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Veröffentlicht am 01.03.2020

Carola, Carla oder auch Barbara

Die Königin von Berlin
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Alles Namen für eine, die von Haus aus Karoline Neher hieß: Carola wählte sie, aus der eine Schauspielerin der allerersten Garde werden sollte, als Pseudonym, nein: als neues Ich. Carla oder ...

Alles Namen für eine, die von Haus aus Karoline Neher hieß: Carola wählte sie, aus der eine Schauspielerin der allerersten Garde werden sollte, als Pseudonym, nein: als neues Ich. Carla oder auch Carlinchen - das war sie für ihren liebenden Mann, den siechen Dichter Klabund, Barbara dagegen für Bertolt Brecht, der in ihrem Leben eine ganz besondere Rolle spielte.

Charlotte Roth hat also für diesen Roman eine reale Person zur Protagonistin erkoren, die sie in ihr gewohntes Konzept für historische Romane der neueren Zeit bettet: Jemand stößt auf Ereignisse aus der Vergangenheit, wird neugierig und deckt spannende Hintergründe, die in den meisten Fällen mit seiner eigenen Historie zu tun haben, auf. Diesmal ist diese Person Carola Nehers Sohn Georg Becker (den es tatsächlich gab), der aufgrund ausgesprochen tragischer Entwicklungen ohne seine Mutter aufwuchs. Gemeinsam mit der Bibliothekarin einer Kleinstadt, in deren Obhut sich Dokumente von Nehers Familie befinden, spürt er die Hintergründe auf - für den Leser werden Carola und ihre Gefährten lebendig, die Autorin stellt die Handlung direkt aus ihrer Perspektive dar, lässt sie also empfinden und agieren.

Carola Neher war eine faszinierende Persönlichkeit, einer der Leuchttürme im ohnehin farbenprächtigen Berlin der 1920er Jahre - mir allerdings war ihre Existenz und damit auch ihr trauriges Ende - sie starb in einem der stalinistischen Gulags - bislang unbekannt.

Ich bin froh, dass Charlotte Roth das geändert hat und ich ein weiteres wichtiges Mosaiksteinchen der neueren deutschen Geschichte kennenlernen durfte, bzw. gleich mehrere, denn in dem Roman ging es u.a. auch um Nehers Ehemann Klabund und um Bertolt Brecht - ihr Förderer und zeitweiliger Liebhaber. In dessen Charakterdarstellung erbringt die Autorin aus meiner Sicht ein Meisterwerk, stellt sie doch Brechts Getriebenheit ausgesprochen lebendig und gelungen dar.

Aber ob er so fixiert auf Carola Neher war, wie es in diesem Roman den Anschein hat? In dem Wissen um andere, zeitlich parallele Ereignisse in Brechts Leben kann ich es mir kaum vorstellen. Auch empfand ich die Darstellung vieler Personen nicht immer als gelungen, ich hatte einfach kein Bild vor Augen - und das schafft Charlotte Roth eigentlich immer. Und dass Gottfried Benn, als Klabunds Jugendfreund eine mehrfach vorkommende Nebenfigur, vor allem über sein (offenbar von Neher so wahrgenommenes) hübsches Gesicht und die schönen Augen charakterisiert wird, hat mich sogar ein bisschen gestört.

Und es sind die 1920 Jahre selbst, die in vielen Werken so unvergleichbar vielschichtiger präsentiert werden, gerade, wenn Berlin im Mittelpunkt steht. Ein spannender Roman, aber einer, der mich forderte, auch in seinen Widersprüchen. Dennoch sehr lohnenswert, wenn Sie beispielsweise erfahren wollen, warum Neher von Brecht oft "Barbara" genannt wurde. Oder Klabunds wunderschönes Gedicht "Notabene" kennenlernen möchten. Oder - und das vor allem - mehr über Carola Neher erfahren möchten, die schon früh sagt: Vielleicht muss ich endlich fortgehen, um einen zu finden, der mich kennt. Ich kenne mich ja nicht einmal selbst." (S.31)


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Veröffentlicht am 24.02.2020

Die Schicksale der Nachbarn

Rote Kreuze
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Der junge Sascha, Vater einer kleinen Tochter, lernt beim Einzug in die neue Wohnung seine Nachbarin Tatjana Alexejewna kennen, eine überaus erzählfreudige alte Dame. Wie sich bald herausstellt, hat sie ...

