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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 18.05.2022

Fesselnde, berührende, überraschend tiefgründige Dystopie! Herzensbuch! ♥

Das Licht der letzten Tage
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Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Ein tödliches Virus hat den Großteil der Menschheit dahingerafft. 20 Jahre später haben sich Musiker·innen und Schauspieler·innen zu einer Gruppe zusammengeschlossen, ...

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Ein tödliches Virus hat den Großteil der Menschheit dahingerafft. 20 Jahre später haben sich Musiker·innen und Schauspieler·innen zu einer Gruppe zusammengeschlossen, die sich die „Symphonie“ nennt. Gemeinsam reisen sie durch eine leere, verwüstete Welt, erinnern sich an all die Dinge zurück, die damals so wunderschön und selbstverständlich waren, und versuchen, mit ihren Shakespeare-Aufführungen den verbliebenen Menschen etwas Hoffnung und Menschlichkeit zurückzugeben. Denn: „Überleben allein ist unzureichend.“

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Erzählweise: Allwissender Erzähler, Präteritum
Perspektive: weibliche und männliche Perspektive
Kapitellänge: kurz
Tiere im Buch: + Im Buch werden Tiere für Nahrung getötet (Rehe, Fische), aber es gibt keine genauen Beschreibungen. Es werden keine Tiere gequält.
Triggerwarnung: Tod von Menschen, Tod von Kindern, Tod von Tieren, Pandemie, Krankheit, Blut, (sexualisierte) Gewalt, Suizid, psychische Krankheiten
Gegenderte Beleidigungen:
Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!

Warum dieses Buch?

Dieses Buch verstaubte jahrelang in meinem Regal, bis ich es im Jänner endlich begann (weil es dazu jetzt auch eine Serie gibt) – und es nach wenigen Seiten wieder abbrach. Als ich sah, dass eine Bloggerkollegin das Buch im April lesen wollte, hatte ich die Hoffnung, dass mich eine gemeinsame Leserunde dazu motivieren würde, es endlich durchzuziehen. Und das hat dann ganz wunderbar geklappt!

Meine Meinung

Ruhig, eindringlich, wunderschön (Schreibstil: 5 Lilien ♥)

„Und in diesem Moment hatte Jeevan plötzlich das todsichere Gefühl, dass dies hier, diese Krankheit, die Hua ihm beschrieben hatte, eine Trennlinie zwischen einem ‚Vorher‘ und einem ‚Nachher‘ bedeuten würde, eine Linie, die durch sein Leben lief.“ Seite 31

Wahrscheinlich war es das Cover, das mich einen eher seichten Endzeitroman erwarten ließ. Von der ruhigen Eindringlichkeit, der Komplexität, den authentischen Dialogen und der berührenden Schönheit der Sprache mit ihren unvergesslichen Metaphern wurde ich daher vollkommen überrascht! Es hat nur ein paar Seiten gedauert, bis ich mich in den Schreibstil verliebte und merkte: Diese Frau kann erzählen – und wie!

Schönheit, Grauen & Hoffnung (Inhalt & Themen: 5 Lilien ♥)

„Beim Zusammenbruch verloren ging: So gut wie alles, so gut wie alle, aber es ist immer noch so viel Schönheit geblieben.“ Seite 73

Als Dystopie-Fan habe ich schon viele Bücher über den Weltuntergang gelesen, aber noch keine Endzeitgeschichte hat mich so eiskalt erwischt wie „Das Licht der letzten Tage“. Emily St. John Mandel beschreibt die Apokalypse, das Unaussprechliche, so realistisch, so greifbar, so bildhaft, dass man beim Lesen unweigerlich eine Gänsehaut bekommt – besonders in Pandemiezeiten. Obwohl ich schon viele Dystopien gelesen habe, hatte ich bei dieser zum ersten Mal das Gefühl, wirklich zu BEGREIFEN, was es heißt, sich in einem Hochhaus zu verbarrikadieren, während draußen die Welt untergeht, und was es heißt, alleine und frierend durch die Wildnis zu stapfen und dabei panische Angst vor anderen Menschen zu haben, weil man nicht weiß, ob sie einem etwas antun wollen. Viele Leute sind so traumatisiert von diesem ersten, sehr schlimmen Jahr, dass sie sich später nicht einmal mehr daran erinnern können. Faszinierenderweise entstehen das Grauen und der Horror in „Das Licht der letzten Tage“ oft zwischen den Zeilen, nämlich in unserer Fantasie – und das ist effektiver als es detaillierte Beschreibungen von Blut und Gewalt je sein könnten.

Ein Bild, das mir wohl nie wieder aus dem Kopf gehen wird, ist jenes des Air-Gradia-Flugzeugs, das Infizierte an Bord hat. Nach der Landung bleibt das Flugzeug ganz am Ende der Landebahn stehen. Es kommt NIE jemand heraus. Was sich in den letzten Stunden wohl im Flieger abgespielt haben mag – was wohl notwendig war, um die Türen geschlossen zu halten – die Leser·innen dürfen es sich selbst (in aller Grausamkeit) ausmalen. Neben dem Grauen und den Gefahren der neuen Welt ist – und das ist das Besondere an „Das Licht der letzten Tage“ – aber auch Platz für Schönheit, Kunst, Menschlichkeit und Hoffnung in Form von wilder Natur, Lost Places, Kameradschaft, Freundschaft, Musik und Shakespeare-Aufführungen.

Erzählt wird die Geschichte dabei aus vielen verschiedenen Perspektiven und mithilfe von unzähligen Zeitsprüngen und Rückblenden. Wer das nicht mag und auch das gelegentliche Aufblitzen von Langatmigkeit nicht so leicht (wie ich in diesem Fall) verzeiht, wird mit dem „Licht der letzten Tage“ nicht viel Freude haben. Mich aber hat dieses tiefgründige Buch aufgewühlt, berührt und begeistert und ich habe es absolut geliebt! Und falls ihr euch jetzt fragt, ob ich beim Lesen auch Tränen vergossen habe: Nein, aber ich war oft seitenlang auf der Kippe, ich war seitenlang ganz kurz davor, loszuheulen. Das hatte ich bis jetzt noch bei keinem Buch. Dass „Das Licht der letzten Tage“ von der Kritik in den Himmel gelobt wurde und sogar für einige Preise nominiert war bzw. diese sogar gewonnen hat (was ich erst während der Lektüre erfahren habe), wundert mich überhaupt nicht. Für mich ist „Das Licht der letzten Tage“ ein absolutes Jahreshighlight und unvergessliches Herzensbuch – und vielleicht sogar das beste Buch des Jahres!

