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Veröffentlicht am 28.03.2022

Das Mädchen mit dem Drachen

Das Mädchen mit dem Drachen
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"Die Kinder haben alles, außer das, was man ihnen nimmt" (Zitat S. 223)

Dies scheint mir das Kernthema dieses wundervollen neuen Romans von Laetitia Colombani zu sein. "Das Mädchen mit dem Drachen" erschien ...

"Die Kinder haben alles, außer das, was man ihnen nimmt" (Zitat S. 223)

Dies scheint mir das Kernthema dieses wundervollen neuen Romans von Laetitia Colombani zu sein. "Das Mädchen mit dem Drachen" erschien 2022 (HC, geb.) im S. Fischer-Verlag, Frankfurt/Main. Aus dem Französischen ins Deutsche übersetzt wurde der Roman von Claudia Marquardt.

Inhalt:

Am Golf von Bengalen will Léna ihr Leben in Frankreich vergessen. Jeden Morgen beobachtet sie das indische Mädchen Lalita, das seinen Drachen fliegen lässt. Als Léna von einer Ozeanwelle fortgerissen wird, holt Lalita Hilfe bei Preeti, der furchtlosen Anführerin einer Selbstverteidigungsgruppe für junge Frauen. Léna überlebt und fasst einen Plan. Als ehemalige Lehrerin will sie Lalita, die für ihre Familie arbeiten muss statt zur Schule zu gehen, lesen und schreiben beibringen. Allen Widerständen zum Trotz gründen Léna und Preeti die erste Dorfschule, die alles verändern wird.

(Quelle: Buchrückentext)

Meine Meinung:

Ein Nachmittag im Juli in Paris ändert das Leben der leidenschaftlichen Lehrerin Léna von einem auf den anderen Moment: Lange ist nicht klar, was der sympathischen Léna widerfahren ist, die sich entschließt, nach Indien zu fliegen und am Golf von Bengalen zu sich zurückzufinden, eine Auszeit zu nehmen, ihr bisheriges Leben hinter sich zu lassen. Als sie wie jeden Morgen im Meer badet, wird sie von einer Welle mitgerissen und in letzter Minute durch Lalita, die um Hilfe bei Preeti nachsucht, gerettet. Aus Dankbarkeit schenkt sie dem Mädchen einen Drachen und entdeckt, dass Lalita im Restaurant ihrer Eltern mithelfen muss, statt zur Schule zu gehen. Eine Verständigung ist kaum möglich, so dass Léna die Buchstaben ihres Namens in den Sand schreibt: Am nächsten Morgen entdeckt sie Lalita, wie sie die Buchstaben nachzeichnet und fasst den Plan, dem kleinen Mädchen Schreiben und Lesen beizubringen.

Dieses Vorhaben wird jedoch auf zahllose Widerstände treffen und so sucht sie Unterstützung bei Preeti, der Anführerin der "Roten Brigade": Nach anfänglichem Misstrauen nähern sich die beiden Frauen aus verschiedenen Kulturkreisen an und auch Preeti wird wie die Mädchen in ihrer Gruppe von Léna unterrichtet. So versuchen beide, den Mädchen und Kindern im Dorf eine andere Zukunft zu erschließen. Denn "Schule ist der einzig mögliche Ausweg aus dem unsichtbaren Gefängnis, in das die (indische) Gesellschaft sie sperren will" (Zitat S. 219). Nur so kann der Kreislauf Armut, Elend und Analphabetismus unterbrochen werden.

