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Veröffentlicht am 19.10.2016

Zauberhafte, feinsinnige Geschichte um Verlust und Neubeginn - eine Hommage an das Leben selbst!

Der Engel von Paris
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Der Roman "Der Engel von Paris" von Christel Noir erschien (HC) im Pendo-Verlag in der Piper Verlag, GmbH 2016: Das Cover symbolisiert meiner Meinung nach die Leichtigkeit, in der dieses Buch sprachlich ...

Der Roman "Der Engel von Paris" von Christel Noir erschien (HC) im Pendo-Verlag in der Piper Verlag, GmbH 2016: Das Cover symbolisiert meiner Meinung nach die Leichtigkeit, in der dieses Buch sprachlich behaftet ist und steht natürlich auch für den deutschen Titel - es könnte auch eine Anspielung darauf sein, dass selbst Engel zuweilen "ein paar Federn lassen müssen" :). Im französischen Originaltitel heißt der Roman geheimnisvoll "La Porte du Secret" - übersetzt wurde er von Bernd Stratthaus ins Deutsche.

Buchbeschreibung/Inhalt:

"Marie ist mit ihrem Leben eigentlich zufrieden. Sie führt im Pariser Stadtteil Montmartre einen kleinen Buchladen, den sie von ihrem Großvater geerbt hat und kümmert sich um den kauzigen Émile und die vorlaute Schülerin Noémie. Doch dann taucht plötzlich Éloise auf - am frühen Morgen, mitten in ihrem Zimmer. Und Éloise behauptet, Maries Schutzengel zu sein. Aber Engel gibt es doch gar nicht, oder?" (Quelle: Buchrückentext)

Meine Meinung:

Die Protagonisten werden sehr einfühlsam und detailreich beschrieben: In emotionaler, wohlklingender und sensibler Sprache, die mir sehr gefiel, begegnen wir Marie, die in Paris den Buchladen ihres Großvaters Samuel erbte, ihren Beruf liebt und das Lesen. Sie hat Noémie, die Tochter eines zerstrittenen Ehepaars aus dem Haus, 'adoptiert' ebenso wie Émile, den kauzigen Freund Samuels, der jedes Buch aus dem Laden lesen will und 'Worte verzehrt', selbst jedoch nie spricht.

Auf einem Geburtstagsfest in der Normandie bei Margaux, der Freundin von Marie, kreuzen sich die Wege von Marie und Josh zum ersten Mal: Während Marie die Fähigkeit zu lieben tief in sich irgendwo begraben hat, kann Josh durch einen großen Verlust keinerlei Gefühle zulassen und ist in seiner Trauer lange innerlich gefangen. Eines Morgens taucht Éloise auf, der Schutzengel, die innere Stimme, Maries Intuition... und nach anfänglichem Zögern geht Éloise mit der 'Körperlichen', Marie eine Art Ausbildungsverhältnis ein: In einem nun einsetzenden stetigen Prozess begibt sich Marie auf die Such nach sich selbst und Éloise lernt ihren Menschen zu verstehen, indem sie sich (mit den Sinnen Maries) entwickeln, anreichern muss, um letztlich 'geboren zu werden'.

Josh, seines Zeichens Drehbuchautor, erhält von seinem besten Freund einen Job in L.A. mit dem Versuch, Josh endlich Abstand von dem Schicksalsschlag zu geben, der ihn vor Jahren ereilt hat. Die Dialoge, sehr freundschaftlicher und offener Natur, öffnet Josh nach und nach die Augen, dass er loslassen muss, um endlich wieder zurück ins Leben zu finden.
Währenddessen arbeitet auch Marie unter 'fachlicher Anleitung' und Aufsicht von Éloise daran, die lange Zeit aus ihrem Leben verbannte Liebe wieder zuzulassen. Éloises Erklärungen haben eine solche sprachliche Dichte, dass man einige Sätze mehrmals lesen muss; auch gibt es im Roman interessante Wortschöpfungen, die ich so nicht kannte:

"Erinnerungszimmer; Geisteswächter; Schwellenwächter; Lebensgepäck"

Ebenso wie die sympathischen Nebenfiguren Noémie und Émile lernen auch Josh und Marie, sich nach und nach zu öffnen und aus sich herauszugehen: Der Roman ist ein Appell, Entscheidungen zu treffen, seine Wünsche zu leben, an sich und auch an andere zu glauben, Vertrauen zu haben (in sich selbst und anderen Menschen) und vor allem, aus einer psychischen Starre wieder herauszutreten: An seiner eigenen Resilienz zu arbeiten, die jeder Mensch in sich trägt. Diese Aspekte haben mir an diesem Roman am besten gefallen.

