Profilbild von SigiLovesBooks

SigiLovesBooks

Lesejury Star
offline

SigiLovesBooks ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit SigiLovesBooks über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 28.02.2017

Gut recherchierte, faszinierende Allianz von Krimi und historischem Nordsee-Roman

Fluch über Rungholt
0

"Fluch über Rungholt" von Franziska Steinhauer erschien als tb im Gmeiner-Verlag (2017) und ist der erste, aber sicher nicht der letzte Roman, den ich von dieser Autorin gelesen habe. (Es ist bereits der ...

"Fluch über Rungholt" von Franziska Steinhauer erschien als tb im Gmeiner-Verlag (2017) und ist der erste, aber sicher nicht der letzte Roman, den ich von dieser Autorin gelesen habe. (Es ist bereits der 16. Roman, der von ihr im Gmeiner-Verlag publiziert wurde). Er erschien in der Reihe 'Gmeiner Spannung' und trägt den Untertitel 'Historischer Nordsee-Roman'; das düster wirkende Cover passt mit seiner Düsterkeit und den schäumenden Nordseewellen sowie mit den historisch anmutenden Männern und Schiffen hervorragend zum Romaninhalt; auf den Innenseiten der Buchdeckel findet sich eine Karte von Rungholt und Strand, die ich südlich von Amrum vermute.

Rungholt, 1362:

Auf Rungholt, einer Nordsee-Insel, werden Tilda und Enken, zwei junge Frauen, im Moor gefunden: Beide tragen eine kleine Wunde am Körper und alles deutet auf Mord. Hauke, ein Weber und sein Freund Shahid, ein orientalischer Gelehrter und - wie im Verlauf der Geschichte zu lesen sein wird - ein Zeitreisender, ermitteln...
Es handelt sich um einen kulturhistorisch sehr interessanten Roman, da Landschaft und Menschen, die im 14. Jahrhundert auf Rungholt lebten, sehr detailliert beschrieben werden. Die Menschen suchen nach einem Sündenbock, den sie nur allzu gerne in Silja, der Engelmacherin und kundigen Kräuterfrau, sehen. Einige wenige Inselbewohner, die reich sind, besitzen Steinhäuser, die Ärmeren, meist Bauern oder Arbeiter in den Siedereien, leben in Holzhäusern. Kranke wie z.B. Aussätzige werden verbannt und aus der Gesellschaft ausgestoßen, wo man sie ihrem Schicksal überlässt. Ein Kranker, der ausgestoßen wurde, kann jedoch Shahid wertvolle Hinweise geben, als dieser den Ort aufsucht, an dem Enken gefunden wurde, das Moor...

Es gibt einen Kreis älterer Männer, die Selbstjustiz auf der Insel üben und einen geheimen Frauenzirkel, die Arme und Kranke unterstützen: Der Pfarrer, Asmus, hat einen schweren Stand und wird kaum ernst genommen, nur vor dem 'blanken Hans' haben alle Respekt - ansonsten sind Prügeleien, Saufgelage, Spielsucht und Gewalt an der Tagesordnung. Selbst vor dem Herrenhaus der von Eichwalds macht diese Gewaltanwendung nicht halt: Elisabeth von Eichenwald verprügelt mit Hingabe die eigene Tochter und Liese, ihre Zofe.
Ein dritter Toter wird im Sud der Salzsieder gefunden: Arnft, der grobe, bei allen unbeliebte Sieder, der ein Schürzenjäger war und sich immer nahm, was er wollte. Hauke und Shahid fragen sich, ob und was dieser Tod mit den Morden an den beiden Frauen zu tun haben könnte, während Liese zum Spielball der Herrin wird, die für einen Tiegel Creme ihre Zofe als Draufgabe der Zahlung an den zwielichtigen Alchimisten Comte de Champagne vereinbart; Shahid erweist sich hier als Retter in der Not und bringt Liese zurück ins Herrenhaus. Hier muss er erfahren, dass ein hübsches junges Mädchen weniger Wert hat als ein Pferd - was ihm zurecht den Atem stocken lässt....

