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Veröffentlicht am 03.05.2022

Krone des Himmels

Krone des Himmels
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Im Jahr 1187 ruft Papst Gregor VIII. die christlichen Gläubigen auf, das Heilige Land zurückzugewinnen. Mit dem Sieg Saladins über das Königreich Jerusalem war nämlich auch die Stadt Jerusalem verloren ...

Im Jahr 1187 ruft Papst Gregor VIII. die christlichen Gläubigen auf, das Heilige Land zurückzugewinnen. Mit dem Sieg Saladins über das Königreich Jerusalem war nämlich auch die Stadt Jerusalem verloren gegangen.

So beginnt 1189 der Dritte Kreuzzug unter der Führung von Friedrich Barbarossa, Kaiser des römisch-deutschen Reiches. Daneben brechen auch die Heere von Philipp II. von Frankreich und Richard Löwenherz, König von England, auf. Ein buntes Gemisch aus Kreuzfahrern und Soldaten Christi sowie Pilgern nimmt am Kriegszug im Streit der Religionen teil.

Unter ihnen befinden sich die Handwerkstochter Aveline aus Oberlothringen und Étienne d'Arembour, der in der Grafschaft Tonnerre auf einem Rittergut zu Hause ist. Beide vereint, dass das Schicksal bisher keineswegs freundlich zu ihnen war.

Aveline pilgert nach Jerusalem, um durch das Gebet am Grab Jesu Christi Erlösung von einer schweren Schuld zu erbitten. Am Beginn ihres Weges ist sie eine wehr- und rechtlose Frau. Bereits einmal hat sie dies zu spüren bekommen, als sie von einem Ritter geschändet und geschwängert wurde. Auf ihrer Reise sieht sie sich nach anfänglich gutem Verlauf in der Gemeinschaft von Pilgern, in der sie seit Langem so etwas wie Geborgenheit entdeckt, bald unterschiedlichen Gefahren ausgesetzt und ist nach dramatischen Ereignissen gezwungen, als Bogenschütze Avery in Männerkleider gehüllt Aufnahme im Kreuzfahrerheer von Kaiser Friedrich Barbarossa zu suchen.

Étienne, dritter Sohn aus adligem Hause, leidet unter der angeborenen Missbildung seines Fußes. Die Verkrüppelung ist Grund für die Ablehnung durch den Vater, obwohl Ètienne sich ständig um dessen Wohlwollen bemüht. Der junge Mann trägt schwer an der Last des Ausgestoßenseins und der damit verbundenen Erwartungslosigkeit. Auf ein Erbe braucht der Neunzehnjährige nicht zu hoffen. Wird er tatsächlich immer auf die Barmherzigkeit von Menschen angewiesen sein, die ihn verachten?

Für Ètienne soll es nicht allein das sein, was das Leben ihm bietet. Deshalb macht er sich mit einem gestohlenen Pferd, ein paar Vorräten und Decken auf den Weg, stets mit der Furcht im Nacken, von seinem Vater oder den älteren Brüdern zurück in sein „Gefängnis“ geschleift zu werden. Stattdessen wird er überfallen, und es ist nur dem Wundarzt Caspar zu verdanken, dass er überlebt.

Vor Akkon, dem Tor zum Heiligen Land, treffen Étienne und Aveline aufeinander. Nach einer Verletzung offenbart sich dem angehenden jungen Wundarzt das Geheimnis von Aveline. Sie nähern sich an, und in ihrem Ringen um Würde, Aufrichtigkeit und Anerkennung erfahren sie beim jeweils anderen Zuspruch und Liebe. Im Verlauf des Geschehens wachsen ihre Gefühle, die sich indes immer wieder bewähren müssen, während die Belagerung von Akkon andauert. Denn es ist nicht nur die Angst vor der Entdeckung, die ihren Tod bedeuten würde, sondern auch Zweifel an der Loyalität, die ihre Empfindungen in Zwiespalt geraten lassen ...


