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Veröffentlicht am 05.06.2018

Madame le Commissaire und die 'unfreiwillige Absenz'

Madame le Commissaire und die tote Nonne
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Bei "Madame le Commissaire und die tote Nonne" von Pierre Martin handelt es sich um den 5. Band der Reihe um die toughe Kommissarin Isabelle Bonnet, die hier nicht mehr in Paris, wo sie durch einen Bombenanschlag ...

Bei "Madame le Commissaire und die tote Nonne" von Pierre Martin handelt es sich um den 5. Band der Reihe um die toughe Kommissarin Isabelle Bonnet, die hier nicht mehr in Paris, wo sie durch einen Bombenanschlag verletzt wurde ermittelt, sondern in ihrem Geburtsort Fragolin - mitten in der schönen Provence.


"Vom Rand einer steil abfallenden Klippe, wo man eigentlich unter hohen Aleppo-Kiefern wunderbar den Sonnenuntergang genießen könnte, bietet sich Isabelle Bonnet ein alles andere als idyllischer Anblick: Unten auf dem Felsen liegt eine Leiche, unverkennbar in Ordenstracht gewandet. Mme. le Commissaire misstraut der ersten Schlussfolgerung ihrer Kollegen, die Nonne sei abgestürzt - und sie behält recht. Sie nimmt ihre Ermittlungen auf, die sie zu einem einsam, aber malerisch gelegenen Kloster im Massif des Maures führen. Bald hat sie mehr als einen Verdächtigen. Doch wer würde so weit gehen, eine Nonne zu ermorden? (Quelle: Buchrückentext)

Meine Meinung:

Ein sehr unterhaltsamer, auch etwas beschaulicher Regionalkrimi à la Provence, in dem eine scharfsinnige junge Kommissarin einen verzwickten Fall vor der Nase hat, der ihre ermittlerischen Fähigkeiten fordert: Wer könnte ein Interesse daran haben, dem zuerst angenommenen Sturz von der Klippe einer Nonne "nachzuhelfen", die gerade Wildkräuter sammelte? Hier muss erstmal die Identität geklärt werden, da sich herausstellt, dass die Nonne einem Kloster zugeordnet werden muss - und in der "Welt draußen" einen anderen Namen besaß als im Kloster "Monastère des bonnes soeurs", das einsam und abgeschieden, aber malerisch mitten im Wald liegt. Es gab Drohbriefe, die nicht ernst genommen wurden und ein zweites Opfer. Wer könnte ein Interesse daran haben, dass die Nonnen das von einer Stiftung der wohlhabenden Familie Falcon-Fontalliers finanzierte (und das bis in alle Ewigkeit) Kloster verlassen sollen?

Hier ist kriminalistischer Spürsinn wie auch gute Kontakte zur Welt der Reichen und Schönen gefragt: Über beides verfügt Mdme. le Commissaire, die nicht davor zurückschreckt, auch mal kleine Lügen aufzutischen, wenn es um ermittlungstechnische Fragen geht. Durch ihren Freund Rouven lernt sie die reiche Familie der Falcon-Fontalliers kennen, die entsetzt auf die Ereignisse reagiert. Im Zuge der Ermittlungen machen sich die Nachwirkungen des Pariser Attentats bemerkbar, die Isabelle nicht länger übersehen kann...

Erheiternd fand ich (ohne die Vorgänger der Reihe zu kennen) den Sergeanten Apollinaire, der es liebt, verschiedenfarbige Strümpfe zu tragen, gerne Isabelles Anweisungen résümiert und sehr konzentriert Auto fährt; sich auch über jedes Lob freut und ganz und gar nicht auf den Kopf gefallen ist, hier punktet der Krimi mit recht witzigen Dialogen, die ihm die bekannte südfranzösische "Leichtigkeit" geben. Auch atmosphärisch kann man das Kloster im tiefen Massif des Maures vor sich sehen sowie sich die Gerichte vorstellen, die verspeist werden - und sehr provencealisch sind.