Diese und weitere Szenen machen den großen Reiz dieses historischen Romans aus, da die Autorin sehr gekonnt gut recherchierte Details aus dem sozialen und kulturellen Zusammenleben der Bewohner Rungholts, die Not der einfachen Leute, der Rechtlosigkeit von Frauen etc. sehr gut darstellt, dass man sich als Leser das Leben auf Strand und Rungholt gut vorstellen kann. Mit dem dritten Mord steigt auch die Spannung weiter an.

Es gibt ulkige und tragische Szenen, z.B. der wahrsagenden Brüder Johannes und Berthold oder die Therapiefreudigkeit des gelernten Medicus Shahid, die er zweifelsohne an dem Alchimisten mit Erfolg testet. Man schmunzelt mit Bernadette, die von der Therapie erfährt und sie mit schallendem Gelächter gut heißt; der Humor kommt also nicht zu kurz; doch drei Morde und eine Entführung sind aufzuklären und Berthold hat eine "Vision" des blanken Hans....

Gegen Ende des Romans überschlagen sich die Ereignisse; der Plot ist stimmig und nicht vorhersehbar. Zu wünschen bleibt, dass es Shahid gelungen ist, erneut in ein Abenteuer zu stürzen, in dem seine ermittlungstechnischen Fähigkeiten gebraucht werden :)
Ein sehr gut zu lesender, schöner Sprachstil, der der Zeit angepasst wurde und fundierte Informationen über Rungholt - Legende und Wahrheit - sowie Literaturhinweise runden diesen sehr lesenswerten und unterhaltsamen, hervorragend recherchierten Roman ab.

Fazit:

Ein fundierter historischer Roman mit Krimielementen mit zwei gewitzten Ermittlern: Hauke und Shahid. Spannend und kulturhistorisch sehr interessant in gelungenem Sprachstil. Franziska Steinhauer gelingt es, die Protagonisten und das Leben auf Rungholt im 14. Jhd. sehr lebendig darzustellen und zieht den Leser in den (mittelalterlichen) Bann der Geschichte. Letztendlich versorgt sie den Leser am Romanende mit fundierten Informationen und Literaturangaben. Ich empfehle diesen historischen Nordsee-Roman sehr gerne weiter und vergebe 4,5 * sowie 93° auf der "Histo-Couch".

Veröffentlicht am 21.02.2017

Eine literarische Rehabilitation - und ein aufwühlender Hochkaräter!

Ich schreibe Ihnen im Dunkeln
0


"Ich schreibe Ihnen im Dunkeln" von Jean-Luc Seigle ist im C.H. Beck-Verlag (2017, HC gebunden) erschienen und wurde von Andrea Spingler vom Französischen ins Deutsche übersetzt. Der Autor zeichnet wie ...


"Ich schreibe Ihnen im Dunkeln" von Jean-Luc Seigle ist im C.H. Beck-Verlag (2017, HC gebunden) erschienen und wurde von Andrea Spingler vom Französischen ins Deutsche übersetzt. Der Autor zeichnet wie in einem außergewöhnlichen, ja spektakulären Aufsatz das Leben von Pauline Dubuisson (1927 - 1963) nach. Das Leben dieser Frau, die hier in der Ich-Form zu Wort kommt und deren 'Beichte' man in Rückblicken in ihr Leben, das eine Kette tragischer Verstrickungen - und mehr - gewesen ist, versuchte Jean-Luc Seigle auf sehr empathische, zuweilen poetische Weise, gleichzeitig aber auch sehr nüchtern und realitätsbewusst, nachzuzeichnen. Meiner Meinung nach ist ihm dies überaus gut gelungen. Die Geschichte um den Prozess von Pauline, die danach 9 Jahre inhaftiert war, da sie im Affekt ihren Ex-Verlobten Félix tötete, wurde von Clouzot mit Brigitte Bardot in der Hauptrolle verfilmt ("La Vérité, Die Wahrheit", 1960).

