Profilbild von TochterAlice

TochterAlice

Lesejury Star
offline

TochterAlice ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit TochterAlice über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 06.01.2022

Hoch im Norden

Land aus Schnee und Asche
0

Nämlich im Norden Finnlands, im Land der Samen, also in Lappland, spielt dieser Roman der jungen finnischen Autorin Petra Rautiainen. Mich hat vor allem angesprochen, dass die Handlung während und relativ ...

Nämlich im Norden Finnlands, im Land der Samen, also in Lappland, spielt dieser Roman der jungen finnischen Autorin Petra Rautiainen. Mich hat vor allem angesprochen, dass die Handlung während und relativ kurz nach dem Zweiten Weltkrieg spielt - einem Krieg, in dem Finnland eine besondere Rolle einnahm und am Ende sehr viel Glück hatte: es hätte nämlich ebenso wie die Baltischen Staaten zu einem Teil der Sowjetunion werden können.

1947 reist die Fotografin Inkeri dorthin, um die Bemühungen zum Wiederaufbau des Landes kurz nach dem Krieg in einem Gebiet nahe der sowjetischen Grenze zu dokumentieren. Offiziell - denn eigentlich treiben sie andere Gründe um - ihr Mann Kaarlo verschwand während des Krieges spurlos.

Da sie mit ihrer Verwandtschaft zu ihm nicht unbedingt hinter dem Berg hält, wird ihr bald ein Tagebuch zugespielt, das ein Finne, der in einem Gefangenenlager vor Ort als Dolmetscher gearbeitet hat, verfasste. Schnell wird klar, dass sich Kaarlo dort befand - und zwar als Gefangener.

Diese geheimnisvollen Verwicklungen gepaart mit den historischen Details haben meine Neugierde geweckt und zunächst habe ich den Roman mit Begeisterung gelesen. Auch jetzt, nach Beendigung der Lektüre, betrachte ich diese noch als Gewinn, allerdings wurde so ab der Hälfte des Romans deutlich, dass die Autorin noch keine Erfahrung im Verfassen von Werken dieses Formats hatte: relativ unvermittelt wurden immer wieder neue Umstände eingeführt, die sich nicht so richtig in die Handlung einfügten - entweder fehlte der Anfang oder das Ende. Schade, es hätte richtig toll werden können, denn es ging nicht zuletzt um die rassistischen Repressionen gegen die Sami in jener Zeit.

Ich bin auch der Ansicht, dass Petra Rautiainen auf dem besten Weg ist, eine wirklich gute Autorin mit einer Botschaft zu werden. Dass sie diese Botschaft formulieren kann, hat sie hier eigentlich schon bewiesen. Sie hätte nur klarer und eindringlicher sein müssen - so meine Meinung.

Im Klappentext wird dieses Debüt als "kraftvoll" bezeichnet. Genau das ist es nicht, bzw. geht ihm die Puste zum Ende hin leider viel zu früh aus.

Veröffentlicht am 27.11.2021

Amy lebt den Schmerz

Der Himmel über Bay City
0

Wir erfahren Amys Geschichte aus erster Hand; nämlich aus ihrer eigenen. Sie wächst in Bay City, einem kleinen Ort in Michigan in einem Blechhaus auf - ungeliebt von einer Mutter, die immer noch an ihrer ...

Wir erfahren Amys Geschichte aus erster Hand; nämlich aus ihrer eigenen. Sie wächst in Bay City, einem kleinen Ort in Michigan in einem Blechhaus auf - ungeliebt von einer Mutter, die immer noch an ihrer ersten, während der Geburt verstorbenen Tochter hängt.

Im Prinzip wird Amy von Babette, der jüngeren Schwester ihrer Mutter aufgezogen. Die Schwestern kamen aus Frankreich in die Staaten, um zu vergessen: zu vergessen, dass ihre Eltern sowie viele andere Verwandte in Auschwitz oder anderen Lagern ums Leben kamen, von Nationalsozialisten verbrannt wurden.

