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Veröffentlicht am 08.09.2017

Ein großartiges Romandébut!

Zeit der Schwalben
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"Zeit der Schwalben" von Nikola Scott (Originaltitel im Englischen "My mother's shadow') erschien (HC, gebunden) 2017 in der Rowohlt-Verlagsgruppe bei Wunderlich.
Der sehr berührende und gefühlvoll geschriebene ...

"Zeit der Schwalben" von Nikola Scott (Originaltitel im Englischen "My mother's shadow') erschien (HC, gebunden) 2017 in der Rowohlt-Verlagsgruppe bei Wunderlich.
Der sehr berührende und gefühlvoll geschriebene (sowie von Nicole Seifert ins Deutsche übersetzte) Roman beginnt mit einem Rückblick:

Sussex, England, 1958:

"Es ist ein goldener Sommer im England der späten 50er Jahre: Die sechzehnjährige Elizabeth ist begeistert von den jungen Leuten, die sie auf dem Anwesen der Freunde ihrer Eltern in Sussex kennenlernt. Sie erlebt unbeschwerte Tage mit Ausflügen, Picknicks und Partys. Und sie verliebt sich prompt....

London, 40 Jahre später:

Nach dem Unfalltod ihrer Mutter erhält Adele Harington einen mysteriösen Anruf: Ein Mann spricht von "neuen Spuren" und nennt immer wieder ein Datum. Und dann steht plötzlich eine Fremde vor der Tür und behauptet, Teil der Familie zu sein...
(Quelle: Buchrückentext)

Adele, genannt Addie, hat es zeitlebens schwer, eine innige Beziehung zu ihrer Mutter aufzubauen. Den Parolen der Mutter wie "die Schultern straffen und nach den Sternen greifen" kann sie nicht so gut Folge leisten wie ihre Geschwister: Während Venetia, ihre jüngere Schwester Architektin und ihr Bruder Jas Handchirurg wird, widmet sie sich anderen Aufgaben und macht aus ihrer Leidenschaft ihre Berufung: Bäckerin und Konditorin. Ihr alter Jugendfreund Andrew, ein weiterer Protagonist dieses wundervollen Romans, bestärkt sie jedoch und möchte als gelernter Koch am liebsten mit Addie zusammen das "Grand Bleu" eröffnen, in dem beide ihre berufliche (und gerne auch private) Erfüllung finden könnten, nach Auffassung Andrews jedenfalls...

Am Todestag der Mutter (Elizabeth Harington) versammelt sich die Familie und es ist spürbar, welche Lücke dieser viel zu frühe Tod in die Familie riss. Addies Beziehung zu Venetia ist nicht problemlos und Addie, die sehr kompromissbereit und etwas konfliktvermeidend ist (im Gegensatz zu Venetia) erhält einen merkwürdigen Anruf, der sie fortan nicht loslässt: Ein Mann hat neue Spuren gefunden, die in die Abteilung 'vermisste Personen' fällt und wiederholt ein Datum: Das Geburtsdatum von Addie, der 14. Februar 1960.....

Stück für Stück versucht Addie nun (voller Entschlossenheit, wie einst die Mutter), dieses Rätsel aufzulösen, zumal eine Frau vor der Tür auftaucht, die behauptet, ebenfalls am 14. Februar geboren worden zu sein - und dass Elizabeth ihre Mutter sei....