Pauline, die sich nach ihrer Haftstrafe Andrée nennt, flieht nach diesem Film nach Essaouire, Marokko und möchte nicht noch einmal von vorne anfangen, sondern ein neues Leben beginnen und schreiben...
Der Film war eher des Gegenteil als "Die Wahrheit" über ihre Geschichte und besiegelte für sie die Tatsache, von der Gesellschaft geächtet und als Mörderin verdammt zu sein. Der Vater beging nach dem Urteil über die Tochter Selbstmord, was die Mutter, die hier als 'Ernährerin' und im Grunde starke Frau dargestellt wird, ihr niemals vorwirft, die Tochter aber auch nicht beschützen kann. Aufgewachsen ist Pauline mit 3 Brüdern, von denen zwei im Krieg fielen; was bei der Mutter verständlicherweise später zu Depressionen führte. Zum Vater hatte sie ein enges Verhältnis, ihn verehrte und vergötterte sie beinahe.

Als Jean, in den sich Andrée (also Pauline) verliebte, sie heiraten möchte, holt das Schicksal sie abermals ein... Gegen Ende des 1. Heftes sind die Fragen der Ich-Erzählerin Pauline förmlich zu spüren, die sich in ihr auftun, wenn es um das Recht geht, ein glückliches Leben leben zu dürfen (und es auch zu können); ihre große innere Zerrissenheit und ihre Verletzungen sind sichtbar.
Der Schreibstil von Jean-Luc Seigle gefällt mir sehr gut, er ist von großer Empathiefähigkeit geprägt, sehr intensiv und trotz der Sprachdichte und kurzer Sätze von großer Tiefe und Bedeutsamkeit. Gegliedert ist der Roman in drei Hefte, einem Vorwort und einem Epilog sowie Hinweisen, die Erklärungen zum Romaninhalt sind.

Sehr ergreifend ist der Beginn des zweiten Heftes, in dem Pauline beschreibt, wie sie sich während ihres Prozesses und im Gefängnis fühlte; sie erlebt als angeklagte Mörderin Abscheuliches, hat das Gefühl, als werde sie (die Medizin studieren wollte und sehr intelligent sowie empfindsam ist) am lebenden Körper geöffnet, seziert - nur um nach Bösem zu suchen; nicht aber nach ihren Idealen, Tugenden, nichts, was Gutes in ihr und Menschlichkeit hätte zeigen können... In Rückblicken erzählt Pauline von ihrer Kindheit, von der Verehrung für ihren Vater und es wird deutlich, wie sehr die beiden Weltkriege das Familienleben bestimmte, z.B. was das Essen betraf und das Bedürfnis ihrer Mutter, die Familie zu bekochen. Ganz besonders berührt hat mich ihr Rückblick, in dem es um den Staatsanwalt und dessen Rolle geht, der "das Böse benutzt, um im Namen der Gerechtigkeit Rache zu üben" (Zitat, S. 80). Im Gefängnis helfen ihr Dostojewski und andere Bücher, wie sie sagt, nicht verrückt zu werden... Der dritte, jüngere Bruder wendet sich von ihr ab, stellt ihr jedoch einen integren Anwalt zur Seite: "Er kannte seine Grenzen. Das ist ein Vorteil im Leben". (Zitat, S. 101)