Es handelt sich um eine wunderschöne Geschichte, in der es um das Leben selbst geht, den Zugang zu sich selbst, die Intuition, die Hoffnung, die Liebe, den Verlust, den Tod, das Loslassen - und das Wiederaufstehen, die Resilienz. Auch ist er eine literarische Aufforderung, die eigenen Wünsche zu erkennen, ihnen Raum zu geben statt sie zu begraben und sie in die Realität umzusetzen.

Das Romanende mit dem Abschied einer sympathischen Figur ist stimmig und alles fügt sich zusammen. Auch Éloise erhält ihren 'Wegeplan' und hat ihre Ausbildungszeit erfolgreich beendet; sie gibt ihrem Schützling noch zwei sehr schöne (und auch wahre) Sätze in diesem Roman mit auf den weiteren Weg:

"(.....) du wirst sehen, wie reich an Möglichkeiten das Leben ist." (Zitat)

"..... jeder muss die Türen aufstoßen, die ihn daran hindern, seinen eigenen Weg fortzusetzen" (Zitat)

Fazit:

Ein mit federleichter und beschwingter Hand geschriebener wunderschöner Roman, der einfühlsam, emotional und sehr feinsinnig die Gefühlswelten der Protagonisten beschreibt, wie sie sich aus ihren Kokons befreien und langsam zueinander finden, Liebe (wieder) zulassen....
Die Gefühlswelten von Marie und Josh, die sich von falschem 'Lebensgepäck' befreien, die Bürde der Trauer hinter sich lassen bzw. daraus herauswachsen, sind psychologisch fundiert, zuweilen etwas philosophisch, oft mit einem Augenzwinkern, in teils klaren, teils poetischen Worten und Zusammenhängen beschrieben. Christel Noir ist es m.E. gelungen, Menschen in literarischer Form zu helfen, ihre (aus verschiedenartigen Gründen) verschlossenen Herzen zu öffnen oder aus einer Gefühlsstarre zu erwachen. Ich verstehe den Roman als den Versuch, Menschen zu ermutigen, "die reichen Möglichkeiten, die das Leben bietet", zu entdecken! Dafür vergebe ich gerne 4,5 Sterne und eine Leseempfehlung; besonders an die LeserInnen, die sich eine Veränderung in ihrem Leben wünschen.

Veröffentlicht am 19.10.2016

Fantastisches Knobi-Kochbuch, leicht nachzubereiten - topp!!

Knoblauch
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Dieses speziell dem Knoblauch (in all seinen Arten) gewidmete Kochbuch "Knoblauch" von Jenny Linford mit Fotos von Clare Winfield (toll in puncto 'mise en scène'!) ist im ars vivendi-Verlag, Cadolzburg ...

Dieses speziell dem Knoblauch (in all seinen Arten) gewidmete Kochbuch "Knoblauch" von Jenny Linford mit Fotos von Clare Winfield (toll in puncto 'mise en scène'!) ist im ars vivendi-Verlag, Cadolzburg (Oktober 2016) erschienen.
Die 160 Seiten sind sehr übersichtlich gegliedert, bebildert (super Fotos der Rezepte, beides auf der gleichen Seite jeweils) und regen den Appetit auf's Nachkochen gehörig an: Mit einem Vorwort, Rezepthinweisen und tollen Exkursen über Formenvielfalt des Knoblauchs, zu dem auch z.B. Bärlauch gehört; Anbau, Lagerung, Zubereitung der 'tollen Knolle' über Volksglauben (gegen Vampire ;) bis zu Knoblauchfestivals wird das Buch perfekt ergänzt. Im Original erschien das Kochbuch (Garlic) bei Ryland Peters & Small; London und New York, 2016.Das Cover ist optisch sehr ansprechend, die beliebten Knollen auf hellblauem Grund und die Tartiflette auf dem Buchrücken versprechen fantasievollen und auch gesunden Genuss....

