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Veröffentlicht am 30.08.2017

Ein außergewöhnliches, brillant-literarisches "Portrait der Kulturen"

Die Großmächtigen
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"Die Großmächtigen" von Hédi Kaddour erschien gebunden, als HC im Aufbau-Verlag, 2017. Übersetzt wurde dieses epische Werk aus dem Französischen von Grete Osterwald. Bereits das wirklich sehr schön gestaltete ...

"Die Großmächtigen" von Hédi Kaddour erschien gebunden, als HC im Aufbau-Verlag, 2017. Übersetzt wurde dieses epische Werk aus dem Französischen von Grete Osterwald. Bereits das wirklich sehr schön gestaltete Cover weist auf "verschiedene Welten, verschiedene Kulturen" auf diesem unserem Planeten hin - und genau darum geht es:

Nahbés, Nordafrika, 1922:

Das kleine nordafrikanische Städtchen ist in einen europäischen und einen Teil der "Eingeborenen" unterteilt, in dem es friedlich zugeht, bis ein Filmteam aus Amerika das beschauliche Leben aufmischt: Neil, der Regisseur und Kathryn, seine Ehefrau kommen mit dem ganzen Tross und Welten, ja Kulturen prallen erstmal aufeinander.

Die weiteren Hauptprotagonisten sind Rania, eine junge, sehr kluge und wissbegierige Witwe, Raouf, ein ebenfalls sehr cleverer und intelligenter junger Mann und ihr Cousin, Ganthier, der sich, aus der französischen Kolonialmacht stammend, gerne mit ihm politische und philosophische Wortgefechte liefert; desweiteren Gabrielle Conti, die Journalistin aus Paris und eher im Hintergrund, aber dennoch unüberlesbar, Belkhjoda, ein Teppichhändler, der gerne als älterer Mann die "kleine Bande", zu der auch Raouf und Karim, sein bester Freund gehören, darin unterrichtet, wie man sich die richtige Frau sucht (auch wenn er selbst in dieser Rolle nicht eben glänzen kann).

Wir verfolgen nun über zwei Jahre - bis Juni 1924 - wie Gabrielle, die mit den beiden anderen Frauen befreundet ist, sie vorsichtig miteinander bekannt macht; wie Raouf zur 'rechten Hand' und mehr für Kulturelles und auch Persönliches von Kathryn wird und was diese sehr verschiedenartigen Menschen mehr und mehr miteinander verbindet und sich mehr und mehr anfreunden - trotz aller (oder gerade wegen?) aller kulturellen Unterschiede.

Der Schreibstil Kaddour's ist sehr blumig, orientalisch und reich im Detail, wobei mir die Prisen feiner Ironie mit am besten gefielen. Der Roman, der auch immer wieder brisante politische Themen umkreist, von der Kolonialmacht Frankreich angefangen bis zum Erstarken der Rechten in Europa, ist in drei Teile gefasst: Teil 1 ist in Nahbés verortet; in Teil 2 treffen wir die meisten Protagonisten, so Raoul, Ganthier und Kathryn, in Paris wieder und mit Schmunzeln stellte ich mir ihren Aufenthalt in sprachlicher Hinsicht im Elsass vor (ich wohne nicht weit davon entfernt ;). Ihr Weg führt sie über Berlin, wo Kathryn einen wichtigen Regisseur treffen möchte wieder nach Berlin zurück, von wo aus Raouf und Ganthier Richtung Marseille und Nordafrika weiterreisen.

Im 3. und letzte Romanteil kehren sie nach Nahbés zurück, man schreibt das Jahr 1924: Hier trennen sich die Wege der Protagonisten, das Filmteam kehrt bis auf Weiteres nach Amerika zurück; Raouf kam aus Paris zurück, wo er mittlerweile studiert und auch bei den Menschen in Nahbés nehmen die Ereignisse ihren Lauf....

Der Autor wertet nicht, mit feiner Ironie (und oftmals einem Augenzwinkern) überlässt er dies wohl lieber dem jeweiligen Leser; die Hauptcharaktere werden so schillernd und äußerst facettenhaft beleuchtet, wie es besonders in der arabischen Literatur üblich ist. Dieses Zeitportrait setzte Hédi Kaddour perfekt um und bereitet mit diesem Roman jedem Leser eine Freude, der an arabischer Erzählkunst (sehr ausgeschmückt und detailliert) interessiert ist.

