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Thoronris

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 02.06.2017

Ich wusste nicht, dass ein Buch mich wütend machen kann

For 100 Days - Täuschung
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Ich lese viel erotische Literatur und entsprechend kann ich an viele der Tropes mit einem gutmütigen Glauben rangehen - suspension of disbelief funktioniert zwar anders, aber ich habe mich arrangiert um ...

Ich lese viel erotische Literatur und entsprechend kann ich an viele der Tropes mit einem gutmütigen Glauben rangehen - suspension of disbelief funktioniert zwar anders, aber ich habe mich arrangiert um der Geschichte Willen.


Dass Avery beim Anblick des arroganten Mannes schwach wird? Okay. Dass er sie umgekehrt genauso begehrt? Meinetwegen. Dass ein nächster gutaussehender Mann daher kommt und sexuelles Interesse zeigt? Ein wenig fragwürdig, aber noch in Ordnung. Dass sie Geheimnisse vor ihm hat, die so furchtbar sind, dass sogar wir Leser im Dunkeln gelassen werden? Gehört halt heute dazu. Dass direkt am Ende diese Geheimnisse aufgeklärt werden und dann, Hallo, Cliffhanger, neue eingeführt werden, auf der letzten Seite, und zwar in der Form "mysteriöser, bösartiger Ex?" ... Muss halt einen Folgeband verkaufen.


Wenn nicht diese Aneinanderreihung von Klischees und nur im Kontext eines Erotik-Romans überhaupt funktionierenden Bekanntschaften schlimm genug wäre, haben wir dann ganz am Ende die Eröffnung, quasi Vergewaltigung ex machina. Ich sage ja nicht, dass jeder Mensch, der mal vergewaltigt wurde, danach keinen Sex mehr will... aber come on! Eine Vergewaltigung, insbesondere durch den Stiefvater, wenn man noch jung ist, hat Auswirkungen auf das Sexualleben. Avery kann Sex in vollen Zügen genießen und mag es, wenn sie dominiert wird - okay, möglich. Es kann durchaus geschehen, dass Opfer sexueller Gewalt danach gerade die unterwürfige Rolle suchen und einen dominanten Partner brauchen. Aber dann muss man das thematisieren. Irgendwie andeuten. Irgendetwas. Aber insbesondere zu Beginn funktioniert der Sex problemlos, kein Hauch von Zögern oder unguten Erinnerungen, nichts. Avery lässt zu, dass sie sich vollständig hingibt, dass sie sich fallen lässt, verwundbar macht, einem Mann gegenüber, den sie kaum kennt. Und sie will das immer und immer wieder. Selbst, als sie herausfindet, wer Nick ist, ist sie nur kurz wütend, aber seine "dunkle Stimme" macht sie schnell wieder gefügig. Diese Frau ist vollständig von ihrem Verlangen dominiert und das nicht auf selbstbestimmte Art und Weise, sondern wie fremdgesteuert. Es ist zum Haare ausraufen! Klischees und Tropes in Erotik-Romanen hin oder her, das ist einfach alles zu viel!


Besonders stark wirkt dieser Punkt auf mich, da ich gerade "Ein unsittliches Angebot" (ebenfalls bei LYX erschienen) gelesen habe, wo die Frau zwar mit einem Mann schläft, sich aber bewusst ist, wie viel Macht er bekommt, wenn sie sich fallen lässt und offen genießt, weswegen sie sich lange dagegen sperrt - sie möchte keinem fremden Mann diese Art von Macht geben. Als sie sich am Ende doch darauf einlässt, ist es eine eigenständige, selbstbewusste Entscheidung! Das ist erotisch!


Dieses Buch hat mich einfach nur wütend gemacht. Weder erfahren wir je, was bspw Nick eigentlich an Avery so toll findet, noch kann ich mich auch nur im geringsten mit Avery identifizieren. Ich mag Dominanz-Spielchen auch - wenn sie auf Augenhöhe geschehen und beide Partner wissen, was sie da tun. Es gibt einen Extra-Stern, weil der Schreibstil bzw die Übersetzung gelungen ist und so zumindest das Lesen selbst angenehm war.

