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Veröffentlicht am 11.01.2017

Das perfekte Buch für die Zeit NACH den Plätzchen, Braten…

Easy. Überraschend. Low Carb.
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Low Carb haben die meisten schon gehört – prinzipiell erwartet den Esser eine speziellere Form der vielen Ausprägungen von Trennkost (älter: Atkins, neuer: Schlank im Schlaf). Low Carb heißt dann – möglichst ...

Low Carb haben die meisten schon gehört – prinzipiell erwartet den Esser eine speziellere Form der vielen Ausprägungen von Trennkost (älter: Atkins, neuer: Schlank im Schlaf). Low Carb heißt dann – möglichst nie/wenig Kohlenhydrate.
LCHF kannte ich noch nicht – VIEL Fett essen? Echt jetzt? Ketogene Diät ist ein anderer Name. Durch viel Fett soll die Sättigung verbessert werden. Durch Tricks verspricht die Autorin dieses Buchs einen guten Ersatz von Kohlehydraten mit Gerichten wie Spätzle, Knödeln, Pizzaböden etc. Letzteres liegt mir sehr.

Buch:
Das Buch ist hochwertig gestaltet (riecht toll!), sehr großformatig und mit Schutzumschlag und wirkt fast wie ein Bildband. Dabei sind Rezepte meist auf einer Doppelseite (Ausnahme: einige der kleineren Sachen wie Aufstriche teilen sich die Doppelseite) dargestellt – sehr praktisch, da man so nicht mit klebrigen Fingern blättern muss. Das Format ist mir generell eher etwas zu groß für ein Kochbuch, da kaum für eine Buchstütze geeignet.

Die Erklärungen zum Konzept sind im Buch knapp gehalten, es ist mehr ein Praxisbuch. Zur Langzeitwirkung kann ich noch nichts sagen, ich hinterfrage schon die generellen Verteufelungen bestimmter Lebensmittel je nach Mode. Für kürzere Aktionen jedoch erscheint mir das Konzept plausibel. Ballaststoffe sollte ich über Gemüse ausreichend erhalten.

Zutaten
Die Zutaten bekam ich einfach – man sollte allerdings grob vorplanen.
Spezialzutaten:
Kaufland führt seit neuestem Konjak-Nudeln. Chia (die dunklen) und Leinsamen habe ich bei Kaufland, Rewe und tegut gesehen – mahlen kann ich selbst (es gibt wirklich günstig Handmühlen für den Einstieg, teils Aufsätze für Küchenmaschinen – ungemahlene Produkte sind länger haltbar). Für den Rest bin ich im Bioladen fündig geworden – für Leute aus der Region als Tipp: Das Paradieschen in Gelnhausen liefert auch
Das Buch setzt gemahlene Mandeln (günstig, überall erhältlich, fettreich) wohl gleich mit Mandelmehl (dem, was übrig bleibt, wenn man das Öl aus den Mandeln presst - fettarm, teurer, eher nur im Bioladen). „Spezialzutaten“ werden alle in eher geringeren Mengen eingesetzt, was für mich den Preis relativiert, und sind meist gut haltbar. Dafür sind die „sonstigen Zutaten“ eher günstiger: andere Diäten wünschen Putenfleisch, viel Lachs, Rindfleisch, teurer als z.B. Schwein. Dazu fettarme Produkte, die häufig nur „funktionieren“ durch viel Wasser, Bindemittel und Auszugsverfahren. Nicht so hier: Doppelrahmfrischkäse, gemischtes Hack, Fetakäse usw. Das gibt’s überall und günstiger als die low fat – Varianten.
Milch wird nicht wegen des Milchzuckers abgelehnt (es gibt wenige, aber doch sehr aussagekräftige Internetseiten zu verschieden strengen Auslegungen des Konzepts - teils wohl bedingt durch unterschiedliche Reagibilität der LCHF'ler auf Kohlenhydrat-Anteile im Essen).