Diese Sätze machen diesen unglaublich menschlichen, authentisch und sehr einfühlsam geschriebenen Roman für mich aus - schnörkellos und direkt. Aus dem erzählten Zusammenhang des Verlusts ihrer Brüder und dem familiären Trauerklima, das darauf folgt, sucht Pauline ein Pendant zu dieser Trauer und entdeckt ihre sexuelle Neugier, sieht darin das Leben und sehnt sich danach, auch dies wird ihr später zur Last gelegt. Der Vater sorgt dafür, dass die Tochter eine Stelle als Krankenschwester bekommt, um indirekt seine Frau glücklich zu machen: Der deutsche Arzt während der Besatzungszeit, an dessen Seite Pauline fortan arbeitet, erhält lukullinarische Delikatessen von den Klienten, die somit teilweise auf dem Küchentisch der Mutter landen, die sie in köstliche Mahle verwandelt. Pauline wird sowohl vom Vater als auch von der Mutter für deren Ziele und Zwecke benutzt; als Kind zum Jagen, als Jugendliche wird sie in Form von Naturalien entlohnt, die die Rolle der Mutter als 'Ernährerin' wiederaufleben lässt; alles wird für sie 'vorgezeichnet'. Die Wehrlosigkeit, Verlorenheit und unfassbare Demütigung durch das "Geschoren werden", das Frauen, die sich mit den deutschen Besatzern eingelassen hatten, zuteil wurde bis hin zu Vergewaltigungen mit berechtigter Todesangst symbolisieren auch die 'inneren Tode' von Pauline, die Befreiung war in ihrem Falle ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit - und gegen die Frau.

Gegen Ende des Romans geht es um "Die Wahrheit", um den Tag des Geschehens, als Pauline auf Félix schoss - und den Auslöser, den es für sie dazu gab. An Tragik, aber auch an Zurückweisung und Verletzlichkeit ist diese Szene kaum zu überbieten. Besonders mutig und aufrichtig fand ich die Offenheit, ja die Ehrlichkeit der sensiblen Pauline, die ihr Haus des Glücks und der Liebe nicht auf Lügen aufbauen wollte und einen Weg der Wahrheit bis zum Schluss suchte - und erneut scheiterte....
Nach dem Lesen dieses Buchs ist man fassungslos, auch ratlos - auch ein Gefühl der Wut machte sich in mir breit mit der Frage, wie viele Verletzungen, Zurückweisungen, Demütigungen, Gewalt ein Mensch ertragen kann; im Falle von Pauline Dubuisson war es viel zu viel, finde ich; auch die manipulativen Eingriffe des Vaters in ihr Leben ließen mich schaudern. Umso dankbarer bin ich Jean-Luc Seigle, ihre Geschichte aufgeschrieben zu haben, trotz meines Bedauerns, dass das 'cahier', das Originaldokument von Pauline unauffindbar verloren ist.

Fazit:

Eine zutiefst ergreifende, erschütternde Geschichte um die Biografie von Pauline Dubuisson, die auf wahren Begebenheiten beruht und von Jean-Luc Seigle nachgezeichnet wurde. Eine intelligente, starke und aufrichtige Persönlichkeit und angehende Ärztin wird m.E. das Opfer ihrer Zeit und all jener, die sie zu ihren Zwecken und Zielen benutzt - ja missbraucht haben. Die Verfilmung trug ihrerseits dazu bei, eine Frau zu verleumden und auszulöschen, die gerne ein glückliches und erfülltes Leben gelebt hätte! Eine tiefe Verneigung vor dem Autor sowie 5 * mit einer absoluten Leseempfehlung, besonders für Menschen mit einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn!

Veröffentlicht am 18.02.2017

Ein düsteres Geheimnis am See

Das Haus der leeren Zimmer
0

"Das Haus der leeren Zimmer" von Lesley Turney (im Original: "The Secret by the Lake") erschien als 4. Roman der englischen Autorin 2017 als tb im Verlag Piper. Übersetzt wurde er von Monika Köpfer. ...

"Das Haus der leeren Zimmer" von Lesley Turney (im Original: "The Secret by the Lake") erschien als 4. Roman der englischen Autorin 2017 als tb im Verlag Piper. Übersetzt wurde er von Monika Köpfer. Die Geschichte rankt sich im klassischen Sinne um Familiengeheimnisse und tragische Personen, denen man im Roman begegnet. Das Cover dürfte besonders Frauen ansprechen, die sehr gerne das Genre 'Familiengeheimnis' mögen, wozu ich mich durchaus auch zähle.

