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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 30.07.2018

Die Autorin spielt mit der Wahrnehmung der Leser

Träume, die ich uns stehle
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Lara hatte einen Unfall und befindet sich nun im Krankenhaus in der Psychiatrie, da sie zwanghaft redet um die Wörter aus ihrem Kopf zu bekommen und sich an die letzten beiden Jahre nicht mehr erinnern ...

Lara hatte einen Unfall und befindet sich nun im Krankenhaus in der Psychiatrie, da sie zwanghaft redet um die Wörter aus ihrem Kopf zu bekommen und sich an die letzten beiden Jahre nicht mehr erinnern kann. Thomas hatte ebenfalls einen Unfall und liegt seitdem im Koma. Lara findet zu Thomas‘ Zimmer und spürt eine Verbindung zwischen sich, weshalb sie ihm Geschichten über sie beide erzählt.

Abwechselnd erzählen die beiden Protagonisten wie es ihnen ergeht. Lara berichtet von ihren Treffen mit dem Therapeuten, der Qual, ihre Worte nicht im Kopf behalten zu können, und ihren Kontakt zu anderen Kranken und dem Krankenhauspersonal. Sie kommt wesentlich öfter zu Wort als Thomas, was aber angesichts ihrer beiden Erkrankungen nachvollziehbar ist. Thomas liegt im Koma und hat beklemmende Träume. Anfangs fand ich diese Szenen sehr wirr und musste sie aufmerksam lesen, aber eben weil man nichts über Thomas weiß, habe ich mich auf diese Kapitel am meisten gefreut. Seine Träume waren oft symbolisch, enthalten aber auch stets einen wahren Gehalt, den Thomas beschäftigt.

Der Anfang war sehr spannend, da man unbedingt wissen möchte, in welche Unfälle oder gar welchen Unfall die beiden verwickelt waren. Außerdem fragt der Leser sich auch, warum sich Lara an die letzten beiden Jahre ihres Lebens nicht erinnern kann. Schnell kommt auch die Frage auf, ob die beiden sich vor dem Unfall bereits kannten. Hier streut Lily Oliver geschickt entsprechende Details, durch die man einmal glaubt, die beiden würden sich schon kennen und oftmals, dass sie sich vorher noch nie begegnet waren. Man kann sich auch nie sicher sein, ob bzw. wie viel von Laras Erzählungen wahr sind. Dies fand ich sehr gelungen, denn man hat immer darüber nachgedacht und nach Hinweisen gesucht, wodurch man sich eine Theorie aufgebaut hat. Aber glaubt mir, man kommt nicht so schnell darauf, ob die beiden sich vor dem Krankenhaus schon kannten und ich habe auch oftmals meine Meinung darüber geändert. Lily Oliver spielt hier geschickt mit dem Leser.

Lily Oliver hat Laras Charakter sehr gut aufgebaut und ihren derzeitigen psychischen Zustand gut umgesetzt. Anfangs konnte ich damit nicht viel anfangen, aber mit jeder Therapiesitzung und jedem Redeschwall wurde mir das Krankheitsbild klarer. Beim Lesen hat sich ihre Unruhe und Ungeduld auch total auf mich übertragen, sodass ich das Buch mal kurz zur Seite legen musste oder ein anderes Mal gar nicht mehr aufhören konnte, den Geschehnissen auf den Grund zu gehen – was mir besonders am Schluss passiert ist, um zwei Uhr war ich dann durch.

Im ersten Drittel gab es eine kleine Durstrecke, in der die Spannung abgeflaut ist. Aber man ist durchweg völlig gespannt und von der Geschichte eingenommen, wodurch man dem Ende entgegenfiebert. Rückblickend rücken die einzelnen Geschehnisse ins richtige Licht und man erkennt sehr viele geschickt platzierte Puzzleteile, die sich perfekt zusammenfügen.

Fazit:
Lily Oliver schrieb hier nicht nur eine emotionale Geschichte über Lara und Thomas, die beide einen Unfall hatten und mit den Folgen zu kämpfen haben, sondern spielt auch geschickt mit der Wahrnehmung der Leser. Man fragt sich immer, ob sich die beiden vor dem Zusammentreffen im Krankenhaus kannten oder nicht. Auch der Wahrheitsgehalt von Laras Geschichten und die Geschehnisse hinter Thomas wirren Träumen, waren lange unklar. All die vielen Details fügen sich am Ende zu einem absolut passenden und überraschenden Gesamtbild zusammen, wodurch sich ein schönes und nachvollziehbares Ende ergibt.