Fazit:

Ich empfehle dieses opulente, wundervoll geschriebene Werk gerne weiter; besonders sicher jenen Menschen, die sich für interkulturelle Themen interessieren, da Kaddour hier eine sehr gelungene Brücke zwischen dem Orient und dem Okzident in literarischer Weise schlägt. Auch die zeitlose Aktualität ist fast 100 Jahre später herauszulesen. Chapeau für den Autor, ebenfalls für den Aufbau-Verlag und 5* von mir am literarischen Himmel des Abend- sowie des Morgenlandes!

Veröffentlicht am 22.08.2017

Die Kapitel meines Herzens

Die Kapitel meines Herzens
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Der große Schriftsteller Tristan Whipple, Samanthas Vater und direkter letzter Nachfahre der Bronté-Familie, vererbte seiner Tochter die "Warnungen aus Erfahrung". Samantha (Sam), in Boston aufgewachsen, ...

Der große Schriftsteller Tristan Whipple, Samanthas Vater und direkter letzter Nachfahre der Bronté-Familie, vererbte seiner Tochter die "Warnungen aus Erfahrung". Samantha (Sam), in Boston aufgewachsen, ist angehende Studentin der Englischen Literatur und nimmt auf Wunsch des verstorbenen Vaters ein Auslandssemester an der Universität Oxford an, um das Rätsel ihres mysteriösen Erbes zu lösen. Mit ihrer Verwandtschaft zu den Schwestern Bronté, die aus der klassischen englischen Literaturgeschichte nicht wegzudenken sind, tut sie sich eher schwer.

Sie bezieht im College ein Turmzimmer, in dem ein Bild ("Die Gouvernante") hängt, das ihr teils zuwider, teils auch faszinierend erscheint, da es zu verschiedenen Tageszeiten seinen Ausdruck zu verändern scheint... Das erste Tutorium bei Dr. Orville führt sie dann sehr rasch an ihre Grenzen, da sie es auf ihrem "Wohlfühl-College" in den Staaten gewohnt war, dass jede Meinung zählte.

Im Romanverlauf, der flüssig und gut zu lesen umschrieben werden kann, werden Samantha dann Päckchen vor die Türe gelegt, die die berühmten Klassiker der Bronte-Schwestern enthalten und einst ihrem Vater gehörten: Führen diese Romane der bekannten Vorfahrinnen sie zu der Lösung des Rätsels um ihr Erbe? Ihr Vater markierte immer besondere Stellen in Büchern und versah die ungelesenen Bücher für die Tochter mit Lesezeichen: Ob diese den Weg markieren? Kann Orville, der zwar gerne helfen möchte, aber selbst einen gewissen brennenden Schmerz empfindet, wenn es um die Literatur der Bronté-Schwestern geht, Samantha dabei helfen, dem Familienrätsel des Erbes auf die Spur zu kommen?

Catherine Lowell entführt die Leser gekonnt in die Welt der klassischen englischen Literatur und lässt Samantha eine Art von literarischer Schnitzeljagd bestehen, an deren Ende sie ihr Erbe antreten kann. Gefallen haben mir die Ausflüge in diese Welt der englischen Literaturgeschichte, auch der Schreibstil der Autorin ist angenehm zu lesen. Weniger überzeugen konnten mich die etwas fiktiv angelegten literarischen Rätsel, die mir recht hypothetisch erschienen. Die Spannungsbogen nimmt im letzten Drittel des Romans noch zu, ein Brunnen auf dem Gelände des Campus spielt hier eine Rolle, jedoch wirkte diese Szene auf mich etwas konstruiert. Die Dialoge im Pfarrhaus mit dem Literaten Sir John Booker, Dr. Orville und Samantha hingegen konnten mich eher fesseln; der Eindruck einer zarten Liebesbeziehung verstärkt sich.

Interessant fand ich auch die Tatsache, dass sich in Samanthas Leben im Grunde Muster wiederholten, die auch das Leben der Brontés in Haworth prägten. Der Roman entführt in die Welt der Brontés, von Vorteil ist jedoch, wie ich finde, diese bereits in Form gelesener Klassiker wie Jane Eyre, Sturmhöhe oder Agnes Grey bzw. in Form von Sachbüchern über die Familie Bronté bereits betreten zu haben. Sollte dies nicht der Fall sein, so regt dieser Roman sehr dazu an, dieses nachzuholen.