Meine Meinung:
Ausser den vielfältigen und regionalen wie auch internationalen Rezepten mit Knobi gefielen mir die vielen informativen Exkurse; z.B. zur Bedeutung für die Gesundheit: Als traditionelles Heilmittel von alters her geschätzt, wurde er über Jahrhunderte von Ärzten und Heilern gegen eine ganze Reihe von Beschwerden eingesetzt; auch in der indischen Ayurveda-Medizin spielt die Wirkung des Knoblauchs als Verdauungs- und Stärkungsmittel sowie bei Herzkrankheiten eine wichtige Rolle; in China galt Knoblauch als Stimulans. Ebenso hatte es als Stärkungsmittel bei den alten Ägyptern, Griechen und Römern eine Bedeutung. Derzeit untersucht die Forschung sein Potenzial als Antikarzinogen im Kampf gegen den Krebs.
Die Rezepte sind (auch durch die Fotos von Claire Winfield) sehr ansprechend präsentiert. Die Texte sind leicht verständlich und auch für Ungeübtere leicht nachzubereiten. Für Veganer, Vegetarier finden sich ebenso tolle Rezeptideen wie auch für Liebhaber von Fisch und Fleisch. Die Menge ist immer für 4-8 Personen konzipiert; also auch problemlos teil- oder verdoppelbar (Feste z.B.).

Mir gefiel die Ausgewogenheit einfacher Gerichte (Bratkartoffeln mit Bärlauch z.B.) und internationaler, arabischer oder asiatischer Rezeptideen (Hummus).Besonders gut schmeckten uns bisher die "Spaghetti con aglio, olio e peperoncini"; geröstetes Knoblauchbrot (erinnerte mich an meine Studentenzeit ;) und "Italienische Würstchen mit Knoblauchlinsen". Auf unserer "Nachkoch-Liste" stehen noch "Ziegenkäse-Tarte mit Bärlauch" (Frühling); die "Baked Beans Spanischer Art" und das herrliche "Tartiflette mit geröstetem Knoblauch", das auch den schönen Buchrücken dieses Kochbuchs ziert.

Fazit:
Fantasievolle, gesunde, leicht nachzukochende Gerichte rund um den köstlichen Knoblauch: Handlich, nicht zu schwer und mit übersichtlichen Kapiteln und einem Register der Rezeptbeschreibungen/Zutaten bestens versorgt - tolle Fotos der einzelnen Rezeptideen inclusive, die einem das Wasser im Munde zusammenlaufen lassen. Ein Chapeau der Autorin sowie der Fotografin, 4,5 Sterne am Kochbuchhimmel und eine absolute Empfehlung von mir!

Veröffentlicht am 08.10.2016

KEIN Thriller - aber Krimi mit Psychothrill und ein Highlight 2016 für mich!!

Nebelschrei
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Vorausschicken möchte ich meiner Rezension, dass es sich bei "Nebelschrei" von Sam Baker (Original: The Woman Who Ran), erschienen im Diana-Verlag (TB, 2016) NICHT um einen Thriller handelt meiner Meinung ...

Vorausschicken möchte ich meiner Rezension, dass es sich bei "Nebelschrei" von Sam Baker (Original: The Woman Who Ran), erschienen im Diana-Verlag (TB, 2016) NICHT um einen Thriller handelt meiner Meinung nach, jedoch um einen der besten Kriminalromane (mit Psychothriller-Elementen), den ich 2016 gelesen habe!

