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Veröffentlicht am 02.08.2017

Claire vom Meereslicht

Kein anderes Meer
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Mit ihrem Roman „Kein anderes Meer“ nimmt Edwidge Danticat uns mit auf eine Reise in ihre Heimat Haiti und lässt uns nicht nur teilhaben an haitischem Dasein und haitischer Kultur, sondern bietet einen ...

Mit ihrem Roman „Kein anderes Meer“ nimmt Edwidge Danticat uns mit auf eine Reise in ihre Heimat Haiti und lässt uns nicht nur teilhaben an haitischem Dasein und haitischer Kultur, sondern bietet einen tiefgründigen Einblick in das Leben der Menschen. Die von ihr geschaffenen Charaktere geben in ihrer Vielfalt ein Bild der fiktiven Stadt zwischen Meer und Bergen wider: Ville Rose – ein Name wie Musik, und doch befindet er sich im krassen Gegensatz zu seinen Bewohnern, die aus einer kleinen Minderheit von Mittel- und Oberschicht sowie der großen Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze bestehen, die um das tägliche Überleben kämpfen. Ein Ort unermesslicher Schönheit und außerordentlichen Elends.

Im Mittelpunkt steht auf den ersten Blick Claire Limyè Lanmè, was Claire vom Meereslicht heißt - "Claire of the Sea Light" ist der Originaltitel des Romans. Er beginnt mit Claires siebtem Geburtstag. An diesem Tag versenkt eine drei oder vier hohe Monsterwelle den Fischer Caleb mitsamt seinem Kutter. Claire lebt mit ihrem Vater Nozias, ebenfalls Fischer, in einer winzigen Hütte. Ihre Mutter ist bei ihrer Geburt gestorben, und so sind ihre Geburtstage jedes Jahr nicht nur glückliche Tage, sondern auch immer solche der Trauer. Die ersten drei Jahre wird Claire von Verwandten ihrer Mutter großgezogen. Dann holt Nozias seine Tochter wieder zu sich, um sich selbst der Herausforderung zu stellen, sein Kind von seinem dürftigen Einkommen zu versorgen. Und obwohl es ihm nicht an elterlicher Liebe oder Verantwortung und gutem Willen fehlt, erkennt er die Hoffnungslosigkeit seines Unterfangens, Claire eine sorgenfreie Existenz bieten zu können. Aus diesem Grund entscheidet er sich, Gaëlle, die Besitzerin des Stoffladens, zu überzeugen, Claire zu adoptieren. Denn aus seiner Sicht ist es das Beste, ein neues Elternteil zu finden, dem er vertraut, sich um Claire zu kümmern. Er selbst will auf der Suche nach einer besser bezahlten Arbeit fortgehen.

An diesem siebten Geburtstag stimmt Gaëlle zu, Claire zu sich zu nehmen; am Abend verschwindet Claire, und erst im letzten Kapitel erfahren wir, was mit ihr passiert. Bis dahin porträtiert die Autorin andere Bewohner der Stadt, und im Verlaufe dessen wird deutlich, dass im Grunde Ville Rose in ihrer menschlichen Vielfalt, brutalen Realität und miteinander kollidierenden Schicksalen die eigentliche Protagonistin des Romans darstellt.

Da ist die Stoffhändlerin Gaëlle, die als Spiegel für Nozias wirkt. Auch ihr Leben ist von Verlusten geprägt. Am Tag, an dem sie ihre Tochter Rose auf die Welt bringt, wird ihr Mann Laurent ermordet. Sieben Jahre später – es ist der vierte Geburtstag von Claire – stirbt Rose bei einem Autounfall.

Bernhard Dorien, der in Cité Pendue, einem armen, gefährlichen Außenbezirk von Ville Rose, dem „ersten Höllenkreis“, zu Hause ist und dessen Idealismus und die Verbindung zu Tiye, dem berüchtigten Anführer der Bande Baz Benin, schreckliche Konsequenzen für sein Leben und das von Gaëlle haben.

Bernards enger Freund Max Ardin Junior, ein wohlhabender junger Mann, der vor zehn Jahren ein Kind zeugte, von seinem Vater Max Senior nach Miami geschickt wurde, nun nach Haiti zurückkehrt und mit seiner Schuld konfrontiert wird.