Veröffentlicht am 29.05.2017

Ein zu lang geratener Prolog

Die Brut - Sie sind da
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Dieses Buch ist als Thriller bezeichnet, hat jedoch deutliche Elemente des benachbarten Horror-Genres. Wer mit Spinnen nicht gut kann oder relativ detaillierte Beschreibungen von blutigen Szenen nicht ...

Dieses Buch ist als Thriller bezeichnet, hat jedoch deutliche Elemente des benachbarten Horror-Genres. Wer mit Spinnen nicht gut kann oder relativ detaillierte Beschreibungen von blutigen Szenen nicht mag, ist hier definitiv falsch.

Ebenfalls falsch ist hier allerdings auch jeder, der eine stringent erzählte Geschichte mit klassischem Spannungsbogen sucht. Schon nach wenigen Kapiteln, die alle recht kurz gehalten, teilweise nicht einmal eine Seite lang sind, wird deutlich, dass wir es mit einer großen Gruppe von vorläufig unabhängig voneinander agierenden (oder besser: reagierenden) Figuren zu tun haben. Manche sind relativ offensichtlich nur als Bauernopfer da, um dem Leser anschaulich das Grauen der Bedrohung vor Augen zu führen, während andere sich schnell als Protagonisten herauskristallisieren und wieder andere in ihrer Bedeutung noch unklar bleiben. Für mich war es kein Problem, den vielen verschiedenen Handlungssträngen zu folgen, doch mit ein bisschen weniger Aufmerksamkeit kann man da schon mal ins Schwimmen geraten. Gerade auch die Anzahl an „Bauernopfer-Kapiteln“ ist eventuell zu hoch, da sie meistens wenig Neues (und soweit bisher ersichtlich: wenig Bedeutendes) beisteuern.

Die Personen, die uns länger begleiten, haben alle eines gemeinsam: Sie sind sehr menschlich und sie denken sehr gerne über sich, ihr Aussehen, ihr Sexleben und das Sexleben ihrer Mitmenschen nach. Mir gefällt es, wenn Figuren in Büchern tatsächlich viel nachdenken und wir als Leser das mitbekommen. Das gibt sowohl den Charakteren als auch der Geschichte Tiefe und kann zu spannenden Momenten führen. Charakterentwicklung ist nicht umsonst meine favorisierte Triebfeder für den Plot. Hier jedoch folgt aus der Charakteranalyse nichts. Rein gar nichts. Weder entwickeln sich Beziehungen, noch hat jemand Sex, noch handelt irgendein Charakter aus einer beziehungstechnischen Motivation heraus. Gewiss, manche Personen lernen sich nur aufgrund anderer, existierender Beziehungen kennen, aber nie wird das, was so viel Platz in der Erzählung einnimmt, tatsächlich zur Triebfeder irgendeiner Handlung. Entsprechend fragwürdig ist es, warum den inneren Monologen und dem Sexleben der Charaktere so viel Spielraum beigemessen wird.

Gerade die erste Hälfte des Buches ist zudem dominiert von Zurschaustellung des Horrors, was leider relativ schnell eintönig und repetitiv wirkt. Besonders interessant: Obwohl viele verschiedenen Regionen der Welt präsentiert werden, haben wir doch einen sehr deutlichen Amerika-Fokus, was für mich ein weiteres zentrales Problem des Buches ist: Wir betrachten die Welt nur als Amerika. Ja, die bisher wichtigsten Personen sind alle Amerikaner – zum Beispiel die Präsidentin der USA. Ja, natürlich interessieren sich amerikanische Medien nicht für China oder Indien. Das könnte man in den Teilen, die in Amerika spielen, tatsächlich so darstellen und es könnte eine schöne unterschwellige Gesellschaftskritik sein. Stattdessen jedoch reiht sich der Autor mit dem Buch selbst direkt ein: Wir sind in China und Peru und Indien nur Zuschauer, reine Zuschauer. Während wir von Amerika erfahren, was in Medien, Bevölkerung und Regierung vor sich geht, sehen wir in allen anderen Ländern, die betroffen sind, nur von außen was das Grauen anrichtet. Warum kann man nicht zumindest einen Einblick geben, wie die Entscheidung für die Atombombe abgelaufen ist? Wieso kann man nicht zumindest als Ausschnitt zeigen, wie indische Medien reagieren? Und wo ist eigentlich Europa, abgesehen von Schottland? Muss ein Thriller, der eine globale Bedrohung zum Thema hat, denn nur auf Amerika fokussiert sein, bloß weil der Autor amerikanisch ist und das erste Zielpublikum auch? Kann man nicht in unserem heutigen Zeitalter zumindest versuchen, international zu denken? Aber wer weiß, vielleicht überraschen mich die Folgebände ja in der Hinsicht. Vom alten amerikanischen Patriotismus, wie wir ihn bei Independence Day hatten, habe ich jedenfalls genug.