Rezepte
Die allgemeine Gestaltung finde ich toll – „Beilage“ und „Hauptzutat“ sind separat mit den Nährwerten deklariert, so dass man leichter tauschen kann, dafür finden sich auch Vorschläge. Während low carb Diäten sehr fleischlastig sind, funktioniert LCHF gerne auch vegetarisch LC war mir da zu viel des Guten, toll hier. Gleich die ersten Versuche gelingen und sind schmackhaft – die mediterranen Frikadellen überzeugten auch den Diät-feindlichen Mann (einfach Rezept lesen lassen: wieso Diät? Butterschmalz? und Fetakäse vollfett?), der Sellerie mit Knobi dazu ist lecker. Lasagne bzw. die Soße – ein Genuss. Und Brote, die auch so aussehen.
Ich werde wohl einiges Vorkochen /-backen und einfrieren zur zeitlichen Ersparnis.

Und jetzt beginnt der längerfristige Praxistest…

Veröffentlicht am 10.01.2017

„Ein Idiot, der davon träumte, unbehelligt zu bleiben…“

Die Witwen
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Gefällig beginnt der Roman und gefällig ist auch das Leben der vier Frauen, Freundinnen seit der Einschulung, gefällig ist auch die Sprache der Autorin. Gefällig - so etwas wie nett.
Die „Witwen“, das ...

Gefällig beginnt der Roman und gefällig ist auch das Leben der vier Frauen, Freundinnen seit der Einschulung, gefällig ist auch die Sprache der Autorin. Gefällig - so etwas wie nett.
Die „Witwen“, das sind vier Frauen, Freundinnen seit der gemeinsamen Einschulung in Berlin, die jetzt in Steinbronn leben, zwischen zwei Moselarmen:
„In einem solchen buchstäblich von allen Seiten umfassten Ort einsam zu sein, ist eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit – und doch gelang es vier Frauen, nicht mehr jung, aber längst nicht alt. Nur ratlos. Und irgendwie übrig.“ S. 1 „Lasst uns etwas erleben!“ („Witwe“ Laura) S. 4 wird beschlossen, man sucht per Annonce einen Chauffeur, findet Bendix und fährt los, über Trier die Mosel entlang bis zur Moselquelle.

Aus dem Roadmovie wird kapitelweise Lebensbeichte, als das Leihfahrzeug beim Hartmannswillerkopf, der Gedenkstätte zum Ersten Weltkrieg, symbolträchtig den Dienst verweigert. Keine der Frauen ist wirklich Witwe. Der von seiner Freundin verlassene Bendix, eigentlich studierter Philosoph und Geschichtswissenschaftler, definiert es so: „Er [Bendix] hatte keinerlei Wissen über ihren zivilen Status und nannte sie auch keineswegs Witwen, weil er annahm, ihren wären die Männer weggestorben. Aber es schwang etwas bei ihnen mit, das ihm zu benennen schwerfiel, außer mit: verwitwet. Als hinge allen eine zarte Schleppe aus Trauer und Abgelebtem an. Aus seiner Sicht war er auch Witwer. … Witwenschaft als Abwesenheit von Zukunft, Witwenschaft als Zustand der Abhandenheit.“ S. 36 „Nicht Männer waren ihnen abhandengekommen, sondern die Zuversicht oder die Verwegenheit oder die Fantasie.“ S. 20

Jeder der fünf Protagonisten, ja, auch Bendix gehört irgendwann dazu, erzählt. Das geschieht milieugerecht gebildet, eloquent – man findet für sich kleine Sätze zum Herausschreiben wie „Witwe“ Pennys „Im Traum sind wir nicht die Summe unserer Jahre, sondern die Fülle unserer Erfahrung.“ S. 130; das geschieht versöhnlich (wobei mir der Schluss etwas zu viel rosarot andeutete); das geschieht vor allem voller Sprachmeisterschaft, wie dem Namen des Hundes, Zwiebel, er ist so vielschichtig“ S. 7; „In ‚Spanisch‘ steckte ‚panisch‘ “ S. 111 oder weiteren Wortspielen wie Pennys „Man kann Verwobenes auch wieder auftrennen, aufrebbeln, rebellieren.“ S. 42 Ich mag so etwas, aber es wird mir hier gelegentlich zu viel des Guten. Wer das ebook hat, möge z.B. nach „Erstreckung“ suchen im Text.