Das Privatleben der Kommissarin ist ebenfalls Teil des Unterhaltsamen: So ist sie sowohl mit dem Bürgermeister von Fragolin, Thierry liiert als auch (ab und zu) mit Rouven, der scheinbar in einer anderen Welt lebt und für den Geld keine Rolle spielt, der jedoch ebenfalls ein großes Interesse an der Liaison zu Isabelle hat, dem sie zuweilen gerne nachgibt.

Fazit:

Ein unterhaltsamer cosy-crime à la Provence, der mit mäßiger Spannung aufwartet, die jedoch am Ende doch noch in Fahrt kommt und mit einem stimmigen, unvorhersehbaren Plot endet. Ein durchaus lesenswerter Ferienkrimi, der den Leser zum Schmunzeln bringt und die "mediterrane Leitigkeit des Seins" sehr gut widerspiegelt. Auch eine Hommage an die Provence. Ich habe ihn gerne gelesen und vergebe 4* und 87° auf der "Krimi-Couch".

Veröffentlicht am 22.05.2018

Eine kämpferische Frau auf der Suche nach Freiheit - und nach sich selbst ...

Die Magnolienfrau
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"Die Magnolienfrau" von Sabrina De Stefani erschien (gebunden, HC) im Allegria-Verlag der Gruppe Ullstein (2018).

Es handelt sich um eine wahre Geschichte, die autobiografische Züge aufweist und der Leser ...

"Die Magnolienfrau" von Sabrina De Stefani erschien (gebunden, HC) im Allegria-Verlag der Gruppe Ullstein (2018).

Es handelt sich um eine wahre Geschichte, die autobiografische Züge aufweist und der Leser die Autorin ihren Lebensweg betrachten und begleiten lässt:

"Schon als kleines Kind wird Sabrina auf eine harte Probe gestellt. Jahrelang ans Gipsbett gefesselt, findet sie unter dem blühenden Magnolienbaum im Garten ihrer Großmutter Hoffnung und Trost. Die erwachsene Sabrina schließlich sucht auf abenteuerlichen Reisen ihren Weg zu innerer Freiheit. Vor allem die Exotik Indiens und die Einkehr in Ashrams faszinieren sie. In Gestalt des geheimnisvollen Shankar begegnet ihr die große Liebe. Doch ihr Glück ist nur von kurzer Dauer. Unschuldig landet Sabrina in einem der berüchtigtsten Gefängnisse Asiens. Wieder stößt sie an Grenzen, wieder wird sie in ihrer Freiheit beschnitten. Zudem ist sie schwanger, und ihre Gedanken kreisen einzig darum, wie sie entkommen kann. Der Blick auf die blühende Magnolie im Gefängnishof gibt ihr in dieser ausweglosen Situation Zuversicht. Wird ihr die Flucht gelingen? In schillernden Farben und berührenden Szenen erzählt uns die Autorin die Geschichte ihres Lebens." (Quelle: Klappentext)

Meine Meinung:

Mich hat ganz besonders der Untertitel dieses sehr authentischen Romans neugierig werden lassen: "Eine wahre Geschichte übers Freisein und die große Liebe": Sabrina, die ersten drei Lebensjahre wegen einer Krümmung der Wirbelsäule in einem Gipsbett liegend, träumt unter der Magnolie in Großmutters Garten davon, eines Tages frei zu sein. Schwer vorstellbar, wie unglaublich hoch diese Anforderung an ein Kind sein muss, welche Verzweiflung sich einstellen kann und auch, welch starker Lebens- und Freiheitswille entstehen kann! Über sehr behütete Jahre bei der Großmutter nimmt die Mutter sie im Alter von 7 Jahren mit in die Schweiz; mit 16 Jahren besucht sie ein Mädchenpensionat in Fribourg, das ihr wiederum wie ein Gefängnis erscheint...

Sie stellt Schmuck selbst her, den sie im Laufe der nächsten Jahre verkaufen und gut davon leben sollte und beschließt, "auszusteigen", verbringt eine lange Zeit auf Bali, bis sie feststellt, dass doch noch "etwas fehlt". Um Indien hat sie stets einen großen Bogen gemacht, sucht sich jedoch genau dieses Land aus, um das Puzzleteil im Leben zu finden, das ihr noch fehlt: Ihre innere Freiheit.