Es ist ein hehres Ziel, das sich die Kreuzfahrer des Dritten Kreuzzuges gestellt haben: Jerusalem soll den Händen der heidnischen Sarazenen entrissen werden. Tausende Ritter nehmen unter Führung ihrer jeweiligen Herrscher das Kreuz und ziehen mit ihren Männern ins Heilige Land. Doch der charismatische Kaiser Barbarossa stirbt bereits auf der Reise, und Phillip II. Und Richard Löwenherz sind wegen familiärer Verwicklung – wie es scheint – heillos zerstritten.

Die Last der Kämpfe und des Krieges ruht sowieso auf den Schultern jener Menschen des Heeres, zu denen unter anderem Aveline/Avery und Étienne gehören. Deren Schicksal setzt Juliane Stadler mit „Krone des Himmels“ ein beachtliches und meisterhaftes Denkmal.

Sorgfältige Recherche zeichnet den Roman aus, der in seiner detaillierten Fülle hinsichtlich der Schilderung von Krieg, Gewalt und Grausamkeit, Leid, Schmerz und Verlust, indes ebenso Mut, Freundschaft und Hoffnung, Mitgefühl, Toleranz, den Umgang mit Andersgläubigen und letztlich auch Liebe, Fürsorge und Wärme überwältigend, jedoch nicht überfordernd wirkt. Er zieht seine Kraft aus den Momentaufnahmen, dem bewegten und bewegenden Blick auf eine anschauliche und mitreißende Szenerie in das Leben, Leiden, Lieben und Sterben im 12. Jahrhundert. Dabei legt die Autorin Augenmerk auf das Dasein ihrer Figuren, die an historischen Schauplätzen in unterschiedlichen Situationen an der Seite einst realer Persönlichkeiten agieren.

Die Kombination aus tatsächlicher Geschichte und Fiktion ist herausragend und beeindruckt besonders, weil es sich bei „Krone des Himmels“ um den Debütroman von Juliane Stadler handelt, um so mehr.

Die Autorin vermittelt erfolgreich die politischen und Hintergründe für den Kreuzzug und beschreibt mit Eloquenz, Glaubwürdigkeit und opulenter Fabulierfreude im Wechsel der Perspektiven das Geschehen um ihre Protagonisten. So ermöglicht sie den Zugang zur Gedankenwelt der handelnden Menschen.

Mit ausgesprochener Kunstfertigkeit hat die Autorin die Ausarbeitung der Charaktere vorgenommen, deren Stärken und Schwächen facettenreich und authentisch geformt. Sie geht achtsam mit ihren Figuren um und gibt ihnen reichlich Raum zur Entfaltung. Einige von ihnen sind zwar in der Bösartigkeit zu einseitig dargestellt, aber das sei der Autorin verziehen, weil die Ablehnung auch auf Seiten der Leserschaft ist.

Eines beweist Juliane Stadler mit ihrer prachtvollen „Krone des Himmels“, das als Hardcover mit Lesebändchen außerdem mit Landkarten, einem Nachwort mit den historischen Fakten und den hiervon vorgenommenen Abweichungen, einem Personen- und Ortsnamensverzeichnis sowie Glossar ausgestattet ist:

„Wenn du es willst, kannst du dein Leben selbst in die Hand nehmen.“ (Seite 150)

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Veröffentlicht am 27.02.2022

Tage der Entscheidung

Palais Heiligendamm - Tage der Entscheidung
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Michaela Grünig knüpft mit „Palais Heiligendamm. Tage der Entscheidung“ an den Erfolg der Vorgänger der Reihe an und vermittelt ein einprägsames Kolorit der ständig bedrohlicher werdenden Zeit von 1933 ...

Michaela Grünig knüpft mit „Palais Heiligendamm. Tage der Entscheidung“ an den Erfolg der Vorgänger der Reihe an und vermittelt ein einprägsames Kolorit der ständig bedrohlicher werdenden Zeit von 1933 bis 1939. Dabei behält sie auch im Abschlussband eine stringente, in der Sichtweise wechselnde, mit dem reichhaltigen, beispielhaft recherchierten Hintergrund versehene Erzählweise bei. Und obwohl das dramatische Geschehen der Vergangenheit im Großen bekannt ist, schockieren Vorgänge mit Blick auf Einzelschicksale immer wieder aufs Neue. Genauso wie die Momente der Hoffnung berühren.

