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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 22.07.2017

Gerade so interessant

Don't You Cry - Falsche Tränen
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Dieses Buch ist ein Thriller, so steht es jedenfalls auf dem Cover. Von einem Thriller erwarte ich, dass ich mich grusele, oder gespannt Seite um Seite weiter blättere, dass ich mit den Protagonisten mitfiebere ...

Dieses Buch ist ein Thriller, so steht es jedenfalls auf dem Cover. Von einem Thriller erwarte ich, dass ich mich grusele, oder gespannt Seite um Seite weiter blättere, dass ich mit den Protagonisten mitfiebere und wissen will, was hinter allem steckt. Das einzige, was dieses Buch geschafft hat, war, dass ich wissen wollte, was hinter allem steckt.

Schon der Schreibstil ist mir direkt negativ aufgefallen: Ich-Perspektive und Präsens, durchbrochen von Erzählungen aus der Vergangenheit, die in der entsprechenden Zeitform geschrieben sind. An sich ist das Buch gut geschrieben, doch insbesondere die Zeitform hat mich häufig gestört. Meines Erachtens trägt der gewählte Stil nichts dazu bei, die Geschichte spannender zu machen oder sie anderweitig zu unterstützen.

Abwechselnd aus der Perspektive von Quinn, der jungen Frau aus dem Klappentext, und Alex, einem jungen Mann, der zunächst schwer zuzuordnen ist, werden wir über Esther und einige andere involvierte Menschen aufgeklärt. Das ist interessant. Aber auch wahnsinnig langweilig. Immer wieder nimmt sich die Autorin Zeit, Kleinigkeit sehr ausführlich zu beschreiben, sodass meine Thriller-Instinkte aufmerksam lesen, weil ich ahne, dass es später wichtig sein wird für die Aufklärung. Leider ist das nicht der Fall. Obwohl ich vor Ende des Buches auf die Lösung gekommen bin, trugen etwa 90 Prozent der ausführlichen Beschreibungen nichts zur Erkenntnis bei. Sie waren einfach nur da, für den Plot unerheblich, für die Charakterdarstellung selten von Belang. Ich bin mir sehr sicher, dass man das Buch um etwa 100 Seiten raffen könnte, ohne Inhalt zu verlieren.

Tatsächlich ist es nämlich auch so, dass die ersten 250 bis 300 Seiten nichts geschieht, was der Klappentext nicht bereits angedeutet hätte. Gewiss, wir wussten vom Klappentext nichts über Alex, doch seine Abschnitte erscheinen so belanglos, dass man sie schnell wieder vergisst. Die Ermittlungen von Quinn hingegen kommen über sehr, sehr weite Strecken des Buches nicht über den Klappentext hinaus. Das ist ungünstig, da so keinerlei Spannung entsteht.

Entsprechend erscheint das Ende dann recht plötzlich. Viele Erkenntnisse kommen mit einem Mal, viel wird gleichzeitig aufgeklärt, es wird spannend und dramatisch und dann ist es schon wieder vorbei. Man muss bei diesem Buch wirklich ganz bis zum Schluss durchhalten, um den Ansatz eines Thrillers geliefert zu bekommen. Das ist nicht für jeden etwas, so interessant die eigentliche Geschichte auch ist. Zusätzlich saß ich am Ende da und fragte mich, was mir diese Geschichte nun eigentlich sagen wollte. Kaputte Familien produzieren kaputte Menschen? Gib Acht auf deine Mitbewohner? Ich weiß es leider nicht.


FAZIT:
Der Thriller „Don’t you cry – Falsche Tränen“ von Mary Kubica ist ein interessantes Buch, welches über die ersten 300 Seiten hinweg leider keinerlei Spannung aufbauen kann. Der gewählte Stil ist ungewöhnlich, viele Passagen erscheinen übermäßig gestreckt und erzeugen damit das Gefühl von Langatmigkeit und Langeweile, obwohl es sich ansonsten flüssig liest. Insgesamt geschieht erstaunlich wenig in diesem Buch. Auch, wenn es nicht wirklich schlecht war, kann ich doch keine Kaufempfehlung aussprechen.

Veröffentlicht am 19.07.2017

Starker Thriller, der in fast allen Aspekten überzeugen kann

Du sollst nicht leben (Ein Marina-Esposito-Thriller 6)
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Der letzte Woche neu auf dem deutschen Markt erschienene Thriller „Du sollst nicht leben“ war das erste Werk, das ich von Tania Carver(1) gelesen habe. Entsprechend war ich mit den Figuren dieser Reihe ...