Louise George, eine bekannte und beliebte Radiomoderatorin, Lehrerin von Claire in der Schule von Max Ardin Senior und zeitweise desssen Geliebte, mit dem sie eine Rechnung offen hat. Sie ermöglicht es Bürgern von Ville Rose, in ihrer populären Radiosendung die eigene Geschichte zu schildern...

Edwidge Danticats Protagonisten sind fehlerhaft, aber menschlich, handeln auf einem schmalen Grad zwischen richtig und falsch. Während Nozias sich beispielsweise gezwungen sieht, seine Tochter aufzugeben, obwohl er sie eigentlich nicht verlieren möchte, muss Claire als Vertreterin vieler Kinder mit der Entscheidung leben, die andere Menschen für ihre Zukunft treffen.

Durch die verschiedenen Geschichten zeigt die Autorin eine Stadt, die von Gewalt, Leid und Tod, Korruption, Klassenunterschieden und sozialen Tabus geprägt ist, in der es jedoch durchaus auch Hoffnung, Träume, Liebe und Versöhnung und gute Absichten gibt.

Insgesamt ist der Tod - einerlei, ob er natürlichen, zufälligen oder kriminellen Ursprungs ist - in Ville Rose eine konstante und alltägliche Größe. Er taucht immer wieder in den Geschichten auf und verknüpft sie zum Teil miteinander. Leben und Tod stehen sich kontinuierlich gegenüber, wodurch die Autorin gleichzeitig die Fragilität des Lebens im Angesicht des Todes hervorhebt.

Danticats Roman ist geprägt von einem ruhigen Erzähltempo, ihre Sprache zeigt sich schnörkellos und klar, gleichwohl kraftvoll, poetisch und von enormer Tiefe. Sie verwendet sie, um komplizierte Verbindungen zu knüpfen, wenn sie sowohl Schönheit als auch Schrecken beschreibt. Die Einflechtung kreolischer Redewendungen und Worte schaffen den Reiz einer fremden Welt, erschweren allerdings zugleich das eine oder andere Mal das Lesen und Verständnis.

In ihrer Weise des Erzählens fordert uns die Autorin. Es erfolgt keine chronologische Abfolge. Vielmehr bewegt sich die Handlung von der Gegenwart bis zur nahen Vergangenheit, geht in die ferne Vergangenheit, um wieder in die Gegenwart zurückzukehren. So beginnt und endet die Geschichte mit Claires Geburtstag und damit nicht nur dem Todestag ihrer Mutter.

Am Schluss ihres eindrucksvollen und komplexen Romans erlaubt die Autorin ein wenig Zuversicht, unsicher zwar, aber vorhanden. Und daran möchten wir festhalten.

Veröffentlicht am 23.07.2017

Ein Wildblumenwiese mit Disteln

Wildblumensommer
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Schon einmal erhielt Zoe eine Nachricht, die ihr Leben veränderte. War es vor 14 Jahren der Tod ihres Bruders Chris, der sie aus der Bahn geworfen hat, ist es nun ein Aneurysma in ihrem Kopf.

Doch bevor ...

Schon einmal erhielt Zoe eine Nachricht, die ihr Leben veränderte. War es vor 14 Jahren der Tod ihres Bruders Chris, der sie aus der Bahn geworfen hat, ist es nun ein Aneurysma in ihrem Kopf.

Doch bevor sie die Entscheidung trifft, ob sie sich operieren lässt, reist sie zurück nach Penderak in Cornwall, jenem Ort, mit dem sie neben Unglück zugleich die große Liebe verbindet. Jack. Hier will sie dem Tod ihres Bruders auf dem Grund gehen und endlich herausfinden, warum dieser gestorben ist.

So nimmt sie Kontakt zu Rose auf, nicht nur Jacks Schwester, sondern einst auch ihre beste Freundin. Als dreifache alleinerziehende Mutter stemmt Rose einiges, und da sich die Gelegenheit bietet, während Zoe in Roses Haus wohnt, fährt diese nach London für eine Zeit ohne Kinder und die alltäglichen Sorgen.

Was Zoe bei ihrer Rückkehr nicht bedacht hat, ist, dass Jack wieder in Penderak lebt. Nach Jahren in Kanada baut er sich hier eine neue Existenz für sich und seinen Sohn William auf.