Kommen wir zu der Frage, ob dieses Buch spannend ist. Ich würde sagen: Es ist interessant. Gerade die zweite Hälfte des Buches wir zunehmend interessanter und so hat auch mein Lesetempo zugenommen. Allerdings habe ich mich nie gegruselt oder fand es wirklich spannend. Bei „Die Saat“ von Guillermo Del Toro, welches ganz ähnlich funktioniert mit verschiedenen Protagonisten, Bauernopfer und einer zunächst unbekannten Bedrohung, da habe ich mich teilweise so sehr gegruselt, dass ich nachts Angst vor dem Einschlafen hatte. Es ist also durchaus möglich, mit dem geschriebenen Wort Horror zu erzeugen. Doch entweder, in der Übersetzung ist etwas verloren gegangen – muss man eigentlich „obstacle“ wirklich mit „Obstakel“ übersetzen? – oder der Autor ist einfach nicht im selben Maße fähig zu bildgewaltiger Sprache. Schade, denn er nimmt sich viel Zeit, das Grauen und die blutigen Szenen zu beschreiben, doch mehr als ein mildes „Oha“ hat es bei mir nie ausgelöst – und ich ängstige und ekele mich schnell! Dennoch: Es war interessant, die Figuren haben authentische Dialoge geführt und die Handlung hat sich weitestgehend logisch entwickelt.


Fazit

Der Thriller „Die Brut – Sie sind da“ von Ezekiel Boone ist interessant, aber nicht spannend oder gruselig. Obwohl die zweite Hälfte des Buches stärker wurde, konnte die Geschichte mich nie fesseln, da die Handlung kaum voran ging und man nie den Eindruck hatte, die extrem selbst-reflektierten Charaktere würden tatsächlich agieren. Das gesamt Buch liest sich wie ein raffinierter Prolog – und da es der Auftakt zu einer Trilogie sein soll, muss man es wohl als solchen betrachten, um das Buch mögen zu können.

Veröffentlicht am 11.05.2017

Mein bisheriges Highlight 2017!

Ein Kuss um Mitternacht
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Wo soll ich anfangen? Nachdem ich durch Zufall auf die historischen Liebesromane aus dem LYX-Verlag gestolpert bin, habe ich eine Sucht dafür entdeckt. Und hatte ich noch bei Meredith Durans "Eine nächtliche ...

Wo soll ich anfangen? Nachdem ich durch Zufall auf die historischen Liebesromane aus dem LYX-Verlag gestolpert bin, habe ich eine Sucht dafür entdeckt. Und hatte ich noch bei Meredith Durans "Eine nächtliche Begegnung" gedacht, dass ich vielleicht die Latte schon beim Einstieg hoch gelegt habe, wurde ich durch Eloisa James eines Besseren belehrt.

Eines direkt zu Beginn: Es handelt sich hier um ein Märchen, das im Gewand eines historischen Romans daher kommt. Das bedeutet, dass die Autorin es hier nicht so ernst meint mit historischer Genauigkeit, was ihr diverse Freiheiten insbesondere mit den Figuren und ihren Charakteren erlaubt. Wir haben es hier mit der Geschichte des armen Aschenputtels zu tun, das einen Prinzen kennen lernt, der ihren Wert erkennt und sie erobert. Die Hauptperson in Form von Kathe Daltry ist eine junge, aber nicht mehr ganz junge Frau, die nach dem Tod wie ein Dienstmädchen im eigenen Haus lebt. Ihr Prinz, Gabriel, der aus seiner Heimat mehr oder minder verbannt wurde und deswegen in England lebt, ist ein gelehrter, aber immer zum Flirten bereiter Mann. Ihre erste Begegnung lässt beide wenig voneinander halten, doch gerade weil sie einander so fremd sind, so anders als alle andere, die sie kennen, interessieren sie sich schnell füreinander. Das ist so vorhersehbar wie klischeebeladen, aber die Ausführung ist grandios und unterhaltsam.