Der letzte Woche neu auf dem deutschen Markt erschienene Thriller „Du sollst nicht leben“ war das erste Werk, das ich von Tania Carver(1) gelesen habe. Entsprechend war ich mit den Figuren dieser Reihe nicht vertraut, doch das hat meinem Lesevergnügen keinen Abbruch getan.

An der Oberfläche haben wir es hier mit einem Serientäter zu tun, der sich dazu berufen fühlt, Gerechtigkeit dorthin zu bringen, wo das Auge des Gesetzes aus dem einen oder anderen Grund blind ist. Detective Inspector Phil Brennan, welcher der Ehemann der namensgebenden Marina Esposito ist, wird von diesem Täter auserkoren, als Verbindung zur Polizei und zur Presse zu dienen. Während jene Ermittlungen laufen, verfolgen wir Marina, wie sie eine sehr merkwürdige Dame untersucht und für die Polizei ein psychologisches Profil erstellen soll. Darüber hinaus gibt es die anfangs schwer einzuordnende Geschichte um eine Prostituierte und einen ehemaligen Gang-Boss. Man spürt, dass es Verbindungen gibt, doch man weiß nicht genau, wo diese verlaufen.

Obwohl ich die Chakatere nicht aus vorigen Büchern kannte, konnte ich doch alle schnell einordnen und mir ein Bild ihrer Eigenschaften machen. Sie erlangen nie echte Tiefe, doch haben ausreichend Leben in sich, dass sie interessant bleiben und die Geschichte voran bringen. Leider habe ich mich in zwei Charaktere verliebt, die offensichtlich nur für dieses Buch vorgesehen waren und keine wiederkehrenden Figuren sein werden.

Tatsächlich war es nämlich die Geschichte um die Prostituierte und den ehemaligen Gang-Boss, welche mich am meisten berührt hat. Diese beiden Charaktere waren so lebensecht und so tragisch, dass ich nicht anders konnte, als mit ihnen mitzufühlen. Sie geben der Stadt, in der die Geschichte spielt, sofort ein authentisches, hartes, unverzeihliches Gefühl, das mich gepackt und festgehalten hat. Auch die Hintergrundgeschichte zu den beiden, die wir Stück für Stück erfahren, hat mich mitgerissen.

Anders war es leider mit den Geschehnissen rund um Marina. Normalerweise bin ich für verrückte Psychopathen, die offensichtlich sehr intelligent sind, immer zu haben, doch irgendetwas an dieser speziellen Frau hat mich schnell gelangweilt. Die ersten paar Abschnitte mit ihr waren noch in Ordnung, doch dann wurde das Spiel ermüdend. Ja, sie hat vermutlich noch einige Tricks in ihrem Ärmel, doch wenn es nicht die Absicht der Autorin ist, das zeitnah aufzuklären, muss sie das nicht ständig mit dem Holzhammer demonstrieren.

Auf der anderen Seite ist der psychopathische „Rechtsprecher“, der den Mittelpunkt dieses Thrillers bildet, eine wirklich interessante Figur. Natürlich entsprechen solche Charaktere immer einem bestimmten Stereotyp, man kann bei einem intelligenten Serienmörder schlecht das Rad neu erfinden. Und so fühlte ich mich augenblicklich an den Antagonisten aus „Ich bin die Nacht“ von Ethan Cross erinnert, welchen ich, wie der Rezension zu entnehmen ist, sehr schlecht konstruiert fand. Carver macht nämlich mit dem „Rechtsprecher“ genau das richtig, was ich bei Ackerman von Cross kritisiert hatte: Er wird uns als intelligent präsentiert, er hat eine Ideologie, die er durchzieht und die gerade so verständlich ist, dass man sich als Leser irgendwie damit identifizieren könnte, und er ist brutal genug, um wahnsinnig zu wirken. Natürlich hat auch er ein heftiges psychisches Problem, doch anstatt dass uns das direkt auf die Nase gebunden wird, wartet die Autorin bis zum Schluss und klärt es häppchenweise auf. Die Ursachen seiner Probleme ergeben ein stimmiges Bild, auch wenn die Aufklärung vielleicht ein wenig eleganter hätte geschehen können. Sie wird am Ende für meinen Geschmack zu leicht und zu direkt einfach erzählt.