Um diese zu erreichen, geht sie den schwersten Weg: Sie lernt zuerst von Anuva Baba, einem alten Mann, der kein Wort spricht - ihr dafür aber in wortlosem Verstehen den Rücken stärkt, wie früher ihre Oma und bei weiteren Reisen von Guruji, einem geheimnisvollen Priester und Mönch mit einer starken Ausstrahlung und Wirkung auf Sabrina: Sie wird seine Schülerin, um im Tempel leben zu können - nichtahnend, dass andere Schüler diesen Schritt von ihr nicht nur wohlwollend betrachten...

Über weite Strecken erfährt man von hinduistischen Ritualen und vom Leben in weitestgehender Askese in einem kleinen Ashram, wo Guruji (Shankar) und Sabrina gemeinsam leben; sehr detailliert und interessant geschrieben hat man als Leser einen Einblick in eine sehr fremdartige Welt, in der Frauen einen anderen Platz haben als in der westlichen Welt. Sabrina dient im Ashram und meditiert gemeinsam mit Shankar, betet ihre Mantras und praktiziert Bhakti-Yoga, um sich selbst zu finden. Im letzten Schritt ist sie besonders mutig, der sie in den Orden aufnimmt - und sie zuvor Opfer bringen muss. Hier fiel es mir doch zuweilen schwer, diesen extremen Lebensweg mitgehen zu können, auch wenn ich durchaus Shankars Meinung teile, dass weltlicher Besitz nicht zu Glück und Zufriedenheit führen. Der "Ausstieg" von Sabrina, die von ihm zärtlich Bébé oder Didi genannt wird, ist immer solange möglich, wie genügend Geld vorhanden ist, das Leben im Ashram zu ermöglichen (es gibt viele Besucher, die mit Essen versorgt werden). Geht das Geld aus, fliegt sie nach Europa, um dort den angefertigten Schmuck zu verkaufen und dadurch wieder neue Ressourcen zu schaffen, um wieder ins geliebte Indien zurückzukehren. Vor der letzten Reise erfährt sie jedoch einen Verrat, der sie ins berüchtigte Gefängnis Tahir Jail bringt - und sie auch dort nicht aufgibt, nach einem Weg zu suchen, wieder in Freiheit sein zu können: Dieser Teil des Romans ist überaus spannend und ich hätte mir gewünscht, dass die Autorin noch weitere Informationen gegeben hätte zum Verbleib Shankars und auch den Hintergründen, die zu dem erlebten Verrat führten.

"Die Magnolienfrau" ist in der Ich-Perspektive geschrieben, zudem klar und sehr gut zu lesen; optimistisch-hoffnungsvoll alle 32 Kapitel, die zeitweise natürlich voller Emotionen stecken.
Der Roman wird getragen durch große Kraft und innere Stärke, die Sabrina erlangt und die mir von Beginn der Geschichte an eine Sympathieträgerin war; ihre Suche nach innerer Freiheit endet ausgerechnet im Gefängnis, wo sie plötzlich erkennt, was im Leben wirklich wichtig ist (S. 319). Die Beziehung zwischen ihr und Shankar ist sehr sensibel beschrieben und man freut sich mit ihr, dass sie im Gefängnis nicht alleine ist; er ihr das größte aller Geschenke machte.

Fazit:

Eine sehr lesenswerte Lebensreise einer ungewöhnlichen und starken Frau, die ihre innere Kraft und Stärke im fernen Indien findet - und die Liebe ihres Lebens dazu. Ein wirklich starker Frauenroman, der auch interessante Aufschlüsse in die Welt des Hinduismus, der Ashrams und der indischen Mentalität gibt.
Ich vergebe eine Leseempfehlung und 4*

Veröffentlicht am 17.05.2018

Ich wollte nur Geschichten erzählen

Ich wollte nur Geschichten erzählen
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Rafik Schami vergleicht das Leben mit einem Mosaikgemälde - "und je näher man kommt, umso sichtbarer werden die Bruchlinien der einzelnen Steine..." heißt es folgerichtig, was sich durchaus in jedes gelebte ...