Ein Buch, das wohl eher Frauen gefallen wird, das auch eher nicht bei jüngeren Lesern Anklang finden wird – das mich aber, obwohl ich mich unbestimmt deutlich zu jung fühlte für die Witwen, mit seiner Thematik der Freundschaft und der Geheimnisse und Verletzungen, die wir mit uns herumtragen, dann doch ganz gut gefiel – besonders mit Blick auf die Milde, mit der man miteinander umgehen kann, sollte. Gefällig - so etwas wie nett, aber doch so meisterhaft in der Sprache.

Veröffentlicht am 10.01.2017

Ist er nun langschädelig oder rundköpfig? (AC 4)

Der Mann im braunen Anzug
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Damit kennt sie sich aus, die junge Anne Beddingfield, als Tochter eines kürzlich verarmt gestorbenen zerstreuten Professors, für den die Geschichte der Altsteinzeit alles war.

Ich setze meine chronologische ...

Damit kennt sie sich aus, die junge Anne Beddingfield, als Tochter eines kürzlich verarmt gestorbenen zerstreuten Professors, für den die Geschichte der Altsteinzeit alles war.

Ich setze meine chronologische Lektüre der Agatha Christie – Romane fort mit
O: The Man in the Brown Suit, 1924. Meine Auflage ist von 1983 aus dem Scherz Verlag in der Übersetzung von Margret Haas und hat ein anderes Cover, siehe Foto.
Es ist das vierte Buch der Autorin, das Personal des Bandes taucht später nicht wieder auf mit Ausnahme von Oberst Race, der in „Mit offenen Karten“ („Cards on the table“, AC 20, Poirot 13), „Blausäure“ („Sparkling Cyanide“, AC 36) und „Der Tod auf dem Nil“ („Death on the Nile“, AC 22, Poirot) wieder erscheint (ein häufigerer Kunstgriff der Autorin).

Wer die Rezensionen verfolgt, möge mir bitte hinsichtlich der chronologischen Abfolge gewisse Freiheiten verzeihen – die Autorin hat ihre Reihen mit den Detektiven, zu denen es mehrere Bände gibt, „wild durcheinander“ geschrieben und teils Romane eingestreut mit Hauptpersonen, die kein zweites Mal ermitteln. Ich erlaube mir da gewisse Sprünge, behalte aber die Chronologie innerhalb der Reihen bei. Schuldig im Sinne der Anklage – ich habe eine besondere Schwäche für die in der Öffentlichkeit eher weniger bekannten „Ermittler“.

Die Handlung ist, wie auch im bereits beschreibenen „Ein gefährlicher Gegner“, kein „Whodunnit“, sondern wieder eher eine Mischung aus Abenteuer- und Spionageroman, ähnlich Filmen der Reihe „Der dünne Mann“ oder einem Cary-Grant-Hitchcock-Film wie „Verdacht“.

Christie lässt das Buch mit einem Prolog in bester Hollywood-Manier starten, in dem zwei Personen mit – natürlich – russischen Namen aufeinandertreffen. Beide unterhalten sich über einen „Oberst“, der wie ein tüchtiger Geschäftsmann einen Verbrecherring unterhalte. Nur ein Mann könne den Ring enttarnen, der sei jedoch in Südafrika gestorben.