Das ist tatsächlich auch einer meiner größten Kritikpunkte an diesem Thriller: Die Autorin gibt uns immer mal wieder Einblicke in die Hintergründe der Figuren, doch so interessant und wichtig dies auch ist, so unelegant löst sie das. Jedes Mal, wenn so ein ein- bis dreiseitiger Abschnitt über die Hintergründe einer Figur kam, wurde ich aus dem Fluss gerissen und hörte den netten CinemaSins-Erzähler „Narration“ und „Exposition“ sagen. Es waren Fremdkörper in einem ansonsten runden Text. Ich bin mir auch sicher, dass es problemlos möglich gewesen wäre, diese Informationen in kleinere Stücke aufzuteilen und sie in mehreren verschiedenen Szenen deutlich beiläufiger einfließen zu lassen. Mit anderen Aspekten der Handlung und der Hintergründe ist Carver das nämlich auch gelungen.

Das Ende des Falls selbst ist ein wenig überraschend, aber angemessen dramatisch, ohne übertrieben zu wirken. Lediglich der noch schnell hinterher geschobene Cliffhanger, der wohl auf das nächste Buch hindeuten soll, hat mir nicht so gefallen, da er zu deutlich als Cliffhanger zu spüren war. Vielleicht nehmen Fans, welche die Figuren besser kennen und die Geschehnisse besser einordnen können, dies anders wahr, für mich jedoch war das tatsächlich ein Fall von übertriebener Dramatik.



FAZIT:

Der Thriller „Du sollst nicht leben“ von Tania Carver ist ein gutes Beispiel dafür, wie man einen richtigen Thriller schreibt. Die Figuren haben genug Tiefe, der Fall ist interessant und auch die Antagonisten werden auf eine Art beschrieben, dass sie anfangs furchteinflößend wirken. Die drei unterschiedlichen Handlungsstränge werden so geschickt präsentiert, dass man sich selten langweilt und nie verloren geht. Trotz kleinerer Probleme im Verlauf des Buches hatte ich sehr viel Spaß bei der Lektüre und würde nicht nur Fans, sondern auch Neueinsteigern empfehlen, dem Duo Esposito/Brennan eine Chance zu geben!

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(1) Tania Carver ist das Pseudonym für Martyn Waites. Da es das explizite Anliegen des Autors und seines Lektors war, einen weiblichen Thriller-Autor zu kreieren, werde ich in meinem Text stets von „der Autorin“ sprechen, um dem gerecht zu werden.

Veröffentlicht am 13.07.2017

Flach, konstruiert, ohne Spannung

Ich bin die Nacht
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ACHTUNG: SPOILER!

Es gibt zwei Dinge an diesem Buch, die ich gut finde: Das Cover bzw. die gesamte Aufmachung des Buches und den Klappentext. Beides bewerte ich jedoch bei keinem Buch, entsprechend fließt ...

ACHTUNG: SPOILER!

Es gibt zwei Dinge an diesem Buch, die ich gut finde: Das Cover bzw. die gesamte Aufmachung des Buches und den Klappentext. Beides bewerte ich jedoch bei keinem Buch, entsprechend fließt es auch hier nicht mit ein. Ich konnte keine Rechtschreibfehler oder Übersetzungprobleme finden, doch auch das beeinflusst meine Bewertung nur, wenn ich gravierende Mängel entdecke. Alles andere, und ich meine wirklich: alles andere ist in meinen Augen schlecht.

Der Klappentext verspricht einen sehr spannenden Serienmörder namens Francis Ackerman junior. Tatsächlich kommt er in diesem Buch auch vor, aber er ist nicht der namensgebende "Shepherd", um den es in dieser Reihe geht. Die wahre Hauptperson ist Marcus Williams, ein ehemaliger Polizist, der sich in einer abgelegeneren Stadt ein neues Leben aufbauen möchte. Er wird direkt in eine Schlägerei verwickelt und kommt so in Kontakt zum örtlichen Sheriff und dessen Tochter Maggie. Während Ackerman fröhlich mordet, verfolgen wir die Geschichte von Marcus, bis sich die Wege kreuzen. Marcus stolpert über eine von Ackerman hinterlassene Leiche. Ziemlich schnell wird ihm klar, dass der Tatort mehr als eine Ungereimtheit aufweist, er kehrt also nachts zusammen mit dem Sheriff zurück und entdeckt - der Sheriff hat Ackerman festgesetzt und will offenbar Lynchjustiz begehen.