Das Wiedersehen ist nicht euphorisch. Zu tief sitzen die Gefühle, die nicht frei von Enttäuschung, Wut und sogar Hass sind. Aber ist auch die Liebe auf immer verloren?

Indes lernt Rose in London Simon kennen, einen smarten, erfolgreichen und ledigen Anwalt. Was zunächst wie ein Flirt beginnt, entwickelt sich mit der Zeit zu mehr. Es gibt nur ein Problem: Rose hat Simon nicht offenbart, dass sie drei Kinder hat...


Kathryn Taylor erzählt in „Wildblumensommer“ eine Geschichte, die auf den ersten Blick leicht daherkommt, jedoch durchaus über tiefer gehende Probleme und Momente verfügt, ohne schwer zu wirken. Der Leser findet schnell ins Geschehen, denn die Autorin hat einen gefälligen Schreibstil, der sich angenehm liest, allerdings manchmal etwas bedächtig ist. Sie bindet die bezaubernde Landschaft Cornwall ein, stellt diese aber nicht in den Vordergrund. Ihr gelingt es einfühlsam, die Dimension der Ereignisse und die unterschiedlichen Empfindungen ihrer Protagonisten darzustellen. Besonders die zwiespältigen Gefühle von Zoe und Jack können erlebbar nachvollzogen werden.

Dabei ist offensichtlich, dass die Tragik des Todes von Chris, den nach wie vor ein Geheimnis umgibt, nicht nur das bisherige Leben von Zoe und ihrer Familie veränderte, sondern auch das von Jack.

Während Zoe es in der Vergangenheit unterdrückt hat, sich mit den damaligen Begebenheiten auseinanderzusetzen und dem Verlust zu stellen, ja die Erinnerungen weggeschoben hat, so dass in den letzten Jahren das Verdrängen zu einer Normalität geworden ist, hat Jack in Kanada - betroffen von der scheinbaren Ablehnung durch Zoe - versucht, diese seinerseits zu vergessen, seine Verbitterung überwunden und recht schnell eine Familie gegründet. Ihr Wiedersehen öffnet alte Wunden...

Dadurch, dass neben den Erlebnissen von Zoe außerdem die von Rose geschildert werden, nimmt die Autorin etwas Last von Zoes Schultern und setzt ein Gegenstück zu ihr in den Mittelpunkt des Geschehens. Und Rose punktet von Anfang an durch ihr bodenständiges, einfühlsames Wesen und ihre herzliche und natürliche Art und Weise, sich um andere zu kümmern, ein Gespür für Menschen zu haben, mit Sympathie. Daneben macht Simon bereits zu Beginn den Eindruck, keinesfalls oberflächlich und vielmehr ehrlich an Rose interessiert zu sein. Ihre Beziehung erscheint harmonisch und selbstverständlich und steht gleichwohl auf dem Prüfstand, weil Rose ein bzw. drei entscheidende Argumente verheimlicht…

"Wildblumensommer" hat den Charme eine blühenden Wiese, in der auch Disteln verborgen sind. Er zeigt, dass das Schicksal immer seinen eigenen Weg zum Glück geht.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Atmosphäre
  • Charaktere
  • Gefühl
  • Handlung
Veröffentlicht am 06.06.2017

Die fremde Königin

Die fremde Königin
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„Wenn Ihr leben wollt, müsst Ihr graben“

Als Adelheid von Burgund, nach dem Tod ihres Gatten Lothar von Berengar von Ivrea im Jahre 951 auf der Burg Garda gefangen gehaltene Königin von Italien, diese ...

„Wenn Ihr leben wollt, müsst Ihr graben“

Als Adelheid von Burgund, nach dem Tod ihres Gatten Lothar von Berengar von Ivrea im Jahre 951 auf der Burg Garda gefangen gehaltene Königin von Italien, diese Worte von einem Mönch im Vorbeigehen zugeraunt bekommt, fasst sie neuen Mut, ihrem Peiniger möglicherweise doch noch entkommen zu können. Und das Wunder geschieht. Mit eigenen Händen kann sich Adelheid in die Freiheit graben und zusammen mit ihrer Tochter Emma, ihrer Dienerin Anna und Bruder Guido fliehen. Sie erwartet Hilfe in Person jenes geheimnisvollen Mönches, der in Wahrheit Gaidemar, ein Panzerreiter im Dienst König Otto, ist, ausgesandt, um die Befreiung zu unterstützen. Das schwierige Unterfangen gelingt, und als Adelheid mit ihrem „Gefolge“ in Pavia eintrifft, nimmt sie König Otto in Empfang, und die beiden heiraten. Aus der zunächst rein politischen Ehe zwischen Adelheid und Otto erwächst eine Beziehung auf Augenhöhe, die von gegenseitiger Zuneigung und Liebe geprägt ist.