Ab da ist das Buch aus der Ich-Perspektive Anne Beddingfields geschrieben, im Wechsel mit Auszügen des ihr zur Verfügung gestellten Tagebuchs von Sir Eustace Pedler: Nach dem Tod ihres Vaters sehnt sich die junge Frau nach Romantik und Abenteuer und sucht ihr Glück in der Hauptstadt. Auf dem Bahnsteig in London wird Anne Zeugin, wie ein Mann erschrickt, auf die Gleise stürzt und so zu Tode kommt. Ein anderer Mann mit einem braunen Anzug bietet sich als Arzt an. Im Weggehen verliert er einen mysteriösen Zettel: „1 7 .1 22 Kilmorden Castle“. Etwas an der Situation mutet Anne im Nachhinein seltsam an – würde ein Arzt sich genau so verhalten? Leider weiß sie der Polizei nur eines zu dem „Mann im braunen Anzug“ zu berichten: „Seine Kopfform war ausgesprochen brachyzephal.“ S. 23 Die Handlungsorte wechseln von Annes kleinem Dorf nach London, dann über ein Schiff nach Südafrika und Rhodesien, heute Zimbabwe, immer auf der Suche nach dem Mann im braunen Anzug und dem geheimnisvollen „Oberst“. Zu den bemerkenswerten Vorkommnissen der Handlung gehören verschwundene Diamanten, diverse Heiratsanträge, Verkleidungskünstler, ein Mordverdächtiger, in den sich die weibliche Hauptfigur rettungslos verliebt, ein mutmaßlicher Geheimdienstmann, diverse merkwürdige Sekretäre und Sekretärinnen, wohlhabende Damen und Herren der Gesellschaft,….Warum eigentlich hat das niemand mit Cary Grant verfilmt?

Trivia: Interessant finde ich folgende biographische Bezüge https://de.wikipedia.org/wiki/DerMannimbraunenAnzug
„Das Buch hat einige Parallelen zu Ereignissen auf der Weltreise, die Christie gemeinsam mit ihrem ersten Ehemann Archie Christie unter der Leitung von dessen ehemaligen Lehrer vom Clifton College, Major E. A. Belcher, unternommen hatte. Belcher war im Auftrag der britischen Regierung unterwegs, um für die British Empire Exhibition 1924 zu werben und hatte Archibald Christie als Assistenten engagiert. Die Reise dauerte vom 20. Januar 1922 bis zum 1. Dezember 1922. Auf dieser Reise schrieb Christie die meisten der Kurzgeschichten, die später als Poirot rechnet ab und Die Arbeiten des Herkules[6] veröffentlicht wurden. Vor der Reise sind die Christies zum Dinner bei Belcher eingeladen. Er schlägt ihr vor, einen Kriminalroman zu schreiben, der in seinem Haus, Mill House, spielt und den Romantitel „Das Geheimnis von Mill House“ tragen sollte - und er bestand auch darauf. Belcher ist die Inspiration für die zentrale Figur des Sir Eustace Pedler, der Titel wurde aber auf Wunsch von Ehemann Archie geändert.[7] Auch das Mill House tritt in Erscheinung, es ist aber nach Marlow verschoben.
Christie fand Belcher „als Person kindisch, bedeutend und irgendwie manisch: ‚Niemals, bis heute, konnte ich mich von einer schleichenden Vorliebe für Sir Eustace losmachen‘, schrieb Christie über den fiktionalen Belcher alias Sir Eustace, dem sie mit „Der Mann im brauen Anzug“ ein Denkmal setzte. Ich weiß, das ist verwerflich, aber es ist so.“[8] Auch aus Annes Äußerungen am Ende des Romans kann man Christies ambivalentes Verhältnis zur Hauptfigur erkennen.“


