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Veröffentlicht am 12.10.2018

„Ein Mann in einer Bahnhofshalle, irgendein Mann in irgendeiner Bahnhofshalle.“

Der Narr und seine Maschine
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Tabor Süden war Kriminalhauptkommissar in der Vermisstenstelle der Kripo, quittierte den Dienst, verschwand, kehrte zurück, arbeitete in einer Detektei, jetzt will er wieder verschwinden. Seine Chefin ...

Tabor Süden war Kriminalhauptkommissar in der Vermisstenstelle der Kripo, quittierte den Dienst, verschwand, kehrte zurück, arbeitete in einer Detektei, jetzt will er wieder verschwinden. Seine Chefin spürt ihn auf, setzt ihn auf einen Fall an. Ein Krimi-Autor ist verschwunden.

„Mich würde niemand wiederfinden, dachte Tabor Süden, als er sich auf der obersten Treppenstufe von der Straße abwandte. Seine Zukunft wäre die allumfassende Unsichtbarkeit.“ S. 10 Der Satz ist typisch für den eher literarischen Stil des Buches, der mir dann doch gelegentlich zu viel wird: „Im irren Glauben, er könne etwas erkennen, riss er die Augen auf und starrte die schäbige Wand vor sich an wie eine riesige, körnige, Horrorszenen speiende Leinwand.“ S. 22 Der Satz ist auch typisch für Tabor Süden und er könnte gleichermaßen für Cornelius „Linus“ Hallig stehen, den verschwundenen Schriftsteller. Beide sind sie aufgewachsen mit verschwindenden Vätern, können schweigen, haben ihre gewohnten Orte, wenige Bindungen, wenn überhaupt.

Ansonsten ist das hier eher schwierig als Krimi einzuordnen, abseits des gewohnten Schemas von Mord und Leiche, dafür liegt die Stärke darin, wie die Gesprächsführung von Süden Wirkung zeigt, wie er auf das Schuldgefühl von Angehörigen einzugehen weiß, über das ich mir vorher nicht einmal bewusst war: verschwindet jemand aus meinem Umfeld, KANN ich mich nur schuldig fühlen, schließlich hätte ich doch etwas bemerken müssen. Psychologisch meisterhaft, auch in der Düsternis der Darstellung. Kein Buch für schlechte Tage, dafür komplett unproblematisch für jene, die sensibel auf Gewaltdarstellung reagieren.

Das Buch ist der 21. (!) einer Reihe mit Tabor Süden, mein erster, ich konnte bedenkenlos einsteigen. Ich bin irgendwie beeindruckt, gleichzeitig aber nicht sehr inspiriert, weitere Bände zu lesen, dazu wirkte der Text zu desillusioniert und zu deprimierend auf mich. Die harten Brüche der Perspektivwechsel zwischen den beiden Männern hielten mich auf Distanz. Das Ende passt perfekt dazu. Jetzt bin ich ratlos und sehne mich nach einem richtig harten Thriller mit viel Gewalt oder meinem großen Teddybären oder sinniere noch ein wenig über das Buch nach oder besser später, bei Tageslicht.

4 Sterne, 3 oder 5 hätte ich genauso gegeben.

https://www.perlentaucher.de/buch/friedrich-ani/der-narr-und-seine-maschine.html verlinkt zum Buch

Veröffentlicht am 04.09.2018

Schnodderig, schräg, schnell, schnurrig, Schüler-(Wahn-)Witz

Wie ich fälschte, log und Gutes tat
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„Heute war der beste erste Schultag ever. Weil ich nämlich nicht in der Schule war. Statt im Unterricht zu sitzen, bin ich Ballon gefahren. Hundert Prozent legal sogar.“ S. 5
Keppler-Gymnasium, Weiden. ...