Im bewegenden Romanverlauf sehen wir die Bemühungen Lénas, die Schule gemeinsam mit Preeti, mit der sie nach und nach eine tiefe Freundschaft verbindet, zu eröffnen und den Unterricht für die Kinder, meist Mädchen, zu gestalten. Wir lesen von der (Bildungs)chancenlosigkeit und Verachtung, die die unterste Kaste der Dalits gesellschaftlich begleitet: Dies erzeugt Wut, da die Familien (auch wenn sie auf die Zuarbeit der Kinder wohl leider angewiesen sind) das Gesetz des Verbots von Kinderarbeit erfolgreich unterlaufen, da es nicht für Arbeiten im eigenen Zuhause, in der Familie, gilt. So putzen die Kinder, holen Holz, arbeiten und kümmern sich um die Geschwister, statt zur Schule gehen zu dürfen und ein Recht auf Bildung zu haben.

Lalita entpuppt sich als eifrige Schülerin, die schnell lernt und begreift. Sie wächst Léna ans Herz und am Ende schafft es Lalita, dass ihre Lehrerin trotz ihrer Absicht, nach einem dramatischen Ereignis nach Frankreich zurückzukehren, bleibt und Lalita nicht in ihrer höchsten Not im Stich lässt...

Die Beziehungen zwischen Léna, Preeti und Lalita entwickeln sich stetig und wachsen langsam zusammen, die Figuren werden sehr sensibel nachgezeichnet und sind authentisch. Auch die Atmosphäre in dem indischen Dorf am Meer, in dem Lalita lebt und die Schule gegründet wird sowie die kulturellen Unterschiede der westlichen und indischen Welt werden gut dargestellt, erfahrbar gemacht. Das Kernthema ist für mich Bildung - und auch Solidarität. Zahlreiche wichtige weitere soziale Themen werden benannt: Vergewaltigung und Selbstverteidigung als Prophylaxe der Opfer; die Rechtlosigkeit der Dalits und die Bildungschancenlosigkeit besonders indischer Mädchen, Solidarität unter Frauen, die stark und mutig sind, sich von ihrem Vorhaben nicht abbringen lassen, aber auch neuen Lebenssinn finden und Traumatas überwinden; Verluste durch neue Projekte, hier ein Schulprojekt, ausgleichen und bewältigen zu können.

Fazit:

Manche LeserInnen mögen die "westliche" Sichtweise durch die Handlungen, Gedanken und Gefühle Lénas und die Eröffnung der Schule am Golf von Bengalen (für Lalita und all die anderen chancenlosen indischen Mädchen) kritisch betrachten, doch ich denke, dass es Laetitia Colombani auch in diesem Roman darum ging, aufzuzeigen, wie 'scheinbar' kleine Projekte und solidarisches Handeln zum Einen lebenssinnerfüllend sein können und zum Anderen Hoffnung in sich tragen, diese (ungleiche, in Bildungsschieflage sich befindende!) Welt ein kleines Stück besser machen zu können. Von mir dafür ein Chapeau und bewegte 5* sowie eine absolute Leseempfehlung!

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Veröffentlicht am 27.03.2022

Nicht der stärkste O'Malley-Krimi, aber lesenswert

Alle Schuld will Sühne
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"Alle Schuld will Sühne" von Carolin Römer (tb, erschienen 2021 im Conte-Verlag, 264 S.) ist bereits der 6. Fall in der Reihe "Fin O'Malley", dem Ex-Polizisten, der mehr per Zufall ins irische Dörfchen ...

"Alle Schuld will Sühne" von Carolin Römer (tb, erschienen 2021 im Conte-Verlag, 264 S.) ist bereits der 6. Fall in der Reihe "Fin O'Malley", dem Ex-Polizisten, der mehr per Zufall ins irische Dörfchen Foley geraten ist - und von diesem nicht mehr loskommt (bzw. -will). Warum das so ist, brauche ich KrimileserInnen, die die Reihe wie ich mit einigem Vergnügen (und viel irischer Landeskunde und Irland-Flair) verfolgen, nicht zu erzählen. Andere mögen es sich gerne erlesen, da Kriminalromane am besten immer chronologisch gelesen werden (meine Empfehlung der gesamten Reihe). Der 6. Fall stellt Fin wieder einmal vor Herausforderungen, aber er wäre nicht Fin, würde er diese nicht lieben.


