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Veröffentlicht am 03.11.2017

"Man ist unschuldig, bis das Gericht sagt, dass man schuldig ist."

Im Traum kannst du nicht lügen
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Mit gerade einmal achtzehn Jahren steht Maja Norberg vor Gericht. Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft wiegen schwer: an Majas Schule kam es zu einem School Shooting, und sie war daran beteiligt. Gerade ...

Mit gerade einmal achtzehn Jahren steht Maja Norberg vor Gericht. Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft wiegen schwer: an Majas Schule kam es zu einem School Shooting, und sie war daran beteiligt. Gerade noch standen diesem privilegierten Mädchen alle Türen offen: sie ist hübsch, war beliebt, obendrein eine gute Schülerin und kommt aus einem wohlhabenden Elternhaus. Wie konnte es dazu kommen, dass sie plötzlich in Untersuchungshaft sitzt und die meistgehasste Person Schwedens ist?

"Im Traum kannst du nicht lügen" ist der bisher einzige Roman von Malin Persson Giolito, der ins Deutsche übersetzt wurde, und die Autorin hat mich auf Anhieb begeistert und überzeugt. Schon auf der ersten Seite hatte Majas Geschichte mich eingefangen, sie ist die Ich-Erzählerin und eine gelungene Protagonistin, denn sie ist schwer zu durchschauen. Die Ich-Perspektive liegt mir normalerweise nicht so sehr, aber hier war sie die perfekte Wahl, denn als Leser versuchte ich ständig, Maja einzuordnen und einzuschätzen, aber jedes Mal, wenn ich dachte, es sei mir gelungen, offenbarte sie ein neues kleines Puzzlestück, dass die bisherigen Erkenntnisse über ihre Person wieder über den Haufen warf, oder zumindest in Frage stellte.

Generell ist der Roman raffiniert und ungewöhnlich aufgebaut: Der Prolog beleuchtet die Situation im Klassenraum - nach der Tat. Man denkt hier schon, ungefähr zu wissen, was sich abgespielt hat. Die eigentliche Handlung setzt dann einige Monate später ein, mit dem ersten Verhandlungstag und Maja auf der Anklagebank. Als Leser folgt man Majas vom eigentlichen Thema abschweifenden Gedankengängen, und erfährt so immer mehr über ihre Schulkameraden, die später zu Opfern wurden, über ihren Freund Sebastian, über Maja selbst. Diese Gedankengänge sind nicht unbedingt chronologisch, oft erinnert sie sich auch an Begebenheit in ihrer Kindheit, gefolgt von ihren Erfahrungen in der Untersuchungshaft. Aber es gibt auch richtige Rückblicke, die zwischen den Verhandlungstagen größere zeitliche Abschnitte umfassen, und die den Leser langsam auf das bereits aus dem Prolog bekannte, tragische Finale zusteuern.

Man hat hier also keinen klassischen Kriminalroman mit einem Polizisten oder Hobby-Detektiv auf Mörderjagd in der Hauptrolle, sondern nimmt als Leser die entgegengesetzte Perspektive auf der Seite der Täterin ein. Von Anfang an scheint eigentlich alles klar zu sein, und doch ist dieses Buch vom ersten bis zum letzten Kapitel spannend, immer wieder überraschend und man entwickelt sogar Sympathie und Verständnis für Maja - was ich im Vorfeld eigentlich für wenig wahrscheinlich gehalten hatte, denn immerhin ist sie ja verantwortlich für den Tod ihrer Mitschüler. Oder?

Preisgekrönte Bücher haben mich mitunter schon schwer enttäuscht, und ich fragte mich nach dem Lesen oftmals, was die entsprechende Jury wohl bewogen hat, ausgerechnet dieses Buch zu küren (und ob die anderen Nominierungen wirklich noch schlechter waren). "Im Traum kannst du nicht lügen" darf sich mit der Auszeichnung "Bester Kriminalroman Schwedens 2016" schmücken, und ich muss sagen, es hat diesen Preis sicherlich verdient gewonnen.

Wer gerne mal eine Krimihandlung abseits der ausgetretenen Pfade verfolgen möchte, der kommt mit diesem Buch bestimmt auf seine Kosten. Mich hat Majas Geschichte jedenfalls noch weit über das letzte Kapitel hinaus beschäftigt, definitiv ist das kein Roman der Sorte "Lesen und wieder vergessen".