Von dem Punkt an wird der Plot immer abstruser: Marcus ist nicht begeistert von den Plänen des Sheriffs, er flieht und wird von der Polizei verfolgt, entdeckt, dass es offenbar ein ganzes Netzwerk von durchgedrehten Polizisten und Justizbeamten gibt, die sich anmaßen, eigenständig über Verbrecher richten zu dürfen, so dass er keinem mehr trauen kann. Während Marcus auf der einen Seite Ackerman weiter verfolgt, muss er sich vor der Polizei verstecken und sucht einen Weg, alles offen zu legen - am besten so, dass man ihm auch glaubt und niemand im Hintergrund dagegen wirken kann. Überraschend kommen ihm Personen zu Hilfe, bspw. Maggie, die verdeckt für den angeblichen Immobilienmakler ermittelt, der in Wirklichkeit vom FBI ist und Marcus verrät, dass seinen Erkenntnissen nach sogar der Präsident der Vereinigten Staaten hinter dem Netzwerk stecken könnte. Ein Showdown steht an, Verbündete verraten sich gegenseitig und am Ende ist doch wieder alles ganz anders, als man dachte.

Zunächst: Ein Thriller muss nicht immer weltumspannende Bedrohungen oder politische Intrigen auf höchster Regierungsebene beinhalten, um spannend zu sein. Dass plötzlich und aus dem Nichts der Präsident mit drin hängen soll, hat mich zu heftigem Augenrollen veranlasst. Nicht immer muss die Welt auf dem Spiel stehen.

In meinen Augen lebt ein guter Thriller von seinen Figuren. Wenn ich als Leser mich mit einer Figur identifizieren kann, fesselt mich das Geschehen ganz anders. Vielleicht finde ich auch einfach nur einen Charakter ungemein spannend und will mehr erfahren. In jedem Fall aber muss es für mich das Zusammenspiel der Protagonisten und Antagonisten sein, die die Geschichte vorwärts treiben. Das ist hier leider nicht der Fall. Es gibt einen - wie man am Ende erfährt - klar gestrickten Plot und der Autor setzt Himmel und Hölle in Bewegung, damit alle Figuren sich plot-angemessen verhalten. Das hat Konsequenzen, sehr negative.

Keine die Figuren hat einen Charakter. Niemand. Francis Ackerman jr. hat im Klappentext mehr Charakter, als er es später im Buch hat. Natürlich steckt in jedem Serienmörder irgendein psychisches Problem. Doch das möchte ich nicht in der ersten Szene, in der er auftritt, erfahren. Ich möchte mich zumindest eine Zeit lang gruseln, über seine abgrundtiefe Bösartigkeit entsetzt sein und fasziniert der eiskalten Berechnung des Killers zuschauen. Stattdessen bekomme ich von Anfang an einen Menschen, der von seinen Kindheitstraumata und den daraus resultierenden psychischen Problemen definiert ist. Eine psychische Krankheit ist kein Charakterzug! Ackerman bleibt charakterlos, da der Autor sich viel zu sehr mit seiner psychischen Krankheit auseinandersetzt. Entsprechend bleibt Ackerman uninteressant und austauschbar.