Natürlich gibt es auch eine böse Stiefmutter, die nur darauf bedacht ist, ein angenehmes luxuriöses Leben zu führen und das Beste für ihre eine Tochter herauszuholen, doch anders als im Märchen ist diese Tochter kein Scheusal, sondern einfach nur ein naives, gutherziges Mädchen, das ehrlich in einen jungen, reichen Mann verliebt ist, mit dem sie sich verlobt hat. Dass sie drei nervige Hunde hat, auf welche Kate an ihrer statt aufpassen muss, passt perfekt zu dem Charakter. Ebenso, wie die Stiefschwester nicht böse ist, haben wir es in dieser Geschichte generell mit einer Menge guter Menschen zu tun, die, selbst wenn sie schräg wirken, immer nachvollziehbare Motive haben. Der einzige weitere schlechte Mensch, ein Mann, wird öfters erwähnt, tritt dann kurz in Erscheinung, um sodass direkt wieder abtreten zu dürfen. Er diente dazu, das noble Herz des Prinzen zu zeigen, und das ist auf augenzwinkernde Weise sehr gut gelungen. Auch die russische Prinzessin, welche mit ihrem Vermögen den verarmten Prinzen retten soll, existiert als Gegenspielerin, die so liebreizend und verständnisvoll ist, dass man ihr den Prinzen fast gegönnt hätte.

Ansonsten haben wir alles, was ein echtes Märchen braucht: eine aufregende Seeschlacht, bei der der Prinz seine Herzensdame rettet, ein Picknick zu zweit, geheime Treffen und noch geheimere Gänge im Schloss - und sogar der berühmte Glasschuh fehlt nicht! Ob es Absicht war, dass die im Original böse Stiefschwester, welche am Ende von den Tauben angegriffen wird, hier liebreizend ist, dafür aber von ihren Hunden angegriffen wird und damit die Geschichte überhaupt erst ins Rollen bringt? Zuzutrauen wäre es Eloisa James. Sie schreibt großartig und während des Lesens vergisst man immer wieder, dass das einst die Geschichte von Aschenputtel war. Die Dialoge sind spritzig und frech, alle auftretenden Figuren sind auf ihre ganz eigene Art und Weise sympathisch und der Konflikt, der das Liebespaar voneinander trennt, ist zumindest oberflächlich betrachtet echt.

Und generell, das Liebespaar: Kate und Gabriel scheuen sich nicht, ihr Verlangen füreinander zu zeigen. Sie sind offener und experimentierfreudiger, als man es für Menschen der Zeit annehmen würde (vor allem in der Art, wie sie miteinander kommunizieren), doch genau deswegen ist es ein Märchen. So unerfahren Kate auch ist, sie erkennt ihr Verlangen und sie scheut sich nicht, es zu zeigen. Alleine dafür liebe ich sie. Sie ist intelligent, aber auch weiblich, sexy, erotisch. Sie mag sich selbst nicht so sehen, doch sie hört auf ihren Körper, anstatt ihre Lust zu unterdrücken. Das ist unfassbar erotisch und genau deswegen erliegt ihr Gabriel auch. Doch es dauert lange, bis sein Verstand sich beugt, was ihn ebenfalls menschlich und sympathisch macht.