Rafik Schami vergleicht das Leben mit einem Mosaikgemälde - "und je näher man kommt, umso sichtbarer werden die Bruchlinien der einzelnen Steine..." heißt es folgerichtig, was sich durchaus in jedes gelebte Leben übertragen lässt. Und genau um diese Bruchstellen in dem Leben des sehr bekannten und (nicht nur von mir) sehr geschätzten Autors Rafik Schami geht es hier:


Das Buch mit stark autobiografischen Bezügen zeigt viele "Lebensbrüche" auf und auch, wie der Autor damit umzugehen lernte (dazu passt das Zitat am Buchende ganz besonders gut, wie auch zur arabischen Kulter, die mir persönlich recht bekannt ist und die ich in vielen Dingen bewundere,: "Mit zwei Kamelen namens Geduld und Humor kannst Du jede Wüste überqueren".

Und da gab es so einige im Leben und auch im Schaffen von excellenter arabischer Literatur, die mir ebenfalls wohlbekannt ist und die mein Leben seit über 20 Jahren begleiten: Ob es Jugendbücher sind oder Romane für Erwachsene, gar Märchen, die er in den westlichen Kulturkreis einbrachte: Alle Bücher sind keineswegs unpolitisch, wie ihm diverse Gegner vorwerfen....
Mit 25 Jahren musste der gebürtige Damaszener seine Heimat Syrien verlassen und kam 1971 mit einem naturwissenschaftlichen Studienabschluss - und einem Papierschatz - in seiner Wahlheimat Deutschland an. Ein Bruch, der Jahre dauerte, ihn zu bewältigen: Er wendete der Wissenschaft den Rücken zu und entschied sich für die Literatur, sehr zum Glück seiner Leser! Da er Bücher in seiner "Gastsprache" deutsch schreiben wollte - und auch schrieb; dazu auch mündlich seine Geschichten erzählen wollte, arbeitete er sehr hart an der Umsetzung dieses Vorhabens - das ihn letztendlich zum Erfolg führte und zu 36 Büchern, die fast alle in viele andere Sprachen übersetzt wurden: Dennoch lässt der große Erzähler Rafik Schami, der sein literarisches Kulturgut wie kein anderer Schriftsteller auf den europäischen Büchermarkt transportieren konnte, nicht aus, dass es immer auch Menschen gab, die ihm schaden wollten. Ihm seinen Erfolg nicht gönnten, was bis heute so ist, auch wenn nun einige der Bücher endlich auch auf Arabisch erscheinen.

Bis dato hatte er das Gefühl, praktisch zweimal ins Exil gegangen zu sein: Seine Heimat Syrien zu verlassen, die er nicht mehr gefahrlos betreten kann - und auch sein arabisches "Sprachhaus", da er nicht in arabischen Verlagen veröffentlichen durfte. Es geht um viele Themen, die Rafik Schami seither bewegen und zu denen er ganz klar Stellung bezieht: So macht er sehr klar den Unterschied deutlich zwischen Literatur, die in einer Diktatur wie eben z.B. Syrien erscheint und Literatur, die in einem freien Land wie unserem publiziert wird. Hier ist er unnachgiebig und ließ sich nie beugen: Mehr noch, er versteht die Exilliteratur als "Brückenbauer und Entwicklungshelferin", die sie m.E. auch tatsächlich ist: Durch sie kann man lernen, andere Kulturkreise zu betreten, Menschen und auch Sichtweisen anderer Kulturen besser zu verstehen. Ja, es ist dadurch möglich, in "Büchern zu verreisen".