Als Koch, dessen ohnehin schon sehr begnadeten Künste es bis weit über die irische Grenze schafften, hat sich Fin O'Malley einen Namen gemacht. Nachdem er ein Seminar bei dem bekannten TV-Koch unternommen hat - und ein lukratives Angebot aus seiner Liebe zu Foley ausgeschlagen hatte - kehrt er zurück, um Isobel in der Küche des "Fisherman's Pub" tatkräftig zu unterstützen. Durch seinen Job in der Küche des Dorfpubs kennt er natürlich auch viele Farmer, wie z.B. "Mrs. B." - Rose Butler, die Fin mit Rindfleisch, auf der eigenen Weide aufgezogen, versorgt. Doch Fin hat nicht nur Gäste aus dem Dorf, sondern es kommen immer mehr Menschen von weither, was wiederum nicht alle Dorfbewohner belustigt: So ist Connor wütend. Sehr wütend. Sein jüngster Sohn Toíbi wurde unlängst fast von einem der Pubgäste des Fisherman's überfahren!


Eine alte Bekannte dieser Cosy-Crime-Reihe, die im sagenumwobenen und wunderschönen Irland verortet ist, treffen wir hier wieder: Nora Nichols, die kräuterkundige alte Frau, die von allem und über jeden alles weiß, teilt Fin mit, dass Connor wütend auf ihn ist (sie ist auch Feenbeauftragte und hat ein Elfenhaus in ihrem Garten). Wovor Nora aber besonders warnt, sind die Kobolde, denn mit denen ist nicht zu spaßen!


Kurz nach seiner Rückkehr ins Dorf erreicht Fin die schreckliche Nachricht, dass Rose Butler inmitten ihrer Weide von wohl in Panik geratenen Rindern zu Tode getrampelt wurde: Da er Mrs. B. gut kannte, macht Fin sich selbst ein Bild - und da er wie gewohnt zweimal hinschaut, fallen ihm einige Ungereimtheiten auf: War es wirklich ein Unfall der erfahrenen Rinderzüchterin, die ihre Tiere gut kannte - oder war es Mord?

Er äußert diesen Argwohn Caitlin da Silva, ihres Zeichens beste Polizistin der Garda und eine gute Freundin von Fin (allerdings emotional oftmals unnahbar), die zwar nicht viele Möglichkeiten hat, einzugreifen, da es offiziell ein Unfall ist; jedoch Fin nur zu gut kennt, wenn an einer Sache etwas zum Himmel stinkt...

So werden sie und Bambi (Spitzname des jungen Eoin, erst seit Kurzem bei der Garda, aber sehr ehrgeizig und intelligent) zur Beobachtung von ihrem unausstehlichen Polizeichef auf diese und jene Farm geschickt, um diese zu observieren: Immer wieder kommt es zu Viehdiebstählen, die einer polizeilichen Aufklärung bedürfen.


Carolin Römer hat auch diesen Kriminalfall wieder mit sehr viel Irland-Atmosphäre ausgestattet und ausser Landeskunde auch einige Probleme kritisch beleuchtet, was den Krimi wieder einmal in meinen Augen aufwertet: So geht es um den Brexit und die Auswirkungen auf irische Firmen; auf Konzerne, die mit oft dreisten Mitteln versuchen, Land aufzukaufen (auch Rose Butler wurde ein Angebot gemacht!) und auch Korruption bei Polizeibehörden (auch hier stinkt oftmals der Fisch vom Kopf her). Gewürzt wird der Krimi auch mit den Ideen von Fin, das nächste Gourmet-Festival betreffend und auch die Speisekarte des Fisherman's. Hier muss ich leider sagen, dass mir dies zuweilen etwas "zuviel des Guten" war - auf andere mag dies aber auch köstlich wirken. Dennoch versteht es die Autorin, die frühere Profession des Polizisten mit der neueren (Koch) von Fin O'Malley in diesem Band genial zu verknüpfen: Er ist irgendwie beides. Und das aus Leidenschaft. Da auch in einem Cosy der Showdown höchst gefährlich werden kann, verfolgt man diesen hier auf der Farm Rose Butler's, wo der Fall dann stimmig (und auch nachdenklich machend) aufgeklärt werden kann.