Nicht nur bei der Schilderung der ereignisreichen Handlung beweist Michaela Grünig Geschick und Empathie. Ihre sensible Charakterführung bestätigt abermals ihr Können bei der Entwicklung und Darstellung komplexer Protagonisten. Neben den fiktiven agieren historische Persönlichkeiten, und ab und an tauchen auch Figuren auf, die zwar von der Autorin erdacht wurden, bei denen jedoch Bezüge zu einstigen realen anklingen.

Setzt sie nunmehr unter anderem Julia, die Tochter von Elisabeth und Julius Falkenhayn in den Fokus, bedeuten die prägenden Dreißigerjahre für alle Familienangehörigen der Hoteliersfamilie, Entscheidungen zu treffen, die ihre äußere Einstellung und ihre inneren Werte tangieren. Dabei wachsen erneut einige über sich hinaus und zeigen Eigenschaften, deren Trägern eine hohe Anerkennung gezollt werden muss, weil sie Integrität und Moral über Verwerflichkeit und Missachtung jeglicher Menschlichkeit stellen. Daneben schaut die Autorin und damit die Leserschaft hinter die Fassade derjenigen, die sich dem Nationalsozialisten anbiedern und in deren Fahrwasser mit Brutalität und Ablehnung Andersdenkender zu vermeintlich Ruhm und Ehre kommen (wollen). Allerdings gibt es auch diejenigen, die unter eine Tarnkappe aus Oberflächlichkeit ihre wahren Ansichten verbergen und folglich auch, in welche Richtung der moralische Kompass ausschlägt.

„Palais Heiligendamm. Tage der Entscheidung“ von Michaela Grünig ist ein historischer Roman der Meisterklasse, der als Abschluss der Reihe das Schicksal ihrer Figuren nicht bis ins Kleinste darlegt und Raum für Spekulationen lässt, was die Zukunft mit Blick auf die Geschichte bereithält. Zudem könnte es ein Abschied sein, der Hoffnung auf ein „Wiedersehen“ beinhaltet.

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Veröffentlicht am 20.12.2021

Die Mission des Kreuzritters

Die Mission des Kreuzritters
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Im Jahr 1129 regiert König Baudouin II. Jerusalem. Er ist Vater von vier Töchtern, muss also die Thronfolge ohne eigenen männlichen Nachkommen regeln. Als passenden Ehemann für seine Älteste – Melisende ...

Im Jahr 1129 regiert König Baudouin II. Jerusalem. Er ist Vater von vier Töchtern, muss also die Thronfolge ohne eigenen männlichen Nachkommen regeln. Als passenden Ehemann für seine Älteste – Melisende – hat er Foulques, den Comte d’Anjou, auserkohren, und in diesem Fall – wie zu jener Zeit üblich – nicht nach der Meinung seiner Tochter gefragt. Die selbstbewusste Melisende will dies nicht hinnehmen, ist sie nämlich keineswegs einverstanden mit der Wahl des Vaters. Sie teilt ihren Unmut/Groll zuerst mit deutlichen Worten mit, bis sie es nicht dabei belässt und in Begleitung ihrer Magd Maria und mit männlichem Schutz in Richtung Antichochia zu ihrer Schwester flieht. Die Reise wird indes nach einem Überfall jäh beendet, und Melisende sieht sich als Gefangene …

Als sie nach dem Abschluss eines Friedensvertrages und der Zahlung von Lösegeldes freikommt und sich in der Obhut von Raol Montalban auf dem Rückweg nach Jerusalem befindet, gerät sie in erneute Gefahr einer Geiselnahme und kann ihren Verfolgern nur in Begleitung des Kreuzritters entkommen.

Werden die beiden Jerusalem jemals erreichen?


Ulf Schiewe gehört zu jenen Autoren, deren Werke an seiner „Handschrift“ stilistisch zu erkennen sind. Auch „Die Mission des Kreuzritters“ fügt sich in die Reihe jener historischen Romane ein, die mit einer prägnanten, bildkräftigen Szenerie die Zeit des Orients atmosphärisch aufleben lassen. Hier bedient sich der Autor eingehender, maßvoll eingesetzter Landschaftsbeschreibungen, die in Verbindung mit Darstellung der andersartigen Gesellschaften, Kulturen und Religionen als wichtige und ebenfalls aufklärender Ergänzung einen würdigen Rahmen für die Geschichte bilden und die Lesesinne ansprechen. Sein durch umfassende Recherche erworbenes Wissen gepaart mit Können und Leidenschaft macht es möglich, dass nicht nur einst reale Ereignisse, sondern auch tatsächliche Personen im Einklang mit fiktiven geschildert werden und ein Agieren vor dieser Kulisse in bemerkenswerter Intensität erfolgt.