Fazit:

Bisher war "Ein Kuss um Mitternacht" von Eloisa James mein persönliches Highlight 2017. Es mag nicht so anspruchsvoll sein wie "Kraft", was ich gerade noch lese, oder so wortgewaltig wie "Keine Menschenseele", doch es erfüllt den Anspruch, den ich hatte: Es unterhält. Ich hatte lange nicht mehr so viel Freude beim Lesen wie hier, ich konnte das Buch kaum aus der Hand legen und war traurig, als es vorbei war. Die Figuren machen Spaß, der Schreibstil ist locker und spritzig, die Geschichte ist amüsant und man fühlt sich am Ende wahrlich in einem Märchen. Dieses Buch hält jeden Romantiker ewig wach!

Veröffentlicht am 03.05.2017

Leichte Unterhaltung, die leider Fragen offen lässt

Every Little Thing - Mehr als nur ein Sommer (Hartwell-Love-Stories 2)
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Ich hatte mir dieses Buch gekauft, da mir der Sinn nach einer locker-leichten Unterhaltung in Form von Romanze stand. Ich war mir beim Kauf bewusst, dass es der zweite Teil einer Serie ist, doch der Klappentext ...

Ich hatte mir dieses Buch gekauft, da mir der Sinn nach einer locker-leichten Unterhaltung in Form von Romanze stand. Ich war mir beim Kauf bewusst, dass es der zweite Teil einer Serie ist, doch der Klappentext versprach, dass auch ohne Lesen des ersten Teils alles verständlich sein würde, und so war es auch. Das ist ein großer Pluspunkt für mich, da ich generell eine Schwäche für Reihen habe, wo jeder einzelne Teil auch ohne Kenntnis der anderen funktioniert.

Das Buch ist aus zwei Perspektiven geschrieben, wobei die weibliche Hauptperson Bailey eine Ich-Perspektive erhält, während die männliche Hauptperson Vaughn klassisch aus der dritten Erzählperspektive geschrieben wird. Tatsächlich habe ich eine Abneigung gegen die Ich-Perspektive, was allerdings der zumeist schlechten Umsetzung geschuldet ist. Hier war dies nicht der Fall, im Gegenteil, wann immer das Buch zu Vaughn wechselte, war ich kurz irritiert, nicht mehr die Ich-Perspektive zu haben. Als Lektor hätte ich vermutlich ein großes "Warum?" an diese Wechsel geschrieben, als Leser muss ich es so hinnehmen, auch wenn ich zu keinem Zeitpunkt im Buch das Gefühl hatte, dass Vaughn aus der dritten Perspektive besser funktioniert, als es aus der Ich-Perspektive möglich gewesen wäre.

Die Geschichte ist eine relativ klassische "Sie hassen sich, weil sie sich lieben"-Geschichte, die ganz süß aufgemacht ist. Der Schreibstil ist abgesehen von dem erwähnten Perspektiv-Wechsel locker zu lesen, man "vergisst", dass man liest, was bei Unterhaltungsliteratur für mich immer ein großes Plus ist. Ehe ich mich versah, war ich mit der ersten Hälfte durch. Die Figuren werden gut eingeführt, Bailey ist sympathisch, Vaughn an sich auch, die Freunde funktionieren.

Dann jedoch kommt die zweite Hälfte und es geht ein wenig bergab. Bailey und Vaughn fühlen sich gegenseitig zueinander hingezogen, was dem Leser von der ersten Seite an klar ist, und sie gestehen es sich auch beide selbst irgendwann ein. Leider erfinden sie abwechselnd Gründe, warum sie trotzdem nicht ehrlich zum Anderen sein können, und, so leid es mir tut, die Gründe funktionieren für mich nicht. "Schlechte Erfahrungen", "Minderwertigkeitskomplexe" und "elterliche Prägungen" sind alle gut und schön, wenn sich das aber ansonsten in keinem Aspekt des Charakters spiegelt und beide stark wirken, dann wirkt es übergestülpt und nicht ausgereift.

Im Hintergrund werden Konflikte aufgemacht, da Bailey erneut (im ersten Teil war dies wohl auch der Fall) darum kämpfen muss, ihre Pension zu behalten. Der Konflikt ist nachvollziehbar, wenn auch vielleicht ein wenig naiv erzählt und gelöst. Vaughn wiederum hat mit seinem eigenen Hotel Schwierigkeiten, die bei mir Fragezeichen hinterlassen. Die gesamte Sequenz, in der seine Schwierigkeiten dargelegt und gelöst werden, vergeht recht schnell, trotzdem frage ich mich wieder: Warum? Wozu existiert die Szene? Sie hat keine Auswirkungen auf die eigentliche Geschichte, sie trägt nicht zur Charakterentwicklung bei und der Konflikt wird gelöst, ehe er im Leser wirklich Beklemmungen hervorrufen konnte. Schade, denn so geht die zunächst gute, straffe Erzählweise kaputt.