Fazit:


Etwas schwächer als die Vorgänger widmet sich der nun mehr und mehr zum Spitzenkoch gewordene Fin O'Malley dem Tod seiner Rindfleischlieferantin, Mrs. Rose Butler: Wie die Vorgänger handelt es sich nicht nur um einen lesenswerten und recht spannenden Cosy-Krimi, er enthält auch viel Irland-Flair mit Figuren wie Nora Nichols und atmosphärisch beschriebenen Orten und Landschaften. Wer ein Fan von Fin O'Malley ist (oder es noch werden will), dem sei verraten, dass er jetzt eine eigene Homepage hat! Von mir erhält der 6. Band der Reihe 3,5 *

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Veröffentlicht am 06.02.2022

Die Heimat des Herzens

Die Heimat des Herzens
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"Die Heimat des Herzens" von Felicity Whitmore ist der 3. und letzte Band der Trilogie um "Die Frauen von Hampton Hall" und wurde im dtv-Verlag (Jan. 2022, TB) verlegt. Es ist ein stimmiger Abschluss einer ...

"Die Heimat des Herzens" von Felicity Whitmore ist der 3. und letzte Band der Trilogie um "Die Frauen von Hampton Hall" und wurde im dtv-Verlag (Jan. 2022, TB) verlegt. Es ist ein stimmiger Abschluss einer lesenswerten Reihe um Frauen, die um ihre Rechte kämpfen müssen; die mutig und unbeirrbar ihren Weg verfolgen und Familiengeheimnisse zu entwirren süchen. In diesem Abschlussband steht Abigail (Lady von Mahony) im Vordergrund, deren Geschicke der Leser nach ihrer Flucht nach Amerika mit Spannung mitverfolgen können.


Oregon, 1848:


Abigail gelingt es endlich, ihrem Peiniger Sir Lancaster zu entkommen. Sie schifft sich als blinder Passagier nach New York ein und sollte in Captain John Maroon in der Folge einen wertvollen Verbündeten finden. Doch wohin sie auch kommt, Lancaster scheint bereits dort gewesen zu sein und stellt ihr weiterhin nach. Abigail hat nur ein Ziel: Sie will zurück nach England, nach Hampton Hall zu ihren Söhnen Ebenezer und Hugh und da sie nicht mit leeren Händen zurückkommen möchte, sucht sie in New York nach dem Käufer ihrer Statue, in die sie einst allen Familienschmuck gießen ließ und die von ungeheurem Wert ist. Die "Arbeitermadonna", die die Zukunft ihrer Fabrikarbeiter in England sichern soll, soll ihrer wahren Bestimmung zukommen. Wird Abigail dieses unbeirrbare und auch waghalsige Vorhaben in die Tat umsetzen können?

Und wie wird es um das Schicksal ihrer Söhne währenddessen bestellt sein? Wird Ebenezer weiterhin um sein großes Glück bangen müssen?

Wie wird sich Melody entscheiden: Wird sie das baugleiche "Abigail's Place" Herrenhaus in Oregon, das sie erbte, wieder herrichten oder es verkaufen? Was wird sie wohl in den Tagebüchern von Cyrus Lancaster-Riley enthüllen, die sie dort, angereist mit Dan und ihrer gemeinsamen kleinen Tochter Abi, lesen möchte, um das Geheimnis um Abigail und ihren Vorfahren endgültig lösen zu können?