Gaidemar, der im Verlauf der Flucht recht schnell in die schöne, edle Frau verliebt hat, ist ohne den Hauch einer Chance. Nicht nur weil er über keinerlei Besitz verfügt, ist Adelheid unerreichbar für ihn. Sondern er ist ein Bastard und damit namenlos, wurzellos und ohne Aussicht darauf, dass sich dies jemals ändert.

Doch das Schicksal hält nicht nur für Gaidemar und „Die fremde Königin“ einiges bereit...

Rebecca Gablé zeigt mit ihrer Reise in die Vergangenheit erneut, dass sie es vermag, den Leser diese nahezubringen, ohne es wie eine Geschichtsstunde aussehen zu lassen. Sie schreibt engagiert und respektvoll, hält sich an die historischen Gegebenheiten und stellt ihre Gründlichkeit bei der Recherche unter Beweis. Die Lebendigkeit, die sie ihren Protagonisten verleiht, macht diese für den Leser wahrnehm- und greifbar. Es ist eine besondere Kunst der Autorin, sämtliche Handelnde so zu charakterisieren, dass der Leser Verbindungen knüpfen und Empathie und Antipathie mit ihnen entwickeln kann, nicht nur bei der Begegnung mit neuen Persönlichkeiten, sondern auch beim Treffen mit "alten" Bekannten.

Hervorzuheben ist daneben die Gestaltung des Buches. Nicht nur das Cover ist äußerst ansprechend. Neben in Farbe gestalteter Karte des Reiches um 962 und eines ausführlichen Stammbaumes der Ottonen illustrieren Doppelseite schwarz-weiß Bilder jeden Beginn der drei Teile des Romans. Das Personenregister verschafft einen Überblick über historische und fiktive Figuren. Zudem beleuchtet das Nachwort der Autorin geschichtliche Hinter- und eigene Beweggründe.

Das Geschehen in "Die fremde Königin" setzt zehn Jahre nach dem in "Das Haupt der Welt" zuletzt geschilderten ein und führt den Leser erneut in eine aufregende Zeit der Umbrüche, Kriege und Kämpfe jeglicher Couleur. Es beginnt mit einem schier unglaublichen Ereignis. Denn die Flucht von Adelheid von Burgund hat es tatsächlich gegeben, und auch aus heutiger Sicht verdient es Respekt, dass die junge Adelheid trotz der scheinbar aussichtslosen Situation den Mut nicht verloren, sondern die sich ihr und Begleitern klitzekleine Möglichkeit ergriffen und sich quasi mit bloßen Händen einen Weg in die Freiheit gegraben hat.

Die besondere Charakterstärke ihrer Protagonistin hebt die Autorin im weiteren Verlauf der Handlung immer wieder hervor. Gleichwohl hat auch die junge Königin ihre Schwächen, die nicht übersehen werden können, sie dafür allerdings umso lebensechter erscheinen lassen. Daneben verfügt Adelheid über dezenten Humor, und sie ist eine gute Menschenkennerin. Bereits als burgundische Prinzessin und italienische Königin musste sie lernen, die wahren Absichten hinter den Worten zu erkennen, die die Menschen zwar sagen, aber nicht so meinen. Das hat sie geprägt, und so ist es für Adelheid zunächst unerklärlich, warum es ihr nicht möglich ist, Gaidemar wahrhaftig zu ergründen.