Inhalt/Buchbeschreibung:

Nach außen ist Helen eine starke Frau. Keiner ahnt, dass ihr die Erinnerungen an die Hölle, die sie erlebt hat, täglich den Atem rauben. Und dass sie nur knapp dem Tod entronnen ist. Das verfallene Anwesen in einer abgelegenen Gegend in Nordengland scheint das perfekte Versteck zu sein. Doch die Dorfbewohner kommen Helen näher, als ihr lieb ist. Denn niemand darf wissen, wo sie ist - und vor allem nicht der Mensch, dem sie am meisten vertraut hat....(Quelle: Buchrückentext)

Meine Meinung:


Alles, wirklich alles an diesem Kriminalroman ist für mich stimmig: In Teil 1 (von 3 Teilen) schafft es die Autorin, den Leser gleich zu Beginn nahe an die Protagonisten heranzuführen und durch eine sehr gute, detaillierte und tiefgründige Figurenführung dies immer weiter zu vertiefen: Helen Graham setzt sich nach einem Wohnungsbrand im Apartment von ihr und Art Huntingdon, ihrem Ehemann, in ein sehr abgelegenes elisabethanisches Haus in den Dales (Yorkshire), Nordengland, ab, um im selbstgewählten Versteck die Ereignisse zu überdenken und innerlich zur Ruhe zu kommen. Sie war viele Jahre Fotografin in Kriegsgebieten (Afghanistan, Irak, Syrien zählten dazu), erfolgreich und mit großer Leidenschaft und Können im Job; ihr Mann machte ebenfalls 'Karriere' als Kriegsberichterstatter, bis sein Stern mehr und mehr zu sinken beginnt.....
Nach dem Brand geht die Polizei davon aus, dass Art Huntingdon in seiner Wohnung den Tod fand. War es wirklich sein Leichnam?

Helen, die oft unter Migräne leidet und durch schreckliche Kriegseindrücke traumatisiert ist, lernt im kleinen Dorf, von dem sie sich weitgehend in ihrem Haus "Wildfell" fernhält, um unerkannt zu bleiben, Gil kennen: Gilbert Markham, 61, geschieden, seines Zeichens ebenfalls ein erfolgreicher Journalist im Ruhestand, in den er sich ganz und gar nicht einzufinden vermag...

Sowohl Helen, die gerne in den sehr atmosphärisch beschriebenen wundervollen Dales bis zum Scar (Berg) läuft, um Klarheit zurückzugewinnen, was sich wirklich in Paris ereignete, als auch Gil sind gerne in der Natur unterwegs und lernen sich nach und nach kennen. Er besucht Helen unter dem Vorwand, Lebensmittel mitzubringen (das Zentrum des Dorfklatschs ist Ms. Millward, die Ladenbesitzerin) und gewinnt mehr und mehr Helens Vertrauen. In durchwachten Nächten erzählt sie Gil endlich aus ihrem Leben und der professionelle Journalist ermittelt die aktuellen Hintergründe: Kann er glauben, was sie ihm erzählt?

Beide Protagonisten sind sehr sympathisch, der Handlungsverlauf ist mit einer grandiosen subtilen Spannung (von Beginn bis Ende) unterlegt und auch eine Prise Humor ist zu finden: So musste ich über die Selbstgespräche und inneren 'Dispute' von Gil oftmals sehr schmunzeln ;)
Besonders beeindruckt hat mich auch die Darstellung von Art:

(.....)"er war der Typ, der die Angst roch - sich zum Licht hingezogen fühlte, um es auszulöschen" (Zitat S. 155)

Nach außen charmant, nett und liebenswert, trägt er auch ein anderes Gesicht, das mit analytischer Schärfe harte Konturen annimmt, die sich dem Leser mehr und mehr erschließen....