Meine Meinung:


Felicity Whitmore versteht es auch in diesem Abschlussband, ihre Leser emotional zu fesseln: Der Spannungsbogen setzt früh ein und reißt auch bis zum Ende der Trilogie nicht ab. Man ist beim Lesen über manches entsetzt, was sich in der Familie Lancaster-Riley anno 1848 und auch 1927 ereignete: Abigail ist der Schwerpunkt in diesem Roman; sie ist von Beginn an eine der - wenn nicht die - Hauptprotagonistin. Melody in der Gegenwart entdeckt durch alte Aufzeichnungen ihrer Ahnin immer mehr Geheimnisse und die Beziehung zu Dan wird auch hier nicht selten in Frage gestellt. Cyrus, dessen Leben (und das seiner beiden Kinder) durch Tagebucheinträge Ende der 20er Jahre des vorigen Jahrhunderts ersichtlich werden, trägt teils die Gene seines Vorfahren Sir Laurence in sich, deren auch er sich nicht erwehrt. Die Themen, um die diese Trilogie kreist, sind u.a. Familiengeheimnisse um die "Reinheit der Blutlinie", daraus folgend Inzest, Gewalt und Missbrauch, Homosexualität; aber auch Mut und Stärke der Frauen von Hampton Hall, die unbeirrbar ihrem Weg folgen. Die Figuren; viele davon sympathisch wie die Hauptprotagonistin selbst, andere abscheulich, sind genau gezeichnet und die Handlungsabfolgen in sich stets stimmig.


Fazit:


In diesem lesenswerten und oftmals spannungsvollen letzten Teil der Trilogie um die "Frauen von Hampton Hall" schließt sich der Kreis der Romanreihe: Man begleitet Abigails auf ihrer schicksalhaften Reise, die sie von Oregon nach New York und zurück nach England führt; im Familienwohnsitz in Wales endet, nachdem sie einen langen und unbeirrbaren, mutigen Kampf um Gerechtigkeit und ihre eigenen Rechte focht; man hat gelitten, geliebt, gehofft und gekämpft sowie getrauert mit dieser mutigen und selbstlosen Frau. Die Intention der Autorin kommt in dieser Trilogie durchaus zum Tragen: Man sollte stets seinem Herzen folgen und durch verantwortungsvolles Handeln diese Welt ein wenig besser machen: Darin schließe ich mich gerne Felicity Whitmore an. Ich empfehle, die Trilogie chronologisch zu lesen - aber es gibt auch Rückblicke in die vorigen Bände, was mir ebenfalls positiv auffiel. Gerne vergebe ich 4,5 * und empfehle diese schön zu lesende, atmosphärische und spannende Trilogie gerne weiter!

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Veröffentlicht am 19.01.2022

Eine mörderische "Auszeit"

Das Chalet
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Dieser fulminante Winter-Thriller, "Das Chalet" (UT: Mit dem Schnee kommt der Tod) von Ruth Ware ist nicht der erste Thriller, den ich von dieser englischen Autorin gelesen habe - und wird auch nicht der ...

Dieser fulminante Winter-Thriller, "Das Chalet" (UT: Mit dem Schnee kommt der Tod) von Ruth Ware ist nicht der erste Thriller, den ich von dieser englischen Autorin gelesen habe - und wird auch nicht der Letzte sein: Spannende Unterhaltung auf hohem Thriller-Niveau scheint Ruth Ware zu eigen zu sein, was sie zurecht zu einer international anerkannten und erfolgreichen Bestseller-Autorin dieses Genres machte.


