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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 22.07.2020

Handwerklich gut gemachter, unterhaltsamer Reihenauftakt – lediglich etwas mehr Island-Atmosphäre hätte ich mir noch gewünscht!

Das Netz
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Spoilerfreie Rezension!


Inhalt

Nach einer schmutzigen Scheidung hat Sonja das Sorgerecht für ihren Sohn verloren. Um sich finanziell abzusichern und es wieder zurückzubekommen, ist sie bereit, alles ...

Spoilerfreie Rezension!


Inhalt

Nach einer schmutzigen Scheidung hat Sonja das Sorgerecht für ihren Sohn verloren. Um sich finanziell abzusichern und es wieder zurückzubekommen, ist sie bereit, alles zu tun – auch Drogen zu schmuggeln. 3 Menschen verfangen sich in einem Netz der Kriminalität…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Band 1 einer Trilogie (Band 2 erscheint im Oktober 2020)
Erzählweise: Figuraler Erzähler, Präteritum
Perspektive: weibliche und männliche Perspektive
Kapitellänge: sehr kurz
Tiere im Buch: - Es werden Hunde vergiftet, ein Tiger wird nicht artgerecht gehalten, eine Fliege stirbt. Zusätzlich wird Fleisch gegessen. Es werden keine Tiere gequält.
Triggerwarnung: Drogen, Alkoholismus, (auch sexualisierte und häusliche) Gewalt, Depression, Folter, Tod von Tieren;

Warum dieses Buch?

Die positiven Rezensionen auf Goodreads haben mich neugierig gemacht. Außerdem liebe ich Island!

Meine Meinung

Einstieg (4 Lilien)

„Die Sorgen und Nöte von damals wirkten in der Rückschau so unglaublich unbedeutend. Seit Sonja in die Falle geraten war.“ E-Book, Position 58

Im ersten Kapitel begleiten wir Sonja bei einem Drogenschmuggel. Man fiebert gleich mit ihr mit und ist gespannt, ob sie erwischt wird. Schon nach wenigen Seiten war ich in die Geschichte eingetaucht.

Schreibstil (5 Lilien ♥)

„Das Wasser spiegelte das Grau des Himmels, kräuselte ihn und warf ihn mit den Wellen hin und her.“ E-Book, Position 1691

Lilja Sigurðardóttirs Schreibstil hat mir sehr gut gefallen! Ihre Sätze haben eine nordische Kühle, die ich mochte, und weisen eine gewisse Komplexität auf, die einem aber kaum auffällt, weil sie so flüssig und angenehm lesbar sind. Die Autorin schreibt relativ schnörkellos und verzichtet großteils auf Metaphern und Vergleiche. Trotzdem gelingt es ihr, anschauliche Formulierungen zu finden und sowohl Spannung zu erzeugen als auch das Innenleben ihrer Figuren sehr greifbar und intensiv zu schildern.

Idee, Inhalt, Themen & Ende (4 Lilien)

„Die Falle, wie sie diesen ganzen Schlamassel im Stillen nannte, war in Wirklichkeit gar keine Falle. Es war ein Netz. Ein Netz, das sich immer weiter zuzog, je verzweifelter sie versuchte, sich daraus zu befreien.“ E-Book, Position 2898

„Das Netz“ ist ein rundum gelungener Krimi-Reihenauftakt, der mich wirklich gut unterhalten konnte und der auch die eine oder andere unerwartete Wendung zu bieten hat. Im Mittelpunkt stehen das Island der Jahre 2010-2011, das tief in der Wirtschaftskrise steckt, und ernste Themen wie Drogenschmuggel, gescheiterte Beziehungen, der Kampf ums Sorgerecht, Alkoholismus und andere menschliche Abgründe. Dieser Krimi geht der Frage nach, warum Menschen in die Kriminalität rutschen und was ihre Motive sind. Deshalb könnte das „Netz“ durchaus auch als tiefgründige Charakterstudie beschrieben werden.

Spannung entsteht durch das Entdecken dieser menschlichen Abgründe und durch das Mitfiebern, ob die Kriminellen wohl erwischt werden. Interessanterweise stellt man sich beim Lesen immer wieder auf die Seite der TäterInnen, weil man sie natürlich kennen und lieben gelernt hat und ihre Notlagen sehr gut verstehen kann. Großartig fand ich auch den Humor, der in einzelnen Momenten durchblitzt – manche Situationen haben mich echt zum Schmunzeln gebracht (vor allem jene mit der Nachbarin, die immer wieder ihren kaputten Computer zu Sonja bringt).

Dass das Buch relativ dünn ist, merkt man ihm vor allem am Schluss an: Dieser ist sehr offen. Alle Erzählstränge hängen in der Luft, enden in einem Cliffhanger. Ich hätte mir hier mehr Antworten und ein runderes, abgeschlosseneres Ende gewünscht, aber auch mit dem vorhandenen kann ich leben. Es macht auf jeden Fall neugierig auf die Fortsetzung, das steht fest!

ProtagonistInnen & Figuren (5 Lilien ♥ & 5 Lilien ♥)

„‘Wir sind alle Raubtiere, auch wenn wir etwas anderes vorgeben.‘“ E-Book, Position 1225

Eine der größten Stärken dieses Krimis sind mit Sicherheit seine liebevoll ausgearbeiteten und interessanten Figuren. Sie sind frei von Klischees und haben nicht diese „typischen“, schon hundertmal gelesenen, sondern erfrischend andere Probleme: Sonja kämpft um das Sorgerecht für ihren Sohn, Agla will sich ihre Bi- oder Homosexualität nicht eingestehen und ist in illegale Bankengeschäfte verwickelt und Bragi leidet darunter, seine demente Frau in ein Pflegeheim gegeben zu haben. Ich habe die drei sympathischen ProtagonistInnen sehr gerne begleitet und mit ihnen mitgefiebert, mitgefühlt und mitgelitten.

Die Nebenfiguren konnten mich ebenfalls durch die Bank überzeugen, auch wenn viele von ihnen nur eine kleine Rolle haben. Besonders gern mochte ich Sonjas patente und beherzte Nachbarin, um die ich sie ehrlich gesagt sogar ein bisschen beneide.