"Als Amy von ihrer Freundin Julia und deren kleiner Tochter (Vivi) um Hilfe gebeten wird, packt sie umgehend ihre Koffer und reist nach Somerset. Doch in dem düsteren Haus am See ist nichts, wie es sein soll. Julia ist schwermütig, und die einsame kleine Viviane tröstet sich mit einer unsichtbaren Freundin, Caroline. Aber Caroline ist auch der Name von Julias älterer Schwester, die in ihrer Jugend unter mysteriösen Umständen zu Tode kam. Keiner der Dorfbewohner scheint über sie sprechen zu wollen - selbst der hilfsbereite Nachbar Daniel schottet sich ab...." (Quelle: Buchrückentext)

Meine Meinung:

Die Geschichte beginnt mit einem Prolog, das im Somerset des Jahres 1931 angesiedelt ist, in dem das Hausmädchen im Herrenhaus der Aldridges eine wertvolle Kette mit einem Rubinanhänger an sich nimmt...

Die Hauptprotagonistin Amy kümmert sich als Erzieherin um die Tochter ihrer Freundin Julia im südlichen Frankreich Anfang der 1960er Jahre; Julia muss mit Vivi, ihrer Tochter, nach dem Tode ihres Mannes Frankreich verlassen und zieht in das geerbte Cottage in Blackwater, North Somerset, England. Hier beginnt die Geschichte sich zu entfalten, als Amy ihre Freundin Julia unterstützen möchte und sich wiederum um deren Tochter kümmert. Nach einiger Zeit findet sie mit Hilfe von Daniel Aldridge, der nach dem Dach schaut, in einem alten Schulranzen den wertvollen Rubinanhänger - und verliebt sich in den netten Sohn des Nachbarn, dessen Familie seit langem mit der Familie Julias zerstritten ist...

Der Roman ist eingängig und sehr leicht zu lesen, allerdings wirkte auf mich vieles etwas hölzern und konstruiert; auch die Schauerelemente, die stilistisch des öfteren anzutreffen sind, fand ich teils eher störend. Sie manifestieren sich in fremden Stimmen am Telefon, Schritten im Haus, Tassen fallen vom Kaminsims etc. Positiv möchte ich aber die atmosphärische Dichte erwähnen, die sich in der reizvoll beschriebenen Landschaften des englischen Somerset und dem See wiederspiegeln.

Die Rolle Amy's ist sehr aufopferungsvoll und gleicht zuweilen der einer Sklavin: Julia, die nach dem Tod ihres Mannes in Depressionen verfällt, kommt trotz fehlender Mittel keinesfalls auf die Idee, dass auch sie etwas an der Situation verbessern könnte; im Verlauf des Romans wird sie mir immer unsympathischer: Verwöhnt, handlungsunfähig und depressiv, Amy's Hilfsbereitschaft ausnutzend. Auch Amy konnte mich als Hauptfigur nicht richtig überzeugen, da es eigentlich über die Kräfte einer Person geht, zwei Menschen derart und auf Dauer zu unterstützen und dabei so selbstlos zu sein. Auch die Sprache fand ich zuweilen übertrieben ("Liebes").

Der Unterhaltungsfaktor ist extrem hoch, an Klarheit und Tiefgang mangelt es hingegen; in der Romanmitte gibt es Längen, die mein Leseinteresse eher erlahmen ließen, da sich inhaltlich und sprachlich vieles wiederholte. Auch die große Demut Amy's begann mich zu nerven. Gegen Ende des Romans spitzt sich die Dramatik zu, jedoch gib es m.E. inhaltliche Fehler, die dem aufmerksamen Leser nicht entgehen...

Welche Rolle spielt der Pfarrer, der Lehrer und Mr. Croucher, der pensionierte Arzt, die allesamt die verstorbene Schwester von Julia, Caroline, als boshaft und niederträchtig beschreiben? Ob der schwere Schrankkoffer aus dem Schuppen Zeugnis ablegen kann, was damals wirklich passierte?