Um nicht die Spannung, die in diesem Roman sehr tiefgründig liegt, vorwegzunehmen, beschränke ich mich darauf, auf das Familiengeheimnis nicht in aller Form einzugehen, jedoch den gefühlvollen, prägnanten und sehr guten Schreibstil der Autorin sehr hervorzuheben: Seit dem Entschluss Addies, ihre Mutter völlig neu zu entdecken und das Unerklärliche (für den Leser Erschütternde) zu entschlüsseln, gelingt es Nikola Scott ganz hervorragend, die Charaktere - in vorderster Linie Addie, Venetia, den Vater George und auch besonders Elizabeth, die durch ihre Tagebucheinträge im Rückblick immer präsenter und nachvollziehbarer wird - wie auch Andrew, der sehr hartnäckig (und liebevoll) an der Seite Addies steht, herauszuarbeiten und sehr facettenhaft darzustellen. Man hat recht schnell große Sympathie für Addie, wogegen sich die für Venetia sehr im Rahmen hält; dennoch ist im Verlauf des Romans eine Annäherung festzustellen. Es gibt eine Person, die eine wirklich niederträchtige Rolle spielt und dessen Motiv lediglich das Ansehen "und der gute Ruf" seiner Familie ist; der in der Doppelmoral dieser Epoche denkt und auch agiert, in der nichts schlimmer ist als die Tatsache, als junge Frau (unverheiratet) ein Kind zu bekommen.

Man erfährt im Verlauf dieser sehr tragischen Familiengeschichte von Einrichtungen, die es seinerzeit (und noch bis in die 80er Jahre hinein!) in England gab (und natürlich nicht nur dort), in denen jungen Mädchen und Frauen ein Schuldgefühl eingeimpft wurde, sie gedemütigt und versklavt wurden ob ihrer "Schande", ein Baby zu bekommen. Hier geht die Tragik noch darüber hinaus, da es eine gefühllose, kalte Atmosphäre zu Hause gibt, Trauer das Lebensgefühl, die große Lebensfreude Jugendlicher in den 50ern sozusagen grundiert, da Elizabeth kurz zuvor ihre Mutter durch Krankheit verlor.... Hier gelingt es der Autorin sehr gut, die "Achterbahn der Gefühle", aber auch die Stärke von Elizabeth, nach einem Ausweg zu suchen und nicht klein beizugeben, darzustellen. In Form von Tagebüchern, die Addie findet, kommt sie ihrer Mutter immer näher - und das Rätsel um die fremde Frau löst sich auf sehr positive Weise....

Fazit:

Ein emotionaler, sehr ergreifender und berührender Roman, in der die Autorin der dunkleren Seite der 50er Jahre nachspürt - der Doppelmoral und gesellschaftliche Ausgrenzung alleinstehender junger Mütter, die sich noch bis in die 80er Jahre hinein halten sollten, so in ihrem Nachwort. Einfühlsam und bewegend wird durch die Protagonistinnen Elizabeth, Addie und Phoebe nachgezeichnet, welch verheerendes Erbe erzwungene Trennungen für die Betroffenen und deren weiteres Leben darstellt. Ein großes Dankeschön an die Autorin, den Wunderlich-Verlag und eine absolute Leseempfehlung bei 5 * am literarischen Firmament!

Veröffentlicht am 30.08.2017

Schwimmen lernen ohne Angst - aber dafür mit einem Freund ;)

Der Wal und das Mädchen
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Das Kinder- und Bilderbuch "Der Wal und das Mädchen" von Tanja Kinkel wurde (2017) vom Magellan-Verlag nachhaltig hergestellt und veröffentlicht.

Die bekannte Autorin hat hier - gemeinsam mit wunderschöner ...

Das Kinder- und Bilderbuch "Der Wal und das Mädchen" von Tanja Kinkel wurde (2017) vom Magellan-Verlag nachhaltig hergestellt und veröffentlicht.

Die bekannte Autorin hat hier - gemeinsam mit wunderschöner Illustrierung von Guiliano Ferri - eine schöne Geschichte geschrieben, die Kinder ab 3 Jahren ansprechen dürfte:

Maria fährt mit ihrer Familie zum ersten Mal ans Meer. Sie ist sehr aufgeregt und hat ein wenig Angst vor den ungestümen Wellen. Gerade angekommen, kann sie es aber kaum erwarten und läuft (in einem unbeobachteten Moment) alleine zum Strand....

