und gelungen.

Leider hat es auch Aspekte gegeben, die mir nicht gefallen haben. Zum einen kam es im Mittelteil durch Alices gesundheitliche Probleme und durch andere Rückschläge immer wieder zu inhaltlichen Wiederholungen, was manche Abschnitte etwas langatmig machte. Hier hätte man kürzen können, um dem Buch mehr Spannung und Tempo zu verleihen. Außerdem fand ich das Buch trotz allem sehr deprimierend, es hat mich beim Lesen runtergezogen, obwohl die Autorin doch eigentlich inspirieren, berühren und die Hoffnung in den Mittelpunkt rücken wollte. (Das das nicht sein muss, auch wenn ein Buch ein deprimierendes Thema behandelt, hat John Green mit „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ eindrucksvoll gezeigt. Falls ihr es übrigens immer noch nicht gelesen habt (Schande! ;) ) – ich möchte es euch hiermit wärmstens ans Herz legen.) Obwohl das Buch einige traurige und berührende Momente beinhaltet, gab es leider auch Stellen, die mich kaltgelassen haben. Zum Weinen gebracht hat mich das Buch nicht ein einziges Mal, und ich bin eigentlich eine emotionale Leserin. Das Buch konnte mich somit leider nicht durchgehend überzeugen.

Protagonistin und Figuren (+)

„‘Ich möchte etwas hinterlassen, wenn ich sterbe, etwas, das mir wichtig ist und anderen, etwas, bei dem man sich an mich erinnert, etwas, das bleibt…‘“ E-Book, Position 987

Alice hat mir als Protagonistin gut gefallen. Sie ist eine starke, ehrgeizige Frau, die nicht aufgibt, egal wie viele Steine ihr vom Leben auch in den Weg geworfen werden. Zudem habe ich ihren Humor geliebt, der manchmal durchaus recht schwarz ist. Dennoch konnte sie mich nicht ganz erreichen, ständig war da eine gewisse Distanz zu ihr. Leider konnte sie mir daher nicht ans Herz wachsen und zu einer unvergesslichen Heldin für mich werden. Ich habe zwar teilweise mit ihr mitgelitten und um sie gebangt, aber oft auch nur moderat mitgefühlt. Das ist ein schade, hier hätte ich mir mehr erwartet. Genervt hat mich zudem die irritierende Häufigkeit, mit der sie von anderen Personen als „wunderschön“ beschrieben wurde. Ja, wir haben es langsam verstanden – sie ist schön, auch wenn sie krank ist!

Die anderen Figuren sind verschieden gut gelungen. Manche von ihnen bleiben blass und eindimensional, andere werden greifbar und wirken sehr lebendig und echt. Besonders gerne mochte ich Alices Familie. Sie hat wirklich Glück, solche Eltern zu haben.

Liebesgeschichte (+/-)

Alice Petersons Geschichte ist eine Mischung aus Roman und Liebesroman. Sehr gut gefallen hat mir, dass die Liebesgeschichte sich langsam und glaubwürdig entwickelt. Sie ist nicht perfekt, es gibt Streit und Meinungsverschiedenheiten. Gerade das fand ich sehr erfrischend und authentisch. Dennoch ist es der Autorin nicht gelungen, dass ich beim Lesen auch ein Kribbeln spürte und mich ebenfalls in Tom verliebte. Deshalb hielt sich die Begeisterung leider trotzdem in Grenzen.

Spannung & Atmosphäre (+/-)

Auch was diesen Unterpunkt betrifft, hat der Roman seine Stärken und Schwächen. Einerseits enthält die Geschichte sehr spannende Momente und Passagen, bei denen ich unbedingt wissen wollte, wie es weitergeht. Manchmal weil ich Angst um Alice hatte, manchmal weil ich auf den erhofften Durchbruch wartete. Andererseits gab es auch Abschnitte in der Mitte, die sich für mich sehr zogen, weil es inhaltliche Wiederholungen gab oder weil wenig (Neues) passierte. Was die Atmosphäre betrifft, so hatte das Buch, wie schon weiter oben angesprochen, eine deprimierende Wirkung auf mich, die mich beim Lesen eher runtergezogen hat. Daher auch meine Empfehlung: Wenn ihr gerade selbst depressiv oder traurig seid, solltet ihr um dieses Buch eher einen Bogen machen.

Feministischer Blickwinkel (+/-)

Im Zentrum von Alice Petersons Buch steht eine sehr starke und selbstbewusste Heldin, die sich nicht unterkriegen lässt. Zudem werden toxische Beziehungen und Gewalt gegen Frauen thematisiert und scharf kritisiert, was ich toll finde! Jedoch werden Geschlechterstereotypen (die immerhin einen Risikofaktor für Gewalt gegen Frauen darstellen) teilweise (nicht immer!) gefördert, was gar nicht gut bei mir ankommt. Beispielsweise sind es immer die Frauen, die bei jeder Gelegenheit kochen. Warum? Zudem ist die Rollenverteilung in der Familie sehr klassisch: Die Mutter hat ihren Job und ihre Träume aufgegeben, um für ihre Tochter zu sorgen, der Mann ist Anwalt. Sehr problematisch finde ich, dass es so dargestellt wird, als würde der Ehemann überhaupt keine Ahnung vom Haushalt haben. Cool! Also bleibt neben der Pflege der Tochter auch noch der ganze Haushalt (auch am Wochenende) an der Mutter hängen. Ernsthaft? Es wird auch für „berührende Romane“ Zeit, im Jahre 2019 anzukommen.