Ebenso Marcus Williams: Er ist die Hauptfigur und wir erfahren wortwörtlich nichts über ihn. Er war einmal ein Polizist und ist es nicht mehr, da er - in einer wahnsinnig schockierenden Wendung - einst selbst Lynchjustiz benutzt hat, um einen Serienvergewaltiger und Mörder zu töten, von dem er wusste, dass er davon kommen würde. Das ist seine wahnsinnig dunkle Vergangenheit, die ihn bis in seine Träume verfolgt und sein Handeln stets zu determinieren scheint. Ständig ist die Rede von einer Bestie, die in seinem Innersten lauert und ihn Ackerman gleichstellt. Er zweifelt sogar an sich, und es soll bestimmt ein zentraler Punkt in diesem Thriller sein, dass Marcus einst genau das getan hat, was nun der Sheriff tut und was er nun so heftig ablehnt: Justiz außerhalb des rechtlichen Rahmens. Nur leider funktioniert das nicht. Da werden Äpfel mit Birnen verglichen. Marcus hat ein Vergewaltigungsopfer vor sich und der Täter, der schon viele andere vorher vergewaltigt und ermordet hat, verhöhnt ihn, weil er Senator ist und bisher immer seine Spuren vertuscht wurden. Marcus tötet ihn und ist bereit, dafür ins Gefängnis zu gehen. Er sieht, dass die Justiz hier blind ist, er reagiert emotional und aus einem menschlichen Instinkt heraus, und auch, wenn er nie wirklich Reue über sein Handeln empfinden konnte, so weiß er doch, dass er illegal gehandelt hat und dafür bestraft werden muss. Das ist die einzelne Entscheidung eines einzelnen Mannes, der seine moralische Urteilskraft genutzt hat und zu dem Schluss kam, dass er das Gesetz berechen muss. Etwas ganz anderes ist ein organisierter Ring von Polizisten und Justizbeamten, die mit eiskalter Rationalität der Meinung sind, sie stünden über dem Gesetz und hätten das Recht, über Leben und Tod zu urteilen. Dieser zentrale Dreh- und Angelpunkt der Geschichte funktioniert nicht, er ist plump und weil er nicht funktioniert, bricht die gesamte Geschichte in sich zusammen.

Auch alle anderen Figuren bleiben charakterlos. Entsprechend bleibt es für mich als Leser ohne jegliche emotionale Konsequenz, wenn der eine den anderen verrät. Ich bin unbeteiligter Beobachter. Viel zu viele Figuren sind so offensichtlich einfach nur da, damit der Plot weitergehen kann, dass es zunehmend langweilig wird. Niemand hat eine echte Verbindung zu irgendjemandem, alle tun stets nur das, was es braucht, um in der Geschichte voranzukommen. Das spiegelt sich leider auch in den Dialogen. Da die zwischenmenschlichen Beziehungen flach und die Figuren charakterlos bleiben, sind die Gespräche hölzern. Authentische Figuren haben immer ihre eigene Art zu sprechen. Es muss nicht auffällig anders sein, aber doch zumindest ein Hauch von Eigenheit. Nichts davon ist hier zu spüren. In einem Moment ist der Sheriff warm und verständnisvoll und wie ein Kumpel, dann redet er wie ein durchgedrehter, eiskalter Wahnsinniger und am Ende ist er der größte Anführer überhaupt. 

Zusätzlich werden vom Autor viel zu viele Klischees bedient. Die einfachen Polizisten, die nicht wissen, was los ist und keinerlei Chance gegen den Serienmörder oder sonst irgendjemanden haben. Die wehrlosen Opfer, die augenblicklich in Panik verfallen und weinen und betteln. Das eine Opfer, das den Täter berührt und ihn zum Nachdenken bringt, bei dem er sich sogar bedankt, dass sie mit ihm wie mit einem echten Menschen gesprochen habe. Der Held, der keine sozialen Bindungen hat und deswegen bereit ist, gleichzeitig sein Leben für alle zu riskieren und für immer woanders hin zu verschwinden und sich eine neue Identität zuzulegen. Das schöne Mädchen, das als starke Frau vorgestellt wird, dann aber doch immer nur gerettet werden muss. Nicht nur werden diese Tropes bedient, es finden sich auch unzählige Sätze, die so schon von anderen tausendmal genutzt worden sind, abgedroschen klingen und genau deswegen das Gegenteil von Spannung verursachen.

Ich hatte mich auf einen Serienmörder gefreut, der hochintelligent und absolut wahnsinnig ist, der mit seinen Opfern Spiele spielt, die mir die Nackenhaare zu Berge stehen lassen. Bekommen habe ich einen in Selbstmitleid versinkendes Kind in Erwachsenengestalt, das sogar nur eine Randfigur im eigentlichen Geschehen ist. Ich habe mich viel geärgert, viel gelangweilt und ich habe viel gelacht.


Fazit:
„Ich bin die Nacht“ von Ethan Cross ist der Auftakt zur mehrteiligen Shepherd-Reihe, in deren Mittelpunkt der ehemalige Polizist Marcus Williams steht. Was als Thriller über einen wahnsinnigen Serienmörder angepriesen wird, ist in der Realität einer eine Intrige innerhalb der Polizei. Die Figuren sind flach, der Plot unglaubwürdig und alle Wendungen so abstrus, das für mich zu keinem Zeitpunkt Spannung aufgekommen ist. Nichts in diesem Buch hat mir gefallen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Spannung
  • Figuren
  • Handlung
  • Erzählstil
Veröffentlicht am 12.07.2017

Starker Thriller mit schwacher Hauptperson

Stadt der Intrigen
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Einen gut recherchierten Thriller wie diesen habe ich lange nicht mehr gelesen. Die Autorin Christina Kovac hat lange Zeit als Produzentin und Redakteurin beim Fernsehen gearbeitet, entsprechend authentisch ...