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Spannung
  • Figuren
  • Erzählstil
  • Atmosphäre
Veröffentlicht am 28.10.2017

Sachbuch in Comic-Variation

Sex Story
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"Eine Kulturgeschichte in Bildern" verspricht das Cover von Sex Story seinen potenziellen Lesern, und soll eine Übersicht über die Entwicklung der menschlichen Sexualität von den ersten Frühmenschen bis ...

"Eine Kulturgeschichte in Bildern" verspricht das Cover von Sex Story seinen potenziellen Lesern, und soll eine Übersicht über die Entwicklung der menschlichen Sexualität von den ersten Frühmenschen bis in die Gegenwart und sogar einen Ausblick auf die zukünftige Entwicklung sexueller Gepflogenheiten liefern.

Zusammengetan haben sich hier der Anthropologe und Psychiater Philippe Brenot und die Illustratorin Laetitia Coryn - Brenot liefert die Story, Coryn steuert die Zeichnungen bei.
Ich habe mir im Vorfeld mittels einer Leseprobe einen kleinen Eindruck über das Buch gemacht, und war sehr gespannt, wie dieser Spagat zwischen einem "trockenen Sachbuch" über ein eigentlich völlig "untrockenes" Thema und einem kurzweiligen, unterhaltsamen Comic wohl gelingen mag. Nachdem ich nun das ganze Buch kenne, muss ich sagen, dass ich extrem hin- und hergerissen bin und mich wirklich schwertue, eine angemessene Sternewertung zu finden.

Absolut überzeugt hat mich der Comic-Anteil: Die Zeichnungen sind wirklich gelungen, niedlich anzusehen, treffen inhaltlich auf den Punkt und bringen die richtige Dosis Humor ins Buch. Ebenfalls gut gefallen hat mir die Strukturierung, die zuerst chronologisch und dann auch regional unterteilt, wenn es für eine Epoche (zum Beispiel die Antike) auf verschiedene Kulturen (Ägypter, Griechen...) einzugehen gilt.

Auf der Sachbuchebene fand ich das Buch dagegen im Gesamten enttäuschend. Zum einen bleiben viele Dinge extrem an der Oberfläche, was natürlich an der gewählten Präsentationsform als Comic liegt und aus diesem Grund auch zu erwarten war - daher wäre eine Abwertung wegen dieses Punkts nicht gerechtfertigt. Aber es gab auch ein paar Details, die mir wirklich sauer aufgestoßen sind:
Zum Beispiel werden berühmte Syphilis-Erkrankte aufgezählt (Seite 132), unter denen sich auch Heinrich VIII. befindet, obwohl sich die These seiner Syphiliserkrankung noch nie nachweisen ließ und eigentlich auch schon vor einigen Jahren stichhaltig widerlegt wurde. Ob die Behauptung für die anderen Genannten (Franz I., Ludwig XIV und Napoleon) zutreffend ist oder nicht, weiß ich nicht - ich habe es auch nicht überprüft, denn eigentlich sollte mir ein Sachbuch keine überholten Thesen als Fakten verkaufen, sondern verlässliche Informationen liefern. Das tut es aber auch an anderer Stelle nicht, nämlich auf Seite 176, wo "Rudolph Valentino [angeblich] die Frauen der 1930er-Jahre um den Verstand" bringt, obwohl der Arme bedauerlicherweise bereits 1926 verstorben ist. Mir sind nur diese beiden Details aufgefallen, aber bei zwei doch recht groben Schnitzern ist es durchaus wahrscheinlich, dass noch weitere enthalten sind.
Ebenfalls ärgerlich fand ich, wie auf Seite 45 das Thema "Beschneidung" angegangen wurde. Dort finden sich auf kleinem Raum einige fragwürdige Informationen mit einem kleinen Schwenk auf die Gegenwart: "Während die Zirkumzision ohne großen Schaden für die Männer weiterhin praktiziert wird, ist die Exzision insofern völlig inakzeptabel, als sie einer sexuellen Verstümmelung der Frau gleichkommt, die enorme Konsequenzen für ihre Genitalien und ihr Sexualleben hat." Eine solch unreflektierte Aussage ist im 21. Jahrhundert einfach unangebracht - jeder Mensch (ja, auch wenn er männlich ist) hat das Recht auf körperliche Unversehrtheit, ebenso wie auf religiöse Selbstbestimmung. Wer sich als Erwachsener die Vorhaut aus traditionellen, religiösen oder kosmetischen Gründen amputieren lassen möchte, kann das ja tun, aber die Tatsache, dass Eltern ihren kleinen Jungs eine überflüssige, mit zahlreichen Risiken belastete Operation zumuten dürfen, an deren Ende ebenfalls ein verstümmeltes Geschlechtsteil steht, sollte in einem Sachbuch nicht schöngeredet oder bagatellisiert werden. Hätte der Autor sein Buch vor einem halben Jahrhundert geschrieben, hätte er wohl auch noch im Brustton der Überzeugung behauptet, dass Selbstbefriedigung zu Erblindung führt, oder wie?
Bei dem Ausblick um die mutmaßliche zukünftige Entwicklung der menschlichen Sexualität handelt es sich eigentlich nur noch um Glaskugelei mit deutlichen Anleihen aus "Demolition Man" - das hätte sich der Autor besser ganz gespart.