Mein Fazit

„Ein Song bleibt für immer“ hat durchaus seine gelungenen, emotionalen und berührenden Momente, konnte mich jedoch leider nicht so bewegen und mitreißen, wie ich mir das gewünscht hätte. Taschentücher brauchte ich beim Lesen jedenfalls keine. Auf sensible und doch sehr ehrlich Weise beschreibt die Autorin den Alltag mit Mukoviszidose, einer unheilbaren Krankheit, die zu Alices Tod führen wird. Themen wie Liebe, Freundschaft, große Träume, der Umgang mit der eigenen Sterblichkeit und der Wunsch, der Nachwelt etwas von sich zu hinterlassen, stehen dabei im Zentrum der Geschichte und werden tiefgründig behandelt. Alice ist eine sympathische, lebensfrohe und sehr starke Heldin, die mich dennoch nicht immer erreichen konnte. Die anderen Figuren sind großteils gelungen, die authentisch unperfekte Liebesgeschichte konnte mich nicht ganz überzeugen. Der Schreibstil ist zwar flüssig und angenehm lesbar, leider war er mir aber auch oft zu oberflächlich, kitschig und pathetisch. Nicht so gut gefallen hat mir außerdem, dass das Buch eine sehr deprimierende Wirkung auf mich hatte und mich beim Lesen runtergezogen hat, auch wenn es mich eher inspirieren und mich hoffnungsvoll zurücklassen hätte sollen. Auch inhaltliche Wiederholungen und Spannungseinbrüche führen dazu, dass ich Sterne abziehen muss. Fazit: Insgesamt ist „Ein Song bleibt für immer“ ein Buch mit vielen guten Momenten, aber auch Schwächen, von dem ich mir schlussendlich doch mehr erwartet hätte.

Bewertung

Idee, Themen, Botschaft: 5 Sterne ♥
Umsetzung: 3 Sterne
Worldbuilding: 4 Sterne
Einstieg: 3 Sterne
Schreibstil: 3 Sterne
Protagonistin: 4 Sterne
Figuren: 4 Sterne
Liebesgeschichte: 3,5 Sterne
Atmosphäre: 4 Sterne
Spannung: 3 Sterne
Ende / Auflösung: 4 Sterne
Emotionale Involviertheit: 3,5 Sterne
Feministischer Blickwinkel: + / -

Insgesamt:

❀❀❀,5 Lilien

Dieses Buch bekommt von mir dreieinhalb Lilien!

Veröffentlicht am 17.04.2019

Atemlos spannender, sehr unterhaltsamer Pageturner!

Die Party
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Spoilerfreie Rezension!


Inhalt

Zehn ehemalige Jugendfreunde erhalten eine mysteriöse Einladung zu einer Halloween-Party: Brandon lädt sie in seinen abgeschiedenen Luxus-Bungalow ein, will sich an ...

Spoilerfreie Rezension!


Inhalt

Zehn ehemalige Jugendfreunde erhalten eine mysteriöse Einladung zu einer Halloween-Party: Brandon lädt sie in seinen abgeschiedenen Luxus-Bungalow ein, will sich an alte Zeiten erinnern und die 80er- Jahre wieder aufleben lassen. Einige Personen zögern, doch schlussendlich erscheinen sie alle aus den verschiedensten Gründen. Doch bereits in den ersten Minuten ereignet sich ein tragischer Unfall: Der Gastgeber wird von einem herabstürzenden Kronleuchter getötet. Alte Freundschaften und Feindschaften lodern wieder auf, als etwas Schreckliches klar wird: Ein Mörder geht um…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Verlag: Heyne
Seitenzahl: 368
Erzählweise: Figuraler Erzähler, hauptsächlich Präteritum, selten Präsens
Perspektive: aus vielen verschiedenen weiblichen und männlichen Perspektiven
Kapitellänge: angenehm kurz, sorgt für Tempo
Tiere im Buch: + Im Buch werden keine Tiere verletzt oder getötet.

Warum dieses Buch?

Den letzten Thriller des Autors, „Murder Park“, habe ich geliebt! Ich fand ihn wahnsinnig spannend, atmosphärisch und unheimlich. (Ich kann euch dieses Buch übrigens nur wärmstens ans Herz legen!) Aus diesem Grunde habe ich schon lange auf das neueste Werk des Autors gewartet – als es dann endlich erschienen ist, musste ich es natürlich lesen.