Zog mich vollkommen in seinen Bann (Atmosphäre & Spannung: 5 Lilien ♥)

„Von allen Personen, die in der dieser Nacht in der Bar gewesen waren, war der Barkeeper derjenige, noch am längsten leben sollte. Er starb drei Wochen später auf der Straße, über die er die Stadt verlassen wollte.“ Seite 24

Eigentlich wollte ich dieses Buch mit einer Kollegin gemütlich den ganzen April hindurch lesen. Das war aber ab einem gewissen Punkt (kämpft euch unbedingt durch die ersten, etwas schwerfälligen Kapitel, es lohnt sich!) nicht mehr möglich – die Geschichte hat mich mit ihrer dichten Atmosphäre einer leeren, verwüsteten Welt so gefesselt und in ihren Bann gezogen, dass ich sie kaum noch weglegen konnte. Und wenn ich es doch tat, musste ich die ganze Zeit daran denken.

Vielschichtig & authentisch (Figuren: 4 Lilien)

Auch die vielschichtigen, authentischen Figuren (die oft nicht mit ihrem Namen, sondern ihrem Instrument bezeichnet werden, z. B. die „fünfte Gitarre“) sind gut gelungen, was vor allem daran liegt, dass sich die Autorin viel Zeit für ihre Ausarbeitung nimmt. Die vielen Perspektiven erlauben es den Leser·innen, sich ein Gesamtbild von der Situation kurz nach dem Ausbruch der Krankheit zu machen. Die meisten der Figuren mochte ich sehr, einige hätte ich gerne noch näher kennengelernt und nur zu wenigen fand ich keinen richtigen Zugang. Besonders gut gefallen hat mir, dass wir es in der Post-Apokalypse weder mit Heiligen noch mit eindeutigen Bösewichten zu tun haben. Alle Figuren sind ein Produkt ihrer schwierigen Vergangenheit, niemand ist frei von Schuld. Wer bis zu diesem Punkt überlebt hat, hat das nur geschafft, weil er bereit war, sein Leben kompromisslos zu verteidigen.

Keine Beschwerden (Feminismus: 4 Lilien)

Aus feministischer Sicht gibt es nicht viel auszusetzen. In der Geschichte treffen wir auf viel Diversität (alte, junge, schwule, heterosexuelle Charaktere und verschiedene Hautfarben) und viele starke weibliche Figuren (zum Beispiel auf eine exzellente Messerwerferin und eine Dirigentin, die eine Gruppe anführt), was ich toll finde. Vereinzelte Geschlechterstereotype und Klischees fallen da nicht ins Gewicht.

Nicht wiederzuerkennen (Serie: 2 Lilien)

Gerade weil mir das Buch so gut gefallen hat, wollte ich mir im Anschluss daran sofort die Serie anschauen. Auf hohe Erwartungen folgte große Enttäuschung. Es wurden so unglaublich viele Dinge verändert – und zwar nicht Kleinigkeiten, sondern ganz zentrale Elemente (Handlung, Motivationen, Wendungen, ganze Figuren, mehr Drama, mehr Action), sodass ich die Geschichte und Figuren, die ich so geliebt hatte, leider kaum wiedererkannt habe. Es gab zwar durchaus ein paar starke Momente, ich mochte die Diversität und der Soundtrack ist wundervoll – aber für mich fühlte sich die Serie beim Schauen einfach falsch an. Die Dialoge sind zudem belanglos und prätentiös und in der zweiten Hälfte der Staffel wurde es dann so langweilig und teilweise absurd, dass ich mich durch die restlichen Folgen nur noch durchgequält habe. Es hat sich leider nicht gelohnt. Deshalb meine Empfehlung: Haltet euch lieber ans großartige Buch und verzichtet auf diese Verfilmung!

Mein Fazit

Selten zuvor habe ich ein Buch gelesen, das mich so emotional aufgewühlt, berührt und gefesselt hat wie „Das Licht der letzten Tage“. Und nie zuvor habe ich eine Dystopie gelesen, die auf so einzigartige, tiefgründige Weise Schönheit, Hoffnung und Grauen verbindet. „Das Licht der letzten Tage“ ist ein Buch, das lange nachhallt und das man wahrscheinlich nie vergisst. Für mich ist dieser Roman jedenfalls ein absolutes Herzensbuch – und vielleicht sogar das beste Buch des Jahres. Unbedingt lesen!

Bewertung

Idee: 5 Lilien ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 5 Lilien ♥
Umsetzung: 5 Lilien ♥
Worldbuilding: 5 Lilien ♥
Einstieg: 3 Lilien
Ende: 4 Lilien
Schreibstil: 5 Lilien ♥
Figuren: 4 Lilien
Spannung: 4 Lilien
Atmosphäre: 5 Lilien ♥
Emotionale Involviertheit: 5 Lilien ♥
Feministischer Blickwinkel: 4 Lilien
Einzigartigkeit: 5 Lilien ♥

Insgesamt:

❀❀❀❀❀♥ Lilien

Dieses Buch bekommt von mir 5 Lilien und ein Herz – und somit den Lieblingsbuchstatus!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 14.05.2022

4,5 Sterne: Philosophisch, tiefgründig, originell – und für mich das richtige Buch zur richtigen Zeit! ♥

Die Mitternachtsbibliothek
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Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Nora ist zutiefst unglücklich und depressiv, bereut sehr viele Lebensentscheidungen. Der Tod ihrer geliebten Katze bringt das Fass zum Überlaufen. Doch als sie sich ...

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Nora ist zutiefst unglücklich und depressiv, bereut sehr viele Lebensentscheidungen. Der Tod ihrer geliebten Katze bringt das Fass zum Überlaufen. Doch als sie sich das Leben nimmt, ist sie nicht einfach tot, sondern wacht in einem Zwischenreich auf: in der Mitternachtsbibliothek. Jedes Leben, das sie führen hätte können, darf sie hier ausprobieren wie ein Kleidungsstück. Nora wird zur gefeierten Olympiasportlerin, berühmten Sängerin, ehrgeizigen Gletscherforscherin. Aber nur wenn sie ein Leben findet, das sie glücklich macht, kann sie darin bleiben. Und die Zeit drängt – bald ist es vielleicht zu spät für Nora, sich zu entscheiden…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Erzählweise: Figurale Erzählerin, Präteritum
Perspektive: weibliche Perspektive
Kapitellänge: sehr kurz (Hörbuch)
Tiere im Buch: -/+ Im Buch stirbt eine Katze, die von ihrer Besitzerin sehr geliebt wurde. Ansonsten werden keine Tiere verletzt, gequält oder getötet.
Triggerwarnung: Tod von Tieren, Tod von Menschen, psychische Krankheiten (Depression), Suizidgedanken, Suizid, Trauer
Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: ---

Warum dieses Buch?