Andere Leser würden hier vielleicht ein Auge zudrücken, aber für mich ist es ein No-Go, wenn ein Laie sogar ohne weitere Recherche über mehrere Stellen stolpert, die bei wohlwohlender Betrachtung vielleicht ein wenig unsauber, bei kritischer eher schlampig, schlecht recherchiert oder völlig unkritisch wirken. Der Autor ist natürlich kein Historiker, aber gerade aus diesem Grund wäre es umso wichtiger gewesen, mehrere und aktuellere Quellen zu Rate zu ziehen. So ist "Sex Story" als Sachbuch für mich wertlos, da ich nicht weiß, welche Fakten denn nun auch wirklich welche sind.
Müsste ich alleine die Qualität des Sachbuchs bewerten, hätte ich maximal zwei Sterne gegeben - würde ich nur die Qualtiät des Comics beurteilen, wären es auf jeden Fall fünf Sterne. Ich habe mich somit für die Mitte entschieden und gebe drei Sterne.
Wem es weniger um fundierte Informationen sondern eher um ein paar unterhaltsame Lesestunden geht, der kann bedenkenlos zugreifen - bei wem es umgekehrt ist, der sollte vielleicht lieber noch ein bisschen weiterstöbern.

Veröffentlicht am 18.09.2017

Todesliste aus der Zeitkapsel

SOG
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Nach ihrem letzten gemeinsamen Fall sind Ermittler Huldar und Psychologin Freyja auf der Karriereleiter ein paar Stufen abwärts gestolpert. Huldar bekommt nur noch irgendwelche Lappalien zugeteilt und ...

Nach ihrem letzten gemeinsamen Fall sind Ermittler Huldar und Psychologin Freyja auf der Karriereleiter ein paar Stufen abwärts gestolpert. Huldar bekommt nur noch irgendwelche Lappalien zugeteilt und wird bei allen größeren Fällen außenvorgelassen, Freyja ergeht es ähnlich. Da liegt die Vermutung nahe, dass es sich bei Huldars neuestem Fall wieder um reine Zeitverschwendung handelt: in einer Zeitkapsel, die vor zehn Jahren mit den Zukunftsvisionen einiger Neuntklässler bestückt und vergraben wurde, wurde eine Todesliste entdeckt, die die Initialen sechs potentieller Mordopfer enthält. Handelt es sich um einen makaberen Scherz, oder um Frustabbau eines verwirrten Teenagers, oder droht echte Gefahr? Gerade als Huldar Freyja hinzuziehen will, werden nach einem anonymen Tipp zwei abgetrennte Hände in einem Hot Tub gefunden. Zufall?

SOG ist der zweite Band in der Reihe um Huldar und Freya, der Vorgängerband trägt den Titel DNA und hat mir richtig gut gefallen - dass ich die Reihe weiterverfolgen werde, war sofort klar.
Und Yrsa Sigurdadottir konnte mich mit der Fortsetzung von neuem überzeugen:
Ein extrem spannender und verwickelter Fall mit einer schlüssigen Auflösung, bei dem ich aber bis zum Ende im Dunkeln tappte, was den Täter angeht.

Im Vorgängerband gab es jeweils eingeschobene Kapitel aus der Sicht der Opfer, in denen der Leser ihre letzten Minuten miterlebte, bevor sie dem Serienmörder in die Hände fielen. Dadurch wurde zum einen sehr viel Spannung aufgebaut, und zum anderen große Empathie geweckt. In diesem Buch weicht die Autorin von diesem Erzählstil ab, was ich zuerst etwas schade fand, aber am Ende dann doch nachvollziehen konnte.