Meine Meinung

Einstieg (+)

Es hat nur wenige Kapitel gedauert, dann war ich bereits vollkommen in die Geschichte eingetaucht. Bereits auf den ersten Seiten überschlagen sich die Ereignisse – das Buch hat sofort einen Sog auf mich ausgeübt, dem ich mich nur schwer entziehen konnte.

„Es ist der 31. Oktober 2018.
Ein schöner Herbstnachmittag.
Und Brandon hat noch gut eine Stunde zu leben.“ Seite 11

Schreibstil (♥)

Der Schreibstil kann zwar nicht als poetisch beschrieben werden, aber er ist perfekt geeignet für einen Horrorroman / Thriller wie diesen. Denn: Jonas Winner schreibt einfach, flüssig, sehr angenehm und temporeich, so dass es beim Lesen niemals langweilig wird. Dabei sind die Beschreibungen sehr anschaulich, sodass alles im Kopf sofort Gestalt annimmt; jedoch verliert sich der Autor niemals in unnötigen Details. Auch dieses Mal gelingt es ihm wieder, eine unheimliche Grundspannung zu erzeugen, aber auch dann zu glänzen, wenn es darum geht, ruhigere Momente oder die Gefühls- und Gedankenwelt der Figuren zu schildern. Dabei verändert sich die Sprache (besonders die kursiv gedruckten Gedanken) stets so, dass sie zur jeweiligen Person passt, wodurch die einzelnen Kapitel sehr authentisch wirken.

Ein großes Lob gibt es auch für die unheimlich lebendigen, realistischen, temporeichen Dialoge, die wirklich sehr gut gelungen sind und sehr viel zur nervenzerreißenden Atmosphäre beitragen!

Inhalt, Themen, Botschaften & Ende (+)

Erneut ist es dem Autor gelungen, eine wendungsreiche und sehr spannende Geschichte zu konstruieren, die absolut unvorhersehbar ist. Das Setting und die Handlung selbst erinnern (wie viele Rezensentinnen vor mir schon angemerkt haben) an einen Horrorfilm aus den 80er-Jahren. Jedoch ist der Thriller viel tiefgründiger und weniger trashig als jene Filme. Menschen, die in den 80er Jahren aufgewachsen sind oder diese in ihrer Jugend oder in ihren frühen Erwachsenenjahren bewusst miterlebt haben, werden durch dieses Buch eingeladen, in Erinnerungen zu schwelgen und sich an eine Zeit zu erinnern, in der Berühmtheiten wie Madonna und Michael Jackson gerade ganz groß wurden und in der Filme wie „Der weiße Hai“ und „E. T.“ die Massen begeisterten. Immer wieder fließen nostalgische Erinnerungen, aufschlussreiche Rückblenden und alte Songtexte in die Geschichte ein und lassen so die 80er wieder auferstehen.

Thematisch stehen alte Freund- und Feindschaften im Mittelpunkt, auch die Figuren schwelgen in Erinnerungen und denken zurück an ihre Jugend. Aber auch die jugendlichen Hoffnungen und kühnen Träume, die im Laufe der Jahre an der Realität zerschellt sind, und die Spuren, die das Leben in all den Jahren bereits hinterlassen hat, werden gelungen und teilweise sogar tiefgründig thematisiert. Der Autor verwöhnt seine Leser
innen mit vielen überraschenden und völlig unerwarteten Wendungen, das Miträtseln und Verdächtigen macht hierbei großen Spaß! Die Kapitel sind so geschickt geschrieben, dass man ständig auf falsche Fährten gelockt wird, Theorien aufstellt und diese bald schon wieder verwerfen muss. Man beginnt irgendwann, jeder und jedem zu misstrauen – und schon fühlt man sich, als wäre man selbst dort.

Ich weiß, dass der Autor immer versucht, seinen Leser_innen kreative, überraschende und abgedrehte Auflösungen zu bieten. Und das fand ich in „Murder Park“ unglaublich gelungen! Die Auflösung hier war mir dann jedoch etwas zu konstruiert, abgedreht und an den Haaren herbeigezogen, manche Schlussfolgerungen der Figuren fand ich auch sehr unrealistisch und unlogisch (auf so etwas würde ein normaler Mensch doch nicht kommen!). Das tat dem Lesespaß allerdings nicht wirklich einen Abbruch!

„'Damals, als 1986 seine Halloweenparty hier stattgefunden hat. Das weiß ich doch noch! Wir glaubten, alles Mögliche erreichen zu können. Man macht sich große Hoffnungen – und dann, beim nächsten Mal, wenn man drüber nachdenkt, ist die Zeit abgelaufen und man hat nichts erreicht.'“ Seite 218

Protagonistin und Figuren (+)

Was die Figuren betrifft, so bietet uns der Autor hier einen bunten Mix, verschiedenste Charaktere sind dabei. Manche davon waren mir sofort sympathisch, andere habe ich vom ersten Moment an gehasst. Am Beginn war es für mich nicht immer leicht, die verschiedenen Personen, ihre Berufe und Kostüme auseinanderzuhalten – doch auch hier wurde vorgesorgt: Am Ende des Buches gibt es ein sehr praktisches Personenverzeichnis, dass mir sehr weitergeholfen hat. Irgendwann braucht man das aber auch gar nicht mehr. Nicht alle Figuren sind gleich gut ausgearbeitet, aber bei allen hat sich der Autor erkennbar bemüht, sie möglichst dreidimensional zu zeichnen. Großteils ist das auch gelungen – in einem für dieses Genre angemessenen Maß, das mich zufrieden gestellt hat.