Dieses Attribut kann ich vollumfänglich auf Rafik Schami anwenden, da er durch seine Arbeit, für die ich ihm großen Respekt zolle und die ich wundervoll finde, ein Vermittler der Kulturen ist. Er zeigt offen seine Abneigung gegen Sippen, die sich über eine lange Zeit an der Macht halten und mit Geheimdiensten brutal gegen das eigene Volk, das mitunter eine andere Meinung hat, vorgeht und ist dankbar dafür, dass er in einem freien Land wie Deutschland seine Bücher verlegen kann - und sein Publikum hat: Besonders schätzt er das freie Erzählen vor Publikum, das er in einer sehr lebendigen und zauberhaften Weise beherrscht (ich habe ihn vor vielen Jahren live erleben dürfen). Abschließend gibt Rafik Schami noch Tipps an junge AutorInnen, die man auch als LeserIn nur gut finden kann und Hinweise, wie er mit Literatur "umgeht" und was gute Literatur für ihn ausmacht. So hat er nach vielen Jahren sicherlich "Heimat" (die man durchaus mitnehmen kann und die nicht festgenagelt ist an Orte, Menschen oder Ideologien) in seinem Schreiben gefunden und steht heute ganz berechtigt zu seinem Erfolg (der nicht so schlimm ist wie sein Ruf, "wenn man die Bestie unter Kontrolle hält") - so Rafik Schami.
Als größtes Glück sieht er die Freiheit des Wortes - und ist dankbar, dass er diese hier im Lande zum Ausdruck bringen kann.
Dem kann ich mich nur anschließen, da ich sehr froh bin, seine Bücher lesen zu können und "Der Erzähler der Nacht" z.B. zu meinen absoluten Lieblingsbüchern zu zählen!

Die "Anmerkungen für Neugierige", die dieses literarische Selbstportrait sehr informativ abrunden, sollten von jedem interessierten Leser ebenfalls gelesen werden; denn besonders der letzte Satz - die "Experten" (Literaten) betreffend, die seine Bücher abwerten, da sie zu unpolitisch seien, führen sich letzten Endes selbst zum Absurdum und entlarven sich selbst.

Fazit:

Ein faszinierendes, sehr ehrliches, kritisches und auch selbstkritisches Selbstportrait, das mich sehr berührt hat; in dem die Schreibfreude durch die Seiten dringt wie in jedem Buch des Autors, der Humor und das Herzblut, mit dem er stets seine Geschichten schreibt - und sie frei erzählt!

Ein "choukran" an Rafik Schami, dass er in diesem aufschlussreichen Buch, das durchaus autobiografische Züge aufweist, aber auch aus dem Blickwinkel des Exilliteraten seinen LeserInnen viele Fragen beantwortet, die sich jene (ich zumindest) ganz besonders nach dem Jahre 2011 stellten!

Veröffentlicht am 14.05.2018

Eine Geschichte vom Werden, vom Versteinern und - vom Aufbrechen

Die Schönheit der Nacht
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Nina George gehört zu meinen absoluten Lieblingsschriftstellern und ihr Roman "Das Lavendelzimmer" wird immer eines meiner Lieblingsromane von ihr bleiben. Beim vorliegenden neuen Roman "Die Schönheit ...

Nina George gehört zu meinen absoluten Lieblingsschriftstellern und ihr Roman "Das Lavendelzimmer" wird immer eines meiner Lieblingsromane von ihr bleiben. Beim vorliegenden neuen Roman "Die Schönheit der Nacht" hatte ich jedoch andere Erwartungen, auch wenn mir der wirklich sehr schöne, präzise und intensive Schreibstil der Autorin nach wie vor sehr zusagt, konnte ich mich kaum mit der Hauptprotagonistin Claire identifizieren (Frauenleben und -gefühle sind nunmal sehr differenziert ;)


"Die angesehene Pariser Verhaltensbiologin Claire sehnt sich immer rastloser danach, zu spüren, dass sie lebt und nicht nur funktioniert. Die junge Julie wartet auf etwas, das sie innerlich in Brand steckt - auf des Lebens Rausch, auf Farben, Mut und Leidenschaft. In der Sommerhitze der Bretagne entdecken die beiden unterschiedlichen Frauen, welche Geheimnisse sie so sorgfältig vor sich selbst gehütet haben. Und was sie wagen müssen, um die zu werden, die sie sein können." (Quelle: Buchrückentext)