Der kleine Wal, der es satt hatte, den anderen immer hinterherzuschwimmen, wollte auch den Teil des Meeres kennenlernen, der geheimnisvoll glitzerte. So schwamm er auf den helleren Teil zu, als die Walmutter einen Moment nicht achtgab....

Etwas kratzt den Wal am Bauch - er steckt im Sand fest! Maria, die ein solch großes Tier noch nie zuvor sah, erzählt es ihren Eltern, die mit Eimern und Tüchern zum Strand eilen, in der Absicht, den Wal nicht der Austrocknung und der Sonne preiszugeben, bis die Flut ihn befreien kann....

Es geht darum, schwimmen zu lernen (möglichst angstfrei) und auch Freunde zu finden, einander zu helfen. Mit wenig Text, aber sehr viel zum Betrachten (besonders auch zum gemeinsamen Betrachten wie auch zum Vorlesen geeignet) ist dieses schöne Kinderbuch der erfolgreichen Autorin ein pädagogisch wertvolles geworden, das Kindern helfen kann, die natürliche Angst vor dem Wasser, besonders vor dem Meer, zu überwinden und das Schwimmen zu erlernen, so wie es für den kleinen Wal selbstverständlich ist.


Fazit:

Ein wunderschön gestaltetes und getextetes Kinderbuch für Kinder ab 3 Jahren, das ich unbedingt weiterempfehle: Vor einem ersten Urlaub am Meer (oder auch an einem See) kann diese schöne Geschichte Kindern helfen, das Schwimmen zu erlernen - und keine Angst vor dem Wasser zu haben ("es trägt") ;)Sogar kleine (und sehr große) Wale! Von mir erhält es 5 (See)sterne!

Veröffentlicht am 30.08.2017

Ein außergewöhnliches, brillant-literarisches "Portrait der Kulturen"

Die Großmächtigen
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"Die Großmächtigen" von Hédi Kaddour erschien gebunden, als HC im Aufbau-Verlag, 2017. Übersetzt wurde dieses epische Werk aus dem Französischen von Grete Osterwald. Bereits das wirklich sehr schön gestaltete ...

"Die Großmächtigen" von Hédi Kaddour erschien gebunden, als HC im Aufbau-Verlag, 2017. Übersetzt wurde dieses epische Werk aus dem Französischen von Grete Osterwald. Bereits das wirklich sehr schön gestaltete Cover weist auf "verschiedene Welten, verschiedene Kulturen" auf diesem unserem Planeten hin - und genau darum geht es:

Nahbés, Nordafrika, 1922:

Das kleine nordafrikanische Städtchen ist in einen europäischen und einen Teil der "Eingeborenen" unterteilt, in dem es friedlich zugeht, bis ein Filmteam aus Amerika das beschauliche Leben aufmischt: Neil, der Regisseur und Kathryn, seine Ehefrau kommen mit dem ganzen Tross und Welten, ja Kulturen prallen erstmal aufeinander.

Die weiteren Hauptprotagonisten sind Rania, eine junge, sehr kluge und wissbegierige Witwe, Raouf, ein ebenfalls sehr cleverer und intelligenter junger Mann und ihr Cousin, Ganthier, der sich, aus der französischen Kolonialmacht stammend, gerne mit ihm politische und philosophische Wortgefechte liefert; desweiteren Gabrielle Conti, die Journalistin aus Paris und eher im Hintergrund, aber dennoch unüberlesbar, Belkhjoda, ein Teppichhändler, der gerne als älterer Mann die "kleine Bande", zu der auch Raouf und Karim, sein bester Freund gehören, darin unterrichtet, wie man sich die richtige Frau sucht (auch wenn er selbst in dieser Rolle nicht eben glänzen kann).

Wir verfolgen nun über zwei Jahre - bis Juni 1924 - wie Gabrielle, die mit den beiden anderen Frauen befreundet ist, sie vorsichtig miteinander bekannt macht; wie Raouf zur 'rechten Hand' und mehr für Kulturelles und auch Persönliches von Kathryn wird und was diese sehr verschiedenartigen Menschen mehr und mehr miteinander verbindet und sich mehr und mehr anfreunden - trotz aller (oder gerade wegen?) aller kulturellen Unterschiede.