Der Klappentext versprach eine besondere, ungewöhnliche und vor allem einzigartige Geschichte. Das hat mich neugierig gemacht! Trotzdem habe ich das Hörbuch lange vor mir hergeschoben, weil es auch sehr traurig klang. Im April kam dann der richtige Zeitpunkt (dazu gleich mehr).

Meine Meinung

Das hat mir gefallen…

… der Schreibstil. Matt Haig schreibt zwar relativ einfach und schnörkellos, schafft es dabei aber trotzdem, in die Tiefe zu gehen. Bisweilen wird es sogar überraschend philosophisch! Ich fand den Schreibstil sehr anschaulich, flüssig und angenehm – auch als Hörbuch. Den natürlich wirkenden, lebendigen Dialogen habe ich ebenfalls gerne gelauscht. (Schreibstil: 5 Lilien ♥)

"'Zwischen Leben und Tod liegt eine Bibliothek'", sagte sie, "'und diese Bibliothek besteht aus endlosen Regalen. Jedes Buch bietet dir die Chance, ein anderes Leben auszuprobieren, das du hättest leben können.'" Hörbuch, 10%

… die Geschichte und die Themen. Nach längerer Zeit habe ich mit „Die Mitternachtsbibliothek“ wieder einmal ein richtig kreatives, originelles Buch erwischt! Matt Haig kann das Potential seiner Geschichte zum Glück auch nutzen. Thematisch wird es stellenweise sehr düster (Suizid, Depression, Tod, Trauer), aber auch für Hoffnung und tiefgründige, philosophische Gedanken über das Leben ist genug Platz. Das Buch regt auf jeden Fall zum Nachdenken an und lädt dazu ein, seine eigenen Lebensentscheidungen (besonders die, die man bereut) einmal von einer anderen Perspektive zu betrachten. Aber Achtung: Wer psychisch gerade sehr labil ist und selbst unter Depressionen oder sogar Suizidgedanken leidet, sollte auf diese Lektüre lieber verzichten oder sie zumindest auf einen späteren Zeitpunkt verschieben! Vor allem der Anfang der Geschichte kann einen schon ziemlich runterziehen. Das Buch beginnt damit, dass die geliebte Katze der Protagonistin stirbt. Einen ähnlichen Verlust habe auch ich vor wenigen Tagen erlitten, weshalb mich das Buch total abgeholt hat und ich mich ganz darauf einlassen und vollkommen darin versinken konnte. Manchmal braucht es schlicht das richtige Buch zum richtigen Zeitpunkt. „Die Mitternachtsbibliothek“ war dieses Buch für mich. Es ließ mich einige tröstliche Stunden lang der Realität entfliehen bzw. eröffnete mir eine andere, hoffnungsvollere Sicht auf das Leben. Dass die Geschichte im Mittelteil ein paar Kapitel lang auf der Stelle tritt, verzeihe ich da gerne.

Von einigen Leser·innen wurde kritsiert, dass der Autor – der ja selbst unter Depressionen leidet/litt – es in der Geschichte so darstelle, als könnten psychische Krankheiten mit dem richtigen Mindset einfach geheilt werden. Diesen Kritikpunkt kann ich sehr gut nachvollziehen! Meine Betrachtungsweise ist jedoch ein wenig anders: Meiner Meinung nach können Noras Aufenthalt in der Mitternachtsbibliothek und die vielen Leben, die sie ausprobiert, in denen sie viele neue Dinge über sich selbst lernt und in denen sie an sich arbeitet, auch als eine Art (von der Bibliothekarin Mrs. Elm angeleitete) phantastische Therapie betrachtet werden. Deshalb empfinde ich persönlich „Die Mitternachtsbibliothek“ nicht als problematisch, sondern als eine gelungene und kreative literarische Auseinandersetzung mit dem Thema „Depression“. (Geschichte: 4,5 Lilien)

… die Protagonistin und Figuren. Ich mochte Nora als Heldin sehr und fand sie von der ersten Seite an sehr sympathisch. Zudem gelingt es nur wenigen männlichen Autoren, sich so gut in eine weibliche Figur hineinzufühlen und ihr Innenleben so authentisch und nachvollziehbar zu beschreiben. Dafür gibt es von mir ein großes Lob! Jeder Mensch hat wohl die eine oder andere Entscheidung in seinem Leben getroffen, die er bereut oder die ihm keine Ruhe lässt, weil man sich immer fragt: Was wäre gewesen, wenn? Deshalb konnte ich mich sehr gut mit Nora identifizieren und mit ihr mitfühlen. Die anderen Figuren spielen alle nur kleine Nebenrollen, deshalb ist es schwer, sie zu bewerten. Zumindest ist mir hier nichts negativ aufgefallen. (Progonistin: 5 Lilien ♥, Figuren: 4 Lilien).

… die Spannung und die Atmosphäre. Besonders am Anfang, als es einen Countdown bis zum Tod von Nora gibt, fand ich das Buch sehr spannend und mitreißend! In der Mitte bricht der Spannungsbogen einmal kurz ein (nicht so schlimm), bis dann ein paar Wendungen folgen und das Buch wieder spannender wird. Ein wenig atmosphärischer hätten die Beschreibungen an manchen Stellen vielleicht noch sein können, aber das ist wirklich Kritik auf hohem Niveau. (Spannung und Atmosphäre: 4 Lilien)

… die Sprecherin. Dass ich die Sprecherin vorher schon in Filmen gesehen hatte, wurde mir erst bewusst, als ich sie googelte. Jedenfalls war mir vorher nie bewusst gewesen, dass Anette Frier so eine angenehme, tiefe und wohlklingende Stimme hat und so fesselnd und atmosphärisch vorlesen kann! Mein Highlight waren die Dialoge, die sie mit verschiedenen Stimmen, viel Persönlichkeit und sehr lebendig und emotional vorgetragen hat. Meiner Meinung nach hat ihr Vortrag das Buch noch besser gemacht! Kurz: Es wird sicher nicht mein letztes Hörbuch von Anette Frier bleiben! (Sprecherin: 5 Lilien ♥)

… der Feminismus. Auch eine feministische Analyse lässt mich zufrieden zurück: Das Buch besteht den Bechdel-Test, es gibt keine gegenderten Beleidigungen und Nora ist eine intelligente, talentierte, starke Protagonistin und übt in den verschiedenen Leben auch eine große Bandbreite von Berufen aus: Von der ehrgeizigen Sportlerin und der selbstbewussten Sängerin bis hin zur kompetenten Gletscherforscherin ist wirklich alles dabei! Insgesamt ist auch das Geschlechterverhältnis sehr ausgeglichen. (Feminismus: 5 Lilien ♥)

Das lässt mich zwiegespalten zurück:

---

Das hat mir nicht gefallen:

---

Mein Fazit

Für mich war „Die Mitternachtsbibliothek“ das richtige Hörbuch zur richtigen Zeit. Die philosophische, tiefgründige, originelle Geschichte hat mich absolut abgeholt, zum Nachdenken gebracht und einige Stunden lang sehr gut unterhalten. Besonders gut gefallen haben mir neben der kreativen Auseinandersetzung mit den Themen „Depression“ und „Bereuen“ der flüssige Schreibstil, die sympathische Protagonistin und die wunderbare Sprecherin. Von mir gibt es deshalb eine große Leseempfehlung!