Gaidemar ist ein höflich, korrekt und selbstlos agierender Mann, der viel Wert auf seine Ehre legt, einen besonnenen Eindruck macht, zugleich jedoch mit seinem Dasein als Bastard hadert. Recht bald wird offenbart, wer sein Vater ist. Dies ist niemand Geringerer als Thankmar, der einst gegen seinen Bruder Otto, revoltierte, weil dieser ihm das Erbe seiner Mutter vorenthielt. Dass er Sohn eines Verräters, wenn auch Neffe des Königs ist, begeistert Gaidemar wenig, so dass er sich und andere mit hohen moralischen Maßstäben belegt. Es bedarf eines langen, schmerzhaften Weges, bis Gaidemar sein Schicksal annehmen kann.

Auf diesem Weg stellen sich ihm nicht nur Hindernisse in den Weg. Es gibt Menschen, die ihm wohlgesonnen sind. Andere wiederum wollen seinen Untergang. Sie alle zeichnet eine Mischung von Stärken und Schwächen in einem Gefüge von politischen und abenteuerlichen Ereignissen aus, die das Lesen der Geschichte zum Erlebnis machen.

  • Einzelne Kategorien
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  • Gefühle
  • Recherche
  • Schreibstil
Veröffentlicht am 19.04.2017

Guides - Die erste Stunde

Guides - Die erste Stunde
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Wollt ihr mal was Abgefahrenes hören?

„96 Prozent von dem ganzen Zeug im Universum ist dunkles, unerklärliches Irgendwas.“

Ist euch egal? Aber was sagt ihr, wenn von diesem dunklen, unerklärlichen Irgendwas ...

Wollt ihr mal was Abgefahrenes hören?

„96 Prozent von dem ganzen Zeug im Universum ist dunkles, unerklärliches Irgendwas.“

Ist euch egal? Aber was sagt ihr, wenn von diesem dunklen, unerklärlichen Irgendwas irgendwas in einem gigantischen, zylindrischen Raumschiff kurz in Iowa aufsetzt, dann zweihundertfünfzig Meilen nördlich von Minnesota entlangschlittert und nebenbei 18.000 Menschen tötet?

Nicht sagt ihr da. Doch das ist noch nicht alles...

Hi, ich bin übrigens Alice Goodwin, 17 Jahre alt und zur Hälfte eine Navajo. Von meiner Mum habe ich die dunkle Hautfarbe und das schwarze Haar geerbt. Leider ist sie gestorben, als ich acht war. Es ist traurig, aber wahr: Hätte sie weniger geraucht, wäre sie bestimmt noch am Leben. So habe ich nur noch meinen Dad, der bei der NASA arbeitet. Sein Job ist der eingentliche Grund, warum ich hier in Minnesota gelandet bin. Genauso wie dieses Raumschiff mit Aliens. Denn mein Vater soll das Schiff untersuchen, und deshalb musste ich das sonnige und vor allem warme Florida gegen Wind und Kälte im mittleren Westen eintauschen.

Ihr könnt euch sicher vorstellen, dass sich meine Begeisterung in Grenzen hält. Auch wenn ich meinen Vater liebe, finde ich es ätzend, dass er mich ins Internat dieser – zugegeben exklusiven, wenn auch sehr „weißen“ – Minnetonka-Schule für Begabte und Talentierte steckt, weil er vierzwanzig Stunden am Tag arbeiten wird. Dabei wäre ich gut allein klargekommen, mit Bluebell, meinem BMW 550i Gran Turismo, meiner Kreditkarte und einem Lieferservive mit chinesischem Essen irgendwo in Minnesota.

Ehrlich, ganz so schlimm ist es hier nicht. Rachel und Brynne, meine Mitbewohnerinnen sind nicht nur sehr nett, sondern außerdem sehr begabt und sehr talentiert, die eine in Mathematik, die andere in Naturwissenschaften. Und gibt es da noch Kurt, was so deutsch klingt wie mein Bluebell. Tatsächlich ist er ein in Amerika aufgewachsener Inder und legt ziemlich viel Wert auf Respekt, Anstand und Würde, wenn man schon das Glück hat, reich zu sein. Ungewöhnlich, aber irgendwie amüsant.

Zurück zu den Aliens: Ihr könnt euch sicher denken, was hier nach der Landung los ist. Auch wegen der getöteten Menschen. Und dann erst seitdem sich das Schiff geöffnet und einen Blick auf die Aliens freigegeben hat, die erstaunlicherweise wie wir Menschen aussehen, nur mit sehr, sehr blasser Haut und einer Sprache, die wir nur mit Hilfe von Übersetzungscomputern verstehen. Sie nennen sich Guides und sagen, dass sie in Frieden und als Lehrer kommen. Ob wir ihnen glauben können?