Spannung (4 Lilien) & Atmosphäre (2 Lilien)

Durch die vielen kurzen Kapitel erzeugt dieses Buch von Beginn an ein gewisses Tempo und eine unterschwellige Spannung. Insgesamt habe ich mich von diesem Krimi sehr gut unterhalten gefühlt. Trotzdem kommt die Geschichte ein wenig langsam in Schwung. Etwas mehr Spannung hätte es also durchaus noch sein dürfen.

Hauptsächlich habe ich diese Geschichte ausgewählt, weil sie in Island spielt und weil ich das Lebensgefühl dort und die kühle nordische Atmosphäre sehr schätze. Leider kam im Buch nur wenig Island-Atmosphäre auf. Sicher, das Land und seine Probleme werden immer wieder erwähnt, aber die Geschichte hätte im Prinzip überall spielen können. Hier hätte ich mir schon mehr erhofft.

Feministischer Blickwinkel (4 Lilien)

Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: Schlam++

Eine feministische Analyse führt bei diesem Krimi zu einem zufriedenstellenden Ergebnis, was vor allem an den starken Frauenfiguren liegt. Das Buch besteht zudem auch problemlos den Bechdel-Test. Gestört haben mich nur vereinzelte Geschlechterstereotypen und dass im professionellen Bereich verhältnismäßig wenige Frauen vertreten waren. Da war noch etwas Luft nach oben.

Mein Fazit

„Das Netz“ ist ein rundum gelungener Krimi-Reihenauftakt, der mich gut unterhalten konnte und der auch die eine oder andere unerwartete Wendung zu bieten hat. Überzeugen konnten mich der schnörkellose, kühle und angenehm lesbare Schreibstil, die liebevoll ausgearbeiteten Figuren und starken Frauen im Buch, der Humor und die ernsten und tiefgründig verarbeiteten Themen. Lediglich etwas mehr Spannung, ein weniger offenes Ende und mehr Island-Atmosphäre hätte ich mir gewünscht. Von mir gibt es für diesen handwerklich wirklich gut gemachten Krimi jedenfalls eine Leseempfehlung!

Bewertung

Idee: 4 Lilien
Inhalt, Themen, Botschaft: 4 Lilien
Umsetzung: 4 Lilien
Worldbuilding: 3,5 Lilien
Einstieg: 4 Lilie
Ende / Auflösung: 3 Lilien
Schreibstil: 5 Lilien ♥
ProtagonistInnen: 5 Lilien ♥
Figuren: 5 Lilien ♥
Spannung: 4 Lilie
Atmosphäre: 2 Lilien
Emotionale Involviertheit: 5 Lilien
Feministischer Blickwinkel: 4 Lilien

Insgesamt:

❀❀❀❀ Lilien

Dieses Buch bekommt von mir vier Lilien!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 09.07.2020

Tolles Setting und traurige Geschichte – leider kamen mir die Gefühle zu kurz!

Ich bleibe hier
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Achtung: Die Rezension enthält Spoiler zum Ausgang der Geschichte (sie geht auf den heutigen Zustand des Ortes ein)!

Inhalt

In „Ich bleibe hier“ begleiten wir die Südtiroler Lehrerin Trina von ihren ...

Achtung: Die Rezension enthält Spoiler zum Ausgang der Geschichte (sie geht auf den heutigen Zustand des Ortes ein)!

Inhalt

In „Ich bleibe hier“ begleiten wir die Südtiroler Lehrerin Trina von ihren Jugendjahren als Studentin bis ins mittlere Alter. Dabei muss die Bäuerin gegen viele Bedrohungen ankämpfen: den italienischen Faschismus, den Zweiten Weltkrieg und den Bau eines Staudamms, durch den ihr Heimatdorf überflutet und für immer zerstört werden soll.

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Erzählweise: Ich-Erzähler, Präteritum
Perspektive: weibliche Perspektive
Kapitellänge: kurz
Tiere im Buch: - Es werden Tiere geschlachtet und getötet (sie ertrinken, werden mit einem Stock erschlagen), außerdem gibt es einen Kettenhund, ein Hund wird zurückgelassen und ein Hund wird an einen Schlachter verkauft.
Triggerwarnung: Tod von Tieren, Tod von Menschen, Mord, Blut, Gewalt, Krieg, Diskriminierung;

Warum dieses Buch?

Der Klappentext, der eine starke Protagonistin versprach, hat mich neugierig gemacht – außerdem wollte ich wieder einmal einen historischen Roman lesen.

Meine Meinung

Einstieg (2 Lilien)

„Bis zum Marsch auf Bozen verlief das Leben in den Grenztälern im Rhythmus der Jahreszeiten. Es schien, als käme die Geschichte nicht bis hier herauf. Sie war wie ein Echo, das verhallte.“ E-Book, Position 100

Es fiel mir schwer, in die Geschichte zu finden, weil ich mit dem Schreibstil Probleme hatte. Nach einem Drittel war ich dann endlich im Buch angekommen.

Schreibstil (3 Lilien)

Marco Balzano hat einen flüssigen und angenehm lesbaren Schreibstil. Die Sätze und Beschreibungen sind schnörkellos und klar, was mir gefallen hat. Leider empfand ich die Erzählweise aber auch als sehr nüchtern und emotionslos, was es mir schwer machte, mit den Figuren mitzufühlen und mitfiebern. Die Dialoge wirkten zudem hölzern, küsntlich und nicht besonders lebendig. Ob das wohl zum Teil an der Übersetzung liegt?

Idee, Inhalt, Themen & Ende (3,5 Lilien)

„Ich werde dir berichten, was sich hier in Graun abgespielt hat. An dem Ort, den es nicht mehr gibt.“ E-Book, Position 711

Marco Balzanos historischer Roman „Ich bleibe hier“ basiert auf wahren Begebenheiten. Der einsame Kirchturm, der mitten im Reschensee aus dem Wasser ragt und ein beliebtes Touristenziel geworden ist, bezeugt noch heute den Untergang des idyllischen Bergdorfes Graun, das beim Bau eines Staudammes überflutet wurde. Das Buch behandelt viele ernste Themen und ist nicht immer leicht zu verdauen. Es geht um Krieg, Faschismus, Diskriminierung, Sprache, Heimat, Verlust, Bildung, Mutterschaft, Familie und das Überleben unter widrigen Umständen. Auch das einfache, friedliche, aber auch harte Landleben in dieser Gegend, der Bau des Staudammes und die ungerechte Behandlung der Grauner Bevölkerung werden thematisiert. Für sein Buch hat der Autor sorgfältig recherchiert, was man auch merkt. Er hat dazu mit Augenzeugen gesprochen, aber auch viel schriftliches Material gesichtet.