"Diejenigen, die nie auch nur angeklagt werden, deren Gewalt und Grausamkeit im Verborgenen blüht, die sind am Gefährlichsten"
(Zitat S. 423)

Fazit:

Der mit subtiler Spannung angereicherte, stimmige Kriminalroman konnte mich vollends überzeugen und erhält die volle Punktzahl aus folgenden Gründen:
Ausser der Krimihandlung beinhaltet er auch ein Stück (düstere) Zeitgeschichte und einen Einblick in die (lebensgefährliche) Arbeit von Kriegsberichterstattern, Reportern und Fotografen, die in Syrien, im Irak, in Afghanistan und weiteren gefährlichen Regionen in der Welt unter extremem Erfolgs-, aber auch psychischem Druck stehen, die diese Menschen - auf die eine oder andere Art - zu bewältigen haben: Posthum setzt die Autorin Marie Colvin (gest. 02/2012 in Syrien) und damit den Reportern ohne Grenzen, die nicht selten ihr Leben verlieren, ein literarisches Denkmal.
Empfehlens- und sehr lesenswert für Krimi- und ThrillerleserInnen, die subtile Spannung, flüssige und fundierte Unterhaltung, eine stimmige Handlung und feine Figurenentwicklungen mögen: Ein wirklich toller Krimi vor traumhafter Kulisse: Den Yorkshire-Dales (mit einem Hinweis auf "Wildfell" und Anne Bronte's Roman "Die Herrin von Wildfell Hall", die Sam Baker bei der Wahl des Ortes inspirierte...) Ein Highlight dieses Genres 2016 für mich, daher 5 *, 5 Leseratten und 100° auf der "Krimi-Couch" von mir!
Ich hoffe, von Sam Baker noch mehr lesen zu können!!!

Veröffentlicht am 15.09.2016

Toller und spannender Norwegen-Krimi mit historischem Kontext (WWII)

Totensommer
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"Totensommer" von Trude Teige, einer Autorin, die zuvor Journalistin war und zu den erfolgreichsten Krimiautoren Norwegens gehört, erschien im Aufbau-Verlag (TB) 2016. Das Cover ist bemerkenswert schön ...

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"Totensommer" von Trude Teige, einer Autorin, die zuvor Journalistin war und zu den erfolgreichsten Krimiautoren Norwegens gehört, erschien im Aufbau-Verlag (TB) 2016. Das Cover ist bemerkenswert schön für einen Kriminalroman und passt wirklich sehr gut zu dessen Inhalt und auch der Stimmung des Romans:

"Kasja Coren ist eigentlich TV-Journalistin, aber sie hat sich an die Küste von More zurückgezogen, um ein Buch zu schreiben. Dann jedoch wird ein Deutscher ermordet, der seit vielen Jahren seinen Urlaub im Ort verbrachte und immer bei der alten Jenny wohnte. Die Trauer der alten Frau scheint weit über die übliche Betroffenheit hinauszugehen. Kasja beginnt zu recherchieren - und sie stößt auf eine unglaubliche Geschichte, die nicht nur mit den Geschehnissen unter deutscher Besatzung, sondern auch mit ihrer eigenen Vergangenheit verknüpft scheint." (Quelle: Buchrückentext)

Meine Meinung:


Es handelt sich hier um einen toll geschriebenen und sehr spannenden Kriminalroman, der in dem kleinen norwegischen Dorf Losvika spielt, direkt am Meer gelegen. Kajsa, die Journalistin, möchte in ihrem Urlaub Informationen zu einem Buch zusammentragen, das sie über die Situation der Frauen in diesem Ort während des 2. Weltkrieges gerne veröffentlichen möchte: Die Frauen des Dorfes und auch deren Nachkommen, die sich allesamt zeitlebens kennen und teils miteinander verwandt sind, sind nicht alle begeistert von diesem Vorhaben und Kajsa merkt bald, dass viele Lügen, Geheimnisse, Intrigen und schreckliche Geschehnisse unter der glatten und sauberen Oberfläche 'brodeln', als sich ein Mord ereignet...