Einige Bemerkungen im Zuge der Handlung veranlassen mich zu gewissen Schlussfolgerungen, so leiden – auffällig? - Poirot wie auch Anne Beddingfield an Seekrankheit. Einige Kommentare verleiten mich zu Rückschlüssen auf die Autorin, mindestens zum Schmunzeln, so „Es gibt kein besseres Mittel als geheuchelte Teilnahmslosigkeit, um einen Menschen zum Reden zu bringen.“ S. 27 oder“Sanfte Männer sind fast immer dickköpfig.” S. 42

Zeitgeist:
Kleidung wird noch bevorzugt vom Schneider gefertigt und nicht im Kaufhaus erworben, Zugang zu einer Arbeitsstelle bekommt man über eine auf eine Visitenkarte gekritzelte Empfehlung und die Theorie eines Ursprungs der Menschheit in Afrika gilt als vorsintflutlich. Eine Schiffskarte erster Klasse von Großbritannien nach Kapstadt kostet 87 Pfund.
Auch wenn Anne letztendlich alles im Griff, sieht sie sich doch gewissen Voreinstellungen gegenüber, so sagt ihr der Inspektor: „ Junge Damen sind eben romantisch veranlagt, ich weiß.“ S. 21. Der Oberst ist „abergläubisch wie eine Frau“ S. 6, als Kriminal-Reporterin zu arbeiten ist „unweiblich“ S. 99. Und Anne selbst sagt „Ich werde nie heiraten ohne die ganz große Liebe – und es gibt nichts Schöneres für eine Frau, als alles zu tun für den Mann, den sie liebt. Je eigenwilliger sie sonst ist, desto glücklicher wird sie dabei sein.“ S. 111 Jaaa, das Buch erschien 1924, nicht vergessen! Dafür kann man in Kapstadt sein Gepäck in einen Zug stellen und einfach wieder aussteigen: „Kümmere dich nicht um dein Gepäck; das kannst du morgen telegrafisch zurückbeordern.“ S 91 So (!) romantisch veranlagt, mein unbeaufsichtigtes Gepäck irgendwo auf der Welt wieder zurück zu bekommen, wäre ich dann auch gerne wieder. Und, einmal ehrlich – wenn nachts auf einem Schiff ein verletzter Mann an meine Zimmertür klopft mit der Bitte, ihn zu verstecken… (außer, wie gesagt, Cary Grant natürlich!).

Veröffentlicht am 10.01.2017

Eines meiner liebsten Bücher von Agatha Christie – Vorsicht, Erwartungshaltung!!! (AC2, TT1)

Ein gefährlicher Gegner
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Achtung: weder Hercule Poirot noch Miss Jane Marple spielen eine Rolle in diesem zweiten Roman der Autorin, der gleichzeitig eine Reihe einläutet, die um Tommy und Tuppence. Er erschien zuerst 1922 unter ...

Achtung: weder Hercule Poirot noch Miss Jane Marple spielen eine Rolle in diesem zweiten Roman der Autorin, der gleichzeitig eine Reihe einläutet, die um Tommy und Tuppence. Er erschien zuerst 1922 unter dem Titel "The Secret Adversary" in UK bei The Bodley Head und später im Jahr in den USA bei Dodd, Mead and Company. Die deutsche Erstausgabe erschien 1932 als "Die Abenteurer-G. m. b. H.", übersetzt von Irene Kafka im Goldmann Verlag Leipzig . 1959 erfolgte eine Neufassung unter o.g. Titel in der bis heute genutzten Übersetzung von Werner von Grünau bei Desch (Quelle Wikipedia)– bei mir als 6. Auflage von 1983 bei Scherz verwendet, alte Rechtschreibung.

Tuppence (entspricht "Two Pence", zwei Pence) wird meiner Erinnerung nach auch in einem anderen Band der Reihe als „Nickel“ bezeichnet, ein anderer Begriff für das 2 p – Geldstück, ich editiere das entsprechend, sobald ich in meinem Re-Read dort angelangt bin.

