Enttäuschender 08/15-Thriller mit unsympathischem Protagonisten, wenig Spannung und (zu) viel weiblichem Leid!
Der Blutkünstler (Tom-Bachmann-Serie 1) Spoilerfreie Rezension!
Inhalt
Ein Mörder geht in Deutschland um und inszeniert seine weiblichen Opfer als Kunstobjekte. Tom Bachmann, ein berühmter Profiler, soll dem BKA helfen, den Killer so schnell ...
Spoilerfreie Rezension!
Inhalt
Ein Mörder geht in Deutschland um und inszeniert seine weiblichen Opfer als Kunstobjekte. Tom Bachmann, ein berühmter Profiler, soll dem BKA helfen, den Killer so schnell wie möglich zu fassen, denn die Abstände zwischen den Morden werden immer kürzer…
Übersicht
Einzelband oder Reihe: Band #1 einer Reihe
Erzählweise: Figuraler Erzähler
Perspektive: männliche Perspektive
Kapitellänge: kurz
Tiere im Buch: - Eine tote Katze wird beschrieben, die vor ihrem Tod gequält wurde.
Triggerwarnung: Mord von Menschen, Femizid, Blut, Gewalt, Folter, Tierquälerei, Gewalt gegen Frauen, Missbrauch, sexualisierte Gewalt, Tierquälerei, Jagd, Tod von Tieren
Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: Schla+++, Hu++, Nu++, M+ststück
Warum dieses Buch?
Ich fand das Cover echt toll und hatte im Vorfeld nur Gutes über diesen Thriller aus Deutschland (auch was Besonderes!) gehört.
Meine Meinung
Das hat mir gefallen…
… der Schreibstil. Chris Meyers flüssiger, schnörkelloser und anschaulicher Schreibstil ist optimal für einen Thriller geeignet und führt dazu, dass sich das Buch sehr schnell und angenehm lesen lässt. (4 Lilien)
Coole Beschreibung der Pathologin: „Die rötlichen Haare hatte sie zu einem kurzen Zopf zusammengebunden, aus dem einzelne Strähnen herausgefallen waren. Sanft wiegte sie ihren Kopf zur Musik […] Ihr rechter Zeigefinger zuckte, als dirigierte sie ein imaginäres Orchester. In der linken Hand hielt sie eine menschliche Leber.“ E-Book, Position 515
… die Vergangenheit des Protagonisten. Tom Bachmann hat eine schmerzhafte, schlimme Vergangenheit, die ihn geprägt hat und die relativ tiefgründig besprochen wird. Hier hat sich der Autor etwas Kreatives und Düsteres ausgedacht, das ich so noch nirgends sonst gelesen habe! Die besondere Beziehung zu seinem alten Freund Aaron fand ich zudem sehr glaubhaft und berührend dargestellt. (4 Lilien)
… die Dialoge. Die lebendigen, temporeichen Dialoge zwischen den Polizist:innen habe ich sehr gerne gelesen. (4 Lilien)
Das lässt mich zwiegespalten zurück:
… die Atmosphäre. Manche Szenen fand ich sehr atmosphärisch und gruselig beschrieben, wie zum Beispiel den Moment, in dem eine Angestellte ihre ermordete Chefin auffindet. In anderen Momenten war dafür noch Luft nach oben, was die Atmosphäre betrifft. (3 Lilien)
„Töte Sie.“ E-Book, Position 69
Das hat mir nicht gefallen:
… der Spannungseinbruch. Im ersten Drittel steigt das Spannungsniveau noch kontinuierlich an – sobald man aber merkt, dass man hier nichts Besonderes und keine Überraschungen mehr erwarten darf, setzt Ernüchterung ein und die Spannung bricht im Mittelteil ein und kann sich bis zum Ende nicht mehr erholen. (2 Lilien)
… der Plot und die Themen. In ihrer Rezension schreibt @archer (Lovelybooks), der Thriller wirke „wie von einem Bot geschrieben“. Nach der Lektüre verstehe ich nun, wie die Person das meinte und kann ihr nur zustimmen. Dieses Buch wirkt so, als hätte jemand (der das Genre aber weder kennt noch liebt) einen Thriller nach amerikanischem Vorbild und nach strenger Anleitung geschrieben. Das Buch enthält an der Oberfläche eigentlich alles, was ein typischer Thriller braucht: grausame Morde, einen intelligenten Mörder, Ermittler mit eigenen Problemen, Ermittlungsarbeit, Wendungen und einen Showdown. Insgesamt wirkt die Geschichte aber lieblos und (für eine erfahrene Thrillerleserin) wie der Inbegriff eines 08/15-Thrillers – er ist (zumindest meiner Meinung nach) ein fader Abklatsch der tollen Krimis und Thriller aus dem amerikanischen und englischen Raum, die ich so geliebt habe. Dem „Blutkünstler“ fehlt der besondere Funke, wodurch er sich von der Flut an Krimis abhebt und im Gedächtnis bleibt. Die Lektüre ist nicht einmal zwei Wochen her und trotzdem habe ich das Gefühl, die halbe Geschichte schon wieder vergessen zu haben. Für mich ist jedenfalls definitiv nach diesem ersten Band Schluss – die Fortsetzung werde ich nicht mehr lesen. Wer einen richtig guten Thriller mit Aufsehen erregenden Morden, viel Spannung und liebevoll ausgearbeiteten Figuren lesen möchte, der sollte sich besser an Daniel Coles Thrillerreihe halten (Band 1: Ragdoll), für die gibt es von mir eine große Leseempfehlung! (2 Lilien)