Gibt es manches Vorhersehbare in diesem Roman, so hat mich der Plot doch im Positiven überrascht, vertieft die Aussagekraft des Romans und war so nicht absehbar. Die letzten Seiten sind dann fast allzu 'stimmig'; passen jedoch zum Schreibstil der Autorin.

Fazit:

Ein Frauenroman um ein düsteres Familienkapitel mit Schauerelementen; in eingängiger Sprache geschrieben und atmosphärisch, der mich dennoch leider nicht überzeugen konnte. Von mir gibt es 3 * und 76° in der Werteskala.

Veröffentlicht am 12.02.2017

Amrum und die 'Angeschwemmten'.....

Die Namenlosen von Amrum
0

"Die Namenlosen von Amrum" (ein Insel-Krimi) von Jürgen Rath erschien als TB im Sutton-Verlag, Erfurt 2015 und ist der 2. Fall für Steffen Stephan, seines Zeichens Archivar und hier im speziellen Friedhofsforscher, ...

"Die Namenlosen von Amrum" (ein Insel-Krimi) von Jürgen Rath erschien als TB im Sutton-Verlag, Erfurt 2015 und ist der 2. Fall für Steffen Stephan, seines Zeichens Archivar und hier im speziellen Friedhofsforscher, der 1964 auf Amrum nach Antworten auf die "Gräber der Namenlosen" sucht, da ihm sein Chef die Aufgabe gibt, mit einer neuen Idee aufzuwarten und er um seinen Arbeitsplatz bangen muss... Zur Seite gestellt wird ihm Lilianne, eine Studentin der Literaturwissenschaft, die lernen möchte, wie man recherchiert, um später Journalistin zu werden.

Beide stoßen auf eher feindseliges Verhalten der Inselbewohner, die es gar nicht schätzen, wenn Leute vom Festland allzu neugierige Fragen stellen. Das letzte Begräbnis war 1959, als eine unbekannte Frau tot auf Amrum angespült wurde....
Kennt man die Insel, ist die atmosphärische Beschreibung der Orte (Wittdün, Nebel, Norddorf, Steenodde) umso schöner; eine Prise Humor ist auch hier und da zu finden, während die Aussagen, wie die Geschlechter aufeinander reagieren, für heutige Verhältnisse recht antiquiert erscheinen, jedoch chronologisch in die 60er Jahre passen...

Mit den eingeschobenen Rückblicken auf ein Schiff und dessen Mannschaft, das 1954 auslief, kommt auch die Spannung in Fahrt: Man hat das Gefühl, dass Jürgen Rath weiß, wovon er schreibt - und Kapitän ja eine seiner Professionen ist: Der Stil ist eher gemächlich, ruhig - und in gut lesbarer klarer Sprache gehalten; der Insel-Krimi ist in 5 Teile aufgesplittet; die von Amrum, Hamburg, Büsum, wieder Amrum bis nach Sylt reichen - sich also allesamt an der deutschen Nordsee befinden. Da ich alle Orte persönlich kenne, erhöht das die Lesefreude dieses Amrum-Krimis um ein Vielfaches...
Steffen und Lilianne ermitteln sich von Hamburg aus durch Ämter und Kirchen, Archive und Bibliotheken, als Steffen von Margarete (die auf Amrum lebt und in die er sich allem Anschein nach etwas verliebte...) erfährt, dass es keine gute Idee wäre, nochmals nach Amrum zu kommen, da "einige Leute" gar nicht gut auf ihn zu sprechen sind...

Interessante Details finden sich in der Arbeit der Archivare - oder auch der technischen Entwicklung der Kopierer, die in den 60er Jahren erstmals in deutschen Archiven, aus den USA stammend, verwendet wurden.
In der Zeit des "Eisernen Vorhangs" spart Jürgen Rath auch nicht mit politischen Äußerungen, dass die BRD für die DDR die 'faschistische Republik' war und (für Steffen) die DDR 'eine Diktatur, die ihr Volk einsperrt'; eine nicht unwahre Betrachtungsweise, wie ich finde, die ja noch bis 1989 andauern sollte. Diese Fakten machen den Krimi, der eher ruhig daherkommt, zeitgeschichtlich interessant; z.B. auch die Erwähnung des legendären STAR-CLUBS in Hamburg, in dem die Beatles in den 60ern ihre Karriere begannen...