Französische Alpen, ein Luxus-Chalet:


Erin und Danny, Angestellte im Chalet, die sich ausser um das Haus selbst auch um die Gäste kümmern, erwarten eine neue Gruppe, die aus England anreist: Snoop, ein hippes Start-up-IT-Unternehmen, deren Gründer und Angestellte hier eine Auszeit verbringen wollen und das Chalet buchten. Nach der Ankunft der Gäste wird relativ schnell deutlich, dass es Spannungen zwischen den Gruppenmitgliedern gibt, was Erin und Danny nicht verborgen bleibt: Es scheint zwei Lager zu geben, wenn es um die Zukunftsfrage und Entscheidung der gemeinsamen Firma gehen wird: Manche sind für eine Übernahme und manche für den status quo. Im Gegensatz der versnobten, attraktiven und äußerst selbstbewussten, erfolgsgewohnten beiden "Chefs" und deren Mitgründer namens Topher, Eva, Rik und Elliot scheint sich als einziger Gast die unscheinbare Liz, die zwar bei Snoop kündigte, jedoch Anteilseignerin ist, hier sehr fehl am Platze zu finden und unwohl zu fühlen, was anfangs bei Erin und auch beim Leser ein gewisses Mitleid erzeugt.


Der Thriller beginnt mit einem Ski-Ausflug und ist anfangs sehr ruhig, jedoch spätestens als klar wird, dass eine Person der Gruppe unauffindbar und verschollen ist, macht sich Unbehagen in der Gruppe - wie auch bei den Angestellten - breit. Die unterschwelligen Spannungen kommen bei weiteren Todesfällen mit Außeneinwirkung - also Mord - immer mehr zum Vorschein und es ist die Frage, wer hier noch wem vertrauen kann. Als wäre dies noch nicht genug, verschlechtert sich zusehends die Wetterlage und eine Lawine geht ab, die das ohnehin schwer erreichbare Chalet komplett von der Außenwelt abtrennt: Nun beginnen die Verdächtigungen und bevor ein weiterer Mord geschieht, versuchen einzelne Gruppen, Hilfe von außen herbeizuholen; trotz widriger und gefährlicher Schneesituation (das Chalet befindet sich auf 2000 Höhenmetern; alles Notwenige wurde vor dem Lawinenabgang mit einer Standseilbahn "hochgeschafft".


Wird es jemandem rechtzeitig gelingen, den Mörder zu entlarven - oder wird es weitere Opfer geben?


Der Stil von Ruth Ware ist sehr durchdacht und psychologisch raffiniert: Die Spannung entwickelt sich konstant und die Story wird in kurzen Kapiteln immer abwechselnd aus der Perspektive von Erin (Hausangestellte) und Liz (Snoop-Gruppenmitglied) in der Ich-Form erzählt. Motive und Gedanken der ProtagonistInnen sind sehr nachvollziehbar und nach und nach erfährt man mehr von den Hintergründen, die zu den immensen Spannungen führten. Besonders gut gefällt mir am Stil der Autorin, dass sie sehr stark die Umgebung - hier also die französischen Alpen, das fiktive St. Antoine au Lac, in die Handlung einbindet und so eine große atmosphärische Dichte schafft.


"Das Chalet" dürfte nicht nur mich, sondern auch alle skifahrenden Thriller-LeserInnen in ihren Bann schlagen: Ich hatte zu diesem sehr fulminanten und gut geplotteten Thriller einen persönlichen Bezug, da ich mehrmals im 'Massif Central', dem Département Haute-Savoie, selbst Ski gefahren bin und diese Region als märchenhaftes Naturerlebnis und wahres Schneeparadies in Erinnerung habe. In meinem Falle war es zwar kein Luxus-Chalet mit Angestellten und Pool, jedoch die Außenwelt und die Schneehöhe stimmten!

Der fulminante Showdown findet am Ende wiederum im Schnee statt und ist atemberaubend spannend, da man Jäger und Gejagten über die Schulter sehen - und seine Gedanken lesen kann.

Auch die Auflösung und das Ende des Thrillers empfand ich als sehr stimmig. Erin und Danny waren mir ganz besonders sympathisch; die Snoop-Firmenmitglieder hingegen weniger: Hier würde ich auch eine gewisse Kritik herauslesen, wie sehr es gerade in der IT-Branche um's Geld verdienen geht (um den Datenschutz der UserInnen geht es weniger) - wie heißbegehrt Firmen sind, die sich im Marktwert weit "oben" befinden - und wie schnell diese auch in den Keller abstürzen können. Und auch darüber, wie weit manche Menschen gehen, um auf jeden Fall beruflichen Erfolg zu haben.