In Briefen an ihre Tochter erzählt Trina ihre Geschichte. Obwohl die Vorkommnisse objektiv betrachtet teilweise schrecklich sind und obwohl einige Themen durchaus tiefgründig behandelt werden, blieben für mich die Gefühle leider beinahe vollkommen auf der Strecke. Die Geschichte konnte mich weder richtig emotional erreichen noch fesseln. Ich fühlte mich wie eine entfernte Beobachterin. Lediglich das zweite (und stärkste) Drittel des Buches konnte mich überzeugen, da gab es einige sehr starke, schockierende und berührende Momente, die ich nicht so schnell vergessen werde.

Ein weiterer Grund dafür, dass mich die Geschichte insgesamt etwas enttäuscht zurückgelassen hat, ist, dass der Klappentext meiner Meinung nach irreführend ist. Erstens nehmen der Bau des Staudammes und der Protest dagegen nur einen sehr kleinen Teil der Geschichte ein und werden dann auch schnell abgehandelt, was ich sehr schade fand. Dass das Buch eine halbe Biographie ist und Trina so viele Jahre lang begleitet, habe ich auch nicht erwartet. Zweitens wird die Protagonistin im Klappentext als starke, mutige Rebellin dargestellt, die „mit Leib und Seele“ kämpft – in Wirklichkeit ist sie das aber nur am Beginn, als sie nach dem Verbot heimlich Deutsch unterrichtet. Ab dann wird sie zu einer Mitläuferin, die großteils ihren Mann entscheiden lässt und ihm dann folgt und tut, was er sagt. Ich habe etwas anderes erwartet und bin daher enttäuscht. Vieles lässt Trina scheinbar emotionslos über sich ergehen. Vor allem bei der Szene mit dem Hund – wie konnte sie da zulassen, dass Erich sich durchsetzt? Ich würde mein Tier mit Zähnen und Klauen verteidigen, wenn es mir jemand wegnehmen wollen würde! Das Ende selbst fand ich dann aber wieder rund und gelungen – es hat mir gut gefallen.

Protagonistin & Figuren (3 Lilien & 2 Lilien)

„Es wird schon seinen Grund haben, wenn Gott und die Augen vorne eingesetzt hat! Das ist die Richtung, in die wir schauen müssen, sonst hätten wir die Augen an der Seite wie die Fische.“ E-Book, Position 743

Trina mochte ich als Protagonistin, besonders in ihrer Studienzeit, in der sie noch sehr frei und offen wirkte (später hinterlässt ihr hartes Schicksal seine Spuren an ihr). Ich habe sie gerne begleitet, auch wenn ich das Gefühl hatte, nicht an sie heranzukommen. Es blieb ständig eine gewisse Distanz, ihre Gefühle kamen zu oft nicht bei mir an. Das machte es sehr schwer (und bisweilen sogar unmöglich) für mich, eine emotionale Bindung zu ihr aufzubauen. Bis zum Ende ist mir das nicht richtig gelungen.

Auch die anderen Figuren blieben mir bis zum Schluss fremd. Sie wirkten großteils leblos, farblos und konstruiert, sie waren nicht greifbar für mich. Außerdem war mir Erich irgendwie latent unsympathisch – ich kann nicht genau sagen warum. Für mich sind liebevoll ausgearbeitete Figuren einer der wichtigsten Aspekte bei einem Buch – wenn sie mich nicht überzeugen, hat es ein Roman bei mir sehr schwer.

Spannung (3 Lilien) & Atmosphäre (3 Lilien)

„Das Tal war nicht mehr erfüllt vom Läuten der Kuhglocken und vom Rascheln des Grases. Der Lärm der Lastwagen und Traktoren hatte die Stille getötet.“ E-Book, Position 911

Es ist nicht so, dass ich die Geschichte langatmig fand – es gab durchaus einige Szenen, in denen mir der Atem gestockt hat, aber etwas mehr Spannung und Tempo hätten ihr meiner Meinung schon gutgetan. Der Spannungbogen baut sich im ersten Drittel sehr langsam auf und erreicht im zweiten Drittel seinen Höhepunkt. Auch im letzten Drittel gibt es noch einige spannende Szenen. Dazwischen bricht die Spannung immer wieder ein, was ich aber nicht so schlimm fand, da es sich um einen historischen Roman handelt und nicht um einen Thriller. Hauptsächlich waren es die Schrecken des Krieges, die Unterdrückung, die herannahenden Bedrohungen, die eine subtile Beklemmung und Spannung erzeugten.

Das Setting der Geschichte – ein idyllisches Bergdorf in Südtirol – und die ruhige, friedliche, aber auch einfache und genügsame Lebensweise dort mochte ich sehr. Teilweise waren die Beschreibungen sehr atmosphärisch und anschaulich, in manchen Momenten hätte ich mir aber auch mehr Details (besonders was das Aussehen von Menschen betrifft) für das Kopfkino gewünscht.

Feministischer Blickwinkel (3 Lilien)

Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: Hu++

Was den feministischen Blickwinkel auf die Geschichte betrifft, bin ich zwiegespalten. Einerseits ist Trina intelligent, kompetent und durch ihr Studium besser gebildet, als alle Männer in ihrem Umfeld; sie ist in manchen Momenten sehr stark, setzt sich durch und trifft eigene Entscheidungen. Andererseits ordnet sie sich Erichs Meinung viel zu oft unter, lässt ihn viel zu oft entscheiden und lässt sich zu viel gefallen. Ich hätte mir eine emanzipiertere, rebellischere, energischere Trina gewünscht. Damals waren zwar die Geschlechterrollen zwar noch anders verteilt (das sehe ich ein), aber manche Geschlechterstereotypen hätten nicht sein müssen. Gestört haben mich auch Aussagen wie die, dass Erich mit dem Baby nichts anfangen kann, weil es noch nicht reden kann. Na, Glück gehabt, dass Frauen mit ihren Babys etwas anfangen können, denn wer würde sie sonst versorgen? So eine Aussage können sich nur Männer erlauben – ich finde es schade!