Mich konnte leider die Hauptprotagonistin Samantha nicht erreichen bzw. überzeugen; evtl. war sie mir zu 'amerikanisch' angelegt, was m.E. nicht so recht zum Romaninhalt passen wollte. Auch das schwere Erbe, das hier als Hypothese im Raum stand, war mir zu fiktiv.

Spürbar ist jedoch, dass sich die Autorin mit den Werken der Schwestern Bronté sehr auseinandersetzte und Samantha immer wieder in Beziehung zu deren Geschichte setzt. Insofern ist es in gewisser Weise auch ein Entwicklungsroman, da Samantha in Oxford auch in gewisser Hinsicht einen Weg zu sich selbst findet, der ihr zuvor verschlossen war. Dr. Orvilles Charakter war etwas ambivalent angelegt, jedoch letztendlich ein sympathischer Charakter, der fürsorgliche Seiten hatte und Samantha auf diesem Weg zur Seite stand.

Da es sich um das Début von Catherine Lowell handelt, sehe ich hier noch Luft nach oben und vergebe 3,5 * sowie eine Leseempfehlung für lesebegeisterte Fans der Schwestern Bronté, da "Die Kapitel meines Herzens" dazu einladen, sich mit den berühmten Werken der Schwestern (noch einmal oder erstmals) auseinanderzusetzen.

Veröffentlicht am 22.08.2017

Eine Hommage an die Kraft der Musik und den Gesang - und an starke Frauen in schweren Zeiten!

Der Frauenchor von Chilbury
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Bei dem Roman "Der Frauenchor von Chilbury" von Jennifer Ryan handelt es sich um das (sehr gelungene) Début der Autorin, das durch Geschichten ihrer Großmutter inspiriert wurde und teils auf authentischen ...

Bei dem Roman "Der Frauenchor von Chilbury" von Jennifer Ryan handelt es sich um das (sehr gelungene) Début der Autorin, das durch Geschichten ihrer Großmutter inspiriert wurde und teils auf authentischen Grundlagen in Form von Tagebüchern (Journals) der Frauen basiert, die zum Schreiben von staatlicher Seite auf der "Home Front" aufgefordert wurden. Diesen Frauen widmete die Autorin auch diesen Roman. Verlegt wurde der Roman im Verlag Kiepenheuer & Witsch (HC, gebunden, 2017).

England, Grafschaft Kent, Ende März 1940:

Da die männlichen Stimmen im Krieg sind, löst der Vikar in Chilbury kurzerhand den Kirchenchor auf. Da sich die Frauen diese Gemeinsamkeit, im Chor zu singen, jedoch nicht nehmen lassen, gründen sie - auch mit Unterstützung der Chorleiterin Primrose Trent, die sie zu diesem Schritt ermutigt - den Frauenchor von Chilbury, der diesem sehr lesenswerten Roman seinen Titel gab. Die Frauen stellen fest, dass sie auch ohne Männer vorzüglich singen können, einige sogar besonders gut, so z.B. Kitty Winthorp (13), ihre Schwester Venetia (18), Mrs. Tilling, eine engagierte und sympathische Krankenschwester, Mrs. Quail u.a.; und sie begreifen, wie wichtig die Musik und das Singen gerade in schweren Zeiten ist.

Viele der Frauen haben bereits ihren Mann oder ihren Sohn im Krieg verloren; manche bangen um diese und so finden sie in den Chorproben Trost und Stärke, diese schwere und belastende Zeit gemeinsam durchzustehen.