Bewertung

Idee: 5 Lilien ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 5 Lilien ♥
Umsetzung: 4,5 Lilie
Worldbuilding: 4 Lilien
Einstieg: 5 Lilien ♥
Ende: 4 Lilien
Schreibstil: 5 Lilien ♥
Protagonistin: 5 Lilien ♥
Figuren: 4 Lilien
Spannung: 3,5 Lilien
Wendungen: 4 Lilien
Atmosphäre: 4 Lilien
Emotionale Involviertheit: 4 Lilien
Feministischer Blickwinkel: 5 Lilien ♥

Insgesamt:

❀❀❀❀,5 Lilien

Dieses Buch bekommt von mir viereinhalb zufriedene Lilien!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 22.04.2022

Mitreißend, tiefgründig, emotional – und noch besser als Band 1! Jahreshighlight!

Wir Verstoßenen
0

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

In einer dystopischen Welt sucht eine verzweifelte junge Frau ihre geliebte kleine Schwester (9), die von der Gruppe weggelaufen ist und nun alleine in einer Welt voller ...

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

In einer dystopischen Welt sucht eine verzweifelte junge Frau ihre geliebte kleine Schwester (9), die von der Gruppe weggelaufen ist und nun alleine in einer Welt voller Gefahren herumirrt. Smilla weiß nur eine Sache: Sie muss Jera finden – bevor es jemand anderes tut und koste es, was es wolle…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Band #2 einer Trilogie
Erzählweise: Ich-Erzählerin, Präteritum
Perspektive: weibliche Perspektive
Kapitellänge: mittel
Tiere im Buch: - Im Buch werden Tiere verletzt und getötet. Es werden keine Tiere absichtlich gequält. Krähen, Hühner, Ratten werden für Nahrung getötet (keine genauen Beschreibungen), ein Hund wird nach einer tödlichen Verletzung erlöst.
Triggerwarnung: Gewalt, sexualisierte Gewalt, Gewalt gegen Kinder, psychische Krankheiten, Drogen, Alkohol, Blut, Tod von Tieren und Menschen, Trauma
Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: ---

Warum dieses Buch?

„Wir Verlorenen“ war nach langer Zeit wieder einmal eine richtig gute, mitreißende deutsche Dystopie! Deshalb stand für eine Freundin von mir und mich gleich nach der gemeinsamen Lektüre fest: Band 2 müssen wir unbedingt auch wieder zusammen lesen! Deshalb führte an diesem Buch natürlich kein Weg vorbei.

Meine Meinung

Fesselnd & berührend (Schreibstil: 5 Lilien ♥)

Ich mochte ja den Schreibstil in Band 1 schon, aber in der Fortsetzung hat sich die Autorin noch einmal selbst übertroffen! Sie erzählt so flüssig, so anschaulich, so fesselnd und emotional mitreißend! Das Buch liest sich deshalb fast von selbst. Unglaublich, aber wahr: Früher hat sich Jana Taysen einmal mit einem Text fürs Studium „Kreatives Schreiben“ beworben. In einer vernichtenden Rückmeldung wurde ihr von irgendeinem empathielosen Menschen „kein Talent“ bescheinigt. Ich hoffe, diese Person bekommt irgendwann dieses Buch in die Finger und liest es. Ich hoffe, sie sitzt dann zu Hause auf ihrem Sofa und schämt sich.

„Jera war das Einzige, das ihr die Plage nicht genommen hatte, und Smilla war für sie verantwortlich. Sie musste sie wiederfinden. Sie ‚musste‘ einfach.“ E-Book, Position 350

Emotionale Achterbahnfahrt (Geschichte, Plot & Themen: 5 Lilien ♥)

Band 1 hat mich damals absolut positiv überrascht – trotzdem war ich zuerst skeptisch, als ich von der Fortsetzung erfahren habe, denn schwache 2. Bände gibt es viele. Doch diese Bedenken war schon nach dem gelungenen Prolog wie fortgewischt – und von da an wurde es nur noch besser! Erneut behandelt die Autorin Themen wie Erwachsenwerden, Überleben in einer postpandemischen Welt, Trauma, Geschwisterliebe, Vertrauen und Hoffnung tiefgründig und stellt auch dieses Mal interessante philosophische und moralische Fragen wie: Wem kann man in einer zerstörten Welt noch vertrauen? Wie viel Platz ist da noch für Mitgefühl? Und: Was ist man bereit zu opfern, um in Sicherheit leben zu können?

Da mein einziger damaliger Kritikpunkt (bei Band 1) in der Fortsetzung keine Rolle mehr spielt, fand ich Band 2 sogar noch besser als den Auftakt. Einige Stunden lang hat mich das Buch bestens unterhalten und nicht mehr losgelassen. Die Geschichte ist wirklich eine emotionale Achterbahnfahrt, während der ich so ziemlich alle Gefühle durchlebt habe, die es gibt: Freude, Erleichterung, Sorge, Traurigkeit, Wut, Angst, Mitgefühl. Ich habe beim Lesen jedenfalls bis zum atemlos spannenden Showdown jede Sekunde genossen und geliebt! Wo bleibt der verdiente Hype? Für mich ist „Wir Verstoßenen“ ein absolutes Jahreshighlight und Lieblingsbuch! Jetzt kommt der schwierige Teil: das Warten auf Band 3.

„Fast niemand hatte mehr eine richtige Familie, weil so viele Menschen an der Plage gestorben, verhungert oder von anderen Überlebenden getötet worden waren.“ E-Book, Position 113

Wenn alles andere warten muss… (Atmosphäre & Spannung: 5 Lilien ♥)

Das Besondere an dieser Dystopie ist, dass sie sich ganz bodenständig und unaufgeregt präsentiert: Es gibt keine innovative neue Weltordnung, kein ausgefallenes Setting, keine Actionszenen an jeder Ecke. Trotzdem ist gelingt es der Autorin, eine unglaublich dichte Atmosphäre und eine atemlose Spannung zu kreieren. Man hat das Gefühl, man ist wirklich dort; der Körper sitzt vielleicht noch im Lesesessel, aber der Geist streift bereits mit der hungrigen Smilla durch die herbstlichen, feucht-kalten Wälder in einem apokalyptischen Deutschland. Vor allem in der zweiten Hälfte konnte ich das Buch nicht mehr weglegen. Alles andere musste warten, denn ich wollte nicht nur wissen, wie es weitergeht – ich MUSSTE es wissen! Und zwar nicht am Abend oder am nächsten Tag oder am Wochenende, sondern JETZT SOFORT! Genau so muss das bei einer Dystopie sein!