Mein Fazit

Marco Balzanos historischer Roman „Ich bleibe hier“ basiert auf wahren Begebenheiten, behandelt viele ernste Themen und ist nicht immer leicht zu verdauen. Ich mochte die Klarheit des angenehm lesbaren Schreibstils, die Protagonistin, das schöne Setting und das starke zweite Drittel des Romans mit seinen berührenden und schockierenden Momenten. Insgesamt lässt mich das Buch aber etwas enttäuscht zurück, was vor allem an der emotionslosen Nüchternheit des Schreibstils, am irreführenden Klappentext, an den hölzernen Dialogen und daran, dass mich das Buch emotional leider nicht erreichen und fesseln konnte, liegt. Von mir gibt es daher keine klare Leseempfehlung – aber da so viele Leser*innen von der Geschichte begeistert waren, solltet ihr dieser Reise nach Südtirol auf jeden Fall eine Chance geben! Vielleicht gefällt sie euch ja besser als mir.

Bewertung

Idee: 5 Lilien
Inhalt, Themen, Botschaft: 3,5 Lilien
Umsetzung: 3 Lilien
Worldbuilding: 3,5 Lilien
Einstieg: 2 Lilie
Ende / Auflösung: 4 Lilien
Schreibstil: 3 Lilien
Protagonistin: 3 Lilien
Figuren: 2 Lilien
Spannung: 3 Lilie
Atmosphäre: 3 Lilien
Emotionale Involviertheit: 2 Lilien
Feministischer Blickwinkel: 3 Lilien

Insgesamt:

❀❀❀ Lilien

Dieses Buch bekommt von mir drei Lilien!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 05.07.2020

Authentisch, ehrlich, feministisch, aber auch langatmig – konnte mich leider emotional nicht erreichen!

Superbusen
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Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

In Paula Irmschlers Debüt „Superbusen“ geht es um Selbstfindung, Erwachsenwerden, Frauenfreundschaften, Musik, das WG-Leben – und um eine erfolglose Studentin und ihre ...

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

In Paula Irmschlers Debüt „Superbusen“ geht es um Selbstfindung, Erwachsenwerden, Frauenfreundschaften, Musik, das WG-Leben – und um eine erfolglose Studentin und ihre Erlebnisse in Chemnitz.

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Erzählweise: Ich-Erzähler, Präsens
Perspektive: männliche Perspektive
Kapitellänge: kurz
Tiere im Buch: + Es wird Fleisch gegessen und der Tod von Tieren wird erwähnt. Es werden keine Tiere verletzt oder gequält.
Triggerwarnung: Depression, Alkohol, Drogen, Sexismus, Rassismus, Rechtsextremismus;

Warum dieses Buch?

Die positiven Besprechungen im Feuilleton und das Thema „Chemnitz“ (über diese Stadt hört man ja nicht viel Gutes) haben mich neugierig gemacht!

Meine Meinung

Einstieg (1 Lilie)

Schon lange ist mir der Einstieg in eine Geschichte nicht mehr so schwergefallen wie bei diesem Roman. Es dauerte viele Kapitel, bis sich überhaupt einmal ein gewisser Lesefluss einstellen wollte – und so richtig ins Buch gefunden habe ich bis zum Schluss nicht.

Schreibstil (3 Lilien)

„Als Kind spielte ich mit meinen Geschwistern „Der Boden ist Lava“, wobei man sich aufs Bett retten musste – mit Paul und über 20 Jahre später war nun das Bett selbst die gefährliche Zone.“ E-Book, Position 109

An sich hat Paula Irmschler einen einfachen, flüssig lesbaren, lockeren und oft mündlich geprägten Schreibstil, an dem es (bis auf den einen oder anderen etwas holprig klingenden Satz) nicht viel auszusetzen gibt. Leider konnte sie mich mit ihrer Art zu schreiben nicht fesseln – ich empfand ihren Erzählstil leider als sehr langatmig.

Idee, Inhalt, Themen & Ende (3 Lilien)

„Auf dem Chemnitzer Sonnenberg kann man sich quasi Paläste leisten, es steht genug leer, man muss nur vorgeben, sich mit den im Viertel vorherrschenden Nazis arrangieren zu können, und abends aufpassen. Aber das ist hier normal.“ E-Book, Position 449

„Superbusen“ ist ein Roman mit autobiographischen Einflüssen über das Erwachsenwerden, die Unsicherheit in den Zwanzigern und die Stadt Chemnitz, die ihren extrem schlechten Ruf nicht verdient, sondern durchaus auch schöne Seiten zu bieten hat. Thematisch stehen das Leben als Studierender, als WG-Mitbewohnerin und als Mitglied einer Band, Liebe und Freundschaft, aber auch ernste Themenbereiche wie Depression, Stagnation, finanzielle Not (und ausbeuterische Jobs), Rassismus und Sexismus im Mittelpunkt. Beschreibungen der rechtsextremen Szene in Chemnitz und Giselas Teilnahme an linken Gegendemonstrationen nehmen ebenfalls einen großen Teil des Buches ein – die Schilderungen von gefährlichen Heimwegen und der Angst vor den Neonazis sind beklemmend und erschreckend. Ihre Themen behandelt die Autorin mit angemessener Tiefe. Ich liebe die treffenden Beobachtungen und Beschreibungen des Studienalltages! Zudem fand ich die gesellschaftskritischen und gleichzeitig lustigen Songtexte der Band großartig! Trotzdem ließen mich Irmschers Schilderungen (bis auf eine sehr berührende Szene gegen Ende) auf seltsame Weise kalt, der Roman konnte mich leider emotional nicht erreichen.

Das Buch wird oft als humorvoller Pop-Roman beschrieben – und tatsächlich gibt es einige Referenzen zur Popkultur (z. B. Britney Spears). Allerdings fand ich die lustigen Szenen eher sparsam gesät und das Buch stellenweise sehr deprimierend. Gisela scheitert immer wieder, kann sich nicht aufraffen, nicht entscheiden, ist unglücklich, wirkt wie gelähmt. Aus diesem Grund sollten Menschen mit depressiven Verstimmungen meiner Meinung nach eher nicht zu diesem Buch greifen, da es einen beim Lesen doch sehr runterzieht – zumindest habe ich das so empfunden. Das Ende ist meiner Meinung nach gut gelungen – auch wenn es mir nicht lange in Erinnerung bleiben wird.