Stilistisch interessant ist der Roman besonders dadurch, dass 5 Hauptprotagonistinnen durch ihren Briefwechsel (Venetia an ihre Freundin in London), Mrs. Edwina Paltry, (eine zwielichtige, geldgierige Hebamme mit zweifelhafter Vergangenheit an ihre Schwester Clara), durch Tagebucheinträge (Kitty) oder durch ihre Journale (Mrs. Tilling) einander abwechseln und man die einzelnen Charaktere im Romanverlauf immer besser kennenlernt. So liest man vom Alltagsleben der Dorfbewohner, von Geburten und einem zweifelhaften Ruf der Hebamme, einem rabiaten Gutsherrn, dem Vater von Venetia und Kitty, der dringend einen männlichen Erben benötigt, einer aufmunternden und begeisternden Chorleiterin, die das Leben im Dorf Chilbury weiterführen, während die Ereignisse des Kriegsgeschehens, z.B. der Einmarsch der Deutschen in Norwegen und Belgien ebenfalls benannt werden. So gab es auch Einquartierungen, die der netten Mrs. Tilling einen Colonel Mallard beschert, den sie ausgerechnet im Zimmer ihres eingezogenen Sohnes David unterbringen muss...

Kitty, die mit ihrer Schwester Venetia ihre Probleme hat, versucht Sylvie, das Mädchen aus der Tschechoslowakei, das bei den Winthorps unterkam nach der Evakuierung, mit Spielen und Picknicks aufzuheitern - man ahnt schon, aus welchem Grunde Sylvie ihre Familie und ihr Land auf dem schnellsten Wege verlassen musste. In Chilbury selbst werden zwei Invasionskommitees gegründet und das Aufeinandertreffen dieser zwei Gruppen wird mit feinstem britischen Humor - der realen Kriegsbedrohung Englands durch die deutsche Wehrmacht zum Trotz - beschrieben; diese Episode gefiel mir - abgesehen von dem hintergründigen Humor, der oftmals in den Tagebucheinträgen Kittys lauerte - besonders gut.
Die durchweg sehr sympathischen Frauen werden sehr facettenreich und authentisch beschrieben; Mrs. Tilling schließt man ebenso wie Kitty und mehr und mehr auch Venetia unwillkürlich in sein Leserherz, da sie allesamt ihr Herz am rechten Fleck tragen. Auch der Hebamme Edwina kann man am Ende kaum ernsthaft böse sein. Sehr gut eingefangen hat die Autorin das Zeitgefühl und die tiefe Solidarität unter den Chorfrauen, die in Umarmungen, Wohltätigkeitskonzerten und Andachtsmessen für die Gefallenen zum Ausdruck kommt.So stellt Mrs. Tilling in einem ihrer Journal-Einträge fest:

"Erstaunlich, wie ein bisschen Singen so viel Nähe erzeugt. Da standen wir, jede in ihrer eigenen Welt, mit ihren eigenen Problemen und plötzlich löste sich alles in Luft auf (.....); wir spürten, dass wir diese Zeiten gemeinsam durchleben müssen, einander Halt und Unterstützung geben können."(Zitat, S. 197)
Nachdem der Krieg auch vor Chilbury selbst nicht Halt macht und im benachbarten Litchfield Bomben fallen, es Opfer und Kriegsschäden gibt, ist die Antwort des Frauenchors eine Veranstaltung:

"Momentan ereignet sich so wenig Erfreuliches, alles ist rationiert oder verboten, da können wir wenigstens singen. Es ist erstaunlich, wie sehr es die Stimmung hebt!" (Venetia an ihre Freundin Angela, Zitat S. 442)

Ein sehr positiver, zutiefst menschlicher und 'runder' Abschluss krönt diesen schönen Débutroman, der zeigt, welche Kraft die Musik und besonders das gemeinsame Singen erweckt, gerade in Zeiten wie dem 2. Weltkrieg... Der Frauenchor entwickelte eine Eigendynamik, die die Solidarität unter den Frauen entfachte, zumal es sich hier um ganz wundervolle (zumeist) und starke Hauptprotagonistinnen handelt; allen voran Mrs. Tilling, Kitty und auch Venetia, denen die Musik ihrem Leben einen zusätzlichen "Schub" gab, gerade im Jahr 1940!
In Konzerten und Veranstaltungen gibt "Der Frauenchor von Chilbury" diese positiven musikalischen Schwingungen weiter - dafür gibt es für einen sehr gelungen Roman von der englischen Home Front und starken Frauen von mir sehr überzeugte 5 * und einen Dank an die Autorin für sehr schöne, berührende, informative und interessante Lesestunden!

Veröffentlicht am 14.08.2017

Lesenswerter und nachdenklich stimmender Blick in die Kölner Nachkriegsjahre...