Der Schreibstil Kaddour's ist sehr blumig, orientalisch und reich im Detail, wobei mir die Prisen feiner Ironie mit am besten gefielen. Der Roman, der auch immer wieder brisante politische Themen umkreist, von der Kolonialmacht Frankreich angefangen bis zum Erstarken der Rechten in Europa, ist in drei Teile gefasst: Teil 1 ist in Nahbés verortet; in Teil 2 treffen wir die meisten Protagonisten, so Raoul, Ganthier und Kathryn, in Paris wieder und mit Schmunzeln stellte ich mir ihren Aufenthalt in sprachlicher Hinsicht im Elsass vor (ich wohne nicht weit davon entfernt ;). Ihr Weg führt sie über Berlin, wo Kathryn einen wichtigen Regisseur treffen möchte wieder nach Berlin zurück, von wo aus Raouf und Ganthier Richtung Marseille und Nordafrika weiterreisen.

Im 3. und letzte Romanteil kehren sie nach Nahbés zurück, man schreibt das Jahr 1924: Hier trennen sich die Wege der Protagonisten, das Filmteam kehrt bis auf Weiteres nach Amerika zurück; Raouf kam aus Paris zurück, wo er mittlerweile studiert und auch bei den Menschen in Nahbés nehmen die Ereignisse ihren Lauf....

Der Autor wertet nicht, mit feiner Ironie (und oftmals einem Augenzwinkern) überlässt er dies wohl lieber dem jeweiligen Leser; die Hauptcharaktere werden so schillernd und äußerst facettenhaft beleuchtet, wie es besonders in der arabischen Literatur üblich ist. Dieses Zeitportrait setzte Hédi Kaddour perfekt um und bereitet mit diesem Roman jedem Leser eine Freude, der an arabischer Erzählkunst (sehr ausgeschmückt und detailliert) interessiert ist.

Fazit:

Ich empfehle dieses opulente, wundervoll geschriebene Werk gerne weiter; besonders sicher jenen Menschen, die sich für interkulturelle Themen interessieren, da Kaddour hier eine sehr gelungene Brücke zwischen dem Orient und dem Okzident in literarischer Weise schlägt. Auch die zeitlose Aktualität ist fast 100 Jahre später herauszulesen. Chapeau für den Autor, ebenfalls für den Aufbau-Verlag und 5* von mir am literarischen Himmel des Abend- sowie des Morgenlandes!

Veröffentlicht am 22.08.2017

Eine Hommage an die Kraft der Musik und den Gesang - und an starke Frauen in schweren Zeiten!

Der Frauenchor von Chilbury
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Bei dem Roman "Der Frauenchor von Chilbury" von Jennifer Ryan handelt es sich um das (sehr gelungene) Début der Autorin, das durch Geschichten ihrer Großmutter inspiriert wurde und teils auf authentischen ...

Bei dem Roman "Der Frauenchor von Chilbury" von Jennifer Ryan handelt es sich um das (sehr gelungene) Début der Autorin, das durch Geschichten ihrer Großmutter inspiriert wurde und teils auf authentischen Grundlagen in Form von Tagebüchern (Journals) der Frauen basiert, die zum Schreiben von staatlicher Seite auf der "Home Front" aufgefordert wurden. Diesen Frauen widmete die Autorin auch diesen Roman. Verlegt wurde der Roman im Verlag Kiepenheuer & Witsch (HC, gebunden, 2017).