Der junge Sascha, Vater einer kleinen Tochter, lernt beim Einzug in die neue Wohnung seine Nachbarin Tatjana Alexejewna kennen, eine überaus erzählfreudige alte Dame. Wie sich bald herausstellt, hat sie Schlimmes erlebt und mußte im Krieg für die Schuld anderer büßen: weil ihr Mann in Kriegsgefangenschaft aus sowjetischer Sicht mit dem Feind kollaborierte, wurde sie zu 15 Jahren Arbeitslager verurteilt, von denen sie zehn absitzen musste.

Ein ausgesprochen schmerzhaftes Kapitel nicht nur der sowjetischen, sondern der gesamten Weltgeschichte wird hier auf eigene Art aufgearbeitet. Der Autor gibt nicht nur durch die Erzählungen der über 90jährigen Zeitzeugin, sondern auch durch das Einfügen von Originaldokumente wichtige Einblicke in die jüngere Geschichte der Sowjetunion. Seite für Seite ist spürbar, dass ihm wichtig ist, dass die Greueltaten des 20. Jahrhunderts nicht vergessen werden.

Ein wichtiges Buch, das ich gerne gelesen habe, obwohl ich wieder und wieder meine Probleme mit dem Erzählstil hatte. Stellenweise erscheint mir der Erzählfluss nicht ganz stimmig - es werden Informationen bzw. Entwicklungen ausgelassen, dann kommt wieder etwas dazu, dessen Bedeutung ich mir schwer erklären kann - für mich war das alles ein bisschen verwirrend.

Dass mit Alexander die Figur eines jungen Mannes, der schon viel mitmachen musste, gewählt wurde, finde ich hingegen passend - seine eigenen Erfahrungen mit dem menschlichen Leid machen seine Entwicklung von jemandem, der von der Nachbarin genervt ist und sie als aufdringlich empfindet, zu einem einfühlsamen, ja fürsorglichen Zuhörer.

Ein besonderer Roman, den ich trotz meiner persönlichen stellenweisen Schwierigkeiten gerne allen, die an neueren historischen Entwicklungen interessiert sind - und ich hoffe, dass das viele sind - weiterempfehle.

Veröffentlicht am 18.02.2020

Neue Wege

Diese goldenen Jahre
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Paul studiert am Bauhaus und hat das Glück, gleich eine ganze ganze Clique kennenzulernen. Doch dann gibt es sowohl Missverständnisse als auch Misstrauen. Die Gruppe entzweit sich bzw. spaltet sich in ...

Paul studiert am Bauhaus und hat das Glück, gleich eine ganze ganze Clique kennenzulernen. Doch dann gibt es sowohl Missverständnisse als auch Misstrauen. Die Gruppe entzweit sich bzw. spaltet sich in Paare - und in Einzelne.

Und später kam dann auch noch die schwierige politische Situation dazu. Gab es von vorneherein einen Verräter? Das Buch ist stellenweise durchaus spannend und charmant, hat aber etwas von einer Räuberpistole. Und bringt der ganzen Bauhaus-Bewegung nicht genug Achtung entgegen. So scheint es mir, als ob sich die Autorin möglicherweise nicht gründlich in das Thema eingearbeitet hätte.

Veröffentlicht am 25.01.2020

Wie verklickere ich das meiner Darmflora?

Noch mehr Happy Food
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Nachdem es im ersten Buch des aus Sternekoch und Journalist bestehenden Autorenduos um die psychische Wirkung von Speisen auf den Menschen ging, beschäftigt sich dieser zweite Band des "Happy Food" mit ...

Nachdem es im ersten Buch des aus Sternekoch und Journalist bestehenden Autorenduos um die psychische Wirkung von Speisen auf den Menschen ging, beschäftigt sich dieser zweite Band des "Happy Food" mit der Verdauung und allem drumherum, genauer gesagt: mit der Darmflora. Wobei uns allen, die sich ein wenig mehr mit gesundheitlichen Fragestellungen beschäftigen, natürlich klar ist, dass Körper und Geist, bzw. Seele untrennbar miteinander zusammenhängen und aufeinander einwirken.

Keine Frage, dass das alles ungeheuer interessant und auch neu ist an Wissen und daraus resultierenden Schlussfolgerungen und ich empfinde die Auseinandersetzung damit auch als sehr bereichernd. Es gibt auch viele tolle und absolut neuartige Rezepte, die auf den Erkenntnissen der Autoren basieren - einige davon eher komplex und befremdend, andere wieder so einfach und einleuchtend, dass man sich fragt, warum um Himmels willen man nicht selbst darauf gekommen ist.

