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Veröffentlicht am 09.02.2018

Erinnerungen an das Damals

Unreife Früchte
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nämlich an dasjenige in Polen in den 1980er Jahren, an einen Staat, der inzwischen lange vergangen ist. Wioletta Gregs Werk wird schon auf dem Schutzumschlag als Roman bezeichnet, tatsächlich sind es aus ...

nämlich an dasjenige in Polen in den 1980er Jahren, an einen Staat, der inzwischen lange vergangen ist. Wioletta Gregs Werk wird schon auf dem Schutzumschlag als Roman bezeichnet, tatsächlich sind es aus meiner Sicht eher Geschichten, oft sogar nur kurze Sequenzen aus Kindheit und Jugend der Protagonistin, die zwar durch die agierenden Figuren, den zeitlich aufeinander folgenden Aufbau und den Handlungsort - das Dorf Hektary in Schlesien miteinander verbunden sind - mal enger, mal lockerer - aber durchaus auch allein stehend gelesen werden können.

Es ist weitgehend die Sicht eines Kindes, eines kleinen Mädchens, das zur Jugendlichen heranwächst, aus der die Schilderung erfolgt. Dabei wird früh deutlich, dass der Roman eine stark autobiographische Färbung hat. Ein wenig erinnert es mich an die Schilderungen nord- und osteuropäischer Autoren wie Astrid Lindgren oder auch den Letten Jānis Jaunsudrabiņš aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, doch findet sich in diesen Wärme und Humor. Beides geht den Schilderungen von Wioletta Greg vollkommen ab, wobei aber durchgehend deutlich wird, das dies ein von ihr angestrebtes stilistisches Mittel ist. Wobei, ganz selten mal habe ich beim Lesen das Gesicht zu einem Lächeln verzogen, das war eher so, dass die Situation als solches lustig war.

Doch insgesamt war die Kindheit in Hektary alles andere als spaßig - zu einer Zeit, in der im sozialistischen Polen Kriegsrecht und damit ein strenges Regime herrschte - auch der Vater von Wiolka - schon der Name ein Hinweis auf die Autorin - war zeitweise inhaftiert und kehrte gebrochen zurück. Sehr subtil werden die politischen und gesellschaftlichen Zustände transportiert - eben durch die Wahrnehmung eines Kindes. Den ein oder anderen mag gerade dies besonders berühren, ich jedoch tat mich - im Einklang mit dem eher kargen Stil - eher schwer mit der Lektüre, deren Bedeutung für die polnische Literatur ich aber durchaus honoriere. Sicher liest es sich eindringlicher, wenn man besser mit den Umständen vertraut ist. Trotz der "starken" Thematik bleibt dies für mich ein kleiner Roman, einer, den ich möglicherweise bald vergessen werde, was er sicher so nicht verdient hat. Da passt der Titel - es sind unreife Früchte, deren ein wenig mehr Reife zumindest aus meiner Sicht nicht geschadet hätte.

Veröffentlicht am 02.02.2018

Übriggeblieben

Fast eine Familie
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une ist die Einzige, die von ihrer ganzen Familie übriggeblieben ist. Es hätte ein so wunderschönes Wochenende werden sollen, die Hochzeit ihrer Tochter Lolly mit Will, einem ganz besonderen jungen Mann. ...

une ist die Einzige, die von ihrer ganzen Familie übriggeblieben ist. Es hätte ein so wunderschönes Wochenende werden sollen, die Hochzeit ihrer Tochter Lolly mit Will, einem ganz besonderen jungen Mann. Doch sie sind alle in Flammen aufgegangen, sowohl Lolly und Will, als auch Lollys Vater und und Junes Exmann Adam und ihr neuer Lebensgefährte Luke. Nichts ist mehr übrig von ihnen - außer die Erinnerungen. Und liegen nicht nur bei June, sondern auch bei einer Reihe anderer Menschen, die in irgendeiner Form mit dem ein oder anderen von ihnen zu tun hatten.