Fazit:


Ein sehr empfehlenswerter, spannungsgeladener Winter-Psychothriller par excellence. Psychologisch raffiniert aufgebaut mit zahlreichen unvorhersehbaren Wendungen um die Auszeit eines Start-up-IT-Unternehmens, das vermutlich nicht alle Mitarbeiter richtig einschätzen konnte; ein Blick auch in menschliche Abgründe, in denen sich zuvor so einiges "zusammenbraute". Rasante Spannung, die sich stetig steigert. Chalet- und Skiurlaubfeeling incl. "Gänsehautfaktor". Von mir gibt es eine überzeugte Empfehlung und 4,5 * und 95° auf der Krimi-Couch.

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Veröffentlicht am 11.01.2022

Wann erscheint der nächste "Fall für Jackson Lamb?

Spook Street
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"Spook Street" (gemeint ist die Straße der Spione) von Mick Herron ist der 4. ins Deutsche von Stefanie Schäfer übersetzte "Fall für Jackson Lamb". Der wie immer schwarzhumorige, kritische und einfach ...

"Spook Street" (gemeint ist die Straße der Spione) von Mick Herron ist der 4. ins Deutsche von Stefanie Schäfer übersetzte "Fall für Jackson Lamb". Der wie immer schwarzhumorige, kritische und einfach köstlich zu lesende Spionagekrimi erschien im Diogenes-Verlag, (tb, brosch.) 2021.


Dieses Mal sind die Hauptprotagonisten sowohl das Slow House selbst, in dem der Chef der Abservierten, Jackson Lamb, in einem heruntergekommenen Bürogebäude residiert als auch der Großvater eines Slow Horses: David Cartwright, einst eine Legende im britischen Geheimdienst MI5, nun aber bereits 84 und etwas vergesslich, aber wie sich herausstellt, nicht vollkommen hilflos: Als eines Tages ein Mann vor seiner Tür steht und sich für seinen Enkel (River Cartwright, bestens bekannt aus den Vorgängerbänden) ausgibt, fackelt der O.B. (Old Bastard, larmoyant von River genannt, der sich seit einiger Zeit Sorgen um seinen Großvater macht) nicht lange - und erschießt den jungen Mann. Der "echte" Enkel findet in den Taschen des Toten eine Fahrkarte nach Frankreich - genau in den Ort, in dem sein Großvater früher immer "Urlaub" machte....


Der Spionagekrimi mit hochbrisanten Themen besticht wie seine Vorgänger durch geniale Wendungen und einem äußerst trockenen Humor, der besonders Jackson Lamb zu eigen ist: Dieser muss sich nach Kent begeben und den Toten im Badezimmer von David Cartwright identifizieren. Später sollte er das Geschehen wie folgt seinen Slow Horses gegenüber zusammenfassen:


"Ein ehemals hochrangiger Spion (der mehr Geheimnisse hat als die Queen Hüte) pustet seinem Enkel das Gesicht weg und verschwindet anschließend mit seiner Waffe in die Nacht - und ja, er tickt nicht mehr richtig" - so Lamb.


River begibt sich auf die Reise nach Frankreich und überlegt während der Zugfahrt, ob es dem Regent's Park (Zentrale des MI5) zuzutrauen wäre, dass dieser einen Vorhang über den O.B. senken wollte, weil dieser anfang, "undicht" zu werden. Wer und welche Motive stecken hinter diesem Anschlag auf David Cartwright? Und wieso wurde auch auf den damaligen Co-Spion Sam Chapman ein geplanter Mordversuch verübt?