Die beiden Protagonisten stecken in einer etwas schwierigen Phase, zum einen beruflich, und zum anderen zwischenmenschlich, was ihrer Zusammenarbeit nicht unbedingt zuträglich ist. Huldar hat immer noch einen untrüglichen Riecher für jedes Fettnäpfchen, das im Weg steht, aber im Großen und Ganzen wirkt er eigentlich souveräner als im Vorgängerband. Freyja setzt ihre Degradierung schwerer zu als Huldar, sie gibt ihm die Schuld daran und wirkt zu Beginn ziemlich übellaunig und phlegmatisch, was sich aber im Lauf der Handlung wieder etwas normalisiert.

Ich mag an dieser Reihe, dass der Handlungsschwerpunkt auf dem jeweiligen Fall und den Ermittlungen liegt, und die Privatproblemchen der Figuren nur sehr sparsam dosiert thematisiert werden, wenn es auch erforderlich ist. Gerade wenn solche Reihen länger laufen, habe ich oft das Gefühl, dass es andersherum ist, und man sich lange Kapitel mit dem Seelenleben des gebrochenen Ermittlers auseinandersetzen muss, bevor man wieder ein Häppchen Täterjagd serviert bekommt.

Insgesamt ist SOG eine richtig gut gelungene Fortsetzung der Reihe, die man allerdings auch für sich alleine lesen kann, weil es sich um eine neue Ermittlung handelt und keine Vorkenntnisse notwendig sind. Ein paar Stellen nehmen zwar Bezug auf DNA, um zu erklären, warum aus der Leiterin des Kinderhauses und dem Leiter der Mordkommission wieder einfache Mitarbeiter geworden sind, aber theoretisch wäre es sogar möglich, die beiden Bücher in der umgekehrten Reihenfolge zu lesen.

Veröffentlicht am 05.09.2017

Beautiful Dreamer

The Diviners – Die dunklen Schatten der Träume
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New York, 1927: Die ganze Stadt ist im Diviner-Fieber, Evie O'Neill hat als "Herzblatt-Seherin" inzwischen ihre eigene Radioshow vor Live-Publikum, dem sie aus mitgebrachten Gegenständen liest. Wenn sie ...

New York, 1927: Die ganze Stadt ist im Diviner-Fieber, Evie O'Neill hat als "Herzblatt-Seherin" inzwischen ihre eigene Radioshow vor Live-Publikum, dem sie aus mitgebrachten Gegenständen liest. Wenn sie gerade nicht auf Sendung ist, lässt sie keine Party aus.
Doch nicht für alle läuft es so gut, in New York grassiert die Schlafkrankheit - die Menschen schlafen abends ein, wachen aber nie mehr auf, bis sie irgendwann sterben. Kein Arzt weiß etwas über diese rätselhafte Krankheit, die Obrigkeit steht der Seuche hilflos gegenüber. Ein neuer Fall für die Diviner?

The Diviners - Die dunklen Schatten der Träume ist der zweite Band der Reihe, und schon auf den ersten Seiten des Auftaktbandes The Diviners - Aller Anfang ist böse war ich dieser Geschichte mit Haut und Haar verfallen. Wie gut, dass ich erst relativ spät auf die Bücher gestoßen bin, und mit dem Weiterlesen nicht allzu lange warten musste.

Wenn man die Fortsetzung mit dem ersten Band vergleicht, gibt es einiges, das gleichgeblieben ist, beispielsweise taucht man in das pulsierende Leben im New York der wilden 20er ein - exzessive Parties in Flüsterkneipen, Jazzmusik, und Manhattans überfüllte Straßen inklusive. Die Geschichte selbst ist wieder sehr gruslig und hat viele Gänsehautmomente - da es sich um ein Jugendbuch handelt, wird aber auf blutrünstiges Gemetzel verzichtet (was der Spannung zum Glück keinen Abbruch tut).
Die bereits liebgewonnen Charaktere bekommen durch die Bank ihren zweiten Auftritt, die Schwerpunkte haben sich jedoch verschoben. Ging es im Vorgänger hauptsächlich um Evie, Mabel und Jericho, stehen diesmal Henry, Ling und Sam im Vordergrund. Evie hat sich ziemlich verändert, ihre fünf Minuten Ruhm sind ihr ganz schön zu Kopf gestiegen, was vermutlich nicht jedem Leser gefallen wird. Ich mag sie zwar immer noch, aber mir hat es trotzdem sehr gut gefallen, dass ich diesmal mehr über die anderen Charaktere erfahren durfte.