Ja, Steinchen für Steinchen fügt sich hier ein gewaltiges Drama ineinander, wie es schockierender und erschreckender nicht sein kann. Wir erfahren es von den Verbliebenen - auf eine oft stille, menschliche, manchmal aber auch befremdliche Art. Es wird halt aus einer ganzen Reihe von Perspektiven erzählt. Alle in irgendeiner Form - häufig erst im Nachhinein - Beteiligten kommen zu Wort und aus meiner Sicht liegt genau hier das Manko des Buches. Es sind einfach zu viele Charaktere im Spiel, es wird ausgesprochen unübersichtlich - wenn auch der Autor die unterschiedlichen Figuren sehr gut darstellen, ihre jeweiligen Persönlichkeiten herausarbeiten kann. Aber aus meiner Sicht verliert sich dadurch die Geschichte, es kommt zu vieles zur Sprache, zu viele Menschen zu Wort - so dass sich die Geschichte in der Vielzahl der einzelnen Stränge verliert.

Und es sind nicht nur die einzelnen Berichte aus unterschiedlichen Blickwinkeln, die die Geschichte so füllen - nein, auch in den Erinnerungen schweifen die Protagonisten oft ab, so erinnert sich bspw. June seitenlang an eine Kindheitsfreundin, der sie übel mitgespielt hat, die aber sonst nichts mit der Geschichte zu tun hat. Hier führt uns der Autor viel zu sehr auf Abwege, finde ich!

Bewegend, menschlich und eindringlich geschrieben - aber leider hoffnungslos überladen. Ohne im eigentlichen Sinne geschwätzig zu wirken, verplappert sich Bill Clegg an der ein oder anderen Stelle und führt die Leserschaft auf Irrwege. Wen das allerdings nicht stört, den erwartet hier ein gefühlvoller, eindringlicher Roman mit faszinierendem, vielschichtigen Personal, der sprachlich und stilistisch durchaus von hohem Anspruch ist!

Veröffentlicht am 02.02.2018

Rette sich, wer kann

Nachts ist das Meer nur ein Geräusch
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"Sauve qui peut"; "Rette sich, wer kann" nämlich, hat Maud, die Protagonistin dieses Romans, in ihren Arm tätowiert. Sie ist ein ungewöhnlicher Typ, der ihren Kommilitonen Tim, der sie beim gemeinsamen ...

"Sauve qui peut"; "Rette sich, wer kann" nämlich, hat Maud, die Protagonistin dieses Romans, in ihren Arm tätowiert. Sie ist ein ungewöhnlicher Typ, der ihren Kommilitonen Tim, der sie beim gemeinsamen Hobby Segeln kennenlernt, unglaublich fasziniert, gerade weil sie sehr geheimnisvoll wirkt. Doch nach einiger Zeit wird diese geheimnisvolle Art von Kühle und bald schon von Kälte überlagert - Maud ist einfach unnahbar. Möglicherweise nicht nur für andere, sondern auch für sich selbst.

Aus ihr und Tim wird durch die Geburt von Zoe bald eine Familie, die auf tragische Art auseinanderbricht - und dann ist Maud allein.

Ihre Zuflucht wird, wie schon vorher, das Segeln. Bald schon findet sie sich in anderen Welten wieder.

Ein schwieriges Buch, das mir Rätsel aufgab, wahrscheinlich mehr, als vom Autor vorgesehen. Dieser, der Brite Andrew Miller nämlich, schreibt versiert und kraftvoll, doch ich empfand diesen ungewöhnlichen Roman, der für viele sicher faszinierend ist, als große Herausforderung.

Miller teilt seine Geschichte in drei völlig unterschiedliche Abschnitte ein, von denen mir vor allem der mittlere, in dem Maud in ihrem Segelboot auf den Weltmeeren unterwegs ist und irgendwann auch ums Überleben kämpft, große Schwierigkeiten bereitete. Dieses Seglerlatein ist wirklich nicht meine Sprache und ich bin in diesem Falle der Faszination Meer - sonst durchaus meine Welt - überhaupt nicht erlegen.

Der erste Teil schildert ihre Beziehung zu Tim bis zum Bruch der Familie und der dritte - ja, der hat etwas sehr Märchenhaftes und Symbolisches, aber das haben sie eigentlich alle drei.