England, Grafschaft Kent, Ende März 1940:

Da die männlichen Stimmen im Krieg sind, löst der Vikar in Chilbury kurzerhand den Kirchenchor auf. Da sich die Frauen diese Gemeinsamkeit, im Chor zu singen, jedoch nicht nehmen lassen, gründen sie - auch mit Unterstützung der Chorleiterin Primrose Trent, die sie zu diesem Schritt ermutigt - den Frauenchor von Chilbury, der diesem sehr lesenswerten Roman seinen Titel gab. Die Frauen stellen fest, dass sie auch ohne Männer vorzüglich singen können, einige sogar besonders gut, so z.B. Kitty Winthorp (13), ihre Schwester Venetia (18), Mrs. Tilling, eine engagierte und sympathische Krankenschwester, Mrs. Quail u.a.; und sie begreifen, wie wichtig die Musik und das Singen gerade in schweren Zeiten ist.

Viele der Frauen haben bereits ihren Mann oder ihren Sohn im Krieg verloren; manche bangen um diese und so finden sie in den Chorproben Trost und Stärke, diese schwere und belastende Zeit gemeinsam durchzustehen.

Stilistisch interessant ist der Roman besonders dadurch, dass 5 Hauptprotagonistinnen durch ihren Briefwechsel (Venetia an ihre Freundin in London), Mrs. Edwina Paltry, (eine zwielichtige, geldgierige Hebamme mit zweifelhafter Vergangenheit an ihre Schwester Clara), durch Tagebucheinträge (Kitty) oder durch ihre Journale (Mrs. Tilling) einander abwechseln und man die einzelnen Charaktere im Romanverlauf immer besser kennenlernt. So liest man vom Alltagsleben der Dorfbewohner, von Geburten und einem zweifelhaften Ruf der Hebamme, einem rabiaten Gutsherrn, dem Vater von Venetia und Kitty, der dringend einen männlichen Erben benötigt, einer aufmunternden und begeisternden Chorleiterin, die das Leben im Dorf Chilbury weiterführen, während die Ereignisse des Kriegsgeschehens, z.B. der Einmarsch der Deutschen in Norwegen und Belgien ebenfalls benannt werden. So gab es auch Einquartierungen, die der netten Mrs. Tilling einen Colonel Mallard beschert, den sie ausgerechnet im Zimmer ihres eingezogenen Sohnes David unterbringen muss...

Kitty, die mit ihrer Schwester Venetia ihre Probleme hat, versucht Sylvie, das Mädchen aus der Tschechoslowakei, das bei den Winthorps unterkam nach der Evakuierung, mit Spielen und Picknicks aufzuheitern - man ahnt schon, aus welchem Grunde Sylvie ihre Familie und ihr Land auf dem schnellsten Wege verlassen musste. In Chilbury selbst werden zwei Invasionskommitees gegründet und das Aufeinandertreffen dieser zwei Gruppen wird mit feinstem britischen Humor - der realen Kriegsbedrohung Englands durch die deutsche Wehrmacht zum Trotz - beschrieben; diese Episode gefiel mir - abgesehen von dem hintergründigen Humor, der oftmals in den Tagebucheinträgen Kittys lauerte - besonders gut.
Die durchweg sehr sympathischen Frauen werden sehr facettenreich und authentisch beschrieben; Mrs. Tilling schließt man ebenso wie Kitty und mehr und mehr auch Venetia unwillkürlich in sein Leserherz, da sie allesamt ihr Herz am rechten Fleck tragen. Auch der Hebamme Edwina kann man am Ende kaum ernsthaft böse sein. Sehr gut eingefangen hat die Autorin das Zeitgefühl und die tiefe Solidarität unter den Chorfrauen, die in Umarmungen, Wohltätigkeitskonzerten und Andachtsmessen für die Gefallenen zum Ausdruck kommt.So stellt Mrs. Tilling in einem ihrer Journal-Einträge fest:

"Erstaunlich, wie ein bisschen Singen so viel Nähe erzeugt. Da standen wir, jede in ihrer eigenen Welt, mit ihren eigenen Problemen und plötzlich löste sich alles in Luft auf (.....); wir spürten, dass wir diese Zeiten gemeinsam durchleben müssen, einander Halt und Unterstützung geben können."(Zitat, S. 197)
Nachdem der Krieg auch vor Chilbury selbst nicht Halt macht und im benachbarten Litchfield Bomben fallen, es Opfer und Kriegsschäden gibt, ist die Antwort des Frauenchors eine Veranstaltung:

"Momentan ereignet sich so wenig Erfreuliches, alles ist rationiert oder verboten, da können wir wenigstens singen. Es ist erstaunlich, wie sehr es die Stimmung hebt!" (Venetia an ihre Freundin Angela, Zitat S. 442)

Ein sehr positiver, zutiefst menschlicher und 'runder' Abschluss krönt diesen schönen Débutroman, der zeigt, welche Kraft die Musik und besonders das gemeinsame Singen erweckt, gerade in Zeiten wie dem 2. Weltkrieg... Der Frauenchor entwickelte eine Eigendynamik, die die Solidarität unter den Frauen entfachte, zumal es sich hier um ganz wundervolle (zumeist) und starke Hauptprotagonistinnen handelt; allen voran Mrs. Tilling, Kitty und auch Venetia, denen die Musik ihrem Leben einen zusätzlichen "Schub" gab, gerade im Jahr 1940!
In Konzerten und Veranstaltungen gibt "Der Frauenchor von Chilbury" diese positiven musikalischen Schwingungen weiter - dafür gibt es für einen sehr gelungen Roman von der englischen Home Front und starken Frauen von mir sehr überzeugte 5 * und einen Dank an die Autorin für sehr schöne, berührende, informative und interessante Lesestunden!

Veröffentlicht am 01.08.2017

Der Dichter der Familie - absolut lesens- und empfehlenswert!

Der Dichter der Familie
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"Der Dichter der Familie" von Grégoire Delacourt erschien 2017 (HC, gebunden) im Atlantik-Verlag und hat durch seine packende, ehrliche und pointierte Sprache mein Leserherz persönlich sehr gut erreichen ...

"Der Dichter der Familie" von Grégoire Delacourt erschien 2017 (HC, gebunden) im Atlantik-Verlag und hat durch seine packende, ehrliche und pointierte Sprache mein Leserherz persönlich sehr gut erreichen und auch begeistern können....

"Èdouard schreibt mit sieben Jahren sein erstes Gedicht. Die Familie ist begeistert, lobt und applaudiert ihm: welch eine Begabung! Von nun an ist er der Dichter der Familie. Doch es sollte anders kommen. Mit neun muss er die Klasse wiederholen, mit zehn stecken ihn die Eltern ins Internat in Amiens. Er studiert, wird statt Dichter Werbetexter, heiratet Monique, bekommt eine Tochter, dann eine zweite... Die Jahre ziehen ins Land, die Familie zerbricht, das Leben geht weiter. Èdouard gelingt es nicht, den einen Moment der allgemeinen Liebe und Bewunderung wieder entstehen zu lassen. Und trotz großer Erfolge als Werber fühlt er sich als Versager. Doch wie hatte sein Vater gesagt: "Schreiben heilt!" (Quelle Buchinhalt: Stories Magazin)

Meine Meinung:

Die ersten Strecken dieses Débutromans von Delacourt lesen sich wie ein Rückblick eines 18Jährigen auf sein Leben ab 9 Jahren auf das Familienleben einer nordfranzösischen Familie, der sich selbst auf dem Weg ins Erwachsenenalter stets in Beziehung zu den Erwartungen der Eltern setzt. Obwohl Èdouard nach dem Internat und dem Studium in der Buchhaltung landet, denkt er immer wieder an die Worte des Vaters und die Geschichte eines Amoklaufs im früheren Internat inspiriert ihn dazu, zu schreiben, er will - er muss Schriftsteller werden!
Die 'falsche', aber sehr dominante Frau, die er heiratet, Monique, wird ebenfalls eine Weile brauchen, um zu erkennen, dass es nicht um 'unsere' Bücher, sondern um ein Buch von Èdouard geht und immer wieder um Wörter, deren Bedeutung, deren Kraft und zuweilen auch deren Zerstörungswut...
Um Wörter, die ungesagt bleiben, um unausgesprochene Wörter, um letzte Wörter und vor allen Dingen darum, dass "das Leben noch ein Wörtchen mitzureden hatte".