„Mit ihm zusammen im ‚Davor‘ zu schwelgen, war etwas Wertvolles gewesen. Kleine glänzende Erinnerungen an eine andere Ära, wie goldene Harztropfen, die urzeitliche Insekten umschlossen. “ E-Book, Position 1496

Ans Herz gewachsen (Protagonistin: 5 Lilien ♥, Figuren: 5 Lilien ♥)

Es war total schön für mich, sowohl liebgewonnene Figuren aus dem ersten Band wiederzutreffen als auch neue interessante und vielschichtige Charaktere kennenzulernen (in Julius hab ich mich vielleicht ein bisschen verliebt ♥). Smilla gefiel mir als Protagonistin wieder sehr gut: Sie ist empathisch und neugierig, vielleicht etwas zu naiv und gut für diese gefährliche Welt, doch wenn es darauf ankommt, entwickelt sie oft ungeahnten Mut und wächst über sich hinaus. Nach den Ereignissen im ersten Band hat sie noch daran zu knabbern, was passiert ist. Die Auswirkungen ihres Traumas, das sie noch nicht verarbeiten konnte, werden realistisch und glaubwürdig geschildert. Ich konnte mich jedenfalls wieder super in Smilla hineinversetzen und ihre Gedanken und Gefühle sehr gut nachvollziehen.

Die innige Beziehung zwischen Smilla und ihrer kleinen Schwester Jera, die nicht ohne Reibungspunkte ist, fand ich auch äußerst authentisch und gelungen beschrieben. Viele Figuren sind mir wirklich ans Herz gewachsen, sodass ich sehr mit ihnen mitgefühlt und mitgefiebert und um ihr Schicksal gebangt habe. Ich freue mich schon sehr darauf, einige davon in Band 3 wiederzutreffen!

„‘Früher oder später wirst du auf jemanden treffen, dem du körperlich nicht gewachsen bist. Dann musst du wissen, wie man jemanden gezielt und schnell verletzt.‘“ E-Book, Position 289

Weiter so! (Feminismus: 5 Lilien ♥)

Auch aus feministischer Sicht gibt es wieder nichts auszusetzen. Es gibt in diesem Buch viele starke Frauen (zum Beispiel nüchterne Überlebenskünstlerinnen und eloquente Anführerinnen), sensible Männer und sogar einen alleinerziehenden Vater. Die Auswirkungen der sexualisierten Gewalt, die Smilla in Band 1 widerfahren ist, werden zudem sehr feinfühlig, realistisch und überzeugend thematisiert – das ist etwas, das ich in anderen Büchern oft vermisse. Von meiner Seite gibt es jedenfalls ein großes Lob. Bitte weiter so!

Mein Fazit

Trotz anfänglicher Skepsis (weil ein 2. Band) konnte mich „Wir Verstoßenen“ absolut begeistern und auf ganzer Linie überzeugen. Ich fand es sogar noch besser als den Auftakt. Es ist so fesselnd, mitreißend, tiefgründig und emotional geschrieben, dass ich es ab einem gewissen Punkt nicht mehr weglegen konnte. Ich liebe den Schreibstil, ich liebe die Figuren, ich liebe dieses Buch, ich liebe diese Reihe – und ihr werdet das bestimmt auch! Also: Unbedingt lesen!

Bewertung

Idee: 4 Lilien
Inhalt, Themen, Botschaft: 5 Lilien ♥
Umsetzung: 5 Lilien ♥
Worldbuilding: 5 Lilien ♥
Einstieg: 5 Lilien ♥
Ende: 5 Lilien ♥
Schreibstil: 5 Lilien ♥
Protagonistin: 5 Lilien ♥
Figuren: 5 Lilien ♥
Spannung: 5 Lilien ♥
Wendungen: 5 Lilien ♥
Atmosphäre: 5 Lilien ♥
Emotionale Involviertheit: 5 Lilien ♥
Feministischer Blickwinkel: 5 Lilien ♥
Einzigartigkeit / Chance, dass ich das Buch nie vergessen werde: sehr hoch

Insgesamt:

❀❀❀❀❀♥ Lilien

Dieses Buch bekommt von mir 5 Lilien und ein Herz – und damit den Lieblingsbuchstatus!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 14.04.2022

Gute Ansätze & wichtiges Thema, aber ich habe viel mehr erwartet!

My Body
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Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Die meisten von uns kennen sie, ohne je ihren Namen erfahren zu haben: Emily Ratajkowski. Als schönes Model im umstrittenen Musikvideo zu „Blurred Lines“ wurde sie ...

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Die meisten von uns kennen sie, ohne je ihren Namen erfahren zu haben: Emily Ratajkowski. Als schönes Model im umstrittenen Musikvideo zu „Blurred Lines“ wurde sie bekannt, jetzt kommt ihre Abrechnung mit der Unterhaltungsindustrie. In ihrer Essaysammlung geht es um die Objektifizierung von Frauen, um das ambivalente Verhältnis zum eigenen Körper, um Grenzüberschreitungen und sexualisierte Gewalt.

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Essaysammlung, Einzelband
Erzählweise: Ich-Erzählerin, Präteritum
Perspektive: weibliche Perspektive
Kapitellänge: lang
Tiere im Buch: + Im Buch werden keine Tiere verletzt, gequält oder getötet.
Triggerwarnung: Sexismus, sexualisierte Gewalt (auch Vergewaltigung), Machtmissbrauch
Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: Schla+++

Warum dieses Buch?

Der Klappentext verspricht ein mutiges feministisches Buch, das die Schattenseiten der Unterhaltungsbranche beleuchtet und Missstände kritisiert. In einer Zeit, in der (leider!) immer wieder neue Missbrauchsvorwürfe gegen mächtige Stars auftauchen, konnte ich mir diese Essaysammlung natürlich nicht entgehen lassen!

