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Veröffentlicht am 08.03.2019

Moses und das Schiff der Toten

Moses und das Schiff der Toten
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Stefan Moses sticht aus der Masse hervor, und sein Erscheinen sorgt für Irritationen. Hieran hat sich in fast fünfzehn Dienstjahren bei der Kriminalpolizei Hamburgs nichts geändert. Denn der elegant gekleidete ...

Stefan Moses sticht aus der Masse hervor, und sein Erscheinen sorgt für Irritationen. Hieran hat sich in fast fünfzehn Dienstjahren bei der Kriminalpolizei Hamburgs nichts geändert. Denn der elegant gekleidete Mann wurde in Afrika geboren, und nicht wenige begegnen ihm mit einer Mischung aus Anspannung und Misstrauen. Moses reagiert darauf mit einer gewissen Seelenruhe und Nonchalance.

Für einen neuen Fall werden er und seine Kollegen auf einen Spielplatz gerufen. Dort sitzt ein nackter Mann auf einer Bank, als würde er zur Schau gestellt werden. Auch die Todesursache gibt Rätsel auf. Offensichtlich ist der Mann im Meer ertrunken und dann nach Hamburg transportiert worden. Warum macht sich jemand die Mühe? Und was sind das für durchsichtige Kreaturen, die sich aus seinen Körperöffnungen herauswinden?

Moses ist ein akribischer Ermittler. Je schwieriger eine Nuss zu knacken ist, je raffinierter der Täter zu Werke geht, desto mehr genießt er die Jagd. Doch bei diesem Fall passt irgendwie nichts zusammen, und trotz einiger Spuren erweist sich deren Verfolgung als Sackgasse. Wenn es nur das wäre. Zurechtkommen muss Moses auch damit, dass sein Chef ihm höchstpersönlich eine neue Mitarbeiterin aufs Auge drückt.

Und noch etwas beunruhigt Moses: Eine innere Stimme sagt ihm, dass ihn dieser Fall an seine persönlichen Grenzen führt…


„Moses und das Schiff der Toten“ ist eine klassische Kriminalgeschichte, die von einem Zusammenspiel aus Ermittlungsarbeit und privaten Gegebenheiten der agierenden Personen lebt.

Ortwin Ramadan baut den Fall gekonnt auf, bietet eine durchdachte Handlung an realen Hamburger Schauplätzen und unter anderem einen wirklichkeitsnahen Einblick in die tägliche Routine der Kriminalkommissare, die oft von einer eintönigen Spurensuche geprägt ist. Der Autor schlägt einen wohltuend ruhigen Ton an, der zur Hansestadt und ebenso zum Ermittlerteam passt. Ferner wird der Roman sprachlich in annehmbar menschlicher Weise erzählt, mit wenigen Abstrichen wegen einiger Wiederholungen und grammatikalischer Fehler.

Moses und seine Kollegen sind trotz mancher Reibungen untereinander ein eingespieltes Team. Frischen Wind erhält das Ganze durch die Neue, Katja Helwig, die sich nach drei Jahren beim Mobilen Einsatzkommando (MEK) versetzen ließ und auffällt, nicht nur weil sie sich das eine oder andere Mal im Ton vergreift oder mit schnellen Urteilen reagiert.

Mit fortschreitenden Ereignissen erhöht Ortwin Ramadan den Spannungsfaktor und setzt auch in Puncto Emotionalität eine Schippe drauf. Das kommt genauso gut an wie das Ringen von Moses um Bekenntnisse in seiner Beziehung zu Juliane und die Auseinandersetzung mit einer Vergangenheit, von der er Albträume hat.

„Nichts war grausamer als die Stille davor. Wenn die Welt in einem einzigen stummen Schrei erstarrte und die Angst seine Seele fraß, bis allein das rasende Tier in ihm übrig blieb.“

Der Autor offeriert insbesondere mit Stefan Moses und Katja Heil interessante und ungewöhnliche Ermittler. Es ist die dunkle Hautfarbe von Moses, die bei einigen unverhohlene Abneigung hervorruft. Damit hat er gelernt umzugehen, und es gibt wenig, was ihn in Rage versetzt. Fehlende Loyalität beispielsweise.

Nach dem Unfalltod seiner Adoptiveltern ist er über Nacht zu einem wohlhabenden Mann geworden, der sich im Grunde nichts aus materiellen Dingen macht, lediglich das in den 1920er-Jahren erbaute Mietshaus am Ende der Forsmannstraße in Winterhude kaufte. Keiner der Mieter ahnt allerdings, dass dem schwarzen Polizist aus der Dachwohnung das Haus gehört.