Veröffentlicht am 11.06.2018

Auf der Suche nach dem, was fehlt

Die Dinge, über die wir schweigen
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Mimi vermisst ihre Mutter sehr stark. Außer, dass sie bei ihrer Geburt gestorben sein soll, redet ihr Vater aber nicht über sie. Zu ihrer Familie besteht kein Kontakt mehr. Mimi hat Träume und Flashbacks ...

Mimi vermisst ihre Mutter sehr stark. Außer, dass sie bei ihrer Geburt gestorben sein soll, redet ihr Vater aber nicht über sie. Zu ihrer Familie besteht kein Kontakt mehr. Mimi hat Träume und Flashbacks von einer Frau, die ihr über den Kopf streicht oder mit ihr in Schneeflocken tanzt. Sind das Erinnerungen? Als ihr Onkel, zu dem sie lange keinen Kontakt mehr hatte, eine Postkarte schreibt, dass er nun in Berlin leben würde, reist sie kurzerhand zu ihm.

Zu Beginn des Buches merkt man sehr stark, wie wichtig Mimi die Suche nach ihrer Mutter ist. Nicht nur die Frage, ob sie wirklich noch leben könnte bzw. der Besuch des Grabes, sondern auch ihr Charakter ist für Mimi wichtig. Die Jugendliche braucht Antworten, doch ihr Vater blockt immer ab. Nicht einmal über seine gemeinsame Zeit mit ihr redet er. Mimi fixiert sich total darauf und verfolgt auf der Straße Frauen, die dem Aussehen oder den Gesten her ihre Mutter sein könnten. Mit ihrer Kamera hält sie alle potenzielle Mütter fest und sammelt die Fotos. Es wird sehr intensiv geschildert, wie Mimi de Frauen fast schon stalked und kriminelle Handlungen begeht. Das Fehlen ihrer Mutter und Erzählungen über sie beherrscht Mimis Gedanken und Alltag.

Lina hatte irgendwann mal gesagt, dass sich mit Musik irgendwie alles besser anfühlte. Selbst das Traurigsein. Und sie hatte recht. - S. 157f

Lea Dittrich verwebt auf Mimis Suche auch wichtige Themen, mit denen man sich auseinandersetzen muss, wenn man erwachsen wird. Mimi trifft auf chronische Krankheiten, sexuelle Orientierung und ihre erste Liebe. Diese ernsteren Themen werden stückweise in die Geschichte eingeflochten, sodass man sich trotzdem noch auf das große Geheimnis hinter Mimis Mutter konzentrieren kann und die Geschichte nie zu schwer wird.

Das Ende hat mir gut gefallen, da sich Mimi stark weiterentwickelt hat und sich die Geheimnisse um ihre Mutter aufgelöst haben. Mimi wurde während ihrer Reise erwachsen. Anfangs ist sie noch impulsiv und läuft von zu Hause weg, ohne zu ihrem Vater Kontakt zu halten und ihn zu beruhigen, weshalb die Situation etwas eskaliert. Mit der Wahrheit über ihre Mutter und der Zukunft geht sie später sehr reif und besonnen um. Der Schluss wurde nur leicht offen gehalten, sodass man sich Mimis Zukunft selbst gut ausmalen kann.


Fazit:
„Die Dinge, über die wir schweigen“ erzählt Mimis Suche nach ihrer Mutter. Sie taucht tief in die Geschichte und Charaktere ihrer Familie ein und macht auf ihrer Reise eine positive Entwicklung durch. Lea Dittrich verbindet eine lockere Sommergeschichte mit der Suche nach der Identität und einigen wichtigen Aspekten, mit denen sich Jugendliche auseinandersetzen müssen.

Veröffentlicht am 18.05.2018

Aufwühlend, emotional & erschreckend realitätsnah

Nicu & Jess
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Nicu und Jess haben beide geklaut, wurden dabei erwischt und müssen nun gemeinnützige Stunden ableisten: Mit einer Gruppe von Jugendlichen sammeln sie Müll im Park. Die beiden stammen aus völlig anderen ...

Nicu und Jess haben beide geklaut, wurden dabei erwischt und müssen nun gemeinnützige Stunden ableisten: Mit einer Gruppe von Jugendlichen sammeln sie Müll im Park. Die beiden stammen aus völlig anderen Lebenssituationen, aber eines haben beide gemeinsam: Sie sind in einem Leben gefangen, das sie nicht führen wollen. Jess fühlt sich zu Hause gar nicht wohl und es gibt ein großes Problem, das ich aber nicht nennen möchte um nicht zu spoilern. Ihren Stiefvater kann sie nicht leiden und ihre Mutter nimmt alles hin und steht nie für etwas ein. Jess zieht sich von ihren falschen Freundinnen zurück und kapselt sich auch bei der Tätigkeit im Park ab. Nicus Eltern möchten bald wieder zurück nach Rumänien, wenn sie genug Geld verdient haben. Doch der Jugendliche erkennt seine Chance, die er hier in England hat, obwohl er wegen seiner fehlenden Sprachkenntnisse oft ausgegrenzt wird, statt unterstützt, was mich besonders bei der Lehrerin in der Schule schockiert hat. Schnell fällt Jess Nicu auf, er sucht ihre Nähe und die beiden finden in der jeweilig anderen Person eine Vertraute bzw. einen Vertrauten.

Wie bereits in „Eins“ von Sarah Crossan erwartet den Leser hier ein ganz besonderer Schreibstil. Kurze Sätze und vor allem viele Absätze machen das Lesen somit außergewöhnlich. Obwohl ich überhaupt kein Fan von Kurzgeschichten oder wenigen Beschreibungen bin, finde ich den Stil sehr angenehm. Mir gefällt es, dass Sarah Crossan und Brian Conaghan mit wenigen Wörtern so viel Gefühl vermitteln können. Ich war durchweg sehr betroffen, traurig, erschüttert und erschrocken.

Das Geschehen wird aus Sicht der beiden Protagonisten beschrieben. Bei Nicus Kapiteln kommt noch eine Besonderheit dazu: Da er noch nicht lange mit der englischen (bzw. durch die Übersetzung deutschen) Sprache vertraut ist, schildert er seine Gefühle in einem sehr gebrochenen Deutsch. Hier habe ich etwas gebraucht, um mich an den Satzbau zu gewöhnen und einige Dinge habe ich trotz mehrmaligem Lesen nicht genau verstanden. Nicu nutzt viele Vergleiche und schafft somit oft eine intensivere Bedeutung, als das eigentliche Wort selbst es vermitteln kann.

"Seine Stimme tanzt
mit Worten, die zwar durcheinander sind,
aber wirklich was bedeuten."
Jess, S. 122

Die Geschichte ist sehr realitätsnah und beinhaltet einige Dinge, die sehr erschütternd und tiefgründig sind. Wir erhalten einen guten Einblick in Randgruppen unserer Gesellschaft, die mit Situationen umgehen müssen, die alles andere als leicht sind. Das Schicksal von Nicu und Jess wurde durch den Schreibstil intensiv vermittelt und hat mich sehr berührt.

Das Ende hat mich etwas enttäuscht. Ich konnte nicht genau nachvollziehen, was in Nicu vorging und das Geschehen war relativ offen. Da die Geschichte aber so realitätsnah ist, kann ich mich damit anfreunden.



Fazit:
„Nicu & Jess“ erzählt deren schwierige Lebenssituationen und ist sehr gesellschaftskritisch. Nicht nur durch die Erzählperspektive ist dieses Buch außergewöhnlich. Trotz weniger Worte ist die Geschichte sehr intensiv zu lesen, aufwühlend und realitätsnah.

Veröffentlicht am 31.03.2018

Suche nach der Vergangenheit und der eigenen Identität

Sophie Soundso
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Sophie ist 14 Jahre alt, sehr klug und selbstständig. Sie lebt mit ihrem Vater, dem Automechaniker, ihrer Mutter, die nie das Haus verlässt, und ihrer kleinen Schwester in Brüssel. Mit der Zeit kommen ...

Sophie ist 14 Jahre alt, sehr klug und selbstständig. Sie lebt mit ihrem Vater, dem Automechaniker, ihrer Mutter, die nie das Haus verlässt, und ihrer kleinen Schwester in Brüssel. Mit der Zeit kommen aber Erinnerungen auf, die nicht zu ihrem jetzigen Leben passen. Außerdem scheinen ihre Eltern ein Geheimnis zu haben. Was hat dies zu bedeuten und vor allem: Wer ist sie? Das Mädchen fängt an zu forschen und fördert schlussendlich etwas zu Tage, mit dem man nicht unbedingt gerechnet hat. Währen dieser Geschehnisse macht Sophie eine sehr große Entwicklung durch. Die Jugendliche wird zum Ende hin erwachsen, hat viel Empathie erlernt und festgestellt, dass die Welt viele Grautöne enthält.

Die Sprache in diesem Buch ist sehr speziell, da viele Wörter durch andere ersetzt wurden. Durch einen fremden Nachnamen gerät Sophies Ausdrucksweise durcheinander. Im wirklichen Leben verwendet sie die Wörter noch richtig, doch diese Geschichte erzählt sie mit ihrer neu entwickelten Sprache. Wörter, die ähnlich klingen, werden vertauscht und finden so eine neue Bedeutung. Name wird zu Nagel, Eltern zu Elstern. Leider wurde nie richtig der Bezug hergestellt, warum Sophie ihre Sprache verändert. Ebenfalls schade war, dass diese Besonderheit keine direkte Verbindung zur Geschichte hat, da das Buch auch ohne auskommen könnte. Obwohl in diesem Buch gewöhnliche und sehr gebräuchliche Wörter, wie Papa, Geld, Schule, Gesicht oder Buch ersetzt wurden, kann man es nach einigen Seiten wieder fehlerlos lesen. Der Schreibstil von Hayley Long ist sehr flüssig und besteht oft aus kurzen, einfachen Sätzen. Dadurch trägt er dazu bei, dass man nicht den Spaß am Lesen verliert.

Fazit:
„Sophie Soundso“ erzählt Sophies Suche nach der Vergangenheit und ihrer Identität. Mit einer außergewöhnlichen Sprache, die ähnlich klingende Wörter miteinander ersetzt, schafft Hayley Long die Geschichte eines Mädchens, die auf dem Weg zu sich selbst charakterlich wächst.

Veröffentlicht am 15.03.2018

Herzensbuch ⚓

Mein Sommer auf dem Mond
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Am Anfang befindet sich Fritzi mit ihren Eltern im Auto, auf dem Weg nach Rügen zu einer Therapie. In den letzten Monaten hat sich in Fritzis Leben viel verändert: Ihre Eltern streiten sich ständig, wollen ...

Am Anfang befindet sich Fritzi mit ihren Eltern im Auto, auf dem Weg nach Rügen zu einer Therapie. In den letzten Monaten hat sich in Fritzis Leben viel verändert: Ihre Eltern streiten sich ständig, wollen sich scheiden lassen, die Beziehung zu ihrer besten Freundin ist auseinandergebrochen und sie selbst hat Panikattacken bekommen.

Gleich zu Beginn begrüßte mich Adriana Popescus Schreibstil wie eine Umarmung eines alten Freundes. Auch Fritzis Sarkasmus bei der Ankunft am Therapiezentrum und der Schlagabtausch mit Bastian, der ihr das Gebäude zeigt, tragen dazu bei sich schnell in der Geschichte wiederzufinden und wohlzufühlen. Im Wechsel schildern Fritzi und Basti daraufhin ihren Sommer auf Rügen.

》Wenn du das Gefühl hast, über das Wasser zu fliegen, das Segel sich aufbläht und du so schnell bist, dass du alles hinter dir lassen kannst, einfach nur weg, so schnell wie der Wind, irgendwohin, wo dich niemand kennt, und wenn du aufs Meer blickst und weißt, alles ist möglich. Das ist Freiheit!《
Sarah, S. 176

Neben Bastian lernt Fritzi noch Sarah und Tim kennen, die alle mit ihren individuellen Problemen zu kämpfen haben, die sie hierher geführt haben – in die Gruppe der Astronauten, wie sie von den Betreuern genannt werden. Adriana Poepscu erzählt sehr einfühlsam und berührend die Schicksale der vier Jugendlichen. Ab der Hälfte des Buches hatte ich ständig Tränen in den Augen und musste es immer wieder zur Seite legen, um nur ein paar Seiten zu genießen, weil ich einfach nicht wollte, dass die Geschichte endet. Genauso oft wie ich mit den Astronauten mitgefühlt und mich in einigen ihrer Empfindungen wiedergefunden habe, musste ich aber auch über den Humor und die Anspielungen auf Adrianas Fandoms wie Harry Potter, Star Wars, Doctor Who etc. schmunzeln.

》Es ist immer da. Immer.. [...] Du weißt gar nicht, wie müde ich manchmal bin. Wie viel Kraft es kostet, immer zu kämpfen. Gegen etwas, das für andere nicht da ist, mir aber die Luft abschnürt!《
Fritz, S. 134

Die vier Jugendlichen öffnen sich gegenseitig immer mehr, setzen sich mit ihrer Krankheit auseinander und Fritzi und Basti entwickeln Gefühle füreinander. Man dringt immer tiefer in die Gefühle der Astronauten und das Thema psychiatrische Erkrankungen ein. Man spürt, dass Adriana dieses Thema am Herzen liegt und sie viel Ahnung darüber hat. Die Geschichte über die vier Astronauten und ihre Reise auf dem Mond haben sich in mein Herz geschlichen.

Fazit:
„Mein Sommer auf dem Mond“ ist wunderschön, berührt etwas tief in mir und ist eines meiner größten Schätze im Regal. Die Geschichte über Fritzi, Bastian, Tim und Sarah und ihren Krankheiten hat sich für immer einen Platz in meinem Herzen erschlichen, wo meine Leseerrinnerungen mit einem lachenden und einem weinenden Auge immer verankert sein werden.