Meine Meinung:

Dr. Stephénie Claire Cousteau (44) Verhaltensbiologin in Paris, ist mit Gilles verheiratet, einem zuweilen erfolgreichen und oft auch erfolglosen Komponisten. Sie haben einen gemeinsamen Sohn, Nicolas (22) und sind seither jeden Sommer acht Wochen gemeinsam in die Bretagne gefahren, um dort der Hitze von Paris zu entfliehen. So auch diesen Sommer, in dem erstmals Julie, die derzeitige Freundin des Sohnes auf Einladung von Gilles mitfährt, da angenommen wird, dass sie ohnehin bald zur Familie gehören wird... Zu dieser Zeit ahnt noch niemand, wie sehr dieser letzte Familienausflug nach Trévignon alles verändern wird...

Der Roman greift zeitlich zurück in die ersten Jahre der Ehe und ich folgerte, dass Claire, die ihren Sohn mit 22 Jahren bekam, noch nicht bereit war für ein Kind, Gilles jedoch ohne Probleme in die Rolle als Vater hineinwuchs und ein sehr gutes Verhältnis zu seinem Sohn aufbaute. Claire war das finanzielle Rückgrat der Familie und sorgte mit ihrem Professorengehalt für Stabilität; die Familie lebt in einem teuren Stadtteil von Paris und gehört zur oberen sozialen Schicht. Jedoch wird im Romanverlauf klar, dass sich Risse auftun in der Beziehung zwischen Claire und Gilles - Risse, über die niemals gesprochen wird. Claire gilt im Institut als die Unterkühlte und bis zur Mitte des Buches wirkte sie auch so auf mich: Sezierend und das Verhalten ihrer Mitmenschen stets wissenschaftlich betrachtend. Dabei war sie als 11jährige ein Mädchen, das Seesterne in den Augen hatte: Mit der Geschichte ihrer Familie, auch ihrer Halbgeschwister Ludo und Anaelle, entwickelt man jedoch ein anderes Bild von ihr: Als Jüngste verhalf sie den 3 Geschwistern, dass Jeanne, die leibliche Großmutter von ihr, sie mitnahm in die Bretagne, wo sie gemeinsam aufwuchsen konnten: Jeanne de Lu ist eine sehr starke Persönlichkeit, selbstbestimmt und freie Schriftstellerin, die Claire alles Wichtige mit auf ihren Lebensweg gibt. Besonders Ludovic brachte mich beim Familientreffen am 14. Juli durch seine trockene Bemerkung zum Lachen, solche Szenen hätte ich mir mehr gewünscht!
Mit Julie, einem klugen, aber mit 19 Jahren noch recht unsicheren jungen Mädchen, das mit Nico liiert ist, beginnen beide Frauen, die "Gewordene" und die "Werdende", sich zu verändern, was Auswirkungen auf die ganze Familie haben wird.

Die Handlung, die im Finistère verortet ist, das wundervoll und atmosphärisch von Nina George (die zeitweise dort lebt) beschrieben wird, ist stilistisch teils melancholisch, teils poetisch, auch sezierend und von einer großen Sprachkraft und -freudigkeit gekennzeichnet, dem eleganten Markenzeichen der Autorin, die einen präzisen und gefühlvoll-intensiven Sprachgebrauch ihr eigen nennt.

Claire bleibt mir jedoch über weite Strecken in ihrer Verzweiflung, sich mit Männern einzulassen, über vieles hinwegzusehen, nichts auszusprechen, fremd. Sie wird mir ab da sympathischer, als Julie "Schwimmversuche" macht und Claires Persönlichkeit für mich weichere Konturen annimmt: Sie nähert sich damit auch ihrem alter ego, wie es scheint. Eine große Rolle spielt auch ein "Talisstein", den Claire als 11Jährige fand und der sie seither begleitet - er steht für die Versteinerungen, die sie im Laufe ihres Lebens zulässt und die sie nun aufzubrechen versucht.
Der aussagekräftigste, emanzipatorischste Satz im Roman, der mir sehr gefiel, war (Zitat Jeanne de Lu, der Großmutter):