Antonias Tochter
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Juli 1945, Köln:

Antonia von Brelow, aus einem ostpreußischen Gut stammend, kehrt mit ihrer Tochter Marie, noch im Kleinstkindalter, ins Haus der von Brelows zurück, das den Krieg wie durch ein Wunder ...

Juli 1945, Köln:

Antonia von Brelow, aus einem ostpreußischen Gut stammend, kehrt mit ihrer Tochter Marie, noch im Kleinstkindalter, ins Haus der von Brelows zurück, das den Krieg wie durch ein Wunder überstanden hat und bewohnbar ist. Ihr Mann Friedrich wird vermisst, aber ihr Schwager Richard, dessen Bruder, hat sich ebenfalls in der alten Villa niedergelassen; nun müssen sich beide arrangieren...
Um Marie und sich selbst über diese entbehrungsreichen Zeiten zu bringen, entschließt sich Antonia, Zimmer unterzuvermieten. Und so bildet sich nach und nach eine Hausgemeinschaft:
Katharina (aus ostpreußischem Adel stammend und als Krankenschwester in Köln arbeitend); Elisabeth (von einem Bauernhof stammend und Tänzerin mit einem Faible für Nigel, einem britischen Soldaten, der ihr Zimmer finanziert, dafür aber gewisse "Gegenleistungen" fordert) und Dr. Georg Rathenau, Arzt und ebenfalls auf der Suche nach einer Bleibe...

Im Romanverlauf lernt man die verschiedenen Charaktere immer besser kennen; freut sich, dass die Frauen sich gut verstehen und mehr und mehr zu Freundinnen werden - hat jedoch das untrügliche Gefühl, dass jeder der Protagonisten etwas zu verbergen hat - oder durch Kriegserlebnisse traumatisiert ist. Die Figuren sind sehr facettenreich beschrieben und man kann deren Handlungen sehr gut nachvollziehen; dem Leser wird eine Zeit vor Augen geführt, in der Hunger und Kälte ständige Begleiter von Menschen waren, die den Krieg überlebten - und nun durch Rationierungen von Lebensmitteln (Karten) und Heizmaterial weiterhin ein karges, fast unmenschliches Leben führen mussten und nicht jeder diese Zeit überlebte. So mancher wurde dazu verleitet, Diebstahl und Einbrüche zu begehen, um nicht zu verhungern; selbst die Lebensmittelkarten standen auf der Liste von (hungernden) Trickbetrügern, die zuweilen in Gestalt eines Kindes sein Opfer überrannten...

Während Katharina und Georg sich den zahlreichen Kranken in der Klinik widmen, näht Antonia aus alten Vorhängen Wintermäntel oder strickt Kinderkleidung, um ein Zubrot zu verdienen, das Marie und sie vor dem Verhungern rettet. Elisabeth arbeitet als Trümmerfrau, da es dort wenigstens eine heiße Suppe gibt. Sie sucht nach einem Weg, finanziell unabhängig zu sein, auf den elterlichen Hof wird sie niemals zurückkehren... Diese Versuche, unabhängig zu sein, ließen mich große Sympathie für Elisabeth empfinden, ebenso wie zu Katharina Falkenburg, die das "von" lieber aus ihrem Namen streicht und der jeglicher Standesdünkel aus Vorkriegszeiten fremd ist und zu Antonia, die unter schwierigen Umständen das beste aus der Situation macht.

Der Autorin gelingt es, die Sorgen und Ängste besonders der Frauen, die auf die Rückkehr ihrer Männer warten - oder zuweilen noch schlimmer - die Traumatisierungen ihrer Männer miterleben, die ihnen diese fremd erscheinen lassen und eine Rückkehr zu einem "normalen" Leben wie vor dem Krieg unmöglich machen, zu beschreiben. Auch der Nahrungsmangel, der auch auf die Besatzungszonen und damit einhergehender Verwaltungs- und Logistikprobleme zurückzuführen ist, steht sehr eindringlich im Vordergrund des Romans. Eine Art "Überlebenskünstler" ist hier Richard, der jedoch rigide mit Geschäftskontrahenten umgeht und die Hausgemeinschaft nicht von seinen recht erfolgreichen Aktivitäten im Schwarzmarkthandel in Form von Naturalien - wenigstens ab und zu - profitieren lässt. Dennoch hatte ich auch für diese Figur gewisse Sympathien, da er doch zur Stelle war, wenn es darauf ankam.