Das gleiche Problem, das ich schon mit Saša Stanišićs „Herkunft“ hatte, habe ich auch mit „Superbusen“. Man merkt dem Buch seine autobiographischen Einflüsse an, und die eigene Lebensgeschichte ist natürlich immer interessant, leider gelingt es Paula Irmschler aber nicht, ihre Geschichte so aufs Papier zu bringen, dass auch ich (als fremde Person) sie spannend finde. Ich wurde leider nicht so richtig mit dem Buch warm.

Protagonistin & Figuren (4 Lilien & 2 Lilien)

„Ich ging auf die Realschule, weil da meine Geschwister waren, und dort fand ein schneller Wechsel von Miteinanderspielen zu Miteinandersaufen und Miteinandergehen statt.“ E-Book, Position 634

Mir war Gisela, eine erfolglose, unentschlossene Studentin der Politikwissenschaften, von Beginn an sympathisch. Besonders gefallen hat mir an ihr ihre gnadenlose Ehrlichkeit, wenn es um eigene Schwächen geht. Das fand ich sehr erfrischend! Anstatt sich zu rechtfertigen, steht sie z. B. einfach zu ihrer Faulheit. Mir hat auch gefallen, dass sie sich verletzlich zeigt und offen über ihr geringes Selbstbewusstsein, ihre psychischen Probleme und Fatshaming spricht. Auch ich habe manchmal Selbstzweifel und fühle mich wie eine „Loserin“, diese Lektüre hat mir jedoch gezeigt, dass ich mein Studium (trotz meiner Neigung zum Prokrastinieren) eigentlich bisher ganz gut hinter mich gebracht habe. Ich war beim Lesen oft einfach nur dankbar, dass ich nicht an ihrer Stelle bin. Stellenweise tat sie mir echt leid und ich wollte sie einfach nur in den Arm nehmen – hinter ihrer (an der Oberfläche) oft unbekümmerten Art verbirgt sich nämlich eine große Traurigkeit.

Die anderen Figuren blieben leider zum Teil sehr blass, was ich schade fand. Da ich das Buch nur häppchenweise lesen konnte, habe ich teilweise sogar Charaktere miteinander verwechselt. Durch die nicht wirklich gelungene Figurenzeichnung konnte ich leider nicht so intensiv mit ihnen mitfühlen, wie ich mir das erhofft habe. Giselas Freund_innen blieben mir leider bis zum Schluss fremd, ihr Schicksal war mir egal.

Spannung (1 Lilie) & Atmosphäre (4 Lilien)

Die größte Schwäche des Debütromans ist meiner Meinung nach der Mangel an Spannung. Ich empfand die Geschichte als unglaublich zäh und langatmig, sodass ich mich leider durchgequält und immer wieder mit dem Gedanken gespielt habe, das Buch abzubrechen. Aufgrund der positiven Rezensionen im Feuilleton und weil ich Angst hatte, etwas Wichtiges zu verpassen, hielt ich dann doch irgendwie bis zum Schluss durch – gerade so.

Die Atmosphäre im Buch – die Beschreibungen von Chemnitz, des WG-Lebens, des Studierens – haben mir hingegen wirklich gut gefallen! Schnell werden die verschiedenen Schauplätze so vor dem inneren Auge lebendig.

Feministischer Blickwinkel (5 Lilien ♥)

Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: Schlam++, Fo+++

Einer feministischen Analyse hält „Superbusen“ problemlos stand. Das Buch besteht den Bechdel-Test, ist eine Ode an Frauenfreundschaften, spricht unaufgeregt und feministisch über Abtreibung, Sexismus, Victim Blaming und Belästigung. Die beiden Beispiele für gegenderte Beleidigungen (Schlam++, Fo+++) unterstreichen die wichtige Botschaft. Natürlich bekommt der Roman bei diesem Unterpunkt absolut verdient alle Punkte!

Mein Fazit

„Superbusen“ ist ein authentischer, ehrlicher und feministischer Roman, der aber leider auch sehr langatmig ist und mich weder fesseln noch emotional erreichen konnte. Gefallen haben mir der flüssige, lockere Schreibstil, die tiefgründige Verarbeitung von Themen wie Selbstfindung, Freundschaft, Studium, Depression und Rassismus, der Humor, die treffenden Beobachtungen, die erfolglose, aber sehr sympathische Protagonistin und die gelungenen Beschreibungen der Schauplätze. Einer feministischen Analyse hält „Superbusen“ zudem problemlos stand. Nicht überzeugen konnten mich die blassen Nebenfiguren, die fehlende Spannung, der schwierige Einstieg ins Buch und die Tatsache, dass ich mit dem Debüt einfach nicht warm geworden bin. Kurz: Eine klare Leseempfehlung gibt es von mir dieses Mal nicht – „Superbusen“ ist für mich ein Roman, den man lesen kann, den man aber nicht unbedingt gelesen haben muss.

Bewertung

Idee: 4 Lilien
Inhalt, Themen, Botschaft: 3 Lilien
Umsetzung: 3 Lilien
Worldbuilding: 4 Lilien
Einstieg: 1 Lilie
Ende / Auflösung: 3 Lilien
Schreibstil: 3 Lilien
Protagonistin: 4 Lilien
Figuren: 2 Lilien
Spannung: 1 Lilie
Atmosphäre: 4 Lilien
Emotionale Involviertheit: 3 Lilien
Feministischer Blickwinkel: 5 Lilien ♥

Insgesamt:

❀❀❀ Lilien

Dieses Buch bekommt von mir drei Lilien!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 04.07.2020

Poetische, berührende, wunderschön illustrierte Geschichte über Traurigkeit, Hoffnung & Mitgefühl! ♥

Der blaue Vogel
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Inhalt

In diesem Kinderbuch geht es um Hoffnung und Mitgefühl – und um einen traurigen Vogel, der einen Freund gewinnt und dadurch sein Glück wiederfindet.

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Altersempfehlung: ...

Inhalt

In diesem Kinderbuch geht es um Hoffnung und Mitgefühl – und um einen traurigen Vogel, der einen Freund gewinnt und dadurch sein Glück wiederfindet.

