Profilbild von Tine

Tine

Lesejury Star
offline

Tine ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Tine über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 03.06.2023

Wortgewaltiger historischer Fantasyroman

Babel
0

Der junge Robin wird in Kanton als Waise von Professor Lovell aufgenommen und nach England gebracht, wo er jahrelang Englisch und andere Sprachen erlernt. Denn 1836 (quasi in einer alternativen Vergangenheit, ...

Der junge Robin wird in Kanton als Waise von Professor Lovell aufgenommen und nach England gebracht, wo er jahrelang Englisch und andere Sprachen erlernt. Denn 1836 (quasi in einer alternativen Vergangenheit, aber doch mit einigen Parallelen zu unserer) tritt Robin das Studium an der Universität zu Oxford an: Nun gehört er zu den „Bablern“, die am Königlichen Institut für Übersetzung arbeiten und durch die Kunst der Übersetzung Magie auf Silberbarren wirken können, die überall eingesetzt werden. Gleichzeitig beginnen dort auch Ramy, Victoire und Letty ihr Studium in ihren spezialisierten Sprachen. Doch der Ort voller Wissen und Robins ersten Freunden stärkt die Macht des Empire und ist der Motor der Kolonialisierung von Ländern, wie Robins einstmaliger Heimat.

>>Sprache war einfach Unterschied. Eintausend verschiedene Arten, die Welt zu betrachten und sich durch sie zu bewegen. Nein; eintausend Welten innerhalb der einen. Und Übersetzung - das war ein notwendiges, wenn auch vergebliches Unterfangen, sich zwischen diesen Welten zu bewegen.<<, S. 721f

Ich finde die Idee der Autorin richtig gut, die Übersetzung von Büchern und Texten in den Fokus zu rücken. Eine wichtige Disziplin ohne derer wir Menschen uns kaum verstehen könnten und vor allem, viele Bücher, wie dieses, gar nicht konsumieren könnten. R. F. Kuang stellt die Hürden der Übersetzung da, schildert die gemeinsamen Entwicklungen einiger Sprachen und besticht mit viel linguistischem Wissen. Manches davon wird auch durch Fußnoten ergänzt. Auch wenn die sprachwissenschaftlichen Ausführungen in Robins Studium manchmal zäh erscheinen, fand ich die Erklärungen über Sprachen und deren Übersetzung faszinierend. Neben diesem Gebiet spielt durch die Kolonialisierung auch Rassismus und ebenfalls Sexismus eine wichtige Rolle. Durch die vier Student/innen, die Diskriminierung erleben, nehmen diese Themen einen noch größeren Stellenwert als die Silbermagie ein. Dieses Buch ist vielmehr eine alternative Vergangenheit und Tadel an der Kolonialisierung als ein Pageturner im Fantasygenre. Die Geschichte beinhaltet dadurch viele düstere Themen und schafft durch Robins Freundschaft und interessantem Studium in diesem altehrwürdigen Turm Babel eine Balance zwischen Grausamkeit und Wohlfühlen. Etwas, das bald auch Robin zwischen den Stühlen sitzen lässt. Obwohl die Autorin eher das große Ganze im Blick hat und Robins Gefühlswelt mir manchmal zu kurz kam, ist dieses Buch einfach nur gewaltig und R. F. Kuang trifft mit ihren perfekt beschriebenen Worten einfach direkt in die Wunde der Geschichte.

Nach einer eher ruhigen und lehrreichen ersten Hälfte wird die Geschichte im letzten Drittel doch noch sehr spannend und rasant. Hier überschlagen sich fast die Ereignisse und haben mich an die Handlung gefesselt. Das Ende hat mich nicht ganz überzeugt, ist aber realistisch, erschütternd, berührend und vielleicht auch hoffnungsvoll.


Fazit:
„Babel“ ist ein gewaltiges Buch, eher eine alternative historische Geschichte mit einem Hauch Magie als ein großer Fantasyroman, aber nicht minder lesenswert. Die Erläuterungen zu Sprache und Übersetzung sind sehr interessant und Robins Geschichte im Übersetzungsinstitut zunächst eher gemächlich, später aber auch überraschend actionreich und fesselnd. Der Erzählstil der Autorin ist sehr treffend und oft detailliert, eher aber thematisch statt emotional, und setzt die Themen Kolonisierung, Rassismus und Sexismus gekonnt um.

  • Einzelne Kategorien
  • Handlung
  • Erzählstil
  • Charaktere
  • Cover
  • Atmosphäre
Veröffentlicht am 29.05.2023

Geschickt gezeichnete Frauenportraits

Dunkel der Himmel, goldhell die Melodie
0

Geschickt beginnt die Autorin die Geschichte mit Georg Spielmann, dem Vater der Protagonistin, in der Nacht, als sie geboren wurde. Später wird darauf auch Bezug genommen und man begleitet die Familie ...

Geschickt beginnt die Autorin die Geschichte mit Georg Spielmann, dem Vater der Protagonistin, in der Nacht, als sie geboren wurde. Später wird darauf auch Bezug genommen und man begleitet die Familie Spielmann dadurch von Anfang an. Elise ist nun 21 Jahre alt und soll im nächsten Jahr heiraten. Doch ihre Leidenschaft zur Musik und der distanzierte Gesichtsausdruck ihres Verlobten lassen sie bangen, wie ihr Leben als verheiratete Frau aussehen wird und ob sie noch viel Möglichkeiten haben wird Geige zu spielen. Unerwartet trifft sie auf Christian, den Malergehilfen der Semperoper, der ungeahnte Gefühle in ihr entfacht. Großer Fokus ist auch die Oper in Dresden, wie dessen Maler Christian, seine Schwester die Requisiteurin, die Ballerina Magdalene und die Kostümschneiderin Bertha.

Anne Stern hat einen fesselnden und mitreißenden Schreibstil, sodass die Charaktere alle auffallend lebendig vor dem inneren Auge erscheinen. Die Protagonistin scheint Elise zu sein, doch die Geschichte dreht sich um so viel mehr Frauen, die die Autorin zu Wort kommen lässt. Sogar oft vorkommende, aber eher am Rande spielende Charaktere bekommen ihr eigenes Kapitel. Ich finde es toll, so vielen Charakteren zu folgen und in jeden Kopf und vor allem Herz derer blicken zu können. Damit hat Anne Stern ein umfassendes Bild der Figuren und der Geschichte insgesamt geschaffen, wodurch ich tief in die fesselnde Geschichte eintauchen konnte.

Durch die gesamte Geschichte zieht sich Elises Unsicherheit, ob ihre Liebe zu Christian eine Zukunft haben könnte. Die beiden haben sich nur kurz gesehen, woraufhin sie bald starke Gefühle verbinden. Heimlich hält sie Kontakt zu Christian, doch versprochen ist sie einem Freund ihres Vaters. Die Liebe zu Christian birgt nicht nur eine unmögliche Zukunft, sondern beschattet auch ihre Gegenwart. Denn in keinem bisherigen historischen Roman kommt wie hier zur Geltung, wie sehr Frauen nur das eine besaßen: Ihre Ehre, die auf keinen Fall beschmutzt werden darf. Anne Stern zeigt durch Elise deutlich, wie wenig Frauen damals Wünsche und Leidenschaften haben, geschweige denn ausleben, durften und nur ihre bestehende Schicklichkeit zählt.



Fazit:
„Dunkel der Himmel, goldhell die Melodie“ ist eine rundum gelungene Geschichte über Elise, die leidenschaftlich Geige spielt und einer ungewissen Zukunft entgegenblickt, und vielen anderen stark gezeichneten Charakteren. Die Autorin hat viele Buchfiguren zu Wort kommen lassen und somit ein umfassendes Bild der fesselnden Geschichte geschaffen.

Veröffentlicht am 29.05.2023

Schwieriger Erzählstil, aber interessante Charaktere

Mrs. Dalloway
0

Der Klassiker „Mrs. Dalloway“ erzählt die Geschichte eben jener Frau, die mit Anfang 50 auf ihr Leben zurückblickt. Das Buch spielt an nur einem Tag, an dem Clarissa Dalloway in London Besorgungen und ...

Der Klassiker „Mrs. Dalloway“ erzählt die Geschichte eben jener Frau, die mit Anfang 50 auf ihr Leben zurückblickt. Das Buch spielt an nur einem Tag, an dem Clarissa Dalloway in London Besorgungen und Vorbereitungen für ihre Abendgesellschaft trifft, bis diese am Ende des Buches stattfindet. Neben der Protagonistin begegnen die Leser/innen unter anderem auch ihrer Jugendliebe Peter Walsh, ihrer Tochter und einem ehemaligen Soldaten Septimus und dessen Frau. Die Geschichte beinhaltet eher wenig Handlung, sondern sehr viele Gedankengänge und Erinnerungen an frühere Jahre der Charaktere.

Besonders zu erwähnen ist die besondere Art, in der die Geschichte geschrieben wurde. Es gibt weder Kapitel, noch Abschnitte und nur wenig Absätze. Somit fließen Begebenheiten in London mit den Gedanken der Charaktere ineinander. Dadurch ist auch der Wechsel zwischen Buchfiguren schwer nachzuvollziehen. Vor allem, weil Virginia Woolf oft das Wort „sie“ nutzt und selten Namen nennt. Die Autorin schweift manchmal schnell von einem Thema oder Erinnerung zur anderen ab, was mir schlussendlich das Gefühl gegeben hat, dass ich viele Details im Roman verpasst habe. Am Ende jedoch habe ich mich besser zurechtgefunden und konnte das Buch recht flüssig lesen.

Leider hab ich mich durch den anstrengenden, ausschweifenden und zumal poetischen Schreibstil keinem Charakter verbunden gefühlt. Trotzdem hat die Autorin es geschickt erreicht, dass ich die vielen unterschiedlichen Buchfiguren gut kennenlernen konnte. Alle wichtigen Eigenschaften der Charaktere wurden manchmal sogar mehrmals durch unterschiedliche Charaktere beleuchtet. Vor allem Septimus‘ Lage nach dem Krieg und seine damit zusammenhängende leidende Psyche und Gedanken hat Virginia Woolf eindrucksvoll dargestellt. Er ist das passende Gegenstück zu Clarissas Leben.



Fazit:
„Mrs. Dalloway“ ist ein relativ schwer zu lesender Klassiker, der aber nicht langweilig ist und viele interessante Charaktere bietet. Dieses Buch aus dem Nikol-Verlag ist mit der gekonnten Übersetzung von Dr. Hannelore Eisenhofer und dem Leineneinband mit Goldprägung (die allerdings beim Lesen leicht an den Fingern kleben bleibt) eine wunderschöne und preisgünstige Ausgabe.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 22.05.2023

Abrupter Cut ab der Hälfte

Die Tage in der Buchhandlung Morisaki
0

Die junge Takako ist glücklich mit ihrem Leben in Tokio und ihrem Freund. Doch eines Abends stellt sich heraus, dass er mehrere Freundinnen gleichzeitig hatte und nun die andere heiraten wird. Tief verletzt ...

Die junge Takako ist glücklich mit ihrem Leben in Tokio und ihrem Freund. Doch eines Abends stellt sich heraus, dass er mehrere Freundinnen gleichzeitig hatte und nun die andere heiraten wird. Tief verletzt kündigt Takako ihren Job, denn ihr Ex arbeitet auch dort, und verkriecht sich. Bis ihr Onkel ihr anbietet bei ihm im Buch-Antiquariat unterzukommen. Bücher sind nicht Takakos Welt, doch allmählich fühlt sie sich in dem kleinen Buchladen mit tausenden von Büchern und interessanten Kunden wohl.

Anfangs fühlt sich Takako noch erschlagen von den Büchern (und befürchtet sogar, dass diese es auch im physischen Sinn tun könnten), doch irgendwann greift sie zu einer Geschichte von einem der unzähligen Stapeln in ihrem Zimmer über dem Antiquariat um Ablenkung zu finden. Die Geschichten erfüllen sie zunehmend, zu ihrem Onkel (den sie jahrelang nicht mehr gesehen hat) baut sie auch wieder eine engere Beziehung auf und selbst zu den Kunden der Buchhandlung bildet sie eine Verbindung. Das Ausbrechen aus ihrer Trauer und Depression wird richtig angenehm beschrieben. Vor allem die Buchliebe, die Takako mit der Zeit entwickelt, ist sehr schön dargestellt und füllt bald die Seiten der Geschichte. Leider konnte ich mit den gelesenen Autor/innen und Büchern nichts anfangen, aber das ist bei älterer japanischer Literatur nicht weiter verwunderlich. Als Leserin habe ich die Beschreibungen von Takakos aufkommender Leidenschaft zum geschriebenen Wort natürlich besonders gut nachvollziehen können. Zudem habe ich mir an diesen Stellen auch viele Zitate markiert, weil der Autor das Gefühl, das Takako und wir Leseratten Büchern entgegenbringen, ausdrucksvoll zu Papier gebracht hat.

"Ich begann, die Bücher um mich herum förmlich zu verschlingen. Es war, als hätte die Leseratte in meinem Herzen nur darauf gewartet, endlich freigelassen zu werden. [...] Ich ärgerte mich, dass ich nicht schon viel früher angefangen hatte zu lesen. Mein bisheriges Leben schien mir regelrecht verschwendet." S. 50f

Und dann kam der zweite Teil der Geschichte und ich war enttäuscht. Schon während Takakos Zeit in der Buchhandlung hat mich gewundert, dass diese relativ schnell vorangeht und nicht mehr in die Tiefe zu Geschichten oder ihrer Tätigkeit in dem Antiquariat eingegangen wird, denn wer erwartet denn schon eine zweite völlig davon losgelöste Buchhälfte? Hier taucht plötzlich wieder die Frau von Takakos Onkel auf. Deren Beziehung hat mich überhaupt nicht interessiert und auch die Tante selbst fand ich nicht gänzlich sympathisch. Kontrastreich zu dem schönen Anfang über Bücherliebe, geht es hier plötzlich um Takakos Beziehung zu ihrer Tante und deren Probleme und Vergangenheit. Nachdem ich nun das Buch schon seit einiger Zeit beendet habe, kann ich auch jetzt nichts damit anfangen und frage mich immer noch, wie die zweite Buchhälfte zu dem Rest der eigentlich schönen Geschichte, angepriesen durch Cover und Titel, passen soll.


Fazit:
„Die Tage in der Buchhandlung Morisaki“ ist eine schöne Geschichte über Takako, die nach einem gebrochenen Herzen wieder zurück ins Leben findet, und der Liebe zu (japanischen) Büchern. Zugunsten der zweiten Hälfte des Buches wurde die Begeisterung zu Geschichten nicht zu intensiv beschrieben, birgt aber trotzdem einige schöne Zitate und Szenen. Die eben genannte zweite Hälfte des Buches hat mir gar nicht gefallen und der Sinn dessen erschließt sich mir leider auch nicht.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 22.05.2023

Ein gelungenes Buch für schöne Lesestunden

Die Kinder von Schönbrunn (Die Schönbrunn-Saga 2)
0

Im zweiten Teil der Schönbrunn-Reihe geht es nun um Emmas Schwester Greta. Der Krieg ist seit sechs Jahren vorbei, doch Gretas Mann wird vermisst und sie leidet. Bei einem Spaziergang am Schönbrunner Schloss ...

Im zweiten Teil der Schönbrunn-Reihe geht es nun um Emmas Schwester Greta. Der Krieg ist seit sechs Jahren vorbei, doch Gretas Mann wird vermisst und sie leidet. Bei einem Spaziergang am Schönbrunner Schloss begegnet Greta einer Frau in ihrem Alter, die einen Vortrag besucht um Erzieherin zu werden. Kurzentschlossen kommt Greta mit und fängt bald auch eine Ausbildung zur Erzieherin an. So lernt sie neue Leute kennen, findet eine Beschäftigung und kommt nach und nach aus sich heraus. Sogar einer der Pädagogen Michael Brenner scheint ein Auge auf sie geworfen zu haben, doch kann Greta ihren verschollenen Mann loslassen?

Diese Geschichte konnte mich vielmehr mitreißen, als noch der erste Teil der Reihe. Die Autorin schafft mit einigen Charakteren und unterschiedlichen Orten einen umfassenden Rundumblick in die Geschichte. Neben Gretas Vorlesungen und ihrer Tätigkeit im Kinderheim spielen auch Emma und der Zoo, sowie ihr Mann und dessen verwandtschaftliches Gestüt eine Rolle in der Geschichte. Außerdem verflicht Beate Maly die unterschiedlichen Situationen der Charaktere gekonnt miteinander. Neben Greta folgen wir in einigen Kapiteln auch einem kleinen Jungen Emil, der im Kinderheim aufgenommen wird. Zunächst sind die beiden Erzählstränge voneinander losgelöst, doch während man immer weiter in der Geschichte versinkt, verstricken sie sich mehr und mehr, bis sie sich ergänzen. Trotzdem empfand ich einige Momente in der Geschichte als zu überhastet. Einiges ging einfach zu schnell und glatt vonstatten, wo ich mir noch mehr Zeit und Durchleben mit den Charakteren gewünscht hätte. So leicht und schnell man durch die Seiten des Buches fliegen kann, ein paar mehr Seiten und Ausschmücken von Veränderungen hätten mich gefreut.

Durch die Perspektiven aus Gretas und Emils Sichtweise erfährt man auch viel über den Zustand der Familiengefüge und Kinderheime während dieser Zeit. Durch Gretas Ausbildung werden oft pädagogische Ansätze, wie z. B. von Montessori angesprochen. Mir hat es gefallen Greta beim Umgang mit den Kindern über die Schulter zu blicken und mehr über die damalige Erziehung und Pädagogik zu erfahren.


Fazit:
„Die Kinder von Schönbrunn“ ist eine schöne Geschichte über die frühe Pädagogik nach dem 1. Weltkrieg und Gretas Veränderungen zu einem glücklicheren Leben. Die Autorin hat eine umfassende und sich miteinander verwebende Geschichte geschaffen, die meiner Meinung ein paar Seiten mehr vertragen hätte, aber insgesamt sehr viel Spaß gemacht hat zu lesen.