Zu den ständigen Begleitern des Hungers und der Kälte gesellen sich bei fast allen Protagonisten auch fragile Gefühlswelten, die in und durch die Kriegsjahre sehr durcheinandergerüttelt wurden und besonders bei Antonia, in direktem Zusammenhang mit der Flucht aus Königsberg zu stehen scheinen....
In einem Rückblick am Romanende wird die Zeit des letzten Kriegsjahres und der Einmarsch der Roten Armee in deutsche Gebiete (Oktober 1944), der mit dem Tode tausender flüchtender Menschen aus Ostpreußen, Vergewaltigungen und Angriffen auf die Flüchtlingstrecks endeten, in der Erfahrung Antonias geschildert; die Todesangst und Panik ist allzu vorstellbar, wenn man sich den Hass der russischen Soldaten vorstellt, die zuvor ebenfalls diese Grausamkeiten des Krieges von Seiten der deutschen Wehrmacht erlitten hatten. Hier geht es Nora Elias darum, nachvollziehbar aufzuzeigen, dass ein Mensch in Panik und Todesangst anders handelt als er es unter normalen Umständen getan hätte, was für mich auch die stärkste Aussagekraft dieses Romans darstellt.

Fazit:

Ein Roman, der den Leser auf spannende Weise in die Stadt Köln der Jahre 1945 bis Sommer 1947 entführt, in eine zerbombte Stadt voller Ruinen und zu einer Hausgemeinschaft, die diese harten Nachkriegsjahre in gegenseitiger Freundschaft überlebten, sich Halt gaben und füreinander einstanden - auch über Klassenunterschiede hinweg, die nach dem Krieg noch eine größere Rolle spielten als heute. Ein beeindruckender, teils auch bedrückender und sehr nachdenklich stimmender Nachkriegsroman, der auf jeden Fall - besonders für historisch interessierte Leser - eine Leseempfehlung und 4,5 *von mir erhält!

Veröffentlicht am 01.08.2017

Der Dichter der Familie - absolut lesens- und empfehlenswert!

Der Dichter der Familie
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"Der Dichter der Familie" von Grégoire Delacourt erschien 2017 (HC, gebunden) im Atlantik-Verlag und hat durch seine packende, ehrliche und pointierte Sprache mein Leserherz persönlich sehr gut erreichen ...

"Der Dichter der Familie" von Grégoire Delacourt erschien 2017 (HC, gebunden) im Atlantik-Verlag und hat durch seine packende, ehrliche und pointierte Sprache mein Leserherz persönlich sehr gut erreichen und auch begeistern können....

"Èdouard schreibt mit sieben Jahren sein erstes Gedicht. Die Familie ist begeistert, lobt und applaudiert ihm: welch eine Begabung! Von nun an ist er der Dichter der Familie. Doch es sollte anders kommen. Mit neun muss er die Klasse wiederholen, mit zehn stecken ihn die Eltern ins Internat in Amiens. Er studiert, wird statt Dichter Werbetexter, heiratet Monique, bekommt eine Tochter, dann eine zweite... Die Jahre ziehen ins Land, die Familie zerbricht, das Leben geht weiter. Èdouard gelingt es nicht, den einen Moment der allgemeinen Liebe und Bewunderung wieder entstehen zu lassen. Und trotz großer Erfolge als Werber fühlt er sich als Versager. Doch wie hatte sein Vater gesagt: "Schreiben heilt!" (Quelle Buchinhalt: Stories Magazin)

Meine Meinung:

Die ersten Strecken dieses Débutromans von Delacourt lesen sich wie ein Rückblick eines 18Jährigen auf sein Leben ab 9 Jahren auf das Familienleben einer nordfranzösischen Familie, der sich selbst auf dem Weg ins Erwachsenenalter stets in Beziehung zu den Erwartungen der Eltern setzt. Obwohl Èdouard nach dem Internat und dem Studium in der Buchhaltung landet, denkt er immer wieder an die Worte des Vaters und die Geschichte eines Amoklaufs im früheren Internat inspiriert ihn dazu, zu schreiben, er will - er muss Schriftsteller werden!
Die 'falsche', aber sehr dominante Frau, die er heiratet, Monique, wird ebenfalls eine Weile brauchen, um zu erkennen, dass es nicht um 'unsere' Bücher, sondern um ein Buch von Èdouard geht und immer wieder um Wörter, deren Bedeutung, deren Kraft und zuweilen auch deren Zerstörungswut...
Um Wörter, die ungesagt bleiben, um unausgesprochene Wörter, um letzte Wörter und vor allen Dingen darum, dass "das Leben noch ein Wörtchen mitzureden hatte".