Ich habe große Parallelen zwischen dem Stil des Buches und dem Wesen von Maud empfunden: bestimmte, vor allem schmerzvolle Episoden werden einfach ausgespart bzw. weggeschwiegen - so, wie auch Maud das in ihrer Kommunikation bzw. Nicht-Kommunikation oft tut. Und sie ist definitiv nicht die einzige schwierige Figur im Roman. Ganz klar, wenn Sie zu diesem Buch greifen, dann lassen Sie sich auf etwas besonderes ein - ohne im Voraus sagen zu können, ob es sie faszinieren, oder - wie in meinem Fall - eher irritieren wird.

Veröffentlicht am 02.02.2018

Blutig hoch zehn

Der Näher
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geht es hier zu in diesem saftigen Thriller, zu dem man nur greifen sollte, wenn man bereit ist, sich einer Brutalität sondergleichen auszusetzen und die deutsche Antwort auf Cody McFadyen und seinesgleichen ...

geht es hier zu in diesem saftigen Thriller, zu dem man nur greifen sollte, wenn man bereit ist, sich einer Brutalität sondergleichen auszusetzen und die deutsche Antwort auf Cody McFadyen und seinesgleichen kennenzulernen.

Martin Abel, Fallanalytiker des Stuttgarter LKA, verschlägt es mal wieder in den Kölner Raum, diesmal nach Gummersbach im Herzen des Bergischen Landes, wo es provinziell, aber dennoch unglaublich hart zugeht. Hier sind mehrere Frauen verschwunden und beim Fund der ersten Leiche wird deutlich, dass diese auf eine unglaubliche und mehr als unmenschliche Art zu Tode gekommen ist. Zudem sind alle Frauen zum Zeitpunkt ihres Abhandenkommens schwanger. Zwei davon sind erst vor recht kurzer Zeit verschwunden - ist da noch etwas zu machen. Martin Abel stößt auf überaus unkooperative Beamte bei der Gummersbacher Polizei - wird er diesen Fall, bzw. diese Fälle dennoch lösen können?

Eigentlich hat er aufgrund privater Probleme bzw. einfach bevorstehender Entscheidungen keinen Kopf dafür, aber Abel wäre nicht Abel, wenn er sich nicht in diese Materie verbeißen würde wie ein besonders hartnäckiges Nagetier. Koste es, was es wolle - und sei es seine Beziehung zur schönen Kollegin Hannah.

Harte und härteste Kost ist es, die Rainer Löffler seinen Lesern hier bietet - ich hatte von diesem Autor vor einigen Jahren bereits "Blutsommer" gelesen und fand das Buch zwar ebenfalls hart, für meine Begriffe aber dennoch im Rahmen des Erträglichen - und zudem sehr süffig und packend zu lesen.

Diesmal fällt mein Urteil etwas anders aus - Löffler überschreitet diese Grenzen definitiv und das wirkt sich zwar zugunsten der Spannung aus, geht aber definitiv auf Kosten von Stil und Struktur. Fans blutiger und blutigster Thriller, ja, auch Liebhaber von Horror-Literatur, zu denen ich mich ganz klar nicht zähle, werden hier sicher auf ihre Kosten kommen. Nur diesen empfehle ich den Band - und zwar aus vollem Herzen!

Veröffentlicht am 02.02.2018

Einsame Kindheit im Moor

Die Moortochter
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Ein ruhiger Spannungsroman mit Höhen und Tiefen - gibt es so etwas tatsächlich? Ja, Sie haben hier einen dieses extrem seltenen Genres vorliegen - fälschlicherweise auf dem Cover als "Psychothriller" ...


Ein ruhiger Spannungsroman mit Höhen und Tiefen - gibt es so etwas tatsächlich? Ja, Sie haben hier einen dieses extrem seltenen Genres vorliegen - fälschlicherweise auf dem Cover als "Psychothriller" gekennzeichnet, was sicher viele Leser mit falschen Erwartungen herangehen lässt. Denn mit knallharten Effekten darf man hier nicht rechnen, nicht einmal mit einem durchgehenden Spannungsniveau. Nein, über viele