Diesen Fragen geht Jackson Lamb in gewohnt lässiger Manier nach: Er fordert seine Crew auf, nachzudenken, um herauszufinden, "was an der Sache mit den Cartwrights dran ist" - ein Spion seiner Truppe der Abservierten ist in Aktion (River). Da die Slow Horses allesamt eins gemeinsam haben: Sie sind in Ungnade gefallen und wurden ins Slow House suspendiert, jedoch auch allesamt klug und ehrgeizig sind, nehmen sie die Spurensuche auf - und der Leser begleitet sie wohlgelaunt und zuweilen staunend hierbei, über die schrägen Dialoge und der eher unsozialen Eigenschaften Jackson Lambs schmunzelnd, der dennoch das Herz am rechten Fleck hat und hinter seiner Truppe steht; ja sogar hofft, dass seine rechte Hand, Catherine Standish, wieder zu den Slow Horses zurückkehren wird (ich hoffe es mit ihm).


Die Spannung wird von der ersten bis zur letzten Seite gehalten - wobei sie im letzten Romandrittel sehr anzieht: Wir verfolgen die jeweiligen Missionen zur Aufklärung von Marcus und Shirley, Roderick Ho, der wie immer als IT-Fachmann glänzt (und nun sogar auch äußerlich, da er seit Kurzem eine Freundin hat) lernen Moira Tregorian kurz kennen, die Nachfolgerin von Catherine, ebenso wie den Neuling an Bord J.K. Coe alias "Mr. Luftklavier", der, zuvor in der psychologischen Abteilung des MI5, auch hier beweist, dass er ein Gehirn hat und natürlich die von David Cartwright, der durchaus sehr lichte Momente hat wie die seines Enkels River, dessen Mission wie so oft nicht ungefährlich ist. Wir begleiten ihn zu "Les Arbres" in Frankreich, in dem einst Spione aus aller Welt zusammen wohnten, lernen auch den neuen Chef des MI5 kennen; Whelan, der schnell begreifen muss, wie dieser Geheimapparat tickt, um nicht selbst Opfer zu werden (ist Lady Di wirklich eine Rettungsboje für ihn? Finden Sie es heraus!) und einige obskure Gestalten, die mit dem Plot des Spionagekrimis in Zusammenhang stehen, sowohl ein perfektes Englisch wie auch ein ebenso perfektes Französisch sprechen.


Es geht um "Cold Boys", echte Identitäten, die auf "ihren" Besitzer warten; um alte Schulden, alte "Projekte" und Druckmittel unter Geheimdienstmitarbeitern und - um Geheimnisse, die lange zurückliegen und nun an die Oberfläche drängen: Wird der O.B. im "Safe House" wirklich sicher sein?


Herron lässt am Ende ein Showdown nach dem anderen heraufziehen; so dass man den Krimi nicht aus der Hand legen kann und fiebert mit den Slow Horses und Lamb sowohl auf Londons Straßen als auch in einer Autowerkstatt einem möglichst positiven Ausgang entgegen; nur um sich zuletzt mit der ganzen Crew (oder fast der ganzen) im Slough House wiederzufinden, wo die Situation zu eskalieren droht....


Fazit:


Mick Herron gelingt es auch in diesem vorliegenden Band, die Spannung hochzuhalten und den Leser mit heiklen Hintergründen des Geheimdienstwesens zu "versorgen". Die schrägen, witzigen und intelligenten Dialoge zwischen den Akteuren - ganz besonders hier Jackson Lamb selbst - bilden das Sahnehäubchen dieses interessanten und spannenden Spionagekrimis, den ich bestens weiterempfehlen kann. Jeder "Fall" ist in sich abgeschlossen und kann unabhängig von anderen gelesen werden (besser gesagt: Ein Einstieg ist jederzeit möglich ;) Ich würde jedoch chronologisch lesen, da die Figuren sich weiterentwickeln und der Leser nichts verpasst. Von mir erhält (mit Vorfreude auf den 5. Fall versehen!) "Spook Street" 5 Sterne und 97° auf der "Krimi-Couch" und eine absolute Leseempfehlung!


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