Meine Meinung

Einfach, nüchtern, distanziert (Schreibstil: 3 Lilien)

Meine Anforderungen an die Sprache eines Sachbuches oder einer Essaysammlung sind nicht hoch. Ich erwarte hier keine wunderschönen Formulierungen oder kreativen Metaphern, weil der Inhalt im Vordergrund steht. Trotzdem hat mich der Schreibstil leider enttäuscht. Er lässt sich zwar ganz angenehm und flüssig lesen, aber mir war er zu einfach, zu nüchtern, zu distanziert. Deshalb war es auch sehr schwer für mich, eine Verbindung zur Autorin aufzubauen und mich mit ihr zu identifizieren.

„Ich bin über die Scham und Angst hinaus- und in die Wut hineingewachsen.“ Seite 220

Gute Ansätze, aber viel mehr erwartet (Inhalt, Themen & Botschaft: 3 Lilien)

Als überzeugte und (in dem Bereich) schon recht belesene Feministin waren meine Erwartungen natürlich hoch. Ich erwartete zwar kein feministisches Manifest, aber doch eine schonungslose Abrechnung mit der Unterhaltungsindustrie, eine deutlich erkennbare feministische Haltung und eine klare und scharfe Kritik am System. Zu meiner Überraschung stellte sich „My Body“ dann allerdings mehr als lose strukturierte Biografie mit vielen Zeitsprüngen und vereinzelten feministischen Passagen heraus. Da hatte ich mir etwas anderes und vor allem deutlich mehr erhofft!

Doch nun zuerst zu den Stärken des Buches. In meinen Augen ist Emily Ratajowksi eine mutige Frau, weil sie es wagt, den Mund aufzumachen und Missstände in der Unterhaltungsindustrie anzusprechen. Im ihren Essays geht es um den „Male Gaze“ (den männlichen, sexualisierenden, objektifizierenden Blick auf Frauenkörper), um das ambivalente Verhältnis zum eigenen Körper, um sexualisierte Gewalt bis hin zur Vergewaltigung und um ein System, das Täter schützt und Machtmissbrauch erst möglich macht. Es beeindruckt mich, dass die Autorin einzelne Täter sogar namentlich nennt, wie zum Beispiel Robin Thicke (Sänger von „Blurred Lines“) und den Fotografen Jonathan Leder. Dass ihre Enthüllungen nicht höhere Wellen geschlagen haben, wundert mich! Wo bleibt der Aufschrei, frage ich mich? Insgesamt ist das Buch, das einige sehr starke Kapitel und Passagen enthält, oft nicht leicht zu verdauen. (Warum der Verlag hier auf eine Triggerwarnung verzichtet hat, ist für mich nicht nachvollziehbar!) Stellenweise hatte ich jedenfalls eine unglaubliche Wut im Bauch und mir wurde übel, als ich las, was sich mächtige Männer teilweise erlauben können und wie leicht sie ihre Macht missbrauchen können – ohne Konsequenzen fürchten zu müssen.

Obwohl mich das Buch also streckenweise durchaus überzeugen konnte, möchte ich auch ein paar Kritikpunkte ansprechen. Erstens hätte mir gewünscht, mehr feministisch relevanten Inhalt vorzufinden, weniger Alltagsbeschreibungen, weniger Belanglosigkeiten. Vor allem im Mittelteil kam ich daher nur schleppend voran und habe mehrmals mit dem Gedanken gespielt, das Buch abzubrechen. Zweitens ging mir Emily Ratajkowskis Kritik oft nicht weit genug, war zu oberflächlich, zu wenig reflektiert, fokussierte sich zu sehr auf einzelne Personen als auf das allen Taten zugrunde liegende toxische System. Vergewaltigungen werden teilweise nicht als das benannt, was sie sind und obwohl die Autorin den Male Gaze, die Objektifizierung und die Sexualisierung von Frauen, immer wieder kritisiert, ist ihr Instagram-Account voller Fotos, die genau diese Perspektive bedienen. Aus diesen Gründen wirkt es für mich, als wäre die Autorin noch am Beginn ihrer feministischen Reise und hätte noch keine wirklichen Konsequenzen aus ihren Reflexionen gezogen. Vielleicht wäre es besser gewesen, sie hätte dieses Buch ein paar Jahre später geschrieben.

Fest steht, dass man nach der Lektüre dieses Buches viele Dinge mit anderen Augen sehen wird: Emily Ratajkowski (die bis jetzt für viele ein namenloses Model war), das Musikvideo zu „Blurred Lines“, Robin Thicke, Fotografen generell, die Modelbranche, mächtige Männer im Showbusiness und neue Missbrauchsvorwürfe, die zukünftig auftauchen werden. Nostalgische Interviews wie zuletzt das von Designer Wolfgang Joop, in dem er die in der Vergangenheit noch schlimmeren Zustände im Modelbusiness beschrieb, in dem er die damalige Welt als „wunderbar frivol und frigide“ bezeichnete und gut gelaunt und ohne einen Funken Mitgefühl erzählte, dass damals Machtmissbrauch und sexualisierte Gewalt an der Tagesordnung waren und dass sogar reichen Männern die Schlüssel zu den Hotelzimmern aufstrebende Models gegeben wurden, lösen nach dieser Essaysammlung nur noch mehr Unverständnis, Ekel und Wut aus. Trotzdem - und das darf man nicht vergessen - tut sich auch etwas in der Branche und die Entwicklung geht in die richtige Richtung. Immer mehr Frauen arbeiten als Regisseurinnen und Produzentinnen, immer mehr sind also in Führungspositionen tätig und können eine sichere Umgebung für die Menschen am Set schaffen. Außerdem habe ich den Eindruck, dass es seit der MeToo-Bewegung mehr Bewusstsein für sexualisierte Gewalt gibt, dass sie auch seltener totgeschwiegen wird und dass Täter immer häufiger Konsequenzen zu spüren bekommen.

Einen wichtigen Punkt möchte ich an dieser Stelle unbedingt noch ansprechen. Bei den Diskussionen und Rezensionen zum Buch bin ich leider immer wieder auf Victim Blaming (= Opfer-Täter-Umkehr) gestoßen, was ich sehr traurig finde. Anstatt den Fokus auf den Täter zu richten und uns zu fragen, wie ER die Situation verhindern hätte können (z. B. Robin Thicke, indem er weniger trinkt, wenn er sich ansonsten nicht unter Kontrolle hat), wird leider immer noch zu häufig versucht, der Frau / dem Opfer eine Teilschuld oder gar die ganze Verantwortung zuzuschieben. Die Argumentation startet bei sexueller Belästigung (hätte sie mal weniger getrunken und nicht nackt posiert, dann wäre das nicht passiert!) und endet bei Vergewaltigung (hätte sie mal nicht so ein kurzes Kleid getragen, wäre sie nicht so betrunken gewesen, dann wäre das nicht passiert!) und ist ABSOLUT toxisch. Was wir dringend brauchen, ist weibliche Solidarität und keine Verurteilungen und verinnerlichten Frauenhass – denn nichts anderes ist Victim Blaming.