Und noch ein weiterer aufregender Fakt: Zwei von ihnen sind jetzt bei uns in der Schule untergerbacht - Suski und Coya, Bruder und Schwester, und wenn man es so sehen will, sind sie so etwas wie die königliche Familie der Aliens.

Ich will nicht vergessen zu erwähnen, dass meine Freunde und ich das Raumschiff auf Wunsch meines Vaters betreten haben. Die Erinnerung daran ist verstörend. Weil irgendwas nicht stimmt. Plötzlich sind weitere Raumschiffe da, und sie schießen und jagen unsere neuen Freunde und damit uns. Wir müssen fliehen, nichts ist mehr einfach, nichts ist mehr dasselbe, und nirgends sind wir sicher. Unser Abenteuer beginnt...

******

Robison Wells erzählt eine Geschichte, die nicht nur aktionsgeladen, mythisch und rätselhaft daherkommt, manchmal erschreckend und trotzdem mit einer beschwingten Note ausgestattet ist, sondern vor allem mit dem erfrischend modernen Witz seiner Erzählerin Alice Goodwin punktet.

Alice ist eine auffallende Persönlichkeit und erscheint auf den ersten Blick sehr von sich überzeugt, weil sie viel Wert auf Statussymbole wie ihren BMW legt. Zudem ist sie darauf bedacht, was andere von ihr halten. Sie verfügt allerdings über einen Sarkasmus, der ungewöhnlich für eine 17-Jährige ist. Gerade diese ironischen Anmerkungen sorgen bei den jungen Guides Suski und Coya für Unverständnis und damit für einige komische Momente.

Der Autor gönnt seiner Heldin außerdem eine kleine Romanze, die wohltuend dezent und sanft in den Ablauf eingebettet wird und dadurch an Glaubwürdigkeit gewinnt.

Insgesamt muss die Darstellung der jugendlichen Protagonisten als gelungen angesehen werden. Darüber hinaus geht es nicht nur um die Frage „Was wollen die Aliens?“, sondern die Außerirdischen erhalten einen Hintergrund und eine Geschichte. Mit Suski und Coya bekommen die Aliens sogar Gesichter und Stimmen und eröffnen dem Leser hiermit Verständnis für die Guides. Lediglich bei der Zeichnung der wirklichen Gegenseite greift der Autor auf Steriotypen zurück.

Als ein weiteres (kleines) Manko des Romans stellt sich das Ende dar. Während Robison Wells die Handlung langsam aufbaut und mit geschickten Zwischenspielen den Leser bei der Stange hält, nimmt das Geschehen ordentlich Fahrt auf und steuert rasant auf den Höhepunkt zu. Auf diese Weise wirkt es allerdings sehr gehetzt. Ein paar Seiten mehr zum wichtigen Aspekt der Mythologie der Anasazi bzw. ancestral puebloans und damit der Kultur der First Nation hätten zu einem befriedigenderen Leseerlebnis beigetragen.

So bleibt es bei einem gut konstuierten Science-Fiction-Abenteuer, in der jugendliche Helden mit Charakter agieren und sich Aktion, witzige und nachdenkenswerte Dialoge sowie ein Hauch von Romatik die Waage halten. Eine Empfehlung auch für Leser, die sonst keine Fans von Science Fiction sind.

Veröffentlicht am 05.04.2017

Brief aus Finstermoos

Finstermoos - Bedenke das Ende
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Bitte vor dem Weiterlesen die Fußnote beachten!


Liebe Oma,

ich gestehe es offen. Als meine Eltern mir gesagt haben, dass wir in Finstermoos Urlaub machen, wollte ich am liebsten heulen.

FINSTERMOOS. ...

Bitte vor dem Weiterlesen die Fußnote beachten!


Liebe Oma,

ich gestehe es offen. Als meine Eltern mir gesagt haben, dass wir in Finstermoos Urlaub machen, wollte ich am liebsten heulen.

FINSTERMOOS. Hallo! Wer will denn dahin?!. Der Name sagt doch schon alles: FINSTER und ohne MOOS nichts los.