Etwas gestört hat mich das teilweise nicht nachvollziehbare bis dumme Verhalten einiger Figuren. Wie auch in den Horrorfilmen, auf die immer wieder angespielt wird, möchte man die Figuren immer wieder mal anschreien und sie schütteln. Beispielsweise ist es einfach nur lebensmüde, sich in Zweiergruppen aufzuteilen, wenn man weiß, dass ein Mörder umgeht! Möglicherweise war aber auch das eine Hommage an die trashigen Gruselfilme.

Spannung & Atmosphäre (♥)

Die größte Stärke des Buches ist auch dieses Mal wieder die atemlose Spannung, die sich durch die ganze Geschichte zieht. Das Buch glänzt mit unerwarteten Wendungen und gelungenen Cliffhangern, die einen (auch durch die oft sehr kurzen Kapitel) nur so durch die Geschichte fliegen lassen. Erneut gibt es herrlich unheimliche Momente – man hält die Luft an, bekommt Gänsehaut und traut sich fast nicht, weiterzulesen. Dabei scheut sich der Autor erneut überhaupt nicht, ins Detail zu gehen, wenn jemand sehr unschön stirbt. Aus diesem Grund ist dieses Buch sensiblen Seelen und empfindlichen Mägen nur mit Vorsicht zu empfehlen. Den kurzen Spannungseinbruch im mittleren Teil der Geschichte verzeihe ich.

Dadurch, dass man irgendwann selbst paranoid wird, jede Geste und jeden Blick hinterfragt und niemandem mehr vertraut, entsteht eine dichte, angespannte Atmosphäre, die durch das Setting – ein großes, unübersichtliches Haus voller Gefahren, keine Möglichkeit, Hilfe zu holen, das gegenseitige Verdächtigen – nur noch verstärkt wird. Das Ganze erinnert natürlich ein bisschen an „Murder Park“ – das hat mich aber überhaupt nicht gestört. Im Gegenteil, ich finde es toll, dass der Autor seine Stärken kennt und wieder einmal zeigt, was er kann. Meiner Meinung ist Jonas Winner momentan einer der Besten, wenn es darum geht, atemlose Spannung und eine unheimliche Atmosphäre zu erzeugen.

Feministischer Blickwinkel (+/-)

Es gibt wieder sehr viele verschiedenen Frauen- und Männerfiguren im Buch. Viele weibliche Personen sind sehr erfolgreich, intelligent und haben tolle Jobs. Dennoch gibt es auch eine Person, die ziemlich ekelhaft (und meiner Meinung nach auch gefährlich) ist, weil sie Frauen objektiviert und auf ihren Körper reduziert. Jedoch wird diese Person sehr negativ dargestellt, sie wird beim Lesen sogar zum Hassobjekt. Auch wenige Fälle von frauenfeindlicher Sprache („80er Schla++++“, „Fo+++“) lassen sich finden. Hier handelt es sich um lebensgefährliche Situationen, in denen die Nerven blank liegen – deshalb, und auch weil Frauen generell als starke, intelligente und vielschichtige Personen dargestellt werden, kann ich das aber verzeihen.

Mein Fazit

Auch wenn mich Jonas Winner mit „Die Party“ nicht ganz so begeistern konnte wie mit „Murder Park“, hat er mich doch mit diesem sehr soliden Thriller, der als Hommage an die Horrorfilme der 80er-Jahre betrachtet werden kann, wieder wunderbar unterhalten. Der Schreibstil ist angenehm und perfekt für einen Thriller geeignet, auch die verschiedenen Charaktere sind sehr gut gelungen. Thematisch und auch was die Figuren betrifft, geht der Autor angemessen (immerhin gibt es viele verschiedene Perspektiven!) in die Tiefe. Alte Freund- und Feindschaften und jugendliche Hoffnungen und kühne Träume, die mittlerweile an der Realität zerschellt sind, stehen hierbei im Mittelpunkt. Jene, die die 80er-Jahre damals bewusst miterlebt haben, werden durch dieses Buch zum Schwelgen in Erinnerungen eingeladen. Lediglich die Auflösung war mir zu konstruiert und abgedreht und wirkte etwas an den Haaren herbeigezogen. Zahlreiche unerwartete Wendungen, eine unheimliche, von gegenseitigem Misstrauen geprägte Atmosphäre und die unvorhersehbare Geschichte sorgen für atemlose Spannung und machen dieses Buch zu einem absoluten Pageturner! Deshalb: Absolute Leseempfehlung für Thriller- und Horrorfans!