Das größte Problem jedoch hatte ich mit der ersten Sexszene. Ich kann sie inhaltlich nicht näher beschreiben, ohne zu viel zu spoilern, doch als jemand, der selbst schon genügend solcher Szenen geschrieben und gelesen hat, war ich sehr enttäuscht. Erotische Stimmung wurde aufgebaut (wenn auch in dem Kontext irgendwie unpassend oder empfand das nur ich so?) und wird dann sofort zerstört, als Bailey anfängt zu reflektieren. Die ganze Szene entsteht nur, gerade weil sie ihren Verstand ausschaltet, wie also ist es ihr möglich, ihr eigenes Verlangen so messerscharf zu analysieren, wie sie es in der Situation tut - und warum spricht sie ganz explizit aus, was sie will? Diese Szene hat leider die uralte Regel "show, don't tell" so dermaßen verletzt, dass ich vollkommen rausgerissen wurde.

Im Nachgang der Szene macht zudem auch Vaughn eine Entwicklung durch, die mich zunehmend stört. Auch hier lässt sich ohne spoilern nicht allzu viel verraten. Ich hatte plötzlich das Gefühl, mich in einer der vielen Fanfictions wiederzufinden, wo der im Original böse Charakter aufgeweicht und lieb gemacht wird, damit man ihn mit einem der Helden des Originals zusammenbringen kann. Menschen müssen nicht plötzlich lieb und schmachtend und voller Liebe sein, damit man sie lieben kann oder sie sich das "Recht" verdienen, die Prinzessin zu erobern. Im Gegenteil, meistens zerstört diese Entwicklung einen eigentlich interessanten Charakter.



Fazit:

"Every Little Thing" war eine schöne Unterhaltung, ein Roman, den ich abends im Bett oder in der Badewanne genossen habe. Ich bin ohne hohe Erwartungen an Tiefgründigkeit an diesen Liebesroman herangegangen und das wurde auch so bestätigt. Leider wies das Buch am Ende doch viele Längen auf und einige Charaktere entwickelten sich in für mich nicht nachvollziehbare Richtungen. Zurück bleibt locker-leichte Unterhaltung, die nicht zu genau geprüft werden darf, ohne auseinander zu fallen. Trotzdem erhält das Buch von mir eine Kaufempfehlung, da es für Genre-Fans gut geeignet ist und Vieles richtig macht.

Veröffentlicht am 03.05.2017

Gefühlvoll, echt, warm - ein Liebesroman für Herz und Verstand

Auf die andere Art
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Schon von der Thematik her hatte dieses Buch bei mir einen guten Ausgangspunkt: Ich mag unkonventionelle Beziehungen, die zeigen, dass jeder Liebe auf seine eigene Weise finden kann, ohne dass die Gesellschaft ...

Schon von der Thematik her hatte dieses Buch bei mir einen guten Ausgangspunkt: Ich mag unkonventionelle Beziehungen, die zeigen, dass jeder Liebe auf seine eigene Weise finden kann, ohne dass die Gesellschaft sich ein Urteil erlauben sollte. Der Klappentext war vielversprechend und so musste ich das Buch einfach haben.

Das Buch ist in der Ich-Perspektive geschrieben und wer mich kennt, der weiß, dass ich da immer skeptisch bin. Bei diesem Roman führte es dazu, dass ich länger als gewöhnlich brauchte, um richtig in der Geschichte zu versinken, doch ich verstehe die Wahl: Es geht um Gefühle, insbesondere um die Gefühle der weiblichen Hauptperson Charlotte, und diese werden durch die Ich-Perspektive in schöner Weise herausgearbeitet. In unserer Gesellschaft ist es nicht üblich, mehr als einen Partner zu haben, und so ist der innere Konflikt und die Blockade, die zunächst verhindert, das Gefühle überhaupt realisiert werden, insbesondere im ersten Teil des Buches das zentrale Thema. Durch die Perspektive gelingt es der Autorin, uns an Charlottes Zerrissenheit teilhaben zu lassen. Wenn man versucht, "das Richtige" zu tun, verliert man schnell aus den Augen, was "das Richtige" für einen selbst ist.