Auch Katja Helwig entspricht so gar nicht dem Bild einer herkömmlichen Kriminalbeamtin, trägt sie doch Piercings und rappelkurze Haare. Zudem ist ihr familiärer Hintergrund – das Aufwachsen im Plattenbau bei alkoholkranken Eltern – äußerst prekär. Sie neigt in Fällen, in denen sie das subjektive Gefühl hat, ungerecht behandelt zu werden, zu diffusen Aggressionsschüben, etwas, das Moses überhaupt nicht gebrauchen kann. Entsprechend lässt sich die Zusammenarbeit zunächst nicht optimal an.

Die Nebenfiguren haben Potential, allein beim Polizeidirektor überzieht der Autor. Als Mann, der sich überaus wichtig nimmt, großspurig verhält und vor allem am eigenen Erfolg interessiert ist, wird er in ein stereotypes Bild gepresst, auf das eher verzichtet werden kann.

Insgesamt aber legt Ortwin Ramadan einen lesenswerten, traditionellen Kriminalroman vor, der mit Lokalkolorit und unkonventionellen Protagonisten punktet, die sich für den nächsten Fall noch ein paar ungelöste Geheimnisse bewahren.

Veröffentlicht am 03.03.2019

Friends. Küssen unmöglich

Friends
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Judith ist Anfang Dreißig, als sie das Schicksal doppelt trifft. Erst stirbt ihr Mann bei einem Lawinenunglück, zur gleichen Zeit erleidet ihr Vater einen Herzanfall und fällt ins Koma. Die junge Frau ...

Judith ist Anfang Dreißig, als sie das Schicksal doppelt trifft. Erst stirbt ihr Mann bei einem Lawinenunglück, zur gleichen Zeit erleidet ihr Vater einen Herzanfall und fällt ins Koma. Die junge Frau vergräbt den Kummer in sich und verbannt jegliche Gefühle, die über die zu ihrer Tochter Vicky hinausgehen. "Eiskönigin" nennen sie die Menschen in ihrem Heimatort.

Doch da ist noch ihr bester Freund Leon, den sie bereits ihr halbes Leben kennt und mit dem sie die Begeisterung für den Skisport teilt. Er gibt ihr Halt und sich sehr viel Mühe, den Frohsinn wieder in Judys Dasein zu bringen.

Und plötzlich spürt Judy mehr als nur freundschaftliche Verbundenheit. Ja, vielmehr zieht ihr Herz sehnsuchtsvoll zu Leon. Aber kann sie ihrem Verlangen nachgeben? Oder ist Küssen unter Freunden unmöglich?


Tina Eugen schlägt in „Friends – Küssen unmöglich“ einen einfachen Erzählton an und umreißt mit detaillierten Bilder von einem winterlichen Skigebiet die vorhandenen Örtlichkeiten und Gegebenheiten. Beides ermöglicht es dem Leser, sich schnell in die Ereignisse hineinzufinden.

Bedauerlicherweise gewinnt die Geschichte nur langsam an Fahrt, hält sich im ersten Drittel mit vielen eher unwichtigen Beschreibungen auf und wirkt auch später an manchen Stellen etwas ausschweifend. Hingegen sind die Protagonisten von glaubhafter Natur und verschaffen dem Geschehen eine solide Basis.

Es gelingt der Autorin gut, ein Bild von Judith als Frau zu vermitteln, die das Schicksal gebeutelt hat. Während sie viele traurige, bange, ja wütende Momente heimsuchen und sie mit der Hilflosigkeit und Verzweiflung ebenso zurechtkommen muss, den der Tod eines geliebten Menschen mit sich bringt, beherrscht sie ihre Trauer durch ein erhöhtes Arbeitspensum. Obwohl der Wunsch von Judith, ihr altes, fröhliches Leben wieder zurückzubekommen, in ihr schlummert, fehlt es an einem Durchbruch, wieder die beschwingte und ein wenig verrückte Judith zu werden. Auch wenn ihre Tochter Vicky und ihr bester Freund Leon zu den wichtigsten Bezugspersonen gehören und ihr Kraft geben, weiterzumachen.