Kajsa, geschieden mit zwei Kindern, ist seit einiger Zeit mit Karsten befreundet, der sich des Mordfalles in Losvika annehmen soll: Beide geraten in einen Strudel von Machenschaften und ungelösten Rätseln, die sie in Lebensgefahr bringen. Der Krimi hat mich durch seine historischen Bezüge persönlich sehr angesprochen und mir detailliert die Zeit der Besatzung durch die Deutschen in Norwegen vor Augen geführt; der hohe Spannungsbogen konnte von der ersten Seite bis zur letzten gehalten werden. Die Autorin schreibt klar, flüssig und dennoch stilistisch anspruchsvoll, gestaltet sowohl die Recherchearbeit von Kajsa sehr interessant (aufgrund ihres Berufes sehr authentisch) und auch die Ermittlungsarbeit im Team von Karsten ist für Krimi-Liebhaber recht brillant umgesetzt. Die Charaktere sind gut ausgearbeitet, durchdacht und die Handlung nachvollziehbar erzählt. Der Krimi präsentiert viele Verdächtige, die allesamt ein Motiv haben könnten, alte Feindschaften auch innerhalb einer Familie, die aus der Zeit des 2. Weltkriegs stammen und folgt Spuren, die in die Vergangenheit führen - bis ins Jahr 1942, wo deutsche Soldaten in Norwegen stationiert waren und die Bevölkerung Norwegens sich in Widerständler und auch Mitläufer und Nazi-Befürworter spalteten... Aus diesem gefährlichen 'Gemisch' schöpft der Krimi bis zur Aufklärung Details, die lange Zeit unter Verschluss gehalten wurden. Familiengeheimnisse, alte Verletzungen, Zurückweisungen und Ablehnung spielen hier eine bedeutende Rolle, die Trude Teige sehr gekonnt und auch mit psychologischem Feingefühl in die Krimihandlung einbaut und die ganz realistisch bis in die nachfolgenden Generationen einwirken können.

Fazit:


Ein spannender, sehr gut geschriebener Kriminalroman mit historischem Bezug in die deutsch-norwegische Geschichte, die in Rückblicken auf der Zeitebene ab 1940 im zweiten Erzählstrang sehr realistisch dargestellt werden, der viele Verdächtige aufweist, nicht vorhersehbare Wendungen und mit einem stimmigen Plot endet.
Ich würde sehr gerne weitere Krimis von Trude Teige lesen und vergebe 5 Krimisterne und 96° auf der 'Krimi-Couch'.

Veröffentlicht am 16.09.2024

Die Hallig-Gräfin

Die Gräfin
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"Die Gräfin" von Irma Nelles erschien (2024, geb., HC, 169 S.) im Hanser-Verlag (Reihe hanserblau). Um die historisch verbriefte "Hallig-Gräfin"; Gräfin Diana von Reventlow-Criminil, ranken sich noch ...


"Die Gräfin" von Irma Nelles erschien (2024, geb., HC, 169 S.) im Hanser-Verlag (Reihe hanserblau). Um die historisch verbriefte "Hallig-Gräfin"; Gräfin Diana von Reventlow-Criminil, ranken sich noch heute Mythen und Geheimnisse.

Die Autorin (geb. 1946), selbst auf Nordstrand aufgewachsen, hat sich hier einem der Geheimnisse gewidmet, das in der nationalsozialistischen Diktatur Deutschlands im Jahre 1944 auf der Hallig Südfall verortet ist:


Inhalt:


Ende August besteigt der RAF-Pilot John Philip Gunter sein Flugzeug, um alleine und ohne Kontakt zum Kontrollzentrum einen Beobachtungsflug Richtung Norddeutschland/Schleswig durchzuführen; der Auftrag erfüllt ihn mit Stolz, ist er doch als erfahrener Bomberpilot immer lebend nach England zurückgekehrt...


12 Stunden später schlägt Hunter, der Hund von Gräfin Diana, an und lässt sich kaum beruhigen: Kurzentschlossen reitet die Gräfin ins Watt und findet den Grund von Hunter's Beunruhigung, die sie zuerst der herrschenden Hitze zuschreiben wollte: Sie findet ein Flugzeug, in dessen Cockpit ein verletzter Pilot sitzt. Nur mit Hilfe von Maschmann, ihrem langjährigen Kutscher und Hausmeister, gelingt es ihr, den Mann zu befreien und auf die Warft zu bringen. Dort sieht am nächsten Tag das befreundete Ärzte-Ehepaar Carl und Käthe Braack nach dem Patienten, der sich gesundheitlich während der nächsten Tage erholen sollte....