"Weder deine Zukunft noch deine Vergangenheit liegen fest. Du kannst immer wieder aus dir selbst heraus neu entstehen". (S.163)

Mit dem Sturm, der sich über dem Meer ankündigt, kommt es zum Eklat: Alle reisen nach dem gemeinsam gefeierten Nationalfeiertag des 14. Juli ab - nur eine Person kehrt zurück. Das Romanende ist ebenfalls sehr ausdrucksstark und steht für das uneingeschränkte, uneingeschränkte WERDEN einer Frau und für ihre (innere) Freiheit, dieses ICH-WERDEN voraussetzt.

Fazit:

Sinnlich, poetisch, atmosphärisch, zeitweise melancholisch: Ein Roman , der eine Hommage an die Selbstentfaltung der Frau, aber auch an die zauberhafte Bretagne und das Meer als Symbol der inneren Freiheit ist.

Veröffentlicht am 11.05.2018

Wie Treibholz im Sturm

Wie Treibholz im Sturm
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Nach dem ersten Roman der Autorin Daniela Ohms (Winterhonig) war ich sehr gespannt auf diesen Roman - und wurde nicht enttäuscht. Ganz im Gegenteil: Ein intensiveres Leseerlebnis, das den Leser in die ...

Nach dem ersten Roman der Autorin Daniela Ohms (Winterhonig) war ich sehr gespannt auf diesen Roman - und wurde nicht enttäuscht. Ganz im Gegenteil: Ein intensiveres Leseerlebnis, das den Leser in die Kriegs- und Nachkriegsjahre zurückkatapultiert und anhand des Kennenlernens zahlreicher Personen, die den Roman bevölkern; hauptsächlich jedoch den beiden Hauptprotagonisten Hannah und den stummen Soldaten, der aus dem Krieg zurückkehrt und zufällig mit ihr und zwei weiteren Kriegsheimkehrern die Dachstube eines Gutshofs in Schleswig-Holstein teilt, bis zur letzten Seite nicht loslässt, hatte ich selten. Besonders auffallend war für mich, dass auch die "Nebenfiguren" wie Egon, Freddie - aber auch Herr von Kobelenz sehr gut angelegt waren und die Autoren auch diesen sehr viel Leben 'einhauchte'.


Der Roman beginnt in Hamburg, 1943 und man erlebt quasi mit, wie Hannah Riedel, Apothekertochter, verheiratet, ein Kind (4) nur durch Glück einen Fliegerangriff im Grindelviertel überlebt - jedoch an diesem Tag ihre gesamte Familie verliert...
Traumatisiert wird sie aus Hamburg evakuiert und findet, wie so viele Flüchtlinge, eine vorläufige Bleibe auf einem Gutshof in Schleswig-Holstein. Dort teilt sie sich kurz darauf eine fast nicht beheizbare Dachkammer mit drei Soldaten, von denen einer kein Wort spricht und von den Freunden "Fuchs" genannt wird, da er rotes Haar hat. Von diesem stummen - oder sollte man besser sagen, verstummten Menschen, der Schreckliches im Krieg durchmachen musste, fühlt sich Hannah unweigerlich angezogen und möchte ihm helfen, verliebt sich trotz dessen Stummheit in ihn...