Die Handlung ist dynamisch erzählt und wechselt zwischen aufregenden Abenteuern mit dramatischen Kämpfen zu wiederum ruhigen Abschnitten.

Das Geschehen in „Die Mission des Kreuzritters“ wird von zahlreichen Figuren getragen. Dabei fällt auf, dass diese oft kein Blatt vor den Mund nehmen und eine direkte und offene Sprache benutzen. Das trifft auch auf Melisende und Raol zu. Mit ihnen befinden zwei vielschichtige Protagonisten im Fokus, die auf den ersten Blick nicht unterschiedlicher sein können.

Auf der einen Seite die behütete Prinzessin, ungezügelt temperamentvoll, ungestüm zuweilen und mutig, ja sogar furchtlos, die sich nicht verbiegen möchte. Melisendes Möglichkeiten sind wegen der Zugehörigkeit zum (vermeintlich) schwächeren Geschlecht eingeschränkt, wodurch sie trotz ihres Willens und ihrer Entschlossenheit nicht frei in ihrer Entscheidung ist. Aber sie versucht, ihrer vorgezeichneten Rolle einiges entgegenzusetzen. Durch ihre unüberlegte „Flucht“ wirkt sie auch unreif und aufmüpfig, weil sie hiermit – zwar unbeabsichtigt – nicht allein sich selbst, sondern ebenso die ihr nahen Menschen in Gefahr bringt. Sie kann empathisch sein, vermag es allerdings zudem, mit unüberlegten Äußerungen andere Menschen zu verletzen.

Ihr gegenüber steht Raol, ein rauer Mann, der vor zehn Jahren die Schlacht von Sarmada überlebt und danach nach Kreuz genommen hat. Doch in seinem Inneren streiten die Emotionen. Raol zweifelt inzwischen, nicht nur an sich selbst, am Sinn des Lebens und vor allem an seinem Glauben, stellt ihn und seinen Gott in Frage. Er ist ohne Orientierung und Ziel.

Ulf Schiewe gelingt es in lebensnaher Weise, die charakterlichen Stärken und Schwächen während der Entwicklung seiner Protagonisten zu gestalten. Melisende und Raol bleiben lediglich wenige Tage. Mit jedem Gespräch, das die beiden führen, entfalten sie mehr gegenseitiges Verständnis, auch wenn sie nicht immer die Meinung des anderen gleichermaßen teilen. Sie nähern sich behutsam an, und insbesondere Melisende beginnt, in Raol mehr als den Beschützer und Freund zu sehen.

Dank einer feinen Sensibilität in der Beschreibung vieler ergreifender Momente ist nachvollziehbar, wie sie einander lernen zu achten, wertzuschätzen und leidenschaftlich zu lieben und mit innerer Willenskraft ihren Weg gehen werden.

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Veröffentlicht am 06.12.2021

Sieben Tage am Fluss

Sieben Tage am Fluss
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Eine Nachricht ihrer Schwester ruft Margot Sorrell an den Ort ihrer Kindheit zurück. Lucy will heiraten, und Margot kann deren „Ich brauche dich …“ nicht ignorieren. Hier in Windfalls, in jenem Haus am ...