Ich werde mit Sicherheit auch die „Zelle“ noch lesen und freue mich schon jetzt auf den nächsten Thriller des Autors, der meiner Meinung momentan einer der besten ist, wenn es darum geht, atemlose Spannung und eine unheimliche Atmosphäre zu erzeugen!

Bewertung

Idee, Themen, Botschaft: 4 Sterne
Umsetzung: 4 Sterne
Worldbuilding: 5 Sterne ♥
Einstieg: 4 Sterne
Schreibstil: 5 Sterne ♥
Figuren: 4,5 Sterne
Atmosphäre: 5 Sterne ♥
Spannung: 5 Sterne ♥
Ende / Auflösung: 2 Sterne
Emotionale Involviertheit: 5 Sterne
Feministischer Blickwinkel: + / -

Insgesamt:

❀❀❀❀ Lilien

Dieses Buch bekommt von mir vier zufriedene Lilien!

Veröffentlicht am 08.04.2019

Herzerwärmende Liebeserklärung an alle Mütter dieser Welt - mit wunderschönen Illustrationen

Mama
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Inhalt

„Mama“ ist eine Liebeserklärung an alle Mütter dieser Welt. Frauen von verschiedenen Kontinenten, aus verschiedenen Kulturen und sogar aus verschiedenen Epochen werden in diesem Buch gefeiert.

Übersicht

Einzelband ...

Inhalt

„Mama“ ist eine Liebeserklärung an alle Mütter dieser Welt. Frauen von verschiedenen Kontinenten, aus verschiedenen Kulturen und sogar aus verschiedenen Epochen werden in diesem Buch gefeiert.

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Verlag: arsEdition
Seitenzahl: 64
Erzählweise: keine durchgehende Erzählperspektive, meistens Ich-Erzähler (aus der Sicht der Mütter)
Tiere im Buch: +/- Es werden im Buch keine Tiere verletzt, jedoch trägt eine Frau Pelz und einen toten Fuchs um den Hals. Hier handelt es jedoch um eine Inuit, die ohne diesen Pelz wahrscheinlich nicht überleben könnte.

Warum dieses Buch?

Dieses Mal wurde mein Wunsch, das Buch zu lesen, durch das Cover ausgelöst. Die Zeichnung fand ich so wundervoll, dass ich das Buch unbedingt lesen wollte.

Meine Meinung

Aufbau & Inhalt (+)

Diese Liebeserklärung an alle Mütter dieser Welt (für mich ist es nicht wirklich ein Kinderbuch!) enthält keine durchgehende Erzählung, sondern einzelne bedeutende und unvergessliche Momente zwischen Mütter und ihren Kindern. Im Mittelpunkt stehen Neugeborene, Babys und Kleinkinder. Gedanken, kleine Wahrheiten, Gedichte und Gefühlsausdrücke, die viele Mütter (und vermutlich auch Väter!) sicher sehr gut nachvollziehen können, ziehen sich durch die Sammlung. Dabei finden auch alltägliche oder anstrengende Situationen ihren Weg ins Buch – diese werden stets mit einer Prise Humor geschildert. „Mama“ eignet sich daher wunderbar als Geschenk (zum Beispiel für den kommenden Muttertag!) für alle Frauen, die vor kurzem Mutter geworden sind, aber auch für jene, die in Erinnerungen schwelgen und sich an die Zeit erinnern wollen, als ihre Kinder noch Babys waren. Da ich selbst keine Kinder habe, konnte mich das Buch nicht so berühren wie gehofft. Mütter wird das Buch jedoch sicher nicht kalt lassen.

Schreibstil (+)

Auch der Schreibstil ist nicht einheitlich. Meist ist er aber sehr einfach gehalten – und dabei dennoch kraftvoll und intensiv. Die Sätze sind oft Liebeserklärungen an die neuen, kleinen Erdenbürger*innen, manchmal humorvoll, manchmal schnörkellos, manchmal poetisch – immer jedoch herzerwärmend und berührend.

„Auf Wiedersehen, junger Vater.
Du bist vor der Erntezeit geflohen.
Wir waren zwei.
Du hast das Feld geräumt.

Nun sind wir wieder zwei.
Am Horizont ein Silberstreif.
In meinem Arm die Zukunft.
Sie schläft.“ Seite 37

Illustrationen (♥)

Den Namen Quentin Gréban werde ich mir definitiv merken! Er hat für dieses Buch einmalige, wunderschöne Illustrationen kreiert, die mich absolut verzaubert haben. Farbenfrohe, zarte, detaillierte Bilder, die über die ganze Seite gehen, wechseln sich dabei mit kleinen, feinen Bleistiftskizzen ab. Die großen Bilder sind Porträtzeichnungen oder zeigen Mütter und ihre Babys in alltäglichen Situationen. Jede einzelne Illustration ist mit viel Herzblut gezeichnet worden, der Respekt und die Liebe für die Mütter, die der Autor hat, sind bei jedem Bild zu spüren. Die Frauen wirken wunderschön, auch wenn ihre Kinder sie vielleicht gerade in den Wahnsinn treiben. Die Nähe zwischen Mutter und Kind wird dabei ganz wundervoll eingefangen.,

