Taffe Frau in den Wirren Ende des 19. Jahrhunderts
Die Hafenschwester (1)An Marthas 14. Geburtstag erkrankt ihre kleine Schwester und stirbt. Auch ihre Mutter überlebt kurz darauf die Krankheit nicht. Nun muss Martha Geld verdienen um die verbliebene Familie über die Runden ...
An Marthas 14. Geburtstag erkrankt ihre kleine Schwester und stirbt. Auch ihre Mutter überlebt kurz darauf die Krankheit nicht. Nun muss Martha Geld verdienen um die verbliebene Familie über die Runden zu bekommen, also beginnt sie am Krankenhaus als Schwester zu arbeiten, da es dort auch in der Ausbildung schon einen Lohn gibt.
Diese Aspekte des Arbeitslebens, die damals vorherrschten, wurden gut involviert. Vor allem der Hafenarbeiterstreik 1896 wurde anschaulich thematisiert. Gewerkschaften, finanzielle Not und auch das vermehrte Aufkommen der Sozialdemokratie bestimmten die Tage der Hansestadt. Neben politischen Themen nahm auch die Rolle der Frau einen wichtigen Aspekt in diesem Buch ein. Marthas beste Freundin Milli zum Beispiel war durch ihren Stiefvater gezwungen, Prostituierte zu werden. Obwohl sie ebenfalls aus dem ärmlichen Gängeviertel stammt, sank deren Ansehen nochmals rapide. Auch die vorherrschende Stellung von Männern und sexuelle Übergriffigkeiten, die damals vorherrschten, wurden thematisiert. Obwohl man schon weiß, dass die Bildung damals von der Geschellschaftsschicht abhing und die Frauen keine Rechte hatten und an den nächsten männlichen Verwandten gebunden waren, konnte man es in diesem Buch hautnah spüren. Als Leser kann man sich direkt in das Geschehen und die Buchfiguren hineinversetzen. Das Leben von damals wurde sehr realitätsnah dargestellt, weshalb ich oft wegen der Ungerechtigkeit oder Unterdrückung aufs Neue geschockt und empört war.
>> Jetzt begriff er, dass es keine Gabe, sondern eine Waffe war. Und ebenso wenig wie man eine abgefeuerte Pistolenkugel zurückhalten konnte, vermochte man, einmal ausgesprochene Worte zurückzunehmen. Sobald man sie abgefeuert hatte, waren Tatsachen geschaffen. Entweder verfehlte man, oder man traf.<< Paul, S. 320
Nebenbei kam jedoch nie das eigene Schicksal der Protagonistin zu kurz. Marthas Sorgen und Ängste, ihre Bedenken wurden immer durch ihre Arbeit, ihren alkoholabhängigen Vater und kleinen Bruder bestimmt. Trotzdem hat sie sich nie unterkriegen lassen. Martha ist eine taffe Frau, die zunächst für sich und ihre Familie, später auch für die Rechte der Frauen gekämpft hat.
Fazit:
Die ersten Seiten von "Die Hafenschwester" habe ich eigentlich nur zum Spaß meiner Schwester vorlesen wollen, aber die Geschichte hat mich direkt gepackt, sodass ich es mir von ihr ausleihen musste. Ein toller historischer Roman über Martha, die sich in den Wirren von Gesellschaft, Krankheiten, geschlechtsspezifische Ungleichheit, schlechten Arbeitsbedingungen und Sozialdemokratie nicht unterkriegen lässt.