Eine Nachricht ihrer Schwester ruft Margot Sorrell an den Ort ihrer Kindheit zurück. Lucy will heiraten, und Margot kann deren „Ich brauche dich …“ nicht ignorieren. Hier in Windfalls, in jenem Haus am Fluss im malerischen Somerset trifft die Familie, die vor Jahren auseinander brach, aufeinander:

Die älteste Sorrell-Schwester Eve – verheiratet und Mutter von zwei Mädchen – ist die Organisatorin, vernünftig, zuverlässig und perfektionistisch, aber auch gestresst von ihrer Verantwortung. Lucy, die Zweitgeborene, besitzt ihr eigenes Yogastudio, schätzt menschliche Gesellschaft. Ihr Optimismus und ihre Energie zeichnen sie aus, und jetzt wird sie in sieben Tagen ihre große Liebe heiraten. Die Jüngste – Margot – verließ einst nach traumatischen Vorfällen, die sie niemandem offenbart hat, und einem großen Eklat ihr Zuhause. Inzwischen arbeitet sie als Bibliotheksassistentin in Edinburgh und teilt sich mit dem Fotografen Jonas eine Wohnung. Auch nach acht Jahren umgeben die Vierundzwanzigjährige immer noch ein paar dunkle Wolken.

Kit – die Mutter des Schwestern-Trios – ist eine berühmte Bestsellerautorin, deren erfolgreiche Karriere sie allerdings nicht nur von ihren Töchtern entfernte, sondern auch die Beziehung zum Vater der Mädchen erschütterte und schließlich beendete. Nun, mit 53 Jahren ist sie allein und einsam, lediglich eine Katze leistet ihr Gesellschaft. Ted, ihr Gefährte, der als anerkannter Dramatiker im Schatten von Kits Erfolg unter einer Schreibblockade litt und sich statt um neue Theaterstücke um den Haushalt und die Töchter kümmerte, fühlte sich „ungesehen“ und ignoriert und verließ Kit, um mit Sibella, einer verwitweten Töpferin, zusammen zu sein.


„Eine fahle Sonne steigt über den Hügel auf, kommt zwischen den Wolken hervor und lässt das Flussband unten im Tal zwischen den kahlen Bäumen silbern aufglänzen.“ (Seite 372)

In „Sieben Tage am Fluss“ beeindruckt Hannah Richell nicht nur mit einem durchdringenden und eminenten Erzählton, der sich auch in der Beschreibung einer auf den ersten Blick idyllischen Kulisse entfaltet, sondern ebenso mit einer atmosphärischen, herzerwärmenden und überwältigenden Ehrlichkeit in der Darstellung vieler dramatischer, rauer und schmerzvoller Momente. Dabei erhalten wir als Leser viele Hinweise auf schockierende Ereignisse, die den handelnden Figuren verborgen bleiben, obwohl sie vor deren Augen geschehen. Es macht sprachlos, dass Menschen Tatsachen und Wesensveränderungen nur erkennen, wenn sie offensichtlich erscheinen und diese oft erst dann begreifen, wenn sie einander mehr Aufmerksamkeit und Sorgfalt zukommen lassen.

Mit ausgesprochen sensibler Subtilität spricht die Autorin in einem variierenden Zeitrahmen von Vergangenheit und Gegenwart Themen voller Ernsthaftigkeit an, gewichtet sie ausgewogen, fängt die emotionale Stimmung und Sehnsucht ihrer Protagonisten ein und lotet ihre Höhe und Tiefen klug und empathisch für jeden Einzelnen in der Demonstration der Stärken und Schwächen aus, wenn Verzweiflung, Verrat, Vorwürfe, Bedauern, Wut, Enttäuschung, Egoismus, Ignoranz und Verlust auf Liebe, Verständnis, Freude, Akzeptanz und Hoffnung treffen. Wenn letztlich Geheimnisse gelüftet, Mauern eingerissen und Brüche geheilt werden.

Hannah Richell bietet Stoff zum (Nach)Denken. Über das eigene Dasein und dessen Bedeutung. Sie erinnert daran, dass wir nur eine kurze Zeitspanne haben, zu lieben und zu leben, aufrichtig und wichtig zu sein, zu sehen und zu fühlen.

„Sieben Tage am Fluss“ ist still und laut, leicht und schwer, bewegend und empfindsam, traurig und zugleich entschlossen und voller Mut und vor allem menschlich und wunderschön.

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Veröffentlicht am 29.11.2021

Wellenflug

Wellenflug
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#8
„Es war einmal ein armes Waisenmädchen, das lebte am Rande eines großen Waldes bei einem Köhler und seiner Frau. Sie waren hartherzig zu ihm, und es musste den ganzen Tag für sie arbeiten…“ (Seite 13)

Im ...