Geschlechterrollen & Diversität (♥)

Obwohl auch Männer sich heutzutage selbstverständlich um ihren Nachwuchs kümmern, ist dieses Buch nur den Müttern gewidmet - was okay ist. Ganz unterschiedliche Frauentypen werden dabei präsentiert: Sie haben helle oder dunkle Haut, tragen Kopftuch oder kurze Kleider, stammen aus den verschiedensten Ländern und leben ganz unterschiedliche Leben. Viele lassen sich dabei von ihren Kindern nicht bremsen – und eine Frau arbeitet sogar als Soldatin. Was sie alle gemeinsam haben, ist die bedingungslose Liebe zu ihren Kindern. Auch einengende Rollenbilder, Geschlechterstereotypen und jene ungebetenen Ratschläge, die jede/r an Mütter heranzutragen scheint, werden thematisiert. Der Blick in die Zukunft der kleinen Mädchen ist dabei hoffnungsvoll, was mir ebenfalls sehr gut gefallen hat.

Mein Fazit

„Mama“ von Hélène Delforge ist eine herzerwärmende, berührende Liebeserklärung an alle Mütter dieser Welt. Manchmal einfach und schnörkellos, manchmal humorvoll und oft poetisch werden unvergessliche Momentaufnahmen im Leben einer Mutter in Gedichten und gefühlvollen kleinen Texten festgehalten. Mich selbst (als kinderlose Frau) hat das Buch nicht immer berühren können - Mütter werden jedoch vieles sehr gut nachvollziehen können und sich verstanden und abgeholt fühlen. Das Buch feiert die Nähe zwischen Mamas und ihren Babys und lädt sie zum Schwelgen in Erinnerungen ein. Genau deshalb ist das Buch perfekt als Geschenk für frischgebackene und auch erfahrene Mütter geeignet! Für Kinder würde ich es eher nicht empfehlen (auch wenn es offiziell ein Kinderbuch ist) – sie werden die Bedeutung der Texte vermutlich noch nicht wirklich verstehen. Ein großer Pluspunkt sind zudem die Diversität und die verschiedenen Frauen, die im Buch dargestellt werden. Die Illustrationen jedoch waren mein absolutes Highlight, sie sind wunderschön und mit viel Herzblut gezeichnet worden – in jedem Bild ist der Respekt und die Liebe, die Quentin Gréban Müttern entgegenbringt, spürbar.

Daher: Uneingeschränkte Leseempfehlung für alle Mütter!


Bewertung

Idee: 5 Sterne ♥
Inhalt: 4 Sterne
Ausführung: 4 Sterne
Schreibstil: 4 Sterne
Illustrationen: 5 Sterne ♥
Diversität: ♥
Rollenbilder: ♥

Insgesamt:

❀❀❀❀ Lilien

Dieses Buch erhält von mir vier zufriedene Lilien!

Veröffentlicht am 26.03.2019

Atmosphärischer Ausflug in einen verwunschenen Wald - leider mit Längen

Waldkind
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Spoilerfreie Rezension!


Inhalt

Der Deamhain ist ein verwunschener Wald voller Gefahren, fremdartiger Tiere und Pflanzen – und Magie. Eva, eine toughe Geheimagentin, und Cianna, eine naive Bürgerstochter, ...

Spoilerfreie Rezension!


Inhalt

Der Deamhain ist ein verwunschener Wald voller Gefahren, fremdartiger Tiere und Pflanzen – und Magie. Eva, eine toughe Geheimagentin, und Cianna, eine naive Bürgerstochter, verschlägt es beide aus verschiedenen Gründen in die unberechenbaren Tiefen des Waldes. Ein gefährliches Abenteuer, das beide Leben für immer verändern wird, beginnt…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Band #2 einer sehr lose verbundenen Reihe um die erfundene Welt Athosia
Verlag: Bastei Lübbe
Seitenzahl: 640
Erzählweise: Figuraler Erzähler, Präsens
Perspektive: aus weiblicher Sicht geschrieben (Eva und Cianna)
Kapitellänge: meist mittel bis lang
Tiere im Buch: - Tiere werden als Nahrungsquelle genutzt, sie werden getötet, teilweise schwer verletzt und leiden Qualen. Für sensible Tierfreund_innen ist das Buch daher nicht immer leicht zu verdauen.

Warum dieses Buch?

Nachdem ich das erste Buch der Autorin, „Frostseelen“, absolut geliebt habe und schon ewig das Erscheinen eines neuen Werkes herbeigesehnt habe, führte an diesem Fantasy-Roman natürlich kein Weg vorbei!

Meine Meinung

Einstieg (+/-)

Es hat wieder etwas gedauert, bis ich in die Geschichte gefunden habe – aber das war ja auch bei „Frostseelen“ so. Auch dieses Mal brauchte ich wieder einige Zeit, bis ich ganz in die fremde Welt eintauchen konnte.

