„Du ziehst an einer Seite an einem Faden, und auf der anderen Seite kippt jemand tot um“
Die Therapeutinwichtig: PSYCHOthriller (eher vielleicht „Psycho-Krimi“). Hier gibt es lange keine Morde, sondern erst einmal eine sich aufbauende unheimliche Stimmung. Einiges weiß auch nur der allwissende Erzähler. ...
wichtig: PSYCHOthriller (eher vielleicht „Psycho-Krimi“). Hier gibt es lange keine Morde, sondern erst einmal eine sich aufbauende unheimliche Stimmung. Einiges weiß auch nur der allwissende Erzähler. Und als es die erste Leiche gibt, geht es nicht um irgendwelche Folter-Sadisten, es gibt auch keine sexuelle Komponente. Diese Information ist für die, die genau das bei einem Thriller erwarten – oder auch definitiv nicht brauchen. Allerdings ist das, was die Patienten erlebt haben, schon teils heftig (auch sexuell).
Vermutlich hat alles nichts zu bedeuten. Siri fühlt sich beobachtet, aber wer würde schon extra zu dem einsamen Haus an der Küste kommen. Es liegt sicher eher daran, dass sie sich ohnehin nicht gut fühlt, seit ihr Mann Stefan vor einem Jahr beim Tauchen gestorben ist, oder an ihrem Alkoholkonsum. Und die Ängste im Dunkeln hatte sie schon seit der Kindheit, als eine ihrer Schwestern sie als Strafe eingesperrt hatte, ein Kinderstreich. Die Katze war ja auch sehr eigenständig, so ein Tier kommt gelegentlich einige Tage nicht vorbei. Doch Siri weiß nichts von dem Zelt.
Siri Bergmann, Doktor der Psychologie, Doktor der Psychotherapie, 35, teilt sich eine Praxisgemeinschaft mit ihrer besten Freundin Aina Davidsson sowie dem älteren Kollegen Sven Widelius. Der gute Geist ist Marianne. In ihrem beruflichen Leben unterstützt sie andere nach Kräften, wie Sara Matteus, die junge Frau mit einer schlimmen Kindheit, die magersüchtige Charlotte Mimer, die unbedingt alles kontrollieren will, oder Peter Carlsson mit seinen Gewaltphantasien. Leider kann sie nicht jedem helfen. Auch ihre eigenen Probleme müssten eigentlich angegangen werden. Doch als eine Leiche im Wasser vor ihrem Haus gefunden wird, sind die ihr geringstes Problem: sie kannte die Person!
Ich hatte mir diesen ersten Band der Reihe geliehen, weil ich Nummer 2, „Das Trauma“, daheim habe. Es sind Eindrücke der gegensätzlichen Art, die die Lektüre mit sich brachte. Zum einen mag ich diese unterschwellige Spannung, bei der man weiß, das wird nicht gut – ohne das unbedingt allzu viel passiert. Mir hat der Einblick in die Therapie-Sitzungen sehr gut gefallen, gerade auch, was Therapeuten „hinter den Kulissen“ selbst tun, um „vor den Kulissen“ ihre Arbeit mit den Patienten liefern zu können. Ich mochte Siri, das vor allem. Was ich nicht ganz so toll fand: das ganze Buch ist eher so angelegt, dass es dem Leser ziemlich klar ist, dass der Täter jemand sein muss, mit dem Siri zu tun hatte, und dass es um Rache geht, nicht um einen irgendwie wirren Stalker aus dem Nichts. Also ergibt sich erstens, dass der Täter eine der im Buch genannten Personen ist (eher eine Krimi-„whodunnit“-Situation), und zweitens, dass das Motiv irgendwie im Zusammenhang zu Siri zu finden ist. MIr war dieses Motiv extrem früh klar rein aus der Gewichtung im Text, das hätte irgendwie besser aufgebaut sein können – vielleicht, indem der unbekannte Stalker noch eine Option geblieben wäre, vielleicht auch durch eine geschicktere Erwähnung des Motivs (siehe Spoiler). Dafür hatte ich dann ganz lange keine Idee, wer es denn sein möge, der als Täter in Bezug zum Motiv steht; ich habe der Reihe nach fast alle verdächtigt. Die Spannung blieb also, wenn auch auf einem anderen Niveau. Dass Siri sich nicht ganz logisch verhält, konnte ich für mich halbwegs akzeptieren aufgrund ihres Verlusts. Sprachlich fand ich einiges eher passend zu einem Stil von Jugendlichen, oder diesen alten Berufsjugendlichen, die unbedingt hip klingen wollen („Hallo, das meine ich jetzt wirklich“-Stil, zum Beispiel). Mit einem Ermittler etwas anzufangen, war mit etwas zu vorhersehbar. Am meisten Probleme habe ich aber mit dem Ende – da hat jemand gezielt einen anderen Menschen umgebracht, auch wenn es in der Situation gereicht hätte, sich „nur“ zu wehren (was mir schon reicht, um hier mental auszusteigen), und beginnt hinterher eine Therapie, aber nicht deshalb?
Markus:
„Wir sitzen wohl alle im selben Boot.“
„Sie und ich?“
„Alle. Alle Menschen“, erklärt er und beißt in einen Apfel.
„Alles, was wir tun. All unsere Handlungen, die wir ausführen, ohne die Konsequenzen überschauen zu können. All die komplizierten Verbindungen zwischen den Geschehnissen, die Beziehungen zwischen den Menschen. Du ziehst an einer Seite an einem Faden, und auf der anderen Seite kippt jemand tot um. Die Schuld von niemandem oder von allen? Aber für mich ist die Absicht wichtiger als die Ursache. Die Usache ist etwas Mechanisches, die Absicht ist eine Richtung, eine eigene Kraft.“
Ich hatte Elemente dabei von 5 Sternen (die Therapiesitzungen) bis 2 Sterne (der Schluss, wie das Motiv eingebaut wurde). Ich gebe 3 Sterne. Ich bin nicht völlig enttäuscht, aber da ist noch Luft nach oben.
2 Das Trauma
3 Bevor du stirbstCamilla Grebe allein fand ich richtig toll in "Wenn das Eis bricht", aber auch da scheiden sich die Geister, weil es eher ruhig ist, mehr Psychodrama denn Psychothriller.
Spoiler: alles mögliche über Siri wird mehrfach und in größerer Tiefe beschrieben. Allein eine Person wird zwar erwähnt, auch als wichtig, aber dann nicht weiter ausgearbeitet. Preisfrage: wenn alle anderen genau beschrieben werden, was bedeutet das wohl?