Einen gut recherchierten Thriller wie diesen habe ich lange nicht mehr gelesen. Die Autorin Christina Kovac hat lange Zeit als Produzentin und Redakteurin beim Fernsehen gearbeitet, entsprechend authentisch sind ihre Schilderungen des Alltags ihrer Protagonistin. Gerade bei einem Thriller, der in einem politischen Umfeld spielt, ist es wichtig, dass der Laie das Gefühl bekommt, die Dinge könnten sich in der Realität ganz genauso abspielen. Das ist Kovac in ihrem Debüt gut gelungen.

Das Buch startet langsam, denn obwohl die Hauptfigur Virginia gleich zu Beginn über das Bild der vermissten Frau stolpert, zeichnet sich zunächst nicht ab, welche Bedeutung ihr Verschwinden bekommen würde. Tatsächlich dauert es etwa bis zur Hälfte des Thrillers, bis sich den Helden die Größe dessen offenbart, womit sie es zu tun haben. Das ist realistisch gestrickt, da auch Menschen, die ihr täglich Brot mit politischem Journalismus verdienen, selten damit rechnen, in eine riesige Intrige zu stolpern. Die Art, wie Virginia zusammen mit ihren Kollegen Ben, Isaiah und anderen Informanten befragt und langsam das Puzzle zusammensetzt, baut ganz langsam, aber unaufhaltsam Spannung auf.

Während auf der einen Seite die Ermittlungen zum Verschwinden der Frau voranschreiten, bekommen wir auch Einblicke in das Privatleben und das berufliche Umfeld der Personen. Auf der einen Seite entwickelt sich eine sehr vorsichtige, und genau deswegen realistische Liebesgeschichte zwischen Virginia und ihrem Kollegen, während gleichzeitig Personalkürzungen und betriebsinterne Intrigen allen Beteiligten das Leben schwer machen. Auch das Verhältnis der Journalisten zu ihren Quellen, seien es Zivilisten oder Polizeiangehörige, wird immer wieder beleuchtet. Als jemand, der selbst für verschiedene Zeitungen und Radios gearbeitet hat, kann ich bestätigen, dass Loyalität und Vertrauen zwischen Reportern und Informanten das Fundament jeglicher journalistischer Arbeit ist. Der ständige Kampf, eine Geschichte auf Basis präsentierbarer Fakten zu produzieren, und Quellen zu beschützen und bei der Stange zu halten, ist manchmal ein Spagat, der kaum machbar ist.

Die Geschichte selbst ist solide dargestellt, realistisch insbesondere im Kontext von Washington, und entwickelt sich in einem angemessenen Tempo. Trotzdem konnte das Buch mich nicht überzeugen. Das Problem liegt bei dem Erzählstil: Wir haben es mit einer Ich-Erzählerin zu tun, das Buch wird konsequent ausschließlich aus der Perspektive von Virginia geschrieben. Paradoxerweise führt das dazu, dass Virginia ein oberflächlicher Charakter bleibt. Zwar bekommen wir immer wieder kurze Einblicke in ihren Hintergrund und ihre Kindheit, doch werden diese Pfade nicht wirklich weiter verfolgt und entwickeln keine Relevanz für ihren Charakter. So gut sie in ihrer Arbeit als Journalistin ist, bleiben die präsentierten Mängel ihres Charakters immer oberflächlich. Einige ihrer Entscheidungen sind für mich entsprechend nicht nachvollziehbar, insbesondere das Ende – welches ich hier nicht verraten werde – hat mich vollkommen sprachlos und ungläubig hinterlassen. In meinen Augen ist ihr Charakter nicht entwickelt genug, um sie wirklich verstehen zu können.