Die Reihe um diese beiden Hauptfiguren gehört zu meinen liebsten der Autorin – Poirot ging mir früher nach mehreren Büchern gern auf die Nerven mit seiner Besserwisserei bis zur Klugsch…wätzerei, mit Miss Marple gibt es nur erschreckend wenige Bücher (12 Romane, dazu einige Kurzgeschichten). Im Gegensatz zu den beiden letzteren Detektiven, die irgendwie immer eher alt sind, aber auch wenig weiter zu altern scheinen (trotz gewisser Nuancen), durchlaufen die beiden Protagonisten dieser Reihe hier quasi ihr gesamtes Erwachsenenleben, und das in eher wenigen Bänden, begonnen in ihren Zwanzigern:
1.Original „The Secret Adversary“ 1922, deutsch "Ein gefährlicher Gegner" 1922
2.Original „Partners in Crime“ 1929, deutsch „Die Büchse der Pandora – Kurzgeschichten
3.Original "N or M?" 1941, deutsch "Rotkäppchen und der böse Wolf" 1946
4.Original "By the Pricking of My Thumbs" (1968), deutsch "Lauter reizende alte Damen" (1970)
5.Original "Postern of Fate" (1973) – deutsch "Alter schützt vor Scharfsinn nicht" (1978) - Quelle Wikipedia

Achtung: dieses Buch ist kein typischer „Whodunnit“ wie bei Poirot und Miss Marple, eher ein amüsant-ironischer „cozy Thriller“ – falls es das gibt; ein Mix aus Spionage-Roman und Abenteuerbuch. Stil und Ton ähnlichen den klassischen "Ein dünner Mann“ – Verfilmungen oder vielleicht noch den Hitchcock-Filmen mit Cary Grant (ja, bekennender Fan aller genannten): es wird nie eklig werden bei Agatha Christie, es gibt keine Perversen, harte Sprache bedeutet, dass jemand „verdammt“ sagt, gemordet wird eher sehr sauber. In diesem Buch nun gibt es keine Einführung in ein bestimmtes Szenario, in dem dann ein Mordopfer gefunden wird und in der Folge verschiedene Hinweise, anhand derer Leser und Ermittler den Fall quasi nebeneinander lösen (das gennante "Whodunnit“). Stattdessen gelangen Tommy Beresford und Prudence Cowley, genannt Tuppence, beide nach dem (Ersten) Weltkrieg ohne Aufgabe, Einkommen und finanzielle Reserven, aber mit viel Enthusiasmus, mit dem Leser quasi unmittelbar in die Handlung.

Die beiden Twentysomethings treffen einander zufällig in London und kehren ein. „Tommy setzte sich ihr gegenüber. Ohne Hut kam jetzt sein dichtes, sorgfältig zurückgebürstetes rotes Haar zur Geltung. Sein Gesicht war in sympathischer Weise häßlich – nicht besonders auffällig und doch unverkennbar das Gesicht eines Gentleman und Sportsmanns. Sein brauner Anzug war gut gearbeitet, schein sich jedoch gefährlich den Grenzen seiner Lebensdauer zu nähern.
Auch Tuppence konnte keineswegs als schön gelten, aber in den feinen Zügen ihres schmalen Gesichts lagen Charakter und Charme. Ein energisches Kinn und große, graue Augen, die unter geraden, schwarzen Brauen ein wenig verträumt in die Welt blickten. Auf ihrem schwarzen, kurzen Haar trug sie einen kleinen hellgrünen Hut, und ihr äußerst kurzer und ziemlich abgetragener Rock ließ ein Paar außergewöhnlich schlanke Beine sehen. Ihre Erscheinung hatte einen gewissen kühnen Schick.“ S. 9
Da beide aus ihrer finanziellen Misere keinen Ausweg sehen – verworfen werden die Kolonien, reiche Verwandte, eine Geldheirat, Stellungen sind nicht in Aussicht - wird kurzerhand ein Plan entworfen:
„ ‚Tommy, stürzen wir uns ins Abenteuer!‘
‚Warum nicht?‘, antwortete Tommy belustigt. ‚Wie macht man das?‘
‚Ja, da liegt eine gewisse Schwierigkeit. Wenn wir den richtigen Leuten bekannt wären, würden sie uns vielleicht anheuern und uns mit dem einen oder anderen Mord beauftragen.‘
‚Reizender Vorschlag! Und das von der Tochter eines Geistlichen!‘ “ S. 11
Zum Glück für uns entscheiden sie beide sich für folgendes Inserat: ‚Zwei junge Abenteurer suchen Beschäftigung. Bereit zu allem, gleich wo. Gute Bezahlung Voraussetzung. Unvernünftige Angebote werden berücksichtigt‘ S. 13.