Steffen und Lilianne finden heraus, dass es eine "Unstimmigkeit" eines Grabes auf dem Friedhof der Angeschwemmten auf Amrum gibt und beschließen, nochmals hinzufahren, um den Dingen auf den Grund zu gehen: Der 2. Inselbesuch gestaltet sich noch gefährlicher, da Steffen und Lilianne zu einer 'persona non grata' wurden. Wem können sie noch vertrauen, wem besser nicht? Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt....

Zwei Epiloge schließen sich diesem historisch interessanten und gut recherchierten Krimi an sowie ein Anhang der tatsächlichen Gräber der Namenlosen von Amrum. Der Plot ist stimmig, die Spannung nimmt im letzten Teil zu: Die Professionen des Autors (Kapitän und Historiker) sind zusammen mit einem klaren Schreibstil im Inselkrimi gut 'ablesbar'.

Fazit:
Ein eher ruhiger, aber dennoch recht spannender, gut recherchierter Insel-Krimi mit einem recht sympathischen, aufgeweckten Archivar als Ermittler, der für mich seinen besonderen Reiz aus der Zeit ableitet, in der er angesiedelt ist: Die 1960er Jahre .... Einige Schmunzler, auch mal ein Kopfschütteln konnte mir auch das etwas angestaubte, antiquierte Geschlechterverhältnis dieser Zeit entlocken, das jedoch authentisch dargestellt und beschrieben ist. Die Buchhinweise am Krimiende machen neugierig auf mehr von Jürgen Rath und den anderen Autoren dieser Krimi-Reihe! Eine Leseempfehlung für Krimifans, die eher ruhigere, gut durchdachte und recherchierte Kriminalromane bevorzugen und ein Faible für die "sweet 60ies" haben ;) Von mir bekommt der Insel-Krimi 4 * und 85° auf der Krimi-Couch.

Veröffentlicht am 11.02.2017

Alte Sünden werfen lange Schatten ......

Der Kreis der Rabenvögel
0

(0)
"Der Kreis der Rabenvögel" von Kate Mosse ist bereits der 5. Roman dieser sehr bekannten englischen Autorin, der ins Deutsche übersetzt wurde (hier vom Übersetzer-Duo Ulrike Wasel und Klaus Timmermann, ...

(0)
"Der Kreis der Rabenvögel" von Kate Mosse ist bereits der 5. Roman dieser sehr bekannten englischen Autorin, der ins Deutsche übersetzt wurde (hier vom Übersetzer-Duo Ulrike Wasel und Klaus Timmermann, denen ich hier ebenfalls meinen Dank für hervorragende Übersetzerarbeit aussprechen möchte): Der Roman erschien 2017 (HC, gebunden) im Droemer-Knaur-Verlag. Das grau-schwarze Cover mit der jungen 'Rabenfrau' weist bedeutungsvoll auf den düsteren, aber überaus spannenden Romaninhalt hin....


Sussex, England, 1912: Contantia Gifford, genannt Connie, wächst nach dem Tod ihrer Mutter bei ihrem Vater auf, seines Zeichens ein anerkannter und berühmter Taxidermist, der nach der Aufgabe seines Museums ausgestopfter (Vogel)Kuriositäten mit Connie nach Blackthorn House, einem etwas abgelegenen Landgut, zieht. Die ersten 12 Lebensjahre fehlen Connie, die seither 'ab und zu aus der Zeit fällt' durch einen mysteriösen Unfall, nach langwieriger Erholung des Mädchens macht der Vater stets nur sehr vage Andeutungen, was an jenem Tag geschah...