Das ist schade, denn dieser Thriller lebt von den zwischenmenschlichen Beziehungen. Insbesondere in jenen Momenten, da es um verletzte Eitelkeiten und Affären geht, hat das Buch seine Stärken. Sogar die angedeutete Sexszene ist herausragend ausgeführt. Leider blieb Virginia immer kalt für mich, wenn ich mit Charakteren mit litt und um sie bangte, waren es immer die anderen, nicht sie selbst. Ich frage mich, ob eine andere Erzählperspektive, die erlaubt hätte, Virginia von außen zu sehen, der Geschichte geholfen hätte, die Hauptfigur tiefer zu gestalten.


Fazit:

Der Thriller „Stadt der Intrigen“ ist ein gelungenes Debüt von Christina Kovac. Die immer größer werdenden Kreise, welche die Intrige rund um das Verschwinden der Frau zieht, sind gekonnt inszeniert und bauen systematisch Spannung auf. Wir erhalten tiefe Einblicke in die Nachrichtenwelt und das politische System von Washington, wo anscheinend jeder seine ganz eigenen Motive hat. Leider bleibt die Hauptfigur Virginia Knightley bis zuletzt blass, so dass manche Entscheidungen und Entwicklungen nicht so nachvollziehbar und authentisch sind, wie sie sein sollten. Trotzdem konnte ich die Lektüre mehr als genießen.

Veröffentlicht am 09.07.2017

Ein interessantes, aber nicht emotional fesselndes Buch

Machtmenschen
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"Machtmenschen" ist ein Buch, das ein klares Anliegen hat. Die dystopische Welt, in der wir leben würden, wenn der Nationalsozialismus nicht untergegangen wäre, ist grausam, unmenschlich und selbst für ...

"Machtmenschen" ist ein Buch, das ein klares Anliegen hat. Die dystopische Welt, in der wir leben würden, wenn der Nationalsozialismus nicht untergegangen wäre, ist grausam, unmenschlich und selbst für die Angehörigen der "Herrenmenschen" nicht schön. Spuren von Macht und Machtmissbrauch sehen wir auch in unserer realen Gegenwart, wenn wir nur hinschauen. All das steckt in diesem Buch. Die Botschaft ist klar, eindringlich formuliert und mit einem deutlich erhobenen moralischen Zeigefinger präsentiert. Genau darin liegt leider das Problem, das ich mit diesem Buch habe.

Von der ersten Zeile an ist offensichtlich, dass Torunn Siegler die deutsche Sprache beherrscht wie kaum noch jemand heutzutage. Sie weiß, welche Emotionen Worte auslösen können, und schafft es, ihre geschriebenen Erzählungen durch geschickt gewählte Adjektive in Bilder umzuwandeln, die ganz bestimmte Assoziationen auslösen. Fünf verschiedene, aber vernetzte Einzelschicksale werden uns präsentiert, fünf verschiedene Perspektiven auf die Diktatur bekommen wir analysiert in einer Sprache, die eindringlicher kaum sein könnte.

Mit Heidrun haben wir eine Mutter, die zwar in ihrer emotionalen Flatterhaftigkeit nicht recht in das arisch-disziplinierte System zu passen scheint, jedoch trotzdem lange braucht, um ihre Augen für die grausame Realität zu öffnen. Bernhard, ihr Sohn, hat sich beinahe von Anfang an als Opfer des Systems gefühlt, hat sich selbst verloren, doch erst, als er sich wiederfindet, begreift er die Realität, die ihn umgibt, vollständig. Waltraud ist ein gutes arisches Mädchen, das aufgrund ihrer Blutslinie zwar zu den Herrenmenschen gehört, aber nicht zum deutschen Adel. Sie ist stolz auf sich, ihren Körper und ihr Können, doch auch ihre naive Sicht auf die Welt wird zerstört, als man ihr die Chance zum Aufstieg bietet. Der Zwangsarbeiter Bogdan wiederum lebt in einer ganz anderen Welt, für ihn ist die Grausamkeit der Diktatur Alltag, doch auch er hat damit zu kämpfen, seinen Glauben und die Realität in Einklang zu bringen. Und zu guter Letzt lernen wir Hedwig, Tochter von Goebbels und von Hitler selbst zur Führerin bestimmt, kennen, die schon 80 Jahre alt ist, aber noch immer entschlossen und zielstrebig auftritt. Von allen kennt sie das System am besten, so dass es kein Wunder ist, dass sie auch die Schwachstellen und Probleme am besten erkennt. Alle fünf Schicksale sind ausführlich erzählt, doch nur jenes von Bernhard konnte mich tatsächlich emotional rühren.