„Heute war der beste erste Schultag ever. Weil ich nämlich nicht in der Schule war. Statt im Unterricht zu sitzen, bin ich Ballon gefahren. Hundert Prozent legal sogar.“ S. 5
Keppler-Gymnasium, Weiden. Ich-Erzähler Benedikt „Dschägga“ Jäger und seine Kumpel wurschteln sich so durch 10. Klasse und das Leben. Dabei gibt es Highlights wie die Ballonfahrt oben, als Belohnung für ein Tennisturnier, aber auch etliche Tiefschläge. Denn dass er nicht in der Schule war, ist so selten nicht. Hundert Prozent legal, schon.

Ich hatte eine etwas andere Vorstellung davon, um was es in diesem Roman geht, auch nach der Leseprobe noch: irgendwie erwartete ich etwas Spektakuläreres, das hießt, irgendetwas richtig Übles (zwischendurch irgendetwas mit dem Bauprojekt des Dealers). Wobei, Spektakulär wird es schon, aber nur in der Wirkung der Aktion zum Ende bei Sargnagel äh Scharnagl, die Ursache dafür ist jedoch ziemlich banal. Das ganze Buch ist lustig, überraschend, schnell. Wer es liest, sollte sich einfach darauf einlassen. Ich habe in dem Alter zwar eines der vermutlich langweiligsten Schülerleben geführt, fühlte mich aber dennoch durch den Text ins Damals versetzt: die Langeweile, das Gefühl des Ausgeliefertseins, seltsame Paarungsrituale, Erwartungen der Eltern, das Gefühl, irgendwie dazwischen zu stehen und recht oft neben sich.

Von den gefälschten sozialen Aktivitäten der Mutter über das angebliche Arbeitszimmer des Vaters, von dem Bauprojekt des Drogendealers über das Aufpolieren der Schuler als Hochleistungs-Schmiede bis hin zu den Küssen rein für Mariettas Image-Kampagne – ich möchte dazu die Prinzen abspielen, „Alles nur geklaut“ äh, erstunken und erlogen. Schön, dass Benedikt da Panik hat. Manche der anderen anscheinend weniger. Ich habe das Buch mit einem breiten Grinsen gelesen. Die Sprache wirkt auf mich nicht aufgesetzt, vermutlich dann aber doch für heutige Schüler. Und in zehn Jahren wird man wohl nur die Hälfte verstehen, von MINT-Initiative an bis zum Slang. Wobei, Knorke versteht man in den Kästner-Büchern immer noch. Und ein bisschen mogelt ja fast jeder von uns…

4 Sterne und ein breites Grinsen.

Veröffentlicht am 20.06.2018

Preußischblau

Zu nah
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„Die Frage ist immer dieselbe.
‚Was haben wir bis jetzt“, will ich wissen.“ S. 40f.
DCS Detective Chief Superintendent Frankie Sheehan. Erst war sie Kriminaltechnikerin, dann Profilerin. Über 25 Jahre ...

„Die Frage ist immer dieselbe.
‚Was haben wir bis jetzt“, will ich wissen.“ S. 40f.
DCS Detective Chief Superintendent Frankie Sheehan. Erst war sie Kriminaltechnikerin, dann Profilerin. Über 25 Jahre ist sie dabei, jetzt für die schwersten Verbrechen verantwortlich. Als mit Eleanor Costello ein weibliches Strangulationsopfer aufgefunden wird, merkt sie, dass etwas nicht zu einem Selbstmord passt. Der Ehemann der Toten, Peter, ist verschwunden. Da erhält das Team die Meldung, dass auch eine junge Studentin vermisst wird, Tochter der Nachbarn von Frankies Eltern. Und neben alldem hat Frankie noch damit zu kämpfen, dass sie selbst Narben trägt, physische und psychische, seitdem sie beinahe selbst getötet wurde.