Die zweite wichtigste Hauptfigur im Roman ist dieser "Fuchs", der knapp 18jährig, aus Ostpreußen stammend, den Zug mit hunderten anderer Soldaten besteigen muss und unterwegs bereits ahnt, was auf ihn zukommen wird. Er freundet sich mit einem älteren Kameraden an, da dieser ihn an seinen kleinen Bruder erinnert und wird gemeinsam mit Glaubitza einem Bataillon zugeteilt, das in Russland hinter der Frontlinie Partisanen bekämpfen sollen.... Es ist schier unglaublich, wie intensiv die Gefühle des kaum dem Kindesalter entwachsenen Fuchs von der Autorin dargestellt werden; seinen inneren Zwiespalt, seine erlebten Schrecken und sein unbeugsamer Überlebenswille:
Die Lektüre der Kriegsszenen, die Daniela Ohms nicht ausspart, sind ein Kernthema des Romans und umkreist die Themen Schuld - und Sühne; Verantwortung und Menschlichkeit, die in Zeiten des zweiten Weltkrieges - währenddessen und auch hinterher - quasi ausser Kraft gesetzt werden und viele Männer traumatisierten, nicht wenige zeitlebens, da eine Unterstützung in psychologischem Sinne, wie es heute der Fall ist, nicht gegeben war. Es geht aber auch um Freundschaft, ja um Liebe in Kriegs- und Nachkriegszeiten; um das schwierige Weiterleben, um Vertriebene und Flüchtlinge, die einander noch teils Jahrzehnte suchen sollten, da ganze Familien ausgelöscht - oder in Flüchtlingstrecks auseinandergerissen wurden.....

Die Konsequenzen von Traumata, Flucht und Vertreibung, besonders hier der früheren Gebiete Deutschlands wie Ostpreußen, Schlesien, Masuren z.B. greift die Autorin nicht nur auf, sondern beleuchtet sie in aller literarisch zur Verfügung stehenden Schärfe. Auch die "Wolfskinder" sind ein Thema und auch die Verfolgung und Ermordung der Juden - hier in Form von Klara, der besten Freundin Hannahs in der Zeit ihrer Kindheit, die aus einer jüdischen Familie stammte...

Ich hatte das Glück, mich in einer autorenbegleiteten Leserunde mit anderen LeserInnen austauschen zu können und mir ging es wie einigen anderen: Der Roman ist keine leichte Kost und der Stil von Daniela Ohms sowie der Verlauf der Handlungsstränge im Roman, die sich zeitlich von 1943 bis etwa 1949 erstrecken; von Hamburg über Weißrussland, Ostpreußen bis nach Schleswig-Holstein verortet sind, zeigen anhand der großen Authentizität von sowohl Hannah als auch dem Fuchs deutlich auf, welche Spuren und seelischen Verletzungen ein Krieg stets bei Menschen hinterlässt.
Dies kann und konnte in manchen Menschen solche irreparablen Schäden an der Seele verursachen, dass es kaum möglich war, wieder ein normales Leben führen zu können, die Wiese des Friedens wieder mit von Blut besudelten Stiefeln betreten zu können, wie es so treffend im Roman formuliert wurde. Auch lädt der Roman dazu ein, betreffende Themen wie Flucht, Vertreibung, Wolfskinder etc. durch eigene Recherchen noch zu vertiefen.

Fazit:

Daniela Ohms ist es unglaublich gut gelungen, eine Geschichte aus sehr dunklen Zeiten des 2. Weltkrieges zu erzählen, bei der man als Leser nahe an den sehr authentisch dargestellten Figuren "dran" ist; mit ihnen leidet, mitfiebert, sich freut, entsetzt ist und Hoffnung hat: Eine solche Intensivität, aber auch einen Roman, der mich emotional sehr mitgenommen hat und der mich mitunter an die Grenzen meiner Belastbarkeit beim Lesen brachte, habe ich sehr selten gelesen und möchte ihn dennoch absolut weiterempfehlen: Sehr gut recherchiert, exemplarisch für so viele Menschen, denen großes Leid zugefügt wurde durch den 2. Weltkrieg, die alles hinter sich lassen mussten und als Flüchtlinge geduldet wurden, schlägt die Autorin in ihrem Nachwort noch einen Bogen in die heutige Zeit, in denen erstmals die Zahlen von Flüchtlingen vergleichbar sind mit denen nach dem 2. Weltkrieg: Somit ist es für mich auch ein Plädoyer für Menschlichkeit und Frieden, der in allen Zeiten oftmals brüchig war: Es gilt, ihn zu erhalten, gerade in unserer Zeit!
Von mir erhält der Roman die volle Punktezahl, 5* und 100° auf der Histo-Couch sowie eine absolute Leseempfehlung!