Tina Eugen findet eine wunderbare Beschreibung: Leon ist Judiths Lebensmensch. Tatsächlich kann Leon mit seiner Geduld, Sanftmut und gleichzeitigen Unbeschwertheit Judith ohne Drängen aus ihrer selbst gewählten Eishöhle locken und an tief greifende Gefühle rühren. Etwas, worauf er schon viele Jahre gewartet hat.

Während die Emotionen, die bei Judith in Bezug auf Leon entstehen und intensiviert werden, eine nachvollziehbare Darstellung erfahren, mangelt es daran, Verständnis zu entwickeln, warum Judith sich nach dem Tod ihres Mannes zunächst zur Eiskönigin wird und zehn Monate danach zweifelt, eine Beziehung mit Leon eingehen zu können. Denn so eitel Sonnenschein war die Ehe zwischen ihr und Peter nicht. Vielmehr liegen in der Vergangenheit so einige Geheimnisse verborgen.

Sind alle Hürden „umfahren“, bieten die Geschichte trotz einiger Stolpersteine eine lebendige, kurzweilige, manchmal mit Humor versetzte Unterhaltung.

Veröffentlicht am 26.02.2019

Deine Stimme in meinen Träumen

Deine Stimme in meinen Träumen
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Um in der Nähe ihres Freundes Stefan zu sein, der ein Küchenstudio seiner Eltern leitet, zieht Christine wieder nach Schutzingen, obwohl sie in ihre Heimatstadt, die sie als als provinziell und kleingeistig ...

Um in der Nähe ihres Freundes Stefan zu sein, der ein Küchenstudio seiner Eltern leitet, zieht Christine wieder nach Schutzingen, obwohl sie in ihre Heimatstadt, die sie als als provinziell und kleingeistig empfindet, nie zurückkehren wollte. Aber seit sie Stefan kennt, hat sich einiges verändert. Sie genießt das Zusammensein mit ihm, weil sie sich auf ihn verlassen kann und endlich Wurzeln schlagen will. Trotzdem hat sie manchmal das Gefühl, in einem Wartesaal zu sitzen und noch nicht wirklich angekommen zu sein.

Die Rückkehr nach Schutzingen ist jedoch von Vorteil, kann sie so des Öfteren ihre Großmutter Elisabeth besuchen, die in einem ortsansässigen Pflegeheim lebt. Denn Christine ist ihrer Großmutter innig verbunden, war diese ihr in der Kindheit und Jugend vielmehr Mutter als ihre eigene und hat sie bei der Verwirklichung ihrer Träume immer unterstützt.

Viel gemeinsame Zeit erhält Christine indes nicht, Elisabeth stirbt und hinterlässt in den Unterlagen, die sie ihrer Enkelin vermacht, niemals abgeschickte Briefe an ihre große Liebe Wilhelm mit der Bitte, eben jene Briefe dem Empfänger zu übergeben und wenn das nicht möglich ist, an seinem Grab abzulegen. Wie sich herausstellt, müsste Christine dazu allerdings nach Kanada reisen.

Zu Christines Bedauern zeigt sich Stefan überhaupt nicht begeistert. Gerade jetzt ist Christine als Mitarbeiterin im Küchenstudio fest eingeplant, zumal Stefans Eltern von der potentiellen Schwiegertochter angetan sind.

Doch entgegen der an sie gerichteten Erwartungen entscheidet sich Christine, den Wunsch ihrer Großmutter zu erfüllen. Sie beweist gegenüber Stefan Rückgrat und fliegt für zwei Wochen nach Montreal. Auf der Suche nach Wilhelm lernt sie dessen Enkelsohn Robert, einen Schriftsteller und Maler, kennen. Um aber die Briefe auf das Grab des bereits verstorbenen Wilhelms legen zu können, muss Christine nach Vancouver und folglich viertausend Kilometer durch Kanada reisen...


Joanna Martin hat für „Deine Stimme in meinen Träumen“ einen sehr ruhigen Erzählton gewählt. Die Geschichte, die zwei Handlungssträngen folgt, ist mit leicht zu lesenden Sätzen und Worten aufgebaut und lässt nur langsam die Zurückhaltung im Tempo hinter sich. Erst als Christine in Kanada ist, entwickelt sich das Geschehen mit zunehmender Geschwindigkeit und Intensität. An dieser Stelle gelingt es der Autorin, dank ihrer eingehenden Beschreibungen auf die Schönheit Kanadas aufmerksam zu machen.

