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Veröffentlicht am 16.11.2023

"Vertrauen ist es, woran wir merken, dass wir noch Menschen sind" (S.97)

Die Kinder des Don Arrigo
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Eine dramatische und lange Flucht ist es, auf die sich eine Reihe von jüdischen Kindern und Jugendlichen aus verschiedenen europäischen Ländern begeben, die von einer entsprechenden Organisation ...

Eine dramatische und lange Flucht ist es, auf die sich eine Reihe von jüdischen Kindern und Jugendlichen aus verschiedenen europäischen Ländern begeben, die von einer entsprechenden Organisation gerettet und nach Palästina verbracht werden. Allerdings steckt man bereits mitten im Zweiten Weltkrieg und so ist es entsprechend schwierig, zumal sich in viel zu vielen Ländern deutsche Soldaten herumtreiben. Und man kann sich denken, was sie mit diesen Kindern tun würden.

Wir erfahren die Geschichte, die sich tatsächlich ereignet hat, aus Natans Sicht - er ist einer der mitreisenden Jugendlichen. Viel zu schnell wird er erwachsen und begreift, dass er seine Familie in Berlin nie mehr wiedersehen wird.

Mit Natan passieren wir diverse Gefahren, denen der Tross wieder und wieder ausgesetzt ist, erleben sie jedoch auch monatelang in einem italienischen Dorf, in dem alle Bewohner mithelfen, die Kinder zu verköstigen und anderweitig zu versorgen, auch wenn sie selbst kaum etwas haben.

Ich bin mit dem Stil des Autors nicht ganz warm geworden. Ich lese viel zu historischen Themen, sowohl Sachbücher als auch Belletristik und mir ist wichtig, dass ich die Ereignisse an realen historischen Entwicklungen festmachen kann. Also an Jahreszahlen bzw. detaillierteren Terminierungen und ähnlichem. Hier kam nichts davon vor und so blieb die Geschichte für mich außerhalb von Zeit, was ich als wenig hilfreich empfand. Denn irgendwann war es ruhig - dann war nicht klar, ob das jetzt der Frieden ist oder nicht - das erfuhr man erst deutlich später (er war es nicht). Ich konnte daher keine atmosphärische Bindung zu den Ereignssen aufbauen, auch wenn die Geschichte mit viel Engagement erzählt wird.

Veröffentlicht am 15.11.2023

In echter Not

Sturmjahre
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befinden sich zahllose Menschen in Schottland nach dem Ersten Weltkrieg. So auch Vika mit ihrem kleinen Sohn, die wegen des unehelichen Kindes vielfach verachtet wird. Was es noch viel schlimmer macht ...

befinden sich zahllose Menschen in Schottland nach dem Ersten Weltkrieg. So auch Vika mit ihrem kleinen Sohn, die wegen des unehelichen Kindes vielfach verachtet wird. Was es noch viel schlimmer macht - ihre Schwester arbeitet seit vielen Jahren als Prostitiuierte, wodurch vor allem die Frauen derer auf sie herabblicken, die bei ihr Schlange stehen, wenn sie gerade mal an Geld gekommen sind.

Gottseidank gibt es Archie, den -nach dem Krieg - einarmigen Gastwirt, der diese kleine Familie bei sich aufgenommen hat. Während ihre Schwester das tut, was sie eben tut, kocht Vika im Pub. Bis es eines Tages zu einem Zwischenfall kommt und Vika mit dem Kind geht, zurück in die Stadt, aus der sie vor Jahren gekommen ist.

Archie bricht es fast das Herz, er liebt sie schon lange - und sie ihn auch. Das klingt so, als wäre es bereits oft geschrieben worden - ist es aber nicht. Die Leser erfahren viel über diese Zeit in Schottland und über den Beitrag, den den Frauen während und nach dem Krieg leisteten. Es könnte richtig gut sein, ist leider aber immer wieder sehr, sehr langatmig. So sehr, dass ich mich wieder und wieder aufraffen musste, um hier weiter zu lesen.

Veröffentlicht am 06.11.2023

Gekränkt oder gelobt?

Lichtspiel
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Ja, das fragen sich die Zeitgenossen des berühmten Regisseurs des öfteren nach einer Beurteilung seinerseits: war dies nun eine Kränkung oder ein Lob?

Ein bunter Reigen an Stars und Sternchen, aber auch ...

Ja, das fragen sich die Zeitgenossen des berühmten Regisseurs des öfteren nach einer Beurteilung seinerseits: war dies nun eine Kränkung oder ein Lob?

Ein bunter Reigen an Stars und Sternchen, aber auch der Akteure im Hintergrund begegnet uns in Kehlmanns Roman "Lichtspiel", der den Regisseur G.W. Pabst in den Mittelpunkt stellt, einen Filmemacher der mehr oder weniger ersten Stunden, der in der Weimarer Republik reüssierte, die große Greta Garbo entdeckte und bis zu seinem Tod ihrer Konkurrentin Louise Brooks verfallen war. Ihn gab es natürlich tatsächlich, ebenso wie die beiden Damen sowie Trude Pabst, seine Ehefrau.

Aber viele andere Charaktere entstammen der Feder des Autors und so entstand eine wilde Mischung aus Wahrheit und Fiktion, wie es ja in der Belletristik nicht unüblich ist. Allerdings ist dieses Werk keineswegs der Gattung "Historische Romane" zuzuordnen, zu virtuos mäandert Kehlmann zwischen Sein und Schein und denkt sich hier und da etwas dazu, an anderen Stellen wiederum entfernt er etwas.

Das mag man mögen oder auch nicht, ich selbst taste mich an diese Art von Literatur eher vorsichtig heran. Von Haus aus Historikerin, kann ich aber durchaus einschätzen, welche ungeheure Arbeit an Recherchen ebenso wie am Feilen sowohl von Handlung als auch von Stil dem Autor hier abverlangt wurde - schließlich ist es nichts anderes als ein Spiel mit dem Lauf der Geschichte und das will gekonnt sein.

Ich bin eigentlich kein Kehlmann-Fan, mochte "Die Vermessung der Welt" nicht sonderlich, obwohl (oder vielleicht auch weil) ich im Bereich der Wissenschaftsverwaltung tätig bin, hatte so gar keine Lust auf "Tyll", habe hingegen das weniger beachtete Buch "F" durchaus mit Freude gelesen.

Und jetzt auch dieses, wobei ich mich durchaus kritisch herantastete. Aber die Überzogenheiten, die sich der Autor gestattete, haben mich amüsiert, ich habe das Buch schnell und mit Genuss gelesen. Dass man einer so schweren Thematik wie dem menschlichen Bestehen im und nach dem Dritten Reich mit einer solchen Leichtigkeit begegnen kann wie Kehlmann es tut - das bewundere ich!

Veröffentlicht am 06.11.2023

Es trifft jeden Einzelnen!

Der Geruch von Ruß und Rosen
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Krieg in irgendeiner (nicht sehr fernen) Zeit, in irgendeinem beliebigen Land. Die Betroffenen sind alles andere als beliebig, es sind Madina und ihre Familie, die geflohen sind. Bis auf den Vater, einen ...

Krieg in irgendeiner (nicht sehr fernen) Zeit, in irgendeinem beliebigen Land. Die Betroffenen sind alles andere als beliebig, es sind Madina und ihre Familie, die geflohen sind. Bis auf den Vater, einen Arzt: der ist zurückgegangen, um zu helfen. Aber man hat seit Ewigkeiten nichts mehr von ihm gehört und das zehrt an der Familie. Madina, ihre Mutter, Tante, die Großmutter und der kleine Bruder: jeder einzelne verarbeitet es anders, aber niemandem geht es gut damit.

Bis die Tante beschließt, zurückzugehen und nach den Verbliebenen zu suchen: mit Madina. Dabei ist der Frieden, der sich gerade erst ergeben hat, ein überaus brüchiger...

Krieg hautnah - niemand, der einer solchen Hölle entronnen ist, kann diese abstreifen. Die Autorin Julya Rabinowich beschreibt dies ebenso einfühlsam wie schonungslos und beim Lesen wird klar, dass man diesen Krieg nicht abstreifen kann. Man muss mit ihm leben, Tag und Nacht, ob auf der Flucht, im sicheren Exil oder eben auch im Kriegsgebiet.

Nach diesem Buch hatte sich etwas in mir geändert. Ich dachte, ich wüsste, was Krieg bedeutet. In Wahrheit weiß ich es erst jetzt - beziehungsweise habe ich eine gewisse Ahnung.

Veröffentlicht am 03.11.2023

Die Post ist da!

Die Postbotin
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Da dieser Ruf auch während des Ersten Weltkriegs weiterhin erklingen sollte, haben Frauen die Stellen der mehr und mehr in den Krieg ziehenden Männer übernommen und mussten oft ganze Familienverbände ...

Da dieser Ruf auch während des Ersten Weltkriegs weiterhin erklingen sollte, haben Frauen die Stellen der mehr und mehr in den Krieg ziehenden Männer übernommen und mussten oft ganze Familienverbände durch die Arbeit ernähren, obwohl sie nur die Hälfte des Gehalts ihrer männlichen Vorgänger erhielten. Das war in Berlin nicht anders als in den übrigen Städten der Republik.

Nun - wir befinden uns im Frühling des Jahres 1919 - sollen sukzessive die Heimkehrer zurück in ihre früheren Positionen geführt werden, wodurch die Frauen - viele von ihnen Witwen - arbeitslos würden.

Auf der Suche nach Lösungen begegnen wir hier Regine, der ein ähnliches Schicksal droht, weswegen sie mit einem ältlichen Bäckermeister, der um sie wirbt, verheiratet werden soll - jedenfalls, wenn es nach ihren Eltern geht. Dabei hat sie, die mit Kolleginnen aktiv nach einer Lösung sucht, doch gerade den attraktiven Kurt kennengelernt, der auf eine Karriere in der Gewerkschaft, die zur Unterstützung anvisiert wird, hofft.

Ihre Kindheitsfreundin Evi hat zwar als Telefonistin eine sichere Position bei der Post inne, bringt sich jedoch selbst in die Bredouille, als ihr bisheriger Liebhaber - ein hohes Tier bei der Post - sie eiskalt fallen lässt. Dazu lebt sie allein mit ihrer depressiven Mutter und wartet auf die Rückkehr des Bruders aus dem Krieg.

Eine etwas verzweigte Geschichte, die gleichwohl durch die Schilderung des Arbeitskampfes der Frauen durchgehend die Spannung zu halten vermag. Autorin Elke Schneefuß schreibt eindringlich und kann sich zudem auf detaillierte Recherchen der historischen Entwicklungen stützen. Mir sind die Liebesränke ein wenig zu viel des Guten, mir wäre eine stärkere Fokussierung auf den Arbeitskampf lieber gewesen. Aber da repräsentiere ich vermutlich nicht den Großteil der Leserschaft. Zudem ist dies ein eher marginaler Einwand, denn trotz diesem habe ich das Buch gerne gelesen und würde mich über eine Fortsetzung freuen!