Bevor Tuppence jedoch diese Anzeige aufgeben kann, wird sie von einem Mann angesprochen, der ihr aus dem Lokal gefolgt ist, weil er ihr Gespräch mithören konnte – er hat ein konkretes Angebot. Was sich daraus ergibt, beinhaltet den Super-Verbrecher Mr. Brown, politische Ränkeschmiede unter Bolschewisten, Geheimpapiere, die die USA und Großbritannien kompromittieren könnten und ein verschwundenes Mädchen, Jane Finn, die der Schlüssel zu allem sein soll. Zuerst jedoch verschwindet Tommy und es wird klar, dass wohl nicht nur Mr. Brown ein Deckname ist…

Zeitgeist:
„Ich kann Ihnen versichern, daß mir jede Unehrbietigkeit fernliegt“ sagt der Mann, der Tuppence im St. James Park anspricht. S. 14
Für 50 Pfund erhalten zwei Personen in London hors d’oeuvre, Hummer à l’américaine und Pfirsich Melba – und es bleibt noch Geld übrig… S. 20f., 300 Pfund sind ein Jahresgehalt S. 34
Ein Feindbild ist, dass hinter gegenwärtigen Schwierigkeiten bolschewistische Einflüsse vermutet werden S. 30
Vom Ritz kommt man in 30 min zur Waterloo Station mit dem Auto…
In einen möglichen Aufstand sind Iren verwickelt, Gewerkschafter, Deutsche,….
Es werden viele Telegramme verwendet, Notizbücher eingesetzt,… und das alles funktioniert hervorragend!

Veröffentlicht am 10.01.2017

„Die Einsamkeit in uns können wir nur gemeinsam überwinden.“ (S. 351)

Vom Ende der Einsamkeit
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„Vom Ende der Einsamkeit“ liest sich leicht herunter und vermag dabei zu berühren und anzurühren.


Die drei Geschwister Liz, Marty und Jules Moreau verlieren durch einen Unfall ihre Eltern, als sie selbst ...

„Vom Ende der Einsamkeit“ liest sich leicht herunter und vermag dabei zu berühren und anzurühren.


Die drei Geschwister Liz, Marty und Jules Moreau verlieren durch einen Unfall ihre Eltern, als sie selbst noch längst nicht erwachsen sind. Benedict Wells schildet aus Sicht des jüngsten, des Ich-Erzählers Jules, das Leben vor und nach dem Unfall, teils fortlaufend, teils in Rückblenden. Die Situation der Geschwister erinnert ein wenig an "Der Plan von der Abschaffung des Dunkels" (ohne dessen Gewalt), besonders die distanzierte, analysierende Position von Jules: Die Geschwister leben fortan in einem Internat, sie haben keine Freunde (mit Ausnahme des langjährigen Freunds Toni, selbst ein Außenseiter) „Weil wir nicht gelernt hatten, Freunde zu haben, weil wir immer uns drei hatten.“ (S. 125)