Es fällt auf, dass Christine zunächst eine äußerst unsichere, unaufdringliche, fast kleinbürgerliche Frau ist, die sich an solide und feste Konstante klammert und keinesfalls das Abenteuer sucht. Im Verlauf der Ereignisse wird mehr Schwung sichtbar, und Christine taut insbesondere nach der Begegnung mit Robert auf. Sie beginnt ihr bisheriges Leben und vor allem auch die angestrebten Ziele zu hinterfragen. Leider ist dies immer wieder von Zweifeln, Hemmungen und einer Unentschlossenheit begleitet, die sich in ihrer Bündelung als Herausforderung für den Leser darstellen. Auch wenn unschlüssige Heldinnen durchaus ihre Berechtigung habe, braucht es Geduld, um mit der fehlenden Entscheidungsfähigkeit von Christine zurecht zu kommen.

Leider bleibt auch die Entwicklung der Gefühle insgesamt hinter den Erwartungen zurück und berührt in reduziertem Maße. Recht schnell ist klar, dass Christine sich zwischen zwei Männern und damit zwei Welten befindet. Einerseits Stefan, bodenständig zwar, aber auch ein wenig pedantisch und eintönig. Andererseits Robert, ein Künstler und Freigeist ohne den Hang zur Vergeistigung, der Christines eigene Träume des Schreibens unterstützt.

In die Haupthandlung hat Joanna Martin die Briefe eingegliedert, die die Liebesgeschichte von Elisabeth und Wilhelm schildern. Zwar tritt die eine oder andere Ungenauigkeit auf, dafür erhalten die beiden schnell einen Platz im Leserherz. Hier vermag es die Autorin, Emotionalität gut zu transportieren.

„Deine Stimme in meinen Träumen“ ist unaufgeregte Unterhaltung, die zu einem entspannten Leseerlebnis beiträgt.

Veröffentlicht am 20.02.2019

Die Rose des Herzogs

Die Rose des Herzogs
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Marita Spang hat sich in den letzten Jahren als Autorin historischer Romane etabliert und in die Riege derjenigen eingereiht, die den Hintergrund mit bewundernswerter Ernsthaftigkeit recherchieren und ...

Marita Spang hat sich in den letzten Jahren als Autorin historischer Romane etabliert und in die Riege derjenigen eingereiht, die den Hintergrund mit bewundernswerter Ernsthaftigkeit recherchieren und eine gelungene Mischung aus Wahrheit und Fiktion präsentieren.

Nun hat sie zum zweiten Mal einen Stoff mit einem wirklichkeitsnahen Geschehen gewählt. Denn „Die Rose des Herzogs“ – Charlotte de Rohan-Rochefort – lebte tatsächlich, genauso wie ihre große Liebe Louis-Antoine, Herzog von Enghien, und jene anderen Persönlichkeiten, die neben einigen erdachten Figuren in diesem geschichtsträchtigen Roman eine Rolle spielen.

Es kommt damit einem kleinen Denkmal gleich, das Marita Spang dieser in der Historie eher unbekannten Frau setzt, während ihr Geliebter zu sehr traurigem Ruhm gelangte. Mit außerordentlichem Gespür für feine Nuancen in der Sprachfindung der damaligen Zeit schildert sie unter anderem das Schicksal eines Paares, welches eng mit dem seines Heimatlandes und dessen Bevölkerung verbunden ist.

Im Frankreich des ausgehenden Jahrhunderts brodelt es. Die Unterschiede zwischen herrschender Klasse und den einfachen Menschen treten immer deutlicher zutage. Während die einen auf Kosten der anderen Unsummen verprassen und zudem ein dekadentes Leben führen, wissen viele nicht, wovon sie sich und ihre Familien ernähren sollen. So nimmt die Geschichte ihren Lauf: Die Menschen gehen auf die Barrikaden und setzen mit dem Sturm auf die Bastille, dem Beginn der Französischen Revolution, 1789 dem Königtum von Ludwig XVI. und dem Ancien Régime ein Ende.

In den Wirren des Septembermassaker von 1792 verliert die hübsche Prinzessin Charlotte de Rohan-Rochefort ihren Verlobten Vincent und flieht wie viele andere Adelige ins Exil nach Ettenheim im Badischen.