Diese Argumentation erweckt zudem leider den Eindruck, dass man als Frau steuern könnte, was einem passiert, indem man weniger Alkohol trinkt, misstrauischer ist, seinen Körper mehr bedeckt. Dabei ist es (leider!) eine Tatsache, dass einem als Frau immer sexualisierte Gewalt widerfahren kann, egal wie viel man getrunken hat, egal was man anhatte, egal wie man sich verhalten hat. (Die meisten Vergewaltigungen passieren auch nicht durch fremde Männer auf der Straße, sondern durch Freunde, Familienmitglieder und Bekannte. Das ist eine traurige Tatsache, die vielen Leuten nicht bewusst ist.) Die einzige Person, die für eine solche Situation die Verantwortung trägt und sie verhindern hätte können und MÜSSEN, ist immer der Täter. Und NUR er! Mein Filmtipp zum Thema sexualisierte Gewalt und Victim Blaming: "Promising Young Woman" von der Regisseurin Emerald Fennel. Der Film ist großartig - gleichzeitig fesselnd, lustig und sehr beklemmend - und lässt garantiert niemanden kalt. Manche von euch werden danach vielleicht anders denken...

„Erst in diesem Moment wurde mir klar, wie sehr ich Menschen in Machtpositionen misstraute, die mir […] das Gefühl gegeben hatten, mein Körper gehöre nicht mir.“ Seite 118

Wichtiges Thema (Feminismus: 4 Lilien)

In ihrer Essaysammlung spricht Emily Ratajkowski auf mutige Weise ein sehr wichtiges Thema an, dafür gibt es von mir ein großes Lob! Weil mir die feministische Kritik jedoch oft nicht weit genug geht und sich auch vereinzelt problematische Aussagen im Buch finden (wie zum Beispiel, die gefährliche Behauptung, alle Frauen würden ihre Sexualität als „Sicherheit“ einsetzen), ziehe ich hier einen Punkt ab.

„Ich hatte mir angewöhnt, Erfahrungen zu verdrängen, die schmerzhaft waren oder im Widerspruch zu meinen Überzeugungen standen.“ Seite 16

Mein Fazit

“My Body” ist ein mutiges Buch, in dem Emily Ratajkowski wichtige Themen anspricht und Missstände in der Unterhaltungsbranche kritisiert. Trotz guter Ansätze, habe ich mir insgesamt doch etwas anderes (mehr feministischen Inhalt, weniger Biografie) und vor allem in vielen Bereichen MEHR erwartet (mehr Systemkritik, klarere Worte, mehr Reflexion). Einen guten Einblick in die Modelindustrie und ein System, das immer noch (Macht-)Missbrauch fördert und Täter schützt, bietet dieses Buch aber allemal! Nach der Lektüre werdet ihr nicht nur Emily Ratajkowski und das Musikvideo zu „Blurred Lines“, sondern auch generell das Showbusiness sicher mit anderen Augen sehen…

Bewertung

Idee: 5 Lilien ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 3 Lilien
Umsetzung: 3 Lilien
Schreibstil: 3 Lilien
Emotionale Involviertheit: 4 Lilien
Feministischer Blickwinkel: 4 Lilien
Einzigartigkeit / Chance, dass ich das Buch nie vergessen werde: niedrig

Insgesamt:

❀❀❀ Lilien

Dieses Buch bekommt von mir 3 Lilien!

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  • Charaktere
Veröffentlicht am 01.04.2022

Solide, feministische Dystopie mit interessanter Grundidee und ein paar Schwächen

High Rise Isle
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Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

2242. Eine Welt voller Gegensätze. Auf den High Rise Isles, auf hohen Säulen erbauten Städten über dem Erdboden, leben die Privilegierten in Frieden und frei von Armut, ...

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

2242. Eine Welt voller Gegensätze. Auf den High Rise Isles, auf hohen Säulen erbauten Städten über dem Erdboden, leben die Privilegierten in Frieden und frei von Armut, Leid und Krankheiten. Dort wacht Luca im Krankenhaus ohne Erinnerung auf. Währenddessen kämpft June mit ihrer kranken kleinen Schwester auf dem durch den Klimawandel verwüsteten Erdboden jeden Tag ums Überleben. Beiden Frauen fallen eines Tages Ungereimtheiten in ihrer Welt auf, beide machen sich auf die gefährliche Suche nach der Wahrheit…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband (aktueller Stand)
Erzählweise: Figurativer Erzähler, Präteritum
Perspektive: weibliche Perspektive
Kapitellänge: lang bis sehr lang
Tiere im Buch: + Im Buch werden Tiere für Nahrung getötet, was aber nie genau beschrieben wird. Ansonsten werden keine Tiere gequält oder verletzt. Auf den High Rise Isles steht es sogar unter Strafe, tierische Produkte zu konsumieren. ♥
Triggerwarnung: Tod von Menschen, Gewalt, psychische Krankheiten
Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: keine ♥

Warum dieses Buch?

Die Autorin kannte ich schon vorher aus meinem privaten Umfeld. Deshalb und weil der Klappentext echt spannend klang und einige liebe Bookstagram-Kolleg·innen ebenfalls dabei waren, habe ich mich sehr gefreut, als ich ins Bloggerteam aufgenommen wurde. Meine Rezension ist trotzdem wie immer absolut ehrlich (sonst hätte ich ja nicht 3 Sterne vergeben).

Meine Meinung

Das hat mir gefallen…

… der Feminismus. Eine feministische Analyse lässt mich bei diesem Buch nicht nur zufrieden, sondern begeistert zurück. Die Gesellschaft der Zukunft ist nämlich sehr egalitär und divers. Männer kochen und putzen, Frauen sind stark, intelligent, gute Kämpferinnen, beruflich erfolgreich und wie selbstverständlich in Führungspositionen tätig. Es gibt kompetente Ärztinnen, eloquente Präsidentschaftskandidatinnen, begabte Ingenieurinnen und sogar mächtige Bösewichtinnen. Zudem besteht das Buch natürlich problemlos den Bechdel-Test und ist absolut frei von gegenderten Beleidigungen und sexualisierter Gewalt, was leider immer noch keine Selbstverständlichkeit ist. Auch Menschen, die von dem Thema getriggert werden, können also unbesorgt zu diesem Buch greifen. Das ist auch deshalb etwas Besonderes, weil eine der Protagonistinnen im Buch sich durch ihre Amnesie und ihr Zusammenleben mit ihrem Verlobten (der allerdings ein Fremder für sie geworden ist) in einer sehr verletzlichen Lage befindet – die allerdings nie ausgenutzt wird (und das wäre sicher passiert, wenn andere Autor·innen dieses Buch geschrieben hätten). Die feministische Grundeinstellung der Autorin zieht sich übrigens (ohne eine große Sache daraus zu machen) durch alle Bereiche des Buches. Die Vornamen der Zukunft sind beispielsweise divers, modern und unisex – davon leite ich ab, dass die Gendergrenzen nicht mehr so streng und scharf gezogen werden wie noch heute – eine Zukunftsvision, die ich interessant und positiv finde. Deshalb bleibt von meiner Seite nur zu sagen: Toll! Weiter so! (Feminismus: 5 Lilien ♥)