Meine Meinung:


Dieser zeitgeschichtliche Roman, der mit wenig Personal auskommt, ist sehr atmosphärisch und tiefgründig; spannungsvoll erzählt die Autorin von Gräfin Diana, die hier die Hauptprotagonistin darstellt und eine beeindruckende Persönlichkeit gewesen sein muss: Geboren auf Schloss Emkendorf nahe Rendsburg wohnte sie, bereits erwachsen, nach dem Tod beider Eltern wenige Jahre mit Bruder und Schwägerin im Schloss; in dem sich der europäische Hochadel zu dieser Zeit die Klinke in die Hand drückte. Sie merkte jedoch immer mehr, dass sie diesen ausschweifenden, exzentrischen Lebensstil eher ablehnte und reiste Richtung Norden (sie hatte in Dänemark bei ihrer Tante wunderschöne Jahre verbracht), als sie vom Verkauf einer Warft auf der Hallig Südfall erfuhr: Sie sollte ihr Domizil hier gefunden haben, in dem sie eine schlichtere Lebensweise vorzog, "zurückgezogen von allen ihr widerstrebenden Einflüssen und Machenschaften, fern von Rücksichtslosigkeit und Demütigung, die Menschen einander zufügen konnten, kam sie in Ruhe ihren täglichen Pflichten nach" (Zitat, S. 16).


Mit dem Auftauchen des englischen Piloten wird jedoch in der Gräfin, (die hochgebildet ist, sich nicht gerne in etwas hineinreden lässt, Briefkontakte in aller Welt besitzt und diese auch nutzt, um z.B. flüchtigen Juden zu helfen, die auf den Nationalsozialismus nichts hält und unerschrocken gewissermaßen im Untergrund agiert), etwas zutage gefördert, das sie an ihr junges Ich erinnert: Hier liegt das m.E. Tragische in diesem Roman: Da sie sich niemals einem Mann unterordnen wollte, ließ sie Liebe niemals zu und sperrte sie vollkommen aus ihrem Leben aus.


Wer den Roman liest (und ich hoffe, er stößt auf viel Resonanz, da ich ihn für sehr lesenswert halte), wird erfahren, aus welchem Grund das Leben dieser sehr starken, selbstbestimmten Frau so verlaufen ist, die noch im Alter von über 80 Jahren gerne anderen hilft; selbstlos ist, wenn es um Gerechtigkeit geht und bar allem nationalsozialistischen Denkens. Wie im Übrigen auch Maschmann, ihr Kutscher, der am liebsten Plattdeutsch spricht (da er Hochdeutsch nie lernen mochte) und seit Langem für die Gräfin gerne arbeitet: Ein sehr sympathischer Mann, ebenso wie Sörensen, der ihm hilft, das Wrack von John in den Hangar zu bringen. Auch das junge Hausmädchen Meta ist ein Glücksgriff für die Gräfin - und als Figur ebenso sympathisch. Der Arzt, Carl Braak, der gerne BBC hört und aufpassen muss, was er zu wem sagt, stimmt völlig mit den anderen überein, dass der Krieg schon lange verloren ist und dem Piloten geholfen werden muss, bis dieser reisefähig ist.


Besonders gut gefielen mir die Naturbeschreibungen; die raue Welt der Halligen, die öfter "Land unter" sind und dem "Blanken Hans" völlig ausgeliefert. Das verwendete Plattdeutsch (Maschmann) verleiht dem Roman sprachlich viel Authentizität. Auch ein Stück Geschichte der Halligen findet sich in diesem wundervollen Roman; ebenso ein Stück Zeitgeschichte, das sich genau so abgespielt hätte haben können.


So erlebt man sechs Tage dieser zusammengewürfelten Hallig-Gemeinschaft, die zwar nicht ganz frei von Misstrauen ist, letzten Endes jedoch voller Menschlichkeit, Unerschrockenheit und Großmut besteht. Allen voran "die Hallig-Gräfin". Das Ende lässt die Autorin offen; was mich nicht störte. Gibt es doch Raum für eigene Gedanken und Hoffnung, dass alles bis zum Kriegsende gut ausging für John, die Gräfin, Meta, Maschmann und das Ehepaar Braack!

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