Obwohl Charlotte geschworen hat, sich niemals wieder zu verlieben, gelingt es dem fünf Jahre jüngeren Louis-Antoine von Enghien, durch hingebungsvolle Hartnäckigkeit ihr Herz zu erobern. Doch der Großvater des Herzogs lehnt es ab, einer Heirat der beiden zuzustimmen und versucht mehrmals, seinen Enkel aus politischen Kalkül und zur Sicherung der Stammeslinie zu verheiraten.

Trotzdem können die beiden ihre Liebe und die Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft über viele Jahre zu bewahren...

Marita Spangs Darstellung des Geschehens folgt im Großen und Ganzen der Geschichte und ist glaubwürdig sowie mit vielen kleineren Details ausgeschmückt, die das Bild stimmig abrunden. Dazu tragen ein umfassendes Personenregister sowie ein ausführliches Nachwort mit Zeittafel, Karten, Glossar und Quellenverzeichnis ebenfalls bei.

Im ersten Drittel des Romans erlaubt sich die Autorin ein paar Freiheiten, wenn sie Vincent, den Geliebten von Charlotte, „erfindet“. Dieser Teil ist für die Entwicklung von Charlotte von Bedeutung, die Schilderung der revolutionären Ereignisse erfolgt emotional und sehr deutlich. Allerdings ist er ein wenig weitschweifig erzählt, wodurch der Lesefluss stockt.

Ihre Protagonisten versieht die Autorin mit ausgefeilten Charakteren, die Stärken aufweisen, gleichwohl Schwächen nicht vermissen lassen.

Während bei Charlotte Warmherzigkeit Offenheit und Beharrlichkeit auf Nachgiebigkeit treffen, prägen Louis-Antoine Unerschrockenheit, Mut, Loyalität und eine gewisse Unbedenklichkeit. Aber der junge Herzog ist niemand, der sein Mäntelchen in den Wind hängt.

Beide sind sich ihrer gesellschaftlichen Stellung durchaus bewusst und halten an ihren Idealen von Ehre und Treue fest, wissen dabei indes auch die „einfachen“ Menschen zu schätzen. Sie sind zudem in der Lage, sich mit den nach der auf die Revolution folgende Schreckensherrschaft, den Auseinandersetzungen zwischen der Revolutionsarmee und den Royalisten, den nach der Machtergreifung von Napoleon Bonaparte eintretenden Umbrüchen und neuen Gegebenheiten auseinanderzusetzen und im Rahmen der Möglichkeiten anzupassen.

Im Gesamtergebnis bietet Marita Spang die Beschreibung einer wahrhaftigen Liebe, die sich in der Tiefe und Tragik mit jeder erdichteten messen kann.

Veröffentlicht am 06.02.2019

Rodrigo Raubein und Knirps, sein Knappe

Rodrigo Raubein und Knirps, sein Knappe
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Knirps, der eigentlich Hastrubel Anaximander Chrysostomos heißt und bisher braves Kind seiner Eltern gewesen ist, hat mächtige Träume: Ein Raubritter möchte er werden, genauso gefürchtet wie sein Vorbild ...

Knirps, der eigentlich Hastrubel Anaximander Chrysostomos heißt und bisher braves Kind seiner Eltern gewesen ist, hat mächtige Träume: Ein Raubritter möchte er werden, genauso gefürchtet wie sein Vorbild der berüchtigte Rodrigo Raubein. Er will frei sein und Abenteuer erleben und glaubt, dass er das mit Mama und Papa Dick, ihres Zeichens biedere Puppenspieler, auf keinen Fall kann. Sie sind einfach zu verschieden. Während Knirps sich vor nichts fürchtet, fürchten seine Eltern sich vor fast allem. Und während Knirps alles verändern will, wollen die Dicks, dass alles so bleibt, wie es ist.

Eines Tages hat Knirps genug, und da er keine Angst kennt, macht er sich auf den Weg, um Seeungeheuer zu reiten, Eisriesen unter den Tisch zu trinken und mit dem Teufel Karten zu spielen.

Das Ziel seiner Reise: die Schauderburg auf dem Haarzuberg im Bangewald. Doch hier erwartet Knirps eine Überraschung. Raubritter Rodrigo Raubein, dessen Namen die Menschen nur hinter vorgehaltener Hand und in flüsterndem Ton aussprechen, weil schon seine Erwähnung als gefährlich gilt, scheint so gar nicht angetan von der Absicht des Jungen, sein Knappe werden zu wollen.

