Die List der Grafentochter
Die List der GrafentochterDas frühe Mittelalter übt auf mich eine besondere Anziehung aus. Dabei ist der hierin zu erforschende historische Hintergrund eine Herausforderung, weil die vorhandenen Materialien doch eher spärlich sein ...
Das frühe Mittelalter übt auf mich eine besondere Anziehung aus. Dabei ist der hierin zu erforschende historische Hintergrund eine Herausforderung, weil die vorhandenen Materialien doch eher spärlich sein und Informationen sich vor allem auf große Namen beschränken dürften.
Isabel Voss hat sich dieser Aufgabe angenommen und sie gut gemeistert. „Die List der Grafentochter“ ist ein in gefälliger Art und Weise geschriebener historischer Roman, in dem uns ausgehend von einer genauen Recherche Geschichte und weit zurückliegende Ereignisse mit spürbarer Erzählfreude näher gebracht und wir auf ungewöhnliche Persönlichkeiten – einst tatsächlich existierende und fiktive – aufmerksam gemacht werden.
Die stellenweise lebhafte und abenteuerliche Handlung und die Entwicklung der einzelnen Charaktere sind nachvollziehbar gestaltet, binden uns als Leser in das Geschehen ein und bauen deutliche Möglichkeiten für Sympathie und Antipathie auf.
Die Autorin hat mit der Hauptfigur, der thüringischen Grafentochter Gunhild, eine bemerkenswerte junge Frau gewählt, die im Jahr 785 nicht nur im familiären Umfeld souverän agiert, sondern auch auf „politischer“ Ebene sowohl im in Teilen schwierigen Umgang mit dem Männern in Führungspositionen wie auch gekrönten Häuptern einen bleibenden Eindruck hinterlässt. Und dies durchaus im Bewusstsein, welchen Platz sie als Frau in der Hierarchie einnimmt.
Dabei wird Gunhild der herausragende Vorzug zuteil, dass sie als Tochter eines thüringischen Grafen von diesem sehr geschätzt und mit entsprechenden Aufgaben betraut wird. Zwar ist ihr Vater Hardrad eine historische Person, er wurde jedoch wie einige weitere Figuren von der Autorin zu Gunsten der Ereignisse verändert.
Ich gebe allerdings zu, dass ich ein wenig an Gunhilds Perfektionismus kratzen möchte, damit eine kleine Schwäche zu Tage tritt. Denn auch eine erstaunliche Grafentochter von Gunhilds Format sollte nicht nur mutig, klug, weitsichtig und (willens)stark sein.
Außerdem betrachte ich die Darstellung von Empfindungen insgesamt als sehr zurückhaltend. Diesbezüglich wird die Vorstellung vor allem von meinen eigenen Wünschen und Hoffnungen (mit) getragen.
Unabhängig davon greift Isabel Voss in ihrem Roman Konflikte auf, die sich aus der Führung eines umfassenden Reiches ergeben. Im Mittelpunkt steht Karl der Große, der im Jahre 800 zum Kaiser gekrönt wird und der seine Ziele, seine Macht auszubauen, das Reich der Franken zu vergrößern und das Christentum zu verbreiten, zu seinen Lebzeiten in hohem Maße verwirklichen konnte.
Auch aus diesem Grund ist „Die List der Grafentochter“ eine lohnende und mit beachtlichem Unterhaltungswert verbundene Lektüre.