Jeder der drei Moreaus geht unterschiedlich mit dem Verlust um: Liz, die älteste, antwortet mit einem wahren Hunger, auf das Leben, Männer, Experimente mit Drogen und Jobs, Marty hingegen hat Zwangsneurosen und Ängste. Jules hat sein früheres Selbstbewusstsein verloren. Einzig der Mitschülerin Alva fühlt er sich verbunden – ohne nach deren eigenen Leid zu fragen. "Wir blieben an der Schwelle des jeweils anderen stehen und stellten keine Fragen." (S. 59) Beide haben einen Verlust erlitten und erfahren, dass das, was andere dazu sagen, oft nicht ankommt. Leider verharrt gerade Jules dadurch im Vermeiden: „Nie den Mut gehabt, sie zu gewinnen, immer nur die Angst gehabt, sie zu verlieren.“ (S. 121)
Wells wirft Fragen auf zum Thema Verlust und Liebe, dazu, was uns ausmacht, wonach wir unser Leben ausrichten anhand des inneren Monologs von Jules. „Ich stoße ins Innere vor und sehe ein Bild klar vor mir: wie unser Leben beim Tod unserer Eltern an einer Weiche ankommt, falsch abbiegt und wir seitdem ein anderes, falsches Leben führen.“ (S. 133). Erst in seinem Dialog mit Alva kommt er weiter. „Ich: ‘Dieses ständige Alleinsein bringt mich um.’ Alva: ‚Ja, aber das Gegengift zu Einsamkeit ist nicht das wahllose Zusammensein mit irgendwelchen Leuten. Das Gegengift zu Einsamkeit ist Geborgenheit‘.“ (S. 171)

Es ist Alva, an der und an deren Erkenntnissen Jules wächst: „Um sein wahres Ich zu finden, ist es notwendig, alles in Frage zu stellen, was man bei der Geburt vorgefunden hat. Manches davon auch zu verlieren, denn oft lernt man nur im Schmerz, was wirklich zu einem gehört…Es sind die Brüche, in denen man sich erkennt.“ (S. 276)
Der Autor schafft es, mit Sätzen, die in ihrer Sperrigkeit, die die Sperrigkeit gegenüber Gefühlen von Marty ist, Rührung auszulösen, ohne kitschig zu werden: „Es ist… Wir sind von Geburt an auf der Titanic.“ Mein Bruder schüttelt den Kopf, er fühlt sich bei solchen Reden unwohl. „Was ich sagen will: Wir gehen unter, wir werden das hier nicht überleben, das ist bereits entschieden. Aber wir können wählen, ob wir schreiend und panisch umherlaufen oder ob wir wie die Musiker sind, die tapfer und in Würde weiterspielen, obwohl das Schiff versinkt. So wie…“ Er sieht nach unten. „So wie Alva das getan hat.“ Mein Bruder will noch etwas hinzufügen, dann schüttelt er wieder den Kopf. „Tut mir leid, ich bin einfach nicht gut in so was.“ (S. 339)

So bleibt für Jules am Ende die Erkenntnis: „Noch stärker als meine Geschwister habe ich mich gefragt, wie sehr mich die Ereignisse aus meiner Kindheit und Jugend bestimmt haben, und erst spät habe ich verstanden, dass in Wahrheit nur ich selbst der Architekt meiner Existenz bin.“ (S. 337)

Ich habe spätabends nach der Lektüre in einem Rutsch noch dieses Buch mehrfach weiter empfohlen – ich denke, es ist einfach perfekt auch für diejenigen, die sonst alles meiden, was mit „anspruchsvoller Roman“ im Zusammenhang steht. Weniger ist "Vom Ende der Einsamkeit" ein künftiger „Meilenstein der Literaturgeschichte“ als vielmehr ein wunderschönes, gut geschriebenes Wohlfühl-Buch und fantastisch geeignet zum Genießen und Verschenken.

https://www.perlentaucher.de/buch/benedict-wells/vom-ende-der-einsamkeit.html