Friede, Freude, Zungenkuss - Die Wiederauferstehung der Waltons
True North - Wo auch immer du bistAn True North ist in letzter Zeit ja wohl kaum einer in den Social Medien vorbeigekommen, deswegen freute es mich um so mehr, dass ich über Netgalley.de ein Rezensionsexemplar erhalten habe. An dieser ...
An True North ist in letzter Zeit ja wohl kaum einer in den Social Medien vorbeigekommen, deswegen freute es mich um so mehr, dass ich über Netgalley.de ein Rezensionsexemplar erhalten habe. An dieser Stelle möchte ich mich bei Netgalley.de und LYX dafür bedanken.
Coverbild
Die schnörkelige Handschrift pass wunderbar in den Holzschnitt der Berglandschaft. Farblich dezent und passend zu den Schnitzspuren. Das ganze wirkt wie eine altes Bild zu einem Alpen-Heimatfilm. Das Cover finde ich persönlich super.
Handlung
Die ausgebildete Köchin Audrey Kidder arbeitet in Boston für den Gastronomie Großbetrieb BGP, der für seine Restaurants in Vermont frische Produkte einkaufen will. Als Praktikantin muss sie nun zu den Bio-Farmern und für einen Spottpreis die Produkte einkaufen. Gleich bei ihrer ersten Anlaufstelle trifft sie auf August Griffin Shipley (Griff), dem sie während der Studienzeit in einer heißen Romanze schon näher gekommen ist. Doch die Vermonter Farmer sind auf die BGP nicht gut zur sprechen und stellen sich quer. Seltsamerweise fühlt sie sich aber ausgerechnet auf der Shipley Farm wohl und heimisch. Was nicht nur an der Anziehungskraft zwischen ihr und dem grummeligen Griff liegt. Denn Audrey musste eine bittere Kindheit mit ihrer übermächtigen Mutter erleben, die zum totalen Widerspruch zu der harmonischen Farmerfamilie steht.
Buchlayout / Haptik
Die Kapitel haben eine angenehme Länge, das gesamte Buch ist in 3 Teile unterteilt: Juli, August und Oktober und werden mit einem prosaischen Zitat über Essen eingeleitet. Man kann sich beim Lesen immer gut von Kapitel zu Kapitel hangeln, ohne aus dem Takt zu treten.
Idee / Plot
Eine Stadtpomeranze trifft auf grantigen Farmer. Beide begehren sich, beide machen Fehler aber am Schluß ist doch alles Friede - Freude - Eierkuchen. Abgedroschen ohne wirklich eine neuartige Idee dahinter. Klar, Bio ist im Moment in aller Munde, aber ob das nun als Aufhänger für eine romantisch-erotische Story herhalten kann? Wo ist das Alleinstellungsmerkmal?
Emotionen / Protagonisten
In Sachen körperlicher Befriedigung weiß Audrey, was sie will und holt es sich auch. Aber dennoch leidet sie unter extremen Minderwertigkeitsklomplexen, ausgelöst durch das Leben mit ihrer dominante Mutter. Sie ist ehrgeizig und will mit allen Mitteln an ihr Ziel, ist aber zu stolz um sich einzugestehen, dass sie sich auf den falschen Arbeitgeber eingelassen hat. Besonders nachvollziehen kann ich das nicht.
Griff soll wohl den Bad-Boy Love-Interest darstellen und ist immer besonders "grummelig". Auch wenn die Autorin mir das durch die ständige Wiederholung dieses Adjektivs weis machen möchte, nehme ich ihm das einfach nicht ab. Schwanzgesteuert lässt er sich von Audrey ziemlich um den Finger wickeln und leistet sich dabei einen groben Fehler.
Es gibt nur ein Begriff, mit der man die Shipley-Farm und ihre Bewohner umschreiben kann: Die Waltons. Meine Generation wird mit Rührseligkeit sich an diese alte Serie erinnern. Dort ist einfach alles perfekt und traumhaft idyllisch. Klar hat die Farmersfamilie ihre Probleme und steht immer kurz vor dem Ende. Aber alle Hoffnung steckt in John-Boy - äh August Griffin.
Audreys Mutter ist die böse Hexe in diesem Schauspiel. Welch Antagonistin! Jahrelang unterdrückte sie das arme Kind und konnte ihr keine geborgene Kinderstube bieten. Die Ausgeburt des Bösen treibt das schutzlose Mädchen ausgerechnet in die Arme des ebenso ausbeuterischen Megakonzern, an dem sie selber die mehrheitlichen Anteile besitzt - wie ausgebufft.
Handlungsaufbau / Spannungsbogen
Ei ei ei, was ist denn da passiert. Gleich zu Anfang begrapschen sich Audrey und Griff, als gäbe es keinen Morgen und rammeln wie die Karnickel - in ganzer Ausführlichkeit beschrieben. Doch schon zur Mitte werden die erotischen Szenen mau und am Ende wird nur noch von triefender Liebe geschlonzt, dass es das Ganze nicht glaubwürdiger macht.
Da passt das ganze Konzept nicht mehr. Es wirkt eher auf mich, als hätte die Marketing-Abteilung gesagt: "Mädels, so 'ne Farmerschmonzette verkauft sich nicht - nur »Sex sells«!" - "Okay, dann lassen wir sie auch Zungenreiten". Ehrlich? Ist das die Wunderwaffe gegen prüde Hausfrauen-Literatur?
Der "gigantische" Plottwist ist von Anfang an so vorhersehrbar, dass es mich nicht ein mal aufgeregt hat (Ich hab's ja gleich gesagt!). Na, da passt es doch, dass die gute Nachricht auch postwendend auf den Fuß folgt und das drohende Bad End wieder retten kann. Da kann dem Dénouement auch nichts mehr im Wege stehen und der kommt in geballter Wucht: Friede - Freude - Zungenkuss, wir klatschen uns in die Hände und haben uns alle lieb ("Kumbaya My Lord"). Der Teufel in Prada mutiert zu Mutti Beimer und kann vor lauter rührseligen Eingeständnissen an Glaubwürdigkeit noch weniger gewinnen, die Waltons feiern in persona die Wiederauferstehung auf der Shipley Farm.
Szenerie / Setting
Die Farm wird bildlich und hübsch dargestellt. Aber von Anfang an brannte sich mir das Haus der Waltons in meine Netzhaut ein. Die Umgebung passt wie die Faust aufs Auge zu der Geschichte: Idyllisches Farmerleben, weite Apfelplantagen, die netten Nachbarn, die wöchentlich zum Abendessen vorbeikomme und alle Farmbewohner haben sich lieb. Hach, in dieser Welt würde ich auch gerne leben.
Sprache / Schreibstil
Sprachlich habe ich nichts auszusetzen. Der Schreibstil ist flüssig und gut lesbar, ohne aber außerordentlich zu sein. Die erotischen Szenen werden auch ausführlich dargestellt ohne g'schamiger Umschreibung. Die Kapitel wechseln sich zwischen den Perspektiven von Audrey und Griffin im Stile von Tagebucheinträgen ab. So bekommt man von beiden Seiten einen Einblick in die Handlung.
FAZIT
Bauer sucht Frau im nicht jugendfreien Setting von "Die Waltons". Leider passt es hinten und vorne nicht zusammen und hat mich ziemlich unbefriedigt zurück gelassen. Die letzten Seiten habe ich nur noch quer gelesen, die nur noch vor lauter Kitsch triefen. "Gute Nacht, John-Boy!"