Wie der Titel schon sagt, geht es in diesem Buch um Macht. In meinem Studium der Politikwissenschaft bin ich unzähligen Theoretikern begegnet, die mit dem Begriff der Macht gearbeitet haben. Es gab zu allen Zeiten jene, die Macht verabscheut haben, und jene, die Macht für unabdingbar gehalten haben. Es gibt jene, die überall, selbst in den reinsten zwischenmenschlichen Beziehungen, Machtstrukturen und Machtgefälle entdecken. Macht ist dann am stärksten, wenn sie ohne Gewalt auskommt, was auch dieses Buch gut darzulegen weiß. Gerade in der Einrichtung der Ferienanlage sehen wir eine Machtdemonstration, die darauf ausgelegt ist, die arischen Menschen so glücklich über ihr eigenes Leben zu machen, dass sie vergessen, dass sie aktiv die Augen vor der Realität verschließen müssen, um glücklich sein zu können. Das ist orwell'sches "Doppeldenk" im besten Sinne. Wer nie zuvor intensiv über Macht nachgedacht hat, findet hier viel Neues.

Insgesamt 172 Anmerkungen ziehen sich durch den Text, zumeist Erklärungen zu Namen oder Abkürzungen, die belegen, wie gut recherchiert dieser Roman ist. Die Autorin selbst hat immer wieder erklärt, dass wenig von dem, was sie geschrieben hat, tatsächlich ausgedacht ist. Was sie hier erzählt, ist wirklich nur eine konsequente Weiterentwicklung diverser Pläne der Nationalsozialisten. Selbst die religiöse Unterfütterung der Politik mit nordischer Mythologie ist nicht weit hergeholt. Das liest sich sehr interessant, man fühlt sich oft genug an den eigenen Geschichtsunterricht erinnert, doch für mich persönlich ging es darüber nie hinaus.

So großartig komponiert die einzelnen Sätze auch sind, ich spürte von Beginn an die Ablehnung der Autorin für das System, das sie schildert. Das gesamte Buch ist durchzogen von sehr deutlichen Hinweisen, dass man das, was man liest, ablehnen soll. Als Leser muss ich nie eigene Denkleistung aufbringen, um zu diesem Schluss zu kommen, selbst das Innenleben der Figuren wird so intensiv geschildert, dass man jeden versteht. Dialoge, die hintersinnig und codiert daherkommen, weil die politischen Menschen einander misstrauen, werden dem Leser im gleichen Atemzug entschlüsselt, so dass sich nie ein triumphierendes "Ich habe verstanden, was sie eigentlich sagen" aufkommen kann.

Ein Buch wie dieses will ja eine Botschaft vermitteln. Es geht darum, die Gefahr einer Dystopie in leuchtenden Farben - oder eben auch in dem einheitlichen braun-grau-schwarz dieser Ideologie - zu zeichnen, um zu warnen. Eine solche Botschaft hat besonders das Schlagkraft, wenn der Leser sie aus sich selbst heraus erkennt. Schon in der Schule merkt das Kind, dass es sich jene Dinge problemlos merken kann, die es begreift, ohne ein Schulbuch auswendig lernen zu müssen. Und ebenso ist es im späteren Leben: Was als Erkenntnis zu uns kommt und ins uns gereift ist, vergessen wir niemals und das berührt uns, erhält genau dadurch genug Kraft, um uns langfristig im Handeln und Denken zu verändern. Das ist der Vorteil der Literatur gegenüber dem Sachbuch: Die Literatur hilft uns, unser Denken und unseren Horizont zu erweitern, indem wir durch geschickt gesponnene Geschichten selbst zu Erkenntnissen kommen, während das Sachbuch uns Dinge offen darlegt und erklärt. Ich hätte mir von diesem Roman gewünscht, dass er ein wenig mutiger gewesen wäre, seinen Lesern mehr eigenes Denken und Verstehen zugetraut hätte.



FAZIT:

Der dystopische Roman "Machtmenschen - Von Führern und Verführten" von Torunn Siegler ist eine spannende, im Sinne von interessante Geschichte darüber, was geschehen würde, wenn der Nationalsozialismus bis heute überlebt hätte. Die fünf Einzelschicksale sind ausführlich, aber bis auf eine Ausnahme in meinen Augen nicht emotional fesselnd geschrieben. Die Schattenseiten des modernen NS-Regimes werden nicht subtil, sondern mit erhobenem moralischen Zeigefinger erzählt.