Was Knirps nicht ahnt, Rodrigo Raubein ist alles andere als das, was die Leute glauben oder vielmehr, was er sie glauben machen will. Denn in Wahrheit kann der Ritter keiner Fliege etwas zuleide tun, ja ist ein sehr ängstlicher Mensch und in der Seele zart wie ein Gänseblümchen. Er züchtet Kakteen, versorgt sich mit den Früchten aus seinem Gemüsegarten und möchte bloß von den Menschen in Ruhe gelassen werden. Deshalb veranstaltet er den ganzen Zinnober mit düsteren Gruselgeschichten und den entsprechenden Hinweisen und Skeletten rund um seine Schauderburg.

Obwohl er ihn eigentlich sympathisch findet, will er Knirps bald wieder loswerden. Und so erhält Knirps den Auftrag, alleine und ohne fremde Hilfe eine möglichst gefährliche Untat zu begehen, um sich als Knappe eines Raubritters würdig zu erweisen. Knirps wäre nicht Knirps, wenn er nicht genau das in Angriff nehmen würde...


„Rodrigo Raubein und Knirps, sein Knappe“ stammt aus der Ideenschmiede von Michael Ende. Drei Kapitel seiner Geschichte hat er vor seinem Tod geschrieben. Nach vielen Jahren wurde sie Wieland Freund in gelungener Art und Weise mit viel Schwung, Kreativität und einen schelmischen Stil, der dem des verstorbenen Autors ähnelt, ohne diesen zu imitieren, zu Ende erzählt.

Die Geschichte ist, obwohl immer wieder betont wird, dass sie im finsteren, ja kohlpechrabendusteren Mittelalter spielt, in ihrem Kern farbenfroh und sprachlich ausdrucks- und stimmungsvoll, für Kinder und Erwachsene gleichermaßen anregend.

Genauso stellen sich die Figuren dar, nicht nur was ihre Charakterisierung betrifft, sondern gleichermaßen die bildgemäße Umsetzung. Es gelingt der Illustratorin Regina Kehn, ihre Zeichnungen der Vorlage anzupassen, ohne dass diese immer punktgenau zu treffen. Vielmehr bewegen sie sich in einem Spielraum, die die eigene Vorstellung anregen. Zudem verpasst Regina Kehn einigen Szenen eine witzige oder gar moderne Note, wenn beispielsweise Basecap, Reithelme und Erste-Hilfe-Tasche ihren Einsatz finden. Daher sind sowohl beim Lesen als auch Anschauen der Bilder Spaß und Augenzwinkern gesichert.

Knirps als eine der Hauptfiguren ist kein wirklicher Held, weil er keine Angst kennt. Er begreift im Verlauf des Geschehens, dass erst derjenige mutig ist, der Angst hat und seine Angst überwindet. „Sie lehrt ihn, die guten von den bösen Taten zu unterscheiden… Um böse zu sein, braucht man keinen Mut. Mut braucht man nur für das Gute.“ (Seite 162)

Natürlich existiert auch ein richtiger Schurke in der Geschichte, und der machthungrige Zauberer Rabanus Rochus darf seine Biestigkeit ordentlich ausleben. Ach ja, einen Gehilfen, den bösartigen und ein wenig tumben Drachen Wak, gibt es außerdem.

Nicht vergessen seien der weise Medicus Padrubel und dann noch Filipa Annegunde Rosa, eine Prinzessin aus Überzeugung, immer und mit jeder Faser ihres Herzens. Sie kann nichts so schnell erschüttern, und sie lässt nichts gefallen. Aber Flip ist auch eine Prinzessin mit vielen klugen Ideen und Überlegungen. „Wer lügt, sagt mit Absicht die Unwahrheit über etwas, das in Wirklichkeit ganz anders ist. Wer eine Geschichte erzählt, sagt hingegen die Wahrheit, selbst wenn er die Wirklichkeit dabei ein bisschen verdreht. Er sagt auf eine komplizierte Weise die Wahrheit. Obwohl er es manchmal selber nicht weiß.“ (Seite 97)

Sokrates muss ebenfalls noch erwähnt werden. Was wäre die Geschichte ohne den fast hundertjährigen sprechenden Papageien, der immer wieder nachdenklich die Ereignisse begutachtet.

Sie alle bilden eine vielfältige, lebensfrohe (ausgenommen vielleicht der melancholische König Kilian der Letzte, der den Frohsinn erst wieder lernen muss) und schillernde Figurentruppe, in der letzten Endes jeder seinen Platz findet. Bis auf Rabanus Rochus. Gerechterweise.