„…jedes Mal, wenn ich an Tracy denke, spüre ich, dass irgendwo in dem Fall etwas nicht stimmt, etwas übersehen wurde.“ S. 252 DCS Sheehan ist hartnäckig. Sie war am Boden, hat sich wieder hochgerappelt, gegen die eigenen Panikattacken und undeutlichen Erinnerungen. Wegen dieser Hartnäckigkeit setzt ihr Chef Jack Clancy sie ein, um die harten Entscheidungen zu treffen. Mit ihrem Team ermittelt sie in erst einem, dann mehreren Fällen, atemlos immer dem nächsten Hinweis hinterher. Diese persönliche Sicht durch die Polizistin als Ich-Erzählerin ließ mich nicht los, ich wollte wissen, was ihr zugestoßen war und mit ihr den Fall lösen.

Der Leser wird in die Handlung hineingeworfen – Andeutungen zu Frankies Vergangenheit bauen gleichermaßen wie der eigentliche Fall Spannung auf. Die Frau ist tough, teils unvernünftig, aber dabei nie unglaubwürdig – ich kaufe ihr ab, dass sie genau so handeln muss, um vor sich selbst zu bestehen, vielleicht auch vor den Kollegen. Ich könnte mir eine Reihe vorstellen, einiges im Privaten bleibt offen und wäre ein Anknüpfungspunkt (warum war sie als Kind die zitternde verletzliche Kleine?). „Too Close to Breathe“, so der Originaltitel (also im Deutschen nur minimal gekürzt) ist ein solider Thriller mit einer durchgängig bedrohlichen Grundstimmung, einem komplex konstruierten Fall und einer interessanten Ermittlerin. Ja, lesen.

Veröffentlicht am 23.05.2018

Ein Buch wie kein anderes - der Sinn? Wen interessiert der Sinn?

Hier ist es schön
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…der Klappentext ist gar nicht schlecht.
Autorin Annika Scheffel hat wohl das sonderbarste Buch geschrieben, das ich je gelesen habe. Schon der Beginn des Buches macht klar, wie sonderbar: mehrere Zitate ...

…der Klappentext ist gar nicht schlecht.
Autorin Annika Scheffel hat wohl das sonderbarste Buch geschrieben, das ich je gelesen habe. Schon der Beginn des Buches macht klar, wie sonderbar: mehrere Zitate im Wechsel mit Text; später gibt es Briefe, zwischendurch Perspektivwechsel, einen Hauch Roadmovie, einen Hauch „Truman-Show meets Jugend-Dystopie à la Hunger-Games“, einen Touch Gesellschaftskritik, alptraumhaftes Märchen...das passt alles, nichts liest sich hier schwierig. Es sind nicht die Sätze literarisch, es ist eher die sehr spezielle Struktur. Dazu kommt ein spezieller Inhalt: Tom schreibt im Brief an Irma: „Lass die Kometen kommen, die Sonne verglühen, die Menschheit völlig den Verstand verlieren und die scheiß Flüsse aufwärts fließen, hier ist es schön.“ S. 16 Das soll sie wohl sein, die Ausgangssituation, vor der zwei „Auserwählte“ erkoren werden, Irma und Sam, die diesem Schicksal entgehen können sollen.

Doch was ist das, Coming-of-age, Dystopie, Allegorie, magischer Realismus? Eher etwas sehr sehr Eigenes, in jedem Sinne des Wortes. Ich habe dieses Buch in einem Rutsch gelesen, kann nicht sagen, ob ich am Ende ernüchtert bin, verwirrt oder ob es genau so passt oder völlig verrückt ist. Also habe ich nach „offiziellen“ Rezensionen im Netz gesucht, doch die wenigen bisherigen helfen mir auch nicht weiter: S/F meets Heimatroman? Ich sehe weder das eine noch das andere. Ein Roman über die Erzählung, die wir über uns selbst erfinden? Äh – das wäre eine Erzählung über eine Erzählung, die wir erzählen – äh, nee. Gegenwartsanalyse? Dass Reality-Shows doof sind, ist jetzt aber etwas einfach, oder? https://www.mdr.de/kultur/buch-rezension-annika-scheffel-hier-ist-es-schoen-100.html
Dafür lässt diese Rezension https://www.swr.de/swr2/programm/sendungen/lesenswert/annika-scheffel-hier-ist-es-schoen/-/id=659892/did=21632060/nid=659892/1q30oha/index.html mich mit dem beruhigten Gefühl zurück, dass anscheinend jemand noch weniger als ich sich mit Jugend-Dystopien beschäft hat. DAS IST sicher KEIN JUGENDBUCH!