„‘Halte dich stets vom Finderwald fern / er frisst Kinder und Schafe so gern.‘“ Seite 106

Schreibstil (+)

Das lag bestimmt auch am Schreibstil. Natalie Speer schreibt flüssig und angenehm, ihre Sprache kann als anspruchsvollerer „Fantasy-Schreibstil“ beschrieben werden. Ganz wunderbar fand ich die gelungenen, teilweise sogar poetischen Vergleiche und Metaphern. Die Beschreibungen sind zudem sehr anschaulich, meist unheimlich atmosphärisch und detailliert. Zeitweise ging es mir hier wieder etwas zu sehr ins Detail, dadurch verliert die Geschichte leider an Tempo. Ein paar Kürzungen hätten das Buch noch besser gemacht.

„Dabei ist der Deamhain wie geschaffen für Albträume. Seine Baumwipfel neigen sich bedrohlich über unsere Hügel. Sie sind so hoch, dass einem beim Anblick schwindelig wird, und ihre Äste greifen wie knorrige Knochenfinger nach dem Wind. Nachts schreien Eulen und andere Tiere in den Tiefen des Waldes wie kleine Kinder.“ Seite 34

Inhalt, Themen, Botschaften & Ende (+)

Einmal mehr entführt uns die Autorin nach Athosia, eine fremde Welt, die ihren ganz eigenen Gesetzen folgt. Es geht wieder um Magie, aber auch um den Kampf dagegen, um Unterdrückung, Sklaverei, Reichtum auf dem Rücken der Armen, Krieg, um Freundschaft, Familie, alte Wunden, gefährliche Abenteuer und geheime Missionen. Das Worldbuilding überzeugt ebenso wie der sorgsam konstruierte, gelungene Plot, der mit einigen Wendungen aufwarten kann. Es macht Spaß, in die geheimnisvollen, wunderschönen, aber auch ebenso gefährlichen Tiefen des Waldes einzutauchen und diese zu erkunden. Dabei wird es zuweilen sehr brutal, actionreich und düster - die Autorin zögert zudem nicht, auch liebgewonnene Figuren sterben zu lassen. Da in Athosia aber gerade Krieg herrscht, verleiht das dem Buch nur mehr Glaubwürdigkeit.

Wie auch schon im letzten Band werden gesellschaftliche Probleme und Fragen thematisiert, die auch in der realen Welt von Bedeutung sind. Auch mit Gesellschaftskritik wird nicht sparsam umgegangen. Das Ende ist dann offener als erwartet, so dass einem nach dem Schluss des Buches noch einige Fragen im Kopf herumspuken. Insgesamt war ich mich dem vielleicht etwas zu schnell abgehandelten Abschluss aber dennoch zufrieden, da alle wichtigen Handlungsstränge zu einem ansprechenden Ende geführt werden.

Protagonistinnen und Figuren (+/-)

Eine der großen Stärken des Buches ist auch dieses Mal wieder die Charakterzeichnung. Vor allem die beiden Hauptfiguren sind liebevoll ausgearbeitete, runde und komplexe Protagonistinnen, die mit ihrer Persönlichkeit und auch der Entwicklung, die sie durchmachen, überzeugen. Die beiden Frauen zeichnen sich am Beginn der Geschichte vor allem durch ihre Gegensätzlichkeit aus: Während Cianna eine verwöhnte, naive, sensible junge Frau ist, kann Eva als toughe, starke Geheimagentin beschrieben werden, die auch ohne mit der Wimper zu zucken über Leichen geht, wenn es sich nicht vermeiden lässt. Trotz dem Herzblut, das ohne Zweifel in die Konzeption der beiden gesteckt wurde, konnten sie mir beide leider nicht so ans Herz wachsen wie Thea in „Frostseelen“ – woran das genau lag, das weiß ich nicht.

Auch die Nebenfiguren sind, soweit möglich, tiefgründig gezeichnet und wirken mit ihren Schwächen und Stärken lebendig und echt. Manche bleiben allerdings das ganze Buch über geheimnisvoll – dabei hätte ich sie gerne noch besser kennengelernt und ihre Beweggründe erfahren (Beispiel: Luka).

„‘Es gibt Vögel, die noch nie jemand gesehen hat, doch ihre Rufe klingen angeblich wie Kinderweinen. Wir nennen sie Bansei. Der, der ihr Weinen in der Abenddämmerung hört, erlebt die nächste nicht mehr.‘“ Seite 130

Spannung & Atmosphäre (+/-)

Nun kommen wir zu meinem einzigen richtigen Kritikpunkt, der mir leider auch die Lektüre teilweise ein wenig vermiest hat. Zuerst zum Positiven: Die Atmosphäre im Buch ist wieder großartig gelungen: Der Deamhain wird vor dem inneren Auge lebendig, man hört es im Unterholz rascheln, riecht förmlich seinen Duft und spürt den Wind auf der Haut. Man bekommt den Eindruck, dass der Wald ein Organismus ist, dass er lebt und pulsiert, und fühlt sich, als wäre man selbst mit Cianna und Eva dort. Teilweise wird es zudem richtig unheimlich, immer wieder habe ich eine Gänsehaut bekommen.