Die wichtigsten Charaktere sind beinahe von der ersten Seite an eingeführt: Jason, Charlottes Ehemann, Dominic, ihr neuer Chef, und Sandra, die beste Freundin. Obwohl (oder gerade weil?) man diese Figuren nur aus der Sicht von Charlotte kennen lernt, sind sie doch echt. Es sind keine Skelette, wie man sie gerade in Liebesromanen nur zu oft findet, sondern lebende, atmende, warme Menschen. Auch das ist etwas, was mir an diesem Buch unfassbar gut gefallen hat: Die Beziehung zwischen Charlotte und Jason erfüllt mich mit unendlicher Wärme. Klassische Dreiecksgeschichten tappen gerne in die Falle, den ursprünglichen Partner als unterlegen, schlecht oder gar böse darzustellen, um den neuen Partner zu rechtfertigen. Und obwohl Dominic in vielerlei Hinsicht dem typischen Klischee der Erotik-Romanzen entspricht (gutaussehend, charismatisch, reich bzw. in Autoritätsposition), so ist auch er ein echter Mensch.

Letzteres wird besonders dadurch deutlich, dass wir hier nicht ausschließlich eine Liebesgeschichte haben. Charlotte und Dominic arbeiten in einer Anwaltskanzlei, was nicht einfach nur erwähnt wird, sondern zentral zur Geschichte gehört. Insbesondere Dominic erhält durch den gemeinsamen Fall eine Tiefe, die vermutlich ohne ihre Arbeit nicht möglich gewesen wäre. Auch das hat mir herausragend gefallen, denn so sehr ich auch Liebesgeschichten und Herzschmerz mag, ich brauche doch immer wenigstens ein bisschen Substanz, irgendetwas, was die Figuren in einen Rahmen bindet. Es ist beinahe erstaunlich, wie spielerisch Phoebe Ann Miller das hier gelingt.

Leider schwächelt der Roman gegen Ende ein wenig, zumindest in meinen Augen. Ich werde an dieser Stelle keine Plotpoints spoilern, doch so viel will ich sagen: Bestimmte Figuren, die auftreten, wirken im Vergleich zu den authentischen Hauptpersonen sehr eindimensional, was zu sehr vorhersehbaren, extrem klischeebeladenen Szenen führt. Ich verstehe, dass die unkonventionelle Beziehung der drei Figuren in ihrem ganzen Konfliktpotential dargestellt werden sollte, dennoch fehlte mir insbesondere in den letzten Szenen der gewohnte Tiefgang. Eventuell hätte die Autorin sich hier mehr Zeit nehmen können, um die negativen Ansichten ausführlicher darzustellen und ihnen mehr Raum zu geben, damit ein echter Konflikt entsteht. Ein Konflikt, der im letzten Kapitel aufgemacht wird, hat nicht genügend Zeit, beim Leser tatsächlich Gefühle auszulösen. Ich fand es schade, denn bis auf dieses Problem hat mir das Buch sehr, sehr gut gefallen.


Fazit:
Die unkonventionelle Beziehung, für die sich Jason, Dominic und Charlotte entscheiden, wird von der Autorin behutsam und mit viel Gefühl eingeführt. Die Hauptpersonen sind lebendig und warm, sie tragen das passend "Auf die andere Art" genannte Buch durch die gesamte Geschichte. Erst zum Schluss wurde ich durch oberflächliche Konflikte und eben solche Figuren aus dem Fluss gerissen, doch das tat meiner Zufriedenheit kaum Abbruch. "Auf die andere Art" von Phoebe Ann Miller ist eine originelle Liebesgeschichte, die einen Seite um Seite fesselt und nächtelang wachzuhalten weiß.