S. 208 „Ich weiß noch, wie ich dachte, dass diese ganze Geschichte wahnsinnig ist, aber, ganz seltsam, dass man sich dich sehr gerne als Stellvertreter für alle vorstellt. Trotzdem hast du ein Recht auf die Insel.“ Ja, wahnsinnig, aber irgendwie gerne war ich da, auf der Insel, auch wenn ich’s nicht verstanden habe. Ganz oft möchte ich da trotzdem nicht hin. 4 Sterne für einen wilden Trip.

Veröffentlicht am 19.05.2018

So zuckersüß wie Zimt und Zucker

Weil es dir Glück bringt
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Die junge Konditorin Sam Nelson ist 24 und hat es geschafft, in New York einen Job in der Konditorei des angesagten Reality-Show-Stars Dimple zu ergattern. Doch ist dort nicht alles Gold was glänzt, und ...

Die junge Konditorin Sam Nelson ist 24 und hat es geschafft, in New York einen Job in der Konditorei des angesagten Reality-Show-Stars Dimple zu ergattern. Doch ist dort nicht alles Gold was glänzt, und Sam muss sich fragen, ob sie wirklich glücklich ist, auch wenn es da einen sehr netten Lieferfahrer gibt, Angelo. Als der Druck auf sie fast zu groß wird und all ihre Backkunst gefragt ist, fasst sie den Schlüssel an, den sie schon lange an ihrem Hals trägt, wie Generationen von Frauen ihrer Familie vor ihr. Der Schlüssel gehört zu dem Kästchen mit Familienrezepten –dahinter verborgen liegt die Geschichte ihrer Familie. Sam muss um ihre Zukunft kämpfen und gegen ihre Ängste.

Okay, dass klingt süßlich und ich bin gewiss kein Liebesroman-Leser – alle hundert Bücher eines?! Dieses Buch ist ein Liebesroman, ein Frauenroman, eine Familiengeschichte und so zuckersüß wie Zimt und Zucker, dennoch aber irgendwie lieb (aus meiner Sicht heißt das, jaaa, geht gerade noch). Der Roman ist sentimental, rührte mich aber durch die Kombination von Liebe zum Backen, in den Roman eingestreuten Rezepten und die enge Verbindung der Familienmitglieder an, besonders durch die zwischen Oma und Enkelin (den Part teile ich mit dem Autor mit dem weiblichen Pseudonym). Wie schon im Erstling (jaaa, das war der letzte Liebesroman, den ich gelesen hatte) wird der Text verwoben mit Lebensweisheiten und dem Leben in Michigan. Wie schon im Erstling, fand ich’s fast wider Willen eigentlich ganz nett, aber doch etwas vorhersehbar (war war überrascht, mit welchem Mann die gute Sam zusammenkommt und wie sie sich entscheidet????). Und mal ernsthaft: eine 13jährige bekommt im Jahre 2006 als einziges Geburtstagsgeschenk von der Familie …eine Holzbox mit Rezepten???? Mag ja sein, dass die das „Familienerbe“ sind, aber das arme Mädchen ist 13 – da wäre selbst der heilige Gral ein wenig glückliches Geschenk.

Wer das Genre liebt, wird dieses Buch lieben. Mir war der „Wendepunkt“ etwas zu hergesucht, wie ich auch nicht nachvollziehen konnte, wo Sams Problem vorher überhaupt gelegen hatte – kein Grund für lange Beziehungsängste und Fluchtverhalten, ich fand’s unlogisch. Die Rezepte haben es rausgerissen – das Buch ist ein perfektes Geschenk, für Backfeen oder von solchen, mit einem Kuchen zusammen. Daher noch 4 Sterne (ohne die Rezepte und die ziemlich kalkuliert schrullige Oma wären es maximal 3)