Allerdings gibt es zwei Punkte, an denen ich ordentlich ins Schleudern komme und das ist einerseits der Umstand, dass meine Darmflora einfach nicht bereit ist, sich mit einer ganzen Reihe von hier erwähnten Nahrungsmitteln auch nur im Ansatz auseinanderzusetzen, andererseits die Tatsache, dass ich mich bei dem ein oder anderen Rezept im Regen stehen gelassen fühle. Dazu ein sehr einfaches Rezept als Beispiel: Frische Beeren, ganze Roggenkörner und Honigmilch: Es wird beschrieben, was man mit den ganzen Zutaten machen soll und am Ende steht: Essen sie die Beeren zusammen mit dem Roggen und der Honigmilch. Daneben ein schönes Foto - von den Beeren allein!

Also was jetzt? Soll ich das vermischen? Soll ich es abwechselnd essen oder hintereinander. Wie ist es am besten zu verdauen? Ich bin es nicht gewohnt, Roggenkörner aufzubrühen und würde da gern ein bisschen mehr Schützenhilfe erhalten, wobei dies ein Beispiel von mehreren ist.

Insgesamt jedoch ein originelles und möglicherweise auch bahnbrechendes Buch, das neue Impulse bringt.

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Veröffentlicht am 21.01.2020

Those were the best days of my life!

Sweet Sorrow
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Nicht der Summer of sixtynine ist es, der Charlie Lewis in Zukunft als der beste seines Lebens in Erinnerung bleiben wird, sondern einer Mitte der 1990er Jahre. Damals war er 16 Jahre alt und befand ...

Nicht der Summer of sixtynine ist es, der Charlie Lewis in Zukunft als der beste seines Lebens in Erinnerung bleiben wird, sondern einer Mitte der 1990er Jahre. Damals war er 16 Jahre alt und befand sich in einer sch... Verzeihung, einer recht prekären Situation: Seine Eltern hatten sich getrennt und seine Mutter war auf recht abrupte Art aus seinem Alltagsleben verschwunden, er hatte nicht für die Abschlussprüfungen an der Schule gelernt, schlimmer noch: er hatte sie teilweise richtiggehend torpediert und dann war da noch die Geschichte mit dem Job an der Tanke...

Nun ja, sein Vater trank und hatte Depressionen und Charlie wollte möglichst of weg von dem Zuhause, das keines mehr war für ihn. Er trieb sich also mit dem Fahrrad in der Gegend rum und bei einem seiner Ausflüge begegnete er der zauberhaften Fran, einem Mädchen in seinem Alter. Aber sie war soviel reifer, soviel erfahrener, hatte einen so tollen Geschmack - und überhaupt. Sie hat Charlie quasi den Boden unter den Füßen weggehauen.

Und tatsächlich gab es nur eine Möglichkeit, sie wiederzusehen, nämlich bei den Proben für "Romeo und Julia", einem unkonventionell inszenierten und realisierten Stück, an dem Fran in den Sommerferien mitprobte. Natürlich als Julia. Kaum war Charlie dort, wurde er in die Proben hereingezogen, obwohl das so gar nicht sein Ding war.

In späteren Jahren, kurz vor seiner Hochzeit sieht er sich noch einmal konfrontiert mit diesen sehr besonderen Tagen: es soll nämlich ein Treffen der ehemaligen Theatergruppe geben - wie wird es sein, Fran, an die er immer noch manchmal denkt, wiederzusehen?

Ein Buch, das mich sehr reizte und das auch tatsächlich sehr warmherzig und atmosphärisch geschrieben war - das hat David Nicholls einfach drauf, keine Frage. Aber diese Längen! Und irgendwie konzentriert sich die ganze Handlung auf einige wenige Momente, dabei möchte man doch als Leser auch das andere, das nur angedeutet wird, erfahren. Und wenn alles ausgeglichen gewesen wäre, gäbe es damit auch kein Problem. So aber sah ich mich mit endlos zähen Abschnitten konfrontiert, die ich wie hohe Berge überwinden musste, um dann wieder ein paar spritzige Zeilen genießen zu dürfen. Nicht schlecht, das Buch - aber eben auch nicht richtig gut.

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