#8
„Es war einmal ein armes Waisenmädchen, das lebte am Rande eines großen Waldes bei einem Köhler und seiner Frau. Sie waren hartherzig zu ihm, und es musste den ganzen Tag für sie arbeiten…“ (Seite 13)

Im Gegensatz zum armen Waisenmädchen, deren Geschichte Anna und ihre Schwestern immer wieder aufs Neue fasziniert, wenn der Vater sie erzählt, müssen sich die Töchter des Tuchhändlers nicht sorgen. Sie haben eine behütete Kindheit, Arbeiten wird ebenfalls von ihnen nicht verlangt.

Dass das Leben ungeachtet dessen auch für Anna kein Märchen ist, bekommt sie bald zu spüren. Als Frau ist sie in der großbürgerlichen jüdischen Gesellschaft Regeln unterworfen, die sie nicht aushebeln kann. Sie heiratet Adolph Reichenheim, wird früh Witwe und dann die Frau von Julius, dem wesentlich älteren Bruder ihres verstorbenen Mannes.

Ihr erstgeborener Sohn Heinrich ist ihr Ein und Alles. Doch gerade er entspricht nicht den Normen. Er erliegt den Verlockungen des Berliner Nachtlebens und gerät in einen Strudel von Spiel und Alkohol. Das Fass zum Überlaufen bringt indes die Tatsache, dass er sich in das Garderobenmädchen Marie verliebt. Sie ist nicht nur nicht standesgemäß, sondern auch vermögenslos.

Heinrich wandert zusammen mit Marie nach Amerika aus, wird enterbt und zwar nach Deutschland, aber nie in den Schoß der Familie zurückkehren. Lediglich wenige Mitglieder halten den Kontakt aufrecht, wohingegen andere keinerlei Verbindung wünschen. Heinrichs Mutter Anna ist eine von denen, die bis zu ihrem Tod engstirnig in ihren starren Vorurteilen verharrt und Heinrichs Beziehung weder akzeptiert noch seine Frau achtet. Marie hingegen wird ihren Mann von seiner Spiel- und Trunksucht befreien, seinen unehelichen Sohn Heinz aufziehen und jene liebevolle Ehefrau und Mutter sein, die sich um den Zusammenhalt der kleinen Familie kümmert. Sie wird bis zu seinem Tod an Heinrichs Seite stehen und ihn mit viel Herzenstreue begleiten.


Constanze Neumann beleuchtet in "Wellenflug" mit besonderem Augenmerk auf zwei Frauen die Höhen und Tiefen des Schicksals einer angesehenen und wohlhabenden jüdischen Familie, beginnend in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts bis zum Ende des zweiten Weltkriegs. Dabei greift sie auf eine gewissenhafte Recherche in der eigenen Familie zurück, hat Briefe, Dokumente und Zeitungsartikel ausgewertet und setzt so gekonnt reale Persönlichkeiten und wahre Begebenheiten detailreich und stimmungsvoll in Szene. Der erste Teil ist Anna gewidmet und folgt einem eher chronologischem Ablauf, wodurch Distanz geschaffen wird. Maries Geschichte wirkt intensiver, im Angesicht der Entbehrungen und dem Ringen um ein einträgliches Dasein eindrucksvoller und manifestiert sich während der Lektüre in der Erinnerung.

Der Autorin entwickelt trotz gelegentlicher berichtender Ausführungen eine anschauliche Darstellung in einem verständlichen Erzählfluss, der mit einzelnen Momentaufnahmen in der Schilderung von Liebe und Verlust zum Nachdenken anregt. Obwohl anzuerkennen ist, dass sich Constanze Neumann hier dem bemerkenswerten Ereignissen innerhalb einer Familie mit äußerst authentischem Engagement widmet, bleiben Gefühle blass und sind (oft) nur zwischen den Zeilen zu empfinden. So gelingt es nicht in Gänze, zum Inneren aller Protagonisten vorzustoßen, wie dies letztlich wünschenswert wäre.

Letztlich imponiert jedoch die stille Menschlichkeit und innige Liebe, mit der Marie das Leben anpackt, Heinrich und Heinz begegnet und ihnen ein wenig Glück beschert. Sie belegt, dass angesichts von Hass und Bösartigkeit stets auch das Gute möglich ist.

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