Mich hat weder die Aussicht auf Berge - ich hasse Berge - noch Schnee und Eis im Sommer - ich hasse Schnee - noch die Schmugglerpfadwanderung - ich hasse Wandern - getröstet. Lediglich die Ankündigung einer Rafting-Fahrt ließ mich das Ganze einigermaßen ertragen.

Aber was dann kam, glaubst du in deinen Träumen nicht. Es war der HAMMER. Nicht, dass die Aktionen, die Mama und Papa angeleiert haben, sonderlich anregend waren. NEIN, was hier abgegangen ist...

Als Erstes haben sie 'ne eingebuddelte Babyleiche in einer Baugrube von einem Berliner Unternehmer, der hier ein Ferienhaus errichtet, gefunden. Echt jetzt, die hätte ich mir zu gern angeschaut. (Ich weiß, du hebst die Hände, aber ich finde das mega interessant, schließlich will ich Pathologin oder Anthropologin werden!) Dann hat dieser Baumensch auch noch ordentlich eins auf die Rübe bekommen und ist im Krankenhaus gelandet.

Außerdem ist hier aus unserem Hotel eine Journalistin verschwunden. Die war auf einer Bergtour auf dem Schmugglerpfad, der wohl nicht ungefährlich ist, weil da die eine oder andere versteckte Gletscherspalte lauert. Ihre Tochter Mascha hab ich kennengelernt, und sie hat mir richtig leidgetan. Ich mag mir gar nicht vorstellen, dass Mama oder Papa oder beide verschwinden und ich nicht weiß, was mit ihnen passiert ist, ob sie überhaupt noch leben. Denn wie sich herausstellte, ist Maschas Mutter nicht nach Berlin zurückgefahren (Logisch, wer lässt auch die Tochter allein in Finstermoos!) Und dann sah das tatsächlich so aus, als ob jemand versucht hat, Mascha um die Ecke zu bringen. Einmal bei einem Ausritt, dann wieder bei einer Rafting-Tour. (Gut, dass ich DIESE Tour nicht mitgemacht habe!) Und nicht nur sie.

Man kann es nur Glück nennen, dass sie ein paar gute Freunde hat. Luzie, Basti, Valentin und Nic. Ich glaube, in Nic ist sie verliebt. Schaut jedenfalls so aus, wenn man die zwei zusammen sieht. Die beiden haben doch wirklich eine Mumie in einer Gletscherspalte gefunden. Mein Gott, wenn das jetzt Maschas Mutter gewesen wäre. Mascha ist da nämlich draufgefallen. Ui, mich schüttelt es, ich vermute, ich hätte ordentlich geschrien. (Natürlich nur vor Schreck!). Letzten Endes war das tatsächlich - du glaubst es nicht - Maschas Großmutter, sie hatte nämlich ein Foto in der Tasche, auf dem Maschas Mutter als Kind zu sehen ist.

Stell dir das mal vor, Omi. Du liegst jahrelang in der Gletscherspalte, und deine Enkelin, also ich, findet dich. Gruselig...

Dass die fünf auf der Suche nach Maschas Mutter im Lift über einem Abgrund festsaßen, ist Pillepalle gegenüber der Tatsache, dass alle - bis auf Luzie - in einem Bunker eingesperrt waren. Und wenn Luzie nicht gewesen wäre, und ihr großartiger Vater, der Förster, von dem das Gerücht umgeht, dass er ziemlich radikal dafür gesorgt hat, dass mal nachgeschaut wird, wäre Schluss mit lustig gewesen.

Hatte ich schon erwähnt, dass der Förster auch ein heldenhafter Bärenretter ist?

Na, jedenfalls habe ich den Eindruck, dass hier jemand alle Beteiligten geschickt an der Nase herumführt. Ich fiebere heftig mit, ob Licht in das grauenvolle, ja Furcht erregende Dunkel von FINSTERmoos gebracht werden kann. Es ist echt gespenstig, doch was für ein Abenteuer. Ich finde es total aufregend und erzähl' dir alles ganz genau, wenn ich wieder zu Hause bin.

Bis dahin mach's gut,

Deine Enkelin S.


Der Text könnte Spoiler für Leser enthalten, die die Ereignisse in Band 1, Band 2 und Band 3 der Finstermoos-Reihe nicht verfolgt haben.