Der Protagonist, gewissermaßen ein Antiheld, dafür jedoch mit einem sehr ehrlichen Blick nach innen wie auch nach außen, erhält einen Vertrag in der Werbebranche, stellt jedoch (auch wenn sein Verdienst enorm ist und ein luxuriöses Leben sowohl ihm als auch Monique ermöglicht) folgendes für sich fest:

"Mit 29 konnte ich von meiner Feder leben. Aber ich hatte mich im Tintenfass geirrt ".

Solche Passagen kennzeichnen den Stil des Autors, wie er auch seine Emotionen sehr stark, fast mit brutaler Klarheit, absoluter Authentizität formuliert, was mir persönlich sehr gut an seinen Romanen gefällt und auch hier im Dèbut zu finden sind.

Unglücklich mit der Frau, die dafür sorgt, ein feudables großes Haus weit entfernt von Paris zu kaufen und sich einem mondänen Lebensstil hingibt, entflieht Èdouard zuweilen zu seiner Mutter, Claire seiner Schwester und dem kleinen Alexandre, "um jene Zeit zurückzuholen in der blassgelben Küche, in der jeder von uns einem schönen Leben entgegensah".
Doch leider sieht die Realität anders aus; sein Vater, der inzwischen von der Mutter geschieden ist, fällt mehr und mehr in die Demenz und wird der jetzigen Frau an seiner Seite zur Last... Auch hier ist die harte Realität in kurzen Sätzen zu lesen, die mein Leserherz sehr berühren, da diese Beschreibungen Delacourts in packenden, pointierten Sätzen sehr authentisch sind - und gesellschaftlich real. So empfindet man auch mit Èdouard, der leider allzu oft in seinem Leben nichts sagte, jedoch sehr gut weiß, dass er hätte etwas sagen sollen, eine große Sympathie, als er weinend auf dem Parkplatz des Seniorenheims steht, die seinen verstummten Vater aufnahm...

Genau dort geschieht das Wunder, eine junge Frau sitzt auf der Motorhaube eines Wagens und die beiden kommen ins Gespräch. Endlich. Endlich beginnt Èdouard, das zu tun, was er selbst tun will: Das Mädchen auf der Motorhaube wiederzusehen...

Fazit:

Ein außergewöhnlicher Roman in einer intensiven, sensiblen und dabei auch schonungslos offenen Sprache, wie sie dem Autor zu eigen ist. Eine Geschichte zum Nachdenken, die auch zum Verstehen des Hauptprotagonisten anregt, indem er 3 Jahrzehnte Èdouards beschreibt (1960er bis in die frühen 1990er Jahre), die 'mitten aus dem Leben' stammen, das immer ein Wörtchen mitredet und einen emotionalen, zeitweise melancholischen, aber immer äußerst aufrichtigen Blick in das "Karussell des Lebens" schildert. Mich erfrischen solche prägnanten Sätze, besonders dieses 'zwischen den Zeilen' zu Lesende wie ein Quellwasser. Delacourt schafft es, den Leser zuweilen schmunzeln zu lassen, auch zu erschrecken, ihn staunen und hoffen zu lassen. Hier findet sich die gesamte Bandbreite menschlicher Gefühle und das untrügliche Gefühl, dass wir alle dazu tendieren, uns den Erwartungen anderer zu unterwerfen - oft widerspruchslos, wenn auch ungewollt - einzig um geliebt zu werden.
Von mir eine absolute Leseempfehlung, die volle Punktzahl auf der 'Belletristik-Couch' und 5 Sterne. Ich werde auch die anderen Romane (Alle meine Wünsche) des Autors noch lesen und sage merci für sehr interessante und berührende Lesestunden!