Trotz der tollen Atmosphäre fehlte mir leider über weite Strecken die Spannung. Obwohl es durchaus atemlos spannende Momente und unerwartete Wendungen im Roman gibt, kann der Spannungsbogen leider nicht durchgehend gehalten werden, sondern bricht immer wieder ein. Dadurch entstehen Längen, bei denen ich mich zwingen musste, die Seiten nicht nur zu überfliegen. So mitreißend wie „Frostseelen“ war das „Waldkind“ daher für mich leider nicht, was mich ein bisschen enttäuscht hat. Dennoch hoffe ich natürlich, dass die Autorin ein weiteres Werk in dieser faszinierenden Welt ansiedelt und das dann wieder mehr meinen Geschmack trifft.

„‘Was meint er damit: Der Deamhain ist heute ruhig?‘, fragt einer der beiden Neuen mit beklommener Miene.
‚Dass die Chancen gut stehen, dass keiner von uns bis zur Waldbastion gefressen wird.‘“ Seite 104

Feministischer Blickwinkel (♥)

Hier hat die Autorin ein großes Lob verdient! Wir treffen hier auf die verschiedensten Frauen- und Männerfiguren, Männer dürfen weinen, Frauen dürfen tough und kämpferisch sein. Auch das Liebesleben der Protagonistinnen ist sehr unterschiedlich und keine der Frauen wird jemals dafür verurteilt. Zudem haben viele davon wichtige Führungspositionen inne, es gibt viele Soldatinnen und die Misogynie, die es leider zuweilen auch in Athosia gibt, beeindruckt Eva beispielsweise überhaupt nicht. Im Gegenteil, sie lässt sich nichts sagen und vertraut ihrem eigenen Urteil.

Ein weiterer Punkt, den ich positiv hervorheben möchte, ist die Tatsache, dass es in diesem Fantasy-Roman Diversität und gleichgeschlechtliche Liebe gibt – und zwar ganz ohne Klischees. Zudem wird daraus keine große Sache gemacht, viel eher wirkt es vollkommen normal (was es ja auch ist). Fantasy-Romane sind oft sehr sexistisch und konservativ – Natalie Speer geht hier jedoch einen ganz anderen Weg und kämpft damit für Toleranz. Dafür hat sie ein großes Lob verdient!

Mein Fazit

„Waldkind“ konnte mich leider nicht ganz so begeistern wie „Frostseelen“. Das lag sicher nicht am anschaulichen, schönen Schreibstil (der mir nur manchmal zu sehr ins Detail ging) und auch nicht an den liebevoll ausgearbeiteten Protagonistinnen und Figuren (die mir aus irgendeinem Grund trotzdem nicht ans Herz wachsen wollten). Auch die Konstruktion der faszinierenden Welt, der sorgsam erstellte Plot, die großartige, unheimliche Atmosphäre (der Wald wirkt wie ein lebendiges, pulsierendes Wesen!) und die gesellschaftskritischen, tiefgründigen Themen haben mir sehr gut gefallen. Leider fehlten mir dieses Mal aber immer wieder Tempo und Spannung, sodass mich diese Geschichte leider nicht so mitreißen konnte, wie ich mir das gewünscht hätte. Ich musste mich stellenweise zwingen, die Seite nicht nur zu überfliegen. Ein großes Lob hat die Autorin ohne Zweifel für ihre moderne Darstellung starker, tougher Frauen- und sensibler Männerfiguren und die selbstverständlichen Beschreibungen von gleichgeschlechtlicher Liebe ganz ohne Klischees verdient. Sie kämpft mit „Waldkind“ für mehr Toleranz (auch im Fantasy-Genre) und das ist großartig!

Sollte es einen Folgeband geben, werde ich den mit Sicherheit auch wieder lesen. Denn: Ich bin noch nicht bereit, Athosia für immer hinter mir zu lassen. An dieser Stelle seien euch übrigens die "Frostseelen" noch einmal wärmstens ans Herz gelegt! ♥

Empfehlung: Ein Fantasy-Roman für Fans von detaillieren Beschreibungen, einem gelungenen, atmosphärischen Schreibstil und einer eher düsteren Handlung.

Bewertung

Idee, Themen, Botschaft: 5 Sterne
Worldbuilding: 5 Sterne ♥
Einstieg: 3 Sterne
Schreibstil: 4,5 Sterne
Protagonistinnen: 4 Sterne
(Neben)Figuren: 4 Sterne
Atmosphäre: 5 Sterne ♥
Spannung: 2 Sterne
Ende: 3,5 Sterne
Emotionale Involviertheit: 3,5 Sterne
Feministischer Blickwinkel: ♥ !

Insgesamt:

❀❀❀,5 Lilien

Dieses Buch bekommt von mir gute dreieinhalb Lilien!