„Rein statistisch ist die überwiegende Mehrheit der Serienmörder in der Altersgruppe von sechzehn bis sechsunddreißig anzutreffen.“ E-Book, Position 1380
… die Wendungen. Einer Thrillerveteranin, die schon viele großartige unerwartete Wendungen geschockt und erschüttert haben, entlocken die mittelmäßigen Twists in diesem Buch leider nur ein müdes Gähnen. Das geht besser! (1 Lilie)
… die Klischees. Ich kann einem Buch viel verzeihen, wenn es mich fesselt – Logiklöcher, fehlende Tiefe, Kitsch – aber bei Klischees hört der Spaß wirklich auf. Gegen vereinzelte Klischees habe ich ja nichts (das lässt sich auch nur schwer vermeiden), aber hier waren es für meinen Geschmack einfach zu viele. Der Profiler ist ein Frauenheld mit möchtegerncoolen Sprüchen, einer dunklen Seite und einer Leere, die nur die Mörderjagd füllen kann. Der Informatiker des BKA ist ein übergewichtiger Nerd, der den ganzen Tag Red Bull trinkt, der Mörder derart eindimensional böse, dass er genauso gut ein Bösewicht in einem Comic sein könnte. Da bin ich leider raus! (2 Lilien)
… die fehlende Tiefe. Obwohl man durchaus merkt, dass der Autor versucht, seiner Geschichte Tiefe zu verleihen (was auch in vereinzelten Momenten von Erfolg gekrönt ist), gelingt das leider über weite Strecken nicht. (2 Lilien)
… der Protagonist und die Figuren. Tom Bachmann ist einfach so ein „Unsympathler“, dass ich 90% der Zeit nur genervt von ihm war. Er verhält unempathisch und grob den Angehörigen der Toten gegenüber (absolutes No-Go!), fühlt sich allen überlegen und zeigt das mit möchtegerncoolen Sprüchen. Die Frauen, mit denen er schläft, sind ihm dermaßen egal, dass ihn nicht einmal deren Name interessiert und von einem berühmten Profiler hätte ich mir auch mehr erwartet. Viel mehr oder anderes als die anderen Ermittler:innen macht er auch nicht – ernüchternd. Die anderen Figuren blieben leider bis auf wenige Ausnahmen sehr blass und eindimensional, wodurch mir ihr Schicksal ziemlich egal war. (1 Lilie)
… das Leid der Frauen und die Misogynie. Ich bin zwar eine Feministin, aber auch eine Thrillerliebhaberin, was ohnehin oft zu einem Zwiespalt führt. Dass es in Thrillern meist um grausame Frauenmorde geht, ist mir bewusst (auch wenn ich es nicht gutheiße!) und auch gegen einzelne Kapitel aus Mördersicht habe ich nichts, wenn sie gut geschrieben sind. Aber muss man wirklich seitenlang die Folter, die Morde und das Leid der Frauen aus Sicht des Killers beschreiben? Auf mich machte das den Eindruck, als würde man sich am Leid der Frauen regelrecht ergötzen und hätte ein bisschen zu viel Spaß daran gehabt, das weibliche Leid zu schildern – nichts für ungut! Für mich war das etwas zu viel des „Guten“ – und das liegt sicher nicht daran, dass ich kein Blut oder keine Brutalität in Büchern ertragen kann. Aus feministischer Sicht finde das (und den Sexismus, der vereinzelt auftaucht) trotz einiger Pluspunkte (viele weibliche Figuren, Sexismus wird angesprochen, Geschlechterstereotypen werden gebrochen) sehr problematisch. Sehr gestört hat mich zudem, dass sich ein weibliches Opfer in einer Szene vornimmt, im Falle einer Vergewaltigung nicht zu weinen oder zu „jammern“ (was ist denn das für eine Wortwahl, bitte?), um dem Täter keine Genugtuung zu geben – ich finde, hier merkt man leider den männlichen Blickwinkel des Autors, denn ich finde das höchst unrealistisch, dass eine Frau, die Angst um Leib und Leben hat, in einem solchem Moment so denkt! (2 Lilien)
Mein Fazit
„Der Blutkünstler“ hat mich leider auf ganzer Linie enttäuscht mit seinem 08/15-Plot, seinen mittelmäßigen Wendungen, seinem unsympathischen Protagonisten, den blassen Figuren, den ausufernden Schilderungen des weiblichen Leids, den Klischees und der fehlenden Spannung. Der flüssige Schreibstil, die kreative Vergangenheit des Helden und die lebendigen Dialoge können da leider nichts mehr retten. Für Einsteiger:innen ist dieser Thriller wohl zu blutig und brutal, erfahrene Leser:innen des Genres haben schon deutlich Besseres gelesen und werden wie ich enttäuscht sein – deshalb gibt es für dieses Buch keine Leseempfehlung von mir.
Bewertung
Idee: 3 Lilien
Inhalt, Themen, Botschaft: 2 Lilien
Umsetzung: 2 Lilien
Worldbuilding: 3 Lilien
Einstieg: 4 Lilien
Ende: 3 Lilien
Schreibstil: 4 Lilien
Protagonist: 1 Lilie
Figuren: 2 Lilien
Spannung: 2 Lilien
Wendungen: 1 Lilie
Atmosphäre: 3 Lilien
Emotionale Involviertheit: 2 Lilien
Feministischer Blickwinkel: 2 Lilien
Einzigartigkeit / Chance, dass ich das Buch nie vergessen werde: sehr niedrig
Insgesamt:
❀❀ Lilien
Dieses Buch bekommt von mir zwei Lilien!