Die Geschichte selbst - kaum zu glauben, aber wahr - gefiel mir noch besser als die im ersten Band, die mysteriöse Krankheit und ihre Auswirkungen waren sehr spannend geschildert. Henry und Ling haben recht ähnliche Fähigkeiten, und es gab viele schöne und bildhafte Passagen, in denen der Leser mehr darüber erfährt.
Die historischen Gegebenheiten, die die Autorin ins Geschehen einfließen lässt, entsprechen wirklich den Tatsachen - in einem Nachwort geht sie hierauf noch einmal genauer ein.

Trotz des recht stattlichen Umfangs von 800 Seiten gab es keine Längen - ich habe am Samstagmorgen mit dem Lesen begonnen, und war am Sonntagabend auf der letzten Seite angelangt - was mich jetzt fast ein wenig wehmütig stimmt, weil der dritte Band (im Original Before the Devil Breaks You) erst am 3. Oktober 2017 auf Englisch erscheinen wird und bisher noch kein Veröffentlichungstermin für die deutsche Übersetzung bekannt ist.
Lieber DTV, bitte lasst mich und die anderen deutschen Fans der Diviners nicht allzu lange schmoren - nach dem fulminanten Finale hat Libba Bray noch so viele kleine Puzzlestückchen als Ausblick auf die Fortsetzung fallenlassen, dass ich es wirklich kaum noch erwarten kann.

Veröffentlicht am 23.08.2017

Exzentrische Figuren tummeln sich in skurriler Geschichte

Töte mich
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Die Nevilles sind bankrott, und der geliebte Familiensitz muss nun endgültig veräußert werden. Die jüngste Tochter, die 17-jährige Sérieuse, reißt eines nachts von zuhause aus, wird aber von einer Wahrsagerin ...

Die Nevilles sind bankrott, und der geliebte Familiensitz muss nun endgültig veräußert werden. Die jüngste Tochter, die 17-jährige Sérieuse, reißt eines nachts von zuhause aus, wird aber von einer Wahrsagerin wieder eingefangen. Eigentlich wollte sie auch nur die Nacht im Freien verbringen und am Morgen wieder nach Hause gehen, wie sie ihrem Vater Henri mitteilt. Als wäre das alles nicht schlimm genug, sagt die Wahrsagerin dem Grafen auch noch voraus, dass er beim letzten großen Fest, das auf dem Schlösschen gefeiert werden soll, einen seiner Gäste töten wird. Für Henri ein Sakrileg, ist ihm der Gast doch heilig.

Ich fange mal mit dem Wermutstropfen an: für einen durchschnittlichen deutschen Geldbeutel ist dieses Buch haarsträubend teuer. Für stolze 20 Euro erhält man 111 Seiten in kleinem Format (etwas kleiner als DIN A5), also in etwa eine Stunde Leservergnügen. Sogar ein 3D-Blockbuster im Kino wäre demnach günstiger zu haben, und unterhält einen auch länger. Andererseits kann ich mich aber auch nicht erinnern, wann ich zum letzten Mal ein neues, leinengebundenes Buch in den Händen hielt. Man bekommt für den stolzen Preis also ein hochwertiges Hardcover, in einer Machart, die ansonsten fast schon vom Aussterben bedroht ist - zumindest, was Belletristik anbelangt.

Nun aber zum Wichtigsten, dem Inhalt: Lohnt es sich, dieses Buch zu lesen? Das würde ich ganz entschieden mit einem lauten "Ja!" beantworten, denn dieser kurze Roman hat mich großartig unterhalten.
Hier tummeln sich eine Menge undurchsichtige Exzentriker, die ironisch-humorvolle Gespräche führen, die Dialoge wirken nie platt, sondern oft hintersinnig und manchmal geradezu philosophisch - aber ohne den Leser mit übertriebener Bedeutungsschwere zu überfordern oder zu erschlagen. Nothombs Stil hat mich begeistert, das ganze Buch wirkt wie eine Komposition, jedes Wort sitzt an der richtigen Stelle, und jeder Satz wird knackig auf den Punkt gebracht. Obwohl stilistisch anspruchsvoll (ich hab sogar ein neues Wort gelernt ;)), gerät der Lesefluss nie ins Stocken, und man kann diesen Roman tatsächlich "in einem Rutsch" (oder wie im Rausch) durchlesen.

Die Geschichte selbst ist ziemlich abgedreht, man kann hier sicher nicht behaupten, man hätte sowas schon diverse Mal in ähnlicher Form gelesen. Wirklich frisch und skurril - ich mag solche Bücher sehr. Für mich war es das erste Buch von Amélie Nothomb, aber es wird nicht das einzige bleiben.