Der Protagonist, gewissermaßen ein Antiheld, dafür jedoch mit einem sehr ehrlichen Blick nach innen wie auch nach außen, erhält einen Vertrag in der Werbebranche, stellt jedoch (auch wenn sein Verdienst enorm ist und ein luxuriöses Leben sowohl ihm als auch Monique ermöglicht) folgendes für sich fest:

"Mit 29 konnte ich von meiner Feder leben. Aber ich hatte mich im Tintenfass geirrt ".

Solche Passagen kennzeichnen den Stil des Autors, wie er auch seine Emotionen sehr stark, fast mit brutaler Klarheit, absoluter Authentizität formuliert, was mir persönlich sehr gut an seinen Romanen gefällt und auch hier im Dèbut zu finden sind.

Unglücklich mit der Frau, die dafür sorgt, ein feudables großes Haus weit entfernt von Paris zu kaufen und sich einem mondänen Lebensstil hingibt, entflieht Èdouard zuweilen zu seiner Mutter, Claire seiner Schwester und dem kleinen Alexandre, "um jene Zeit zurückzuholen in der blassgelben Küche, in der jeder von uns einem schönen Leben entgegensah".
Doch leider sieht die Realität anders aus; sein Vater, der inzwischen von der Mutter geschieden ist, fällt mehr und mehr in die Demenz und wird der jetzigen Frau an seiner Seite zur Last... Auch hier ist die harte Realität in kurzen Sätzen zu lesen, die mein Leserherz sehr berühren, da diese Beschreibungen Delacourts in packenden, pointierten Sätzen sehr authentisch sind - und gesellschaftlich real. So empfindet man auch mit Èdouard, der leider allzu oft in seinem Leben nichts sagte, jedoch sehr gut weiß, dass er hätte etwas sagen sollen, eine große Sympathie, als er weinend auf dem Parkplatz des Seniorenheims steht, die seinen verstummten Vater aufnahm...

Genau dort geschieht das Wunder, eine junge Frau sitzt auf der Motorhaube eines Wagens und die beiden kommen ins Gespräch. Endlich. Endlich beginnt Èdouard, das zu tun, was er selbst tun will: Das Mädchen auf der Motorhaube wiederzusehen...

Fazit:

Ein außergewöhnlicher Roman in einer intensiven, sensiblen und dabei auch schonungslos offenen Sprache, wie sie dem Autor zu eigen ist. Eine Geschichte zum Nachdenken, die auch zum Verstehen des Hauptprotagonisten anregt, indem er 3 Jahrzehnte Èdouards beschreibt (1960er bis in die frühen 1990er Jahre), die 'mitten aus dem Leben' stammen, das immer ein Wörtchen mitredet und einen emotionalen, zeitweise melancholischen, aber immer äußerst aufrichtigen Blick in das "Karussell des Lebens" schildert. Mich erfrischen solche prägnanten Sätze, besonders dieses 'zwischen den Zeilen' zu Lesende wie ein Quellwasser. Delacourt schafft es, den Leser zuweilen schmunzeln zu lassen, auch zu erschrecken, ihn staunen und hoffen zu lassen. Hier findet sich die gesamte Bandbreite menschlicher Gefühle und das untrügliche Gefühl, dass wir alle dazu tendieren, uns den Erwartungen anderer zu unterwerfen - oft widerspruchslos, wenn auch ungewollt - einzig um geliebt zu werden.
Von mir eine absolute Leseempfehlung, die volle Punktzahl auf der 'Belletristik-Couch' und 5 Sterne. Ich werde auch die anderen Romane (Alle meine Wünsche) des Autors noch lesen und sage merci für sehr interessante und berührende Lesestunden!