Während der verbitterte Vater u.a. ob der Tatsache, dass die Ergebnisse seines Handwerks mehr und mehr aus der Mode kommen, zum Trinker wird, erlernt Connie (für die viktorianische Zeit ungewöhnlich) die Kunst des Ausstopfens von Vögeln. Die sensible, intelligente Tochter führt Tagebuch und hat - an Amnesie leidend - dennoch 'Erinnerungsblitze', die stärker werden...

Um jenen Abend geht es im gesamten Roman, der zwischen Prolog und Epilog 3 Romanteile hat und stilistisch sehr gekonnt und sprachlich brillant die viktorianische Ära in England mit seiner schaurigen Düsterkeit wieder aufleben lässt; der Leser wird von Beginn an durch den szenischen und glasklaren Schreibstil von Kate Mosse in die Handlung hineingezogen.

Man ahnt, dass sich etwas Mysteriöses, Böses, ja Katastrophales ereignet haben muss, was die kurzen Einsprengsel des "beobachtenden Erzählers" in Kursivschrift noch verstärkt und die Spannung bis ins fast Unerträgliche zu steigern vermag. Ständig fragt man sich, was für ein schwerwiegendes Verbrechen von sog. 'feinen Gentlemen' verübt wurde, bis sich durch das Anspülen einer Leiche die Situation dramatisch verschärft: Die Emotionen peitschen hoch und die ohnehin schon spannungsgeladene Atmosphäre ist vergleichbar mit der Gischt und dem Unwetter, das vom Meer kommend, alles zu überfluten droht. Die Ereignisse spitzen sich zu wie eine Sturmflut, die tatsächlich zum Romanende hin sehr symbolträchtig auftritt...
Es kommt zu einem sturmumtosten 'show down', der den Leser in Atem hält: Kate Mosse hat eine unglaubliche Spannung aufgebaut, die sich auf den letzten Seiten Bahn bricht und mich sehr fesseln konnte.

Etwas unangenehm zu lesen, jedoch der Düsterkeit und der Romanidee entsprechend und sie immer wieder atmosphärisch unterstreichend, fand ich die Auszüge der Beschreibungen über die Kunst der Taxidermie von Mrs. Lee (1820). Diese alte Handwerkskunst gibt der gesamten Rahmenhandlung des Romans einen Teil der Düsterkeit; jener Abend, an dem sich Connie's Unfall ereignete, tut das Übrige und entlarvt einige zuvor völlig unbescholtene Bewohner. Leider kann ich persönlich nur bedingt nachvollziehen, dass es Menschen gab/gibt, die ausgestopfte, tote, präparierte Tiere mögen - hier passen sie jedoch in die Zeit sowie als Rahmenhandlung bestens in den Roman, auch wenn ich selbst mehr das Tote, "Entseelte" in diesen Werken sehe, die andere als Kunst oder gar Schönheit betrachten.

Alle Charaktere, allen voran Gifford selbst, insbesondere Connie, aber auch Harold oder Harry, sind sehr facettenreich und authentisch beschrieben. Connie in ihrer tiefen Liebe zu ihrem Vater mochte ich von Beginn an, ebenso fand ich die landschaftlichen Beschreibungen und den aufkommenden Sturm stilistisch sehr faszinierend. Der Epilog ist ein stimmiger Schluss; der Plot in höchstem Maße spannend: Ich konnte das Buch wirklich nicht beiseite legen.

Fazit:

Ein ganz außergewöhnlicher, wundervoll-düsterer Roman, der mich fesseln konnte, der auch teilweise verstörend war. Kate Mosse gelingt es, das düstere viktorianische Zeitalter herauszubeschwören, große und sehr tiefe menschliche Emotionen zu beschreiben und die verheerenden Konsequenzen, die Verletzungen sowohl physisch wie auch psychisch zuweilen nach sich ziehen können. Eine absolute Leseempfehlung mit 5 * und 97° auf der Histo-Couch und einen herzlichen Dank an die Autorin und den Verlag für Lesestunden, wie sie spannender (und einfühlsamer) nicht sein können!