„Es kam ihr komisch vor, mit Zinnia wieder hier in ihrer gemeinsamen Wohnung zu sein. Wie er ganz selbstverständlich kochte, aufräumte, mit ihr sprach.“ E-Book, Position 4415

… die dystopische Welt. Die Zukunftsvision der Autorin, das Setting und ihre Ideen fand ich von Anfang an innovativ, spannend und interessant. Während die Privilegierten auf auf Säulen erbauten, technologisch fortgeschrittenen, „perfekten“ Städten im Himmel leben, auf denen Armut, Leid und Krankheiten nahezu ausgerottet wurden, kämpfen die nomadisch lebenden Menschen auf dem durch den Klimawandel von Überschwemmungen, Waldbränden und Krankheiten heimgesuchten Erdboden jeden Tag ums Überleben. Dass mir ein paar Ungereimtheiten aufgefallen sind und ich über manche Aspekte gerne noch mehr erfahren hätte, verzeihe ich da gerne. (Idee: 4 Lilien)

„‘Die Zeit der Strafe‘ oder auch ‚der Anfang vom Ende‘, so hatten die Leute diese Zeit [Anmerkung: die 2060er-Jahre] laut Lea bezeichnet. Vor ihrem inneren Auge hatte Luca sich nur zu deutlich die Waldbrände, Hitzewellen, Dürren, Hochwasser durch Starkregen und Sturmfluten vorstellen können, von denen erzählt worden war.“ E-Book, Position 3265

… der Schreibstil. Auch wenn der Schreibstil stellenweise etwas schwerfällig war und ich mir manchmal etwas mehr Tempo gewünscht hätte, fand ich ihn doch sehr flüssig, anschaulich und angenehm lesbar. Dementsprechend fliegt man nur so durch die Seiten. (Schreibstil: 4 Lilien)

Das lässt mich zwiegespalten zurück:

… der Plot und die Themen. Ich habe sofort ins Buch gefunden und fand das erste Viertel wirklich stark, weswegen ich auch am Anfang sehr begeistert war. Auch thematisch (Schuld, Hoffnung, Suche nach der Wahrheit, Neurochips, künstliche Intelligenz, ethische Fragen) konnte mich das Buch überzeugen. Im Mittelteil stagniert dann leider die Handlung und die Geschichte tritt eine Zeit lang auf der Stelle. Hier war es mir dann auch zu viel Infodumping – auch wenn das relativ elegant in Dialoge eingebaut war. Im letzten Viertel kommt dann endlich wieder Schwung in die Sache – hier dürfen sich Leser·innen auf eine spannende Suche nach der Wahrheit und einige unerwartete Wendungen freuen! Mir persönlich passierte am Ende etwas zu viel auf einmal – aber das ist sicher Geschmackssache. (Geschichte: 3 Lilien)

… die Spannung, das Tempo, die Atmosphäre. Die Beschreibungen der verschiedenen Settings fand ich sehr gelungen und atmosphärisch. Ich konnte sowohl das chaotische, pulsierende Nachtleben in den überfüllten Städten als auch Lucas cleane, saubere, mit viel technischem Schnick-Schnack ausgestattete Wohnung bildlich vor mir sehen. Gut gefallen haben mir auch die unerwarteten Wendungen und die zunehmend misstrauischere Suche der Heldinnen nach der Wahrheit. Ich liebe es ja, wenn man in Büchern nicht mehr genau weiß, wem man noch vertrauen kann! Was das „Pacing“ der Geschichte betrifft, hätte ich mir allerdings eine gleichmäßigere Verteilung der Spannungsmomente und im Mittelteil mehr Tempo gewünscht. (3 Lilien)

„Als sie erwachte, war sie kaum mehr als eine Ahnung.“ E-Book, Position 25

… die Protagonistinnen und Figuren. Prinzipiell finde ich die Figurenzeichnung im Buch gelungen. Man trifft auf verschiedenste interessante Persönlichkeiten und die beiden Protagonistinnen Luca und June fand ich sympathisch, und ich habe sie gerne durch die Geschichte begleitet. Trotzdem muss ich zugeben, dass ich Junes Handlungen nicht immer nachvollziehen konnte bzw. dass mir ein paar Brüche in ihrem Verhalten aufgefallen sind. In manchen Momenten wirkt sie zum Beispiel eher vorsichtig und ängstlich, während sie in anderen Leute ohne guten Grund provoziert oder mit einem Messer bedroht und sich dadurch unvernünftigerweise in Gefahr begibt. Mein Herz gewonnen hat dafür der sanftmütige, empathische Verlobte von Luca: Zinnia. Ich finde es super, dass hier toxische Männlichkeit und der typische Dystopie-Bad-Boy durch eine neue, moderne und feministische Vorstellung von Männlichkeit ersetzt wurden! (3,5 Lilien)

Das hat mir nicht gefallen:

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Mein Fazit

„High Rise Isle“ ist eine solide, überraschend erwachsene und feministische Dystopie mit einer interessanten Grundidee und ein paar Schwächen. Wem eine egalitäre, diverse Vision von der Zukunft (inklusive erfrischend moderner Vorstellung von Männlichkeit) und unerwartete Wendungen wichtiger sind als durchgehende atemlose Spannung, der holt sich mit diesem Debüt sicher einige schöne, unterhaltsame Lesestunden ins Haus!

Bewertung

Idee: 5 Lilien ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 3 Lilien
Umsetzung: 3 Lilien
Worldbuilding: 3 Lilien
Einstieg: 4 Lilien
Ende: 3 Lilien
Schreibstil: 4 Lilien
Protagonistinnen: 3,5 Lilien
Figuren: 4 Lilien
Spannung: 3 Lilien
Wendungen: 5 Lilien ♥
Atmosphäre: 4 Lilien
Emotionale Involviertheit: 4 Lilien
Feministischer Blickwinkel: 5 Lilien ♥
Chance, dass ich das Buch nie vergessen werde: mittel

Insgesamt:

❀❀❀ Lilien

Dieses Buch bekommt von mir drei Lilien!

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