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Altersempfehlung: ab 4 Jahren
Erzählweise: auktorialer Erzähler, Präteritum
Tiere im Buch: + Im Buch werden keine Tiere verletzt oder getötet.
Triggerwarnung: Depression

Warum dieses Buch?

Ich fand sowohl das Cover als auch den Klappentext sehr vielversprechend und schön! Um für die zukünftigen Kinder in meinem Umfeld gewappnet zu sein, bin ich immer auf der Suche nach besonderen und gelungenen Kinderbüchern.

Meine Meinung

Geschichte (5 Lilien ♥)

„Tief im Wald, dort wo die Sonne den Boden nicht mehr berührte, lebte der blaue Vogel.“

Mit „Der blaue Vogel“ hat Britta Teckentrup eine poetische, berührende und herzerwärmende Geschichte für Kinder geschrieben, die erfrischend anders ist und sich mit Themen beschäftigt, die eher selten Einzug ins Kinderbuchgenre finden. Im Mittelpunkt stehen Traurigkeit, aber auch Mitgefühl, Hoffnung, Freundschaft und Glück. Die Geschichte vermittelt eine wichtige Botschaft: Es ist wichtig, sich um traurige Lebewesen zu kümmern, denn Trost und Mitgefühl haben oft eine heilende Wirkung. Aufgrund des glücklichen Endes und der Freundschaft, die sich zwischen den Vögeln entwickelt, eignet sich das Buch dennoch gut als Gutenachtgeschichte.

Meiner Meinung nach werden die Themen des Buches kindgerecht und nicht zu düster umgesetzt. Zudem werden Kinder die Depression nicht auf derselben Ebene wie Erwachsene erfassen, sondern schlicht als große Traurigkeit wahrnehmen. Trotzdem kann ich die Kritik am ernsten und heiklen Thema bis zu einem gewissen Punkt verstehen. Deshalb ist es hier besonders wichtig, beim Vorlesen mit dem Kind darüber zu sprechen, dass es natürlich nicht verantwortlich oder schuld ist, wenn jemand traurig ist und der gespendete Trost nicht hilft. Hier kann man auf kindgerechte Weise ansprechen, dass Traurigkeit auch eine Krankheit sein kann und dass es Ärzte gibt, die einem in so einem Fall helfen können. Das Thema „mentale Gesundheit“ ist immer noch so ein Tabu in unserer Gesellschaft, dass es meiner Meinung nach nur positiv sein kann, wenn mit Kindern schon in jungen Jahren darüber geredet wird.

„Der blaue Vogel“ war mein erstes Buch von Britta Teckentrup – und es wird sicher nicht mein letztes bleiben! Da die Autorin bereits über 100 Bücher illustriert hat, sollte es auf jeden Fall genügend Auswahl für mich geben.

Schreibstil (5 Lilien ♥)

Den Schreibstil der Autorin empfand ich als einfach, leicht verständlich (mir sind keine Wörter aufgefallen, die dem Zielpublikum unbekannt sein dürften) und damit kindgerecht. Gleichzeitig ist ihre Art zu erzählen aber auch wunderbar poetisch!

Figuren (5 Lilien ♥)

Auch die Figuren sind sehr gut gelungen. Man fühlt sofort mit dem traurigen Vogel mit, will ihn trösten und ihm helfen und hofft auf ein Happy End für ihn. So wird spielerisch die Empathiefähigkeit von Kindern gefördert.

Illustrationen (5 Lilien ♥)

Auch die Illustrationen konnten mich auf ganzer Linie überzeugen! Sie sind ungewöhnlich, kreativ, künstlerisch und besitzen eine eigene, etwas raue Schönheit. Rot, Grau, Braun, Schwarz und Blau dominieren, und kleine Pünktchen, als hätte die Autorin hier eine Art Sprühtechnik verwendet, sind sichtbar. Bei meinem Exemplar waren die Bilder ein wenig unscharf, doch das liegt wahrscheinlich daran, dass ich das Buch als E-Book gelesen habe, denn hier kann die Druckqualität von der Print-Ausgabe abweichen.

Geschlechterrollen (5 Lilien)

Auch hier gibt es nichts auszusetzen, da die Vögel offiziell geschlechtslos sind und das Buch frei von Rollenklischees ist. Obwohl man oft geschlechtslose Figuren im Kinderbuchbereich automatisch als männlich wahrnimmt (dazu gibt es Studien), ist das hier nicht geschehen, was positiv ist.

Mein Fazit

Mit „Der blaue Vogel“ hat Britta Teckentrup ein poetisches, berührendes und herzerwärmendes Kinderbuch geschrieben, das sich mit ungewöhnlichen und ernsten Themen beschäftigt (die jedoch absolut kindgerecht behandelt werden): mit Traurigkeit, Hoffnung und Mitgefühl. Der Schreibstil ist leicht verständlich, kindgerecht und poetisch, die Figuren sind sehr gut gelungen und auch die ungewöhnlichen, künstlerischen, auf raue Weise schönen Illustrationen konnten mich auf ganzer Linie überzeugen! Von mir gibt es deshalb eine große Leseempfehlung!

Bewertung

Idee: 5 Lilien ♥
Geschichte: 5 Lilien ♥
Ausführung: 5 Lilien ♥
Schreibstil: 5 Lilien ♥
Personen: 5 Lilien ♥
Illustrationen: 5 Lilien ♥
Rollenbilder: 5 Lilien

Insgesamt:

❀❀❀❀❀♥ Lilien

Dieses Buch erhält von mir fünf Lilien und ein Herz – und somit den Lieblingsbuchstatus und eine uneingeschränkte Leseempfehlung!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 02.07.2020

3,5*: Moderner Liebesroman & wichtiges Plädoyer für eine tolerantere Welt, aber leider nicht so gut wie erwartet!

Royal Blue
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Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Nach einem Streit sollen sich der Sohn der amerikanischen Präsidentin und der britische Kronprinz medienwirksam versöhnen. Doch was, wenn zwischen den beiden mehr ist ...

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Nach einem Streit sollen sich der Sohn der amerikanischen Präsidentin und der britische Kronprinz medienwirksam versöhnen. Doch was, wenn zwischen den beiden mehr ist als Freundschaft? Was, wenn da etwas ist, das nicht sein darf?

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Erzählweise: Figuraler Erzähler, Präsens
Perspektive: männliche Perspektive
Kapitellänge: lang
Tiere im Buch: + Es wird Fleisch gegessen und die Jagd wird (ohne Details) kurz angesprochen, es werden aber keine Tiere im Buch verletzt, gequält oder getötet. Eine Katze lebt in Einzelhaltung, deshalb hier ein wichtiger Hinweis: Katzen sind alleine niemals glücklich (sie sind EinzelJÄGER, keine EinzelGÄNGER), sondern sehr einsam und unglücklich. Sie können verschiedene Verhaltensstörungen entwickeln und depressiv und/oder aggressiv werden. Wer seine Katze liebt, schenkt ihr deshalb mindestens einen Gefährten.
Triggerwarnung: Depression, Alkohol, Drogen, Sexismus, sexualisierte Gewalt, Panikattacken / Angststörung;

Warum dieses Buch?

Nach einigen düsteren und deprimierenden Büchern brauchte ich wieder einmal was Leichtes und Humorvolles. Ich mag zudem Geschichten aus dem LGBT-Bereich. Außerdem hat das Buch viel Lob erhalten und wurde von einigen Magazinen im englischsprachigen Bereich zum Buch des Jahres gewählt. Das alles hat mich natürlich sehr neugierig gemacht!

Meine Meinung

Einstieg (3 Lilien)

Ich habe leider nicht sofort in die Geschichte gefunden, was mit Sicherheit am gewöhnungsbedürftigen Schreibstil lag. Nach einigen Kapiteln war ich aber im Roman angekommen. Übrigens liebe ich die Widmung der Autorin: „Für die Spinner und Träumer“.

Schreibstil (3 Lilien)

Streckenweise kann die Autorin mit ihrem einfachen Schreibstil durchaus punkten und Emotionen und Spannung erzeugen. Insgesamt konnte mich ihre Sprache jedoch leider nicht überzeugen. Einige Aspekte haben mich gestört: Zum einen ist die Erzählsituation etwas unglücklich gewählt. Es wurde sich für einen figuralen Erzähler (Alex, er) entschieden, doch aufgrund der Nähe zur Figur und der Zeit (Präsens) wollte mein Kopf immer wieder in die Ich-Perspektive wechseln, wodurch es zu einer gewissen inneren Spannung bei mir kam. Irgendwann gewöhnte ich mich aber daran.

Nicht gewöhnen konnte ich mich hingegen an die teilweise chaotischen, holprigen und oft sehr unruhig wirkenden Sätze der Autorin. Teilweise gibt es sehr lange Bandwurmsätze, die grundlos aneinandergereiht werden. Hier hätte ich mir gewünscht, dass die Autorin öfter einmal einen Punkt gesetzt hätte. Das hätte einzelnen Sätzen und Worten auch mehr Gewicht verliehen. Auch gestört hat mich zudem, dass ihre Beschreibungen mir oft nicht anschaulich genug waren – besonders bei den Liebesszenen. Manche Schilderungen blieben so kryptisch, dass ich trotz mehrmaligem Lesen nicht verstand, was eigentlich gerade passierte.

Idee, Inhalt, Themen & Ende (3,5 Lilien)

„‘Er ist ein netter Anblick, oder?‘
Alex verzieht das Gesicht. ‚Ja, ich meine, wenn man auf Märchenprinzen steht.‘
‚Tut das nicht jeder?‘“ E-Book, Position 846

Bei jedem Hype-Buch gibt es auch immer ein paar Leute, die das Buch kritisieren und die Begeisterung nicht teilen können. Dieses Mal gehöre ich leider dazu, da ich den Hype nur bedingt nachvollziehen kann.

Mit „Royal Blue“ hat Casey McQuiston eine moderne Liebesgeschichte geschaffen, die sehr stark beginnt, in der ersten Hälfte wirklich gut unterhält und sich perfekt eignet, um darin einzutauchen und der Realität zu entfliehen. Auch wenn bei mir nicht jeder Witz gezündet hat, gab es doch einige lustige Stellen, die mich zum Schmunzeln gebracht haben. Leider ist die zweite Hälfte schwächer, in der Beziehung zwischen Alex und Henry tut sich nicht viel, die Geschichte plätschert relativ spannungsarm vor sich hin – und hat sich ab einem gewissen Punkt für mich leider wirklich sehr gezogen. Die Kritik an der klischeehaften Darstellung der Briten kann ich übrigens auch bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen.

Thematisch stehen Selbstfindung, Outing, das Leben im goldenen Käfig, der Zwiespalt zwischen den Wünschen des Individuums und seinen Verpflichtungen der Familie und Gesellschaft gegenüber, Ziele, Zweifel, Familie und Liebe im Vordergrund. Auch die Politik nimmt einen unerwartet großen Teil der Geschichte ein, was mich aber nicht weiter gestört hat. Während manche Themen tiefgründig besprochen wurden, hätte ich mir bei einigen Aspekten noch mehr Tiefe gewünscht. Das Ende war meiner Meinung nach vorhersehbar und relativ typisch für einen Liebesroman – ich fand es in Ordnung, es wird mir aber nicht lange in Erinnerung bleiben. Übrigens soll die Geschichte auch verfilmt werden – diese Verfilmung werde ich mir nicht entgehen lassen!

Liebesgeschichte (3,5 Lilien)

„Manchmal springt man einfach und hofft, dass es keine Klippe ist.“ E-Book, Position 3527

Nach den vielen positiven Rezensionen habe ich mir ein Buch mit einer einmaligen, emotionalen, unvergesslichen Liebesgeschichte erhofft, die mich nachhaltig berührt. Leider wurden diese hohen Erwartungen nicht erfüllt, da mir die Gefühle oft zu kurz kamen. Sehr gut gefallen hat mir hingegen der sich langsam und glaubwürdig anbahnende Beginn der Liebesgeschichte – diese Zeit, in der beide noch mit ihren Gefühlen kämpften. Zudem gab es auch einige sehr süße Szenen, die mir ein Lächeln ins Gesicht gezaubert und ein Kribbeln im Bauch ausgelöst haben.

Leider gab es auch einige Aspekte, die mich gestört haben. Zum einen waren mir manche Momente echt „too much“ (zu viel), sie waren so kitschig oder dramatisch, dass ich nur die Augen verdrehen konnte. Zum anderen pflegen Henry und Alex teilweise einen eher rauen Umgang miteinander und beschimpfen sich auch im Bett immer wieder. Das ist wohl Geschmackssache, aber ich fand es unangenehm. Das fühle ich leider nicht, bei so etwas kommt bei mir leider keine Romantik auf. Außerdem lag mir der Fokus zu stark auf der körperlichen Anziehung zwischen den beiden, sodass mir die Gefühle der beiden füreinander zu kurz kamen. Es gibt sehr viele (gleichförmige) Liebesszenen, doch tiefsinnige Gespräche und gemeinsame Unternehmungen sind leider sehr sparsam gesät, was ich schade finde.

Auch den Sexszenen stehe ich etwas zwiegespalten gegenüber. Die Autorin beschreibt hier immer nur den Anfang und blendet dann aus. Das finde ich an sich nicht schlecht. Hier habe ich mich allerdings gefragt, woran das liegt, da das doch für einen Liebesroman mit so vielen Sexszenen ungewöhnlich ist. Denkt die Autorin, dass die Welt (die Masse) noch nicht bereit ist für queere Liebesszenen? Mich hat das jedenfalls nachdenklich gemacht. Sehr gestört hat mich hier, dass ich mir eben vieles nicht vorstellen konnte, weil es so kryptisch umschrieben wurde. Das sollte natürlich nicht passieren, hier hat es die Autorin wohl zu gut gemeint.

Protagonist & Figuren (3 Lilien & 3,5 Lilien)

Am Beginn tat ich mich mit Alex, dem Protagonisten, wirklich schwer. Er ist selbstverliebt und arrogant, wodurch es mir teilweise schwer fiel, mit ihm mitzufühlen. Mit der Zeit wurde das allerdings besser, da er auch andere – verletzliche und unsichere – Seiten von sich offenbart. Trotzdem schien er mir als Figur nicht so richtig rund – irgendwie wollte seine überhebliche, egoistische Seite nicht mit der philanthropischen, bodenständigen zusammenpassen. Ich hatte leider auch immer das Gefühl, dass eine Distanz zur Hauptfigur blieb, die sich nicht überwinden ließ. Trotzdem mochte ich zum Beispiel seinen Humor und seine Liebe für seine Familie und Freunde und habe ihn ganz gern begleitet.

Was die Nebenfiguren betrifft, bleiben einige etwas blass, andere, wie zum Beispiel Henry und Nora, fand ich hingegen interessant und gut gelungen. Richtig ins Gedächtnis hat sich bei mir aber leider niemand so richtig gebrannt, was schade ist – dafür waren die Figuren einfach zu austauschbar.

Spannung (3 Lilien) & Atmosphäre (3 Lilien)

Auch was die Spannung betrifft, folgt einer starken ersten eine langatmige, zähe zweite Hälfte. Meiner Meinung nach hätte man im Mittelteil wirklich einiges wegkürzen und der Geschichte dadurch mehr Tempo verleihen können. Eine Straffung hätte dem Buch bestimmt gutgetan. Auch einige Wendungen hält die Geschichte bereit, die allerdings teilweise recht vorhersehbar waren. Bei einem Liebesroman finde ich das jedoch nicht so schlimm.

Die Atmosphäre hätte meiner Meinung nach stellenweise noch etwas dichter sein dürfen. Ich hätte mir hier anschaulichere und schlicht mehr Beschreibungen der Umgebung gewünscht, um mir alles besser vorstellen zu können.

Feministischer Blickwinkel (5 Lilien ♥)

Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: Bitch, Hoe, Flittchen

Was die feministische Analyse betrifft, erhält dieses Buch alle Lilien und ein riesengroßes Lob! Das Buch besteht den Bechdel-Test, enthält unzählige starke, mutige, intelligente und kompetente weibliche Figuren und bricht radikal mit Geschlechterstereotypen und Rollenklischees. In dieser Parallelwelt gibt es sogar die erste weibliche Präsidentin – hier lässt das Buch keine feministischen Wünsche offen! Auch die Diversität im Buch und die verschiedenen sexuellen Orientierungen, über die ganz unaufgeregt gesprochen wird, sind positiv hervorzuheben. Dieser Roman ist ein Plädoyer für eine tolerantere Welt – dass er ein Bestseller geworden ist und die breite Masse erreicht hat, stimmt hoffnungsvoll! Nur selten kann ich Folgendes bei diesem Unterpunkt schreiben: Alles richtig gemacht, bitte weiter so, Casey McQuiston!

Mein Fazit

Mit „Royal Blue“ hat Casey McQuiston eine moderne Liebesgeschichte mit einer starken ersten Hälfte und vielen Stärken (Humor, Diversität, süße Momente, Kampf gegen Geschlechterstereotypen, starke weibliche Figuren) geschrieben, die jedoch auch ihre Schwächen hat (holpriger, unruhiger Schreibstil, fehlende Spannung, mir kamen die Gefühle zu kurz). Insgesamt blieb die Geschichte leider hinter meinen hohen Erwartungen zurück. Den Hype kann ich daher nur bedingt nachvollziehen. Dieser Roman ist ein Plädoyer für eine tolerantere Welt – dass er ein Bestseller geworden ist und die breite Masse erreicht hat, stimmt hoffnungsvoll. Ich kann dieses Mal zwar keine uneingeschränkte Leseempfehlung aussprechen, aber: Wenn ihr auf der Suche nach einer humorvollen, modernen und locker-leichten LGBT-Liebesgeschichte seid und für einige Stunden der Realität entfliehen wollt – gebt „Royal Blue“ doch eine Chance!

Bewertung

Idee: 5 Lilien ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 3,5 Lilien
Umsetzung: 3,5 Lilien
Worldbuilding: 3 Lilien
Einstieg: 3 Lilien
Ende / Auflösung: 3,5 Lilien
Schreibstil: 3 Lilien
Protagonist: 3 Lilien
Figuren: 3,5 Lilien
Spannung: 3 Lilien
Atmosphäre: 3 Lilien
Emotionale Involviertheit: 3,5 Lilien
Feministischer Blickwinkel: 5 Lilien ♥

Insgesamt:

❀❀❀,5 Lilien

Dieses Buch bekommt von mir dreieinhalb Lilien!

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