Doch kann Babette das nicht vergessen und Amy kann es auch nicht. Es wird nicht deutlich, in welcher Form dieses so schmerzvolle Erbe an Amy weitergeben wird. Viel gesprochen wird nicht darüber, doch ist die nonverbale Kommunikation im Hause eine unglaublich starke und so sehen irgendwann sowohl Babette als auch Amy die Großeltern im Haus - die doch eigentlich in Auschwitz ermordet wurden.

Amy erzählt sehr spröde und knapp von ihrem Leben, einem Leben, das sie nicht lieb, von dem sie sich gleichwohl nimmt, was sie möchte: Sex zum Beispiel und Drogen. Und immer wieder wird deutlich, wie sie unter der Abneigung ihrer Mutter leidet. Sie selbst wirkt gleichgültig, ab und zu wird ihre Abneigung gegen eine Person oder eine Angelegenheit deutlich, Positives ist selten zu spüren, aber es ist da.

Nach einer Katastrophe, die Amy laut eigeiner Aussage selbst verschuldet hat, verlässt sie Michigan und landet irgendwann nach Station in Indien in New Mexiko, wird Mutter einer Tochter - Heaven. Diese will sie unter allen Umständen von einem Schicksal wie dem ihrigen oder dem ihrer Tante Babette schützen.

Falls Sie - im wahrsten Sinne des Wortes - Blut geleckt haben: machen Sie sich bewusst, dass dies extrem schwere Kost ist. Ich habe Ewigkeiten gebraucht, um mich durch diesen Roman zu wühlen, ihn sozusagen zu erobern. Und auch er hat mich gewissermaßen erobert: durch den Schmerz und auch durch die Ohnmacht, die quasi aus jeder Zeile spricht. Ein Roman, der nur bei wenigen ankommen wird, gleichwohl jedoch aus meiner Sicht wichtig ist.

Veröffentlicht am 20.11.2021

Stille Nacht?

Das Geschenk
0

Nach langen Jahren des Familienlebens möchten Peter und Kathrin Weihnachten endlich mal zu zweit feiern - eine spontane kleine Reise wird ins Auge gefasst, ans Meer zum Beispiel. Aber dann macht der Anruf ...

Nach langen Jahren des Familienlebens möchten Peter und Kathrin Weihnachten endlich mal zu zweit feiern - eine spontane kleine Reise wird ins Auge gefasst, ans Meer zum Beispiel. Aber dann macht der Anruf eines alten Freundes ihnen einen Strich durch die Rechnung: Klaus, seit vier Jahren Witwer, bittet die beiden, Weihnachten doch bei ihm zu verbringen. Und Kathrin kann dem Rest eines Paares, mit dem sie jahrelang befreundet waren, einfach nicht absagen.

An Ort und Stelle treffen sie auf eine junge, eine sehr junge Frau: Sharon. Sie stellt sich als "Die Neue von Klaus" vor und lässt die beiden erstmal dumm dastehen. Klaus muss alles andere als getröstet werden und die Besucher kommen sich veräppelt vor. Zumal Sharon als das Dummchen vom Dienst auftritt.

Doch so langsam, aber sicher zeigt sich, dass nicht alles so ist, wie es scheint und dass nicht alle so ticken, wie es den Anschein hat: in mancher Hinsicht auch man selber nicht. Alina Bronsky versteht es hier, sowohl Lesern als auch Gästen den Wind aus den Segeln zu nehmen und alles anders dastehen zu lassen.

Abgesehen davon, dass es Geschenke und einen relativ unterkühlten Kirchgang ist, ist die Handlung jedoch nicht sonderlich weihnachtlich gestaltet. Außer, man ist der Meinung, man sollte in Gesprächen ans Eingemachte gehen, wie es in einigen Familien wohl passiert. Jedenfalls muss der Leser hier nicht auf die entsprechende Eskalation verzichten. Ich hätte - gerade bei dieser Autorin auf ein bisschen mehr Stimmung gehofft. So bleibt ein eher ungutes Gefühl in bezug auf weihnachtliche Harmonie zurück.

Veröffentlicht am 20.11.2021

Familienleben, wie es nicht sein sollte

Hannerl und ihr zu klein geratener Prinz
0

Hannerls Adoleszenz ist eigentlich gar nicht so schlecht, die Mutter ist zwar lieblos und hat auch oft kein Verständnis für die Pläne der Tochter, aber es gibt ja noch den Stiefvater, einen gestandenen ...

Hannerls Adoleszenz ist eigentlich gar nicht so schlecht, die Mutter ist zwar lieblos und hat auch oft kein Verständnis für die Pläne der Tochter, aber es gibt ja noch den Stiefvater, einen gestandenen Sozialisten, der Hannerl fördert und ihr zeigt, dass Frauen auch was wert sind.

Dieser Glaubenssatz wird ihr aber vom Schmiedinger Josef, den sie heiratet und der ihr trotz ihrer guten Ausbildung nicht erlaubt, weiter zu arbeiten, schnell ausgetrieben. Doch es kommt noch schlimmer: als sie nach langen Jahren endlich Mutter wird, beginnt er sie zu erniedrigen und der Tochter noch auf eine ganz andere Art und Weise zuzusetzen. Denn er mag Frauen nur, wenn es noch keine sind - noch lange nicht.

Ein Familienleben, wie es nicht sein sollte - widerlich und abstoßend ist, was Dolores Schmidinger mit einer Menge Sarkasmus darlegt -anders wäre es wahrscheinlich nicht zu ertragen gewesen.

Der zu klein geratene Prinz war nicht einmal ein Knallfrosch, sondern allenfalls ein Molch, aber das hielt den Möchtegern-Heldentenor und Nazifreund nicht davon ab, sich an den Frauen seiner Familie schadlos zu halten - auf die ein oder andere Art.

Eindringlicher, aber auch sehr trauriger und ernüchternder Lesestoff.

Veröffentlicht am 03.11.2021

Ein russisches Mysterium

Phon
0



Zunächst einmal: ich bin froh, dieses Buch gelesen zu haben. Einen wahrhaft russischen Roman, einen, der die russische Seele aufleben lässt, wenn nicht sogar feiert. Einen, der die Atmosphäre des nachsowjetischen ...



Zunächst einmal: ich bin froh, dieses Buch gelesen zu haben. Einen wahrhaft russischen Roman, einen, der die russische Seele aufleben lässt, wenn nicht sogar feiert. Einen, der die Atmosphäre des nachsowjetischen Russland in seiner Tiefe ergründet, von Beginn an.

Es geht um ein Paar, das im westrussischen Wald lebt, bereits seit drei Jahrzehnten, Nadja und Lew. Sie sind Zoologen, beziehungsweise ist es Lew. Nadja war seine Studentin, sie hat das Studium nie abgeschlossen, sondern sich dem deutlich älteren akademischen Lehrer in die Arme geworfen - mir Erfolg. Denn er verließ sofort seine langjährige Ehefrau und zog mit ihr in die Wälder zwecks Führung eines idealistischen Lebens, das die Organisation praktischer zoologischer Sommerkurse beinhaltete. Berichtet wird aus Nadjas Sicht - es ist eine ausgesprochen subjektive Wahrnehmung, eine sprunghafte noch dazu. Wie es eben so ist, wenn man seine eigene Geschichte erinnert - man springt vom Hölzchen aufs Stöckchen und kann sich nicht immer auf sich selbst verlassen.

Dies hat die Autorin Marente de Moor - eine Niederländerin wohlgemerkt - aus meiner Sicht sehr gelungen dargestellt, wenngleich es das Lesen mitunter durchaus erschwert. Allerdings bleibt der Leser desöfteren auf der Strecke - so erging es mir zumindest: ich konnte weder den Entwicklungen noch den Emotionen der Erzählerin folgen, fühlte mich von ihr wieder und wieder allein gelassen, wenn sie bestimmte Erzählstränge - und zwar nicht wenige - ins Nichts verlaufen ließ.

Zudem kam mir es mir zum Ende hin mehr und mehr vor, als würden doch so einige Klischees aufgefahren. Dennoch: wer gerne Romane über Russland liest, in denen es auch ein wenig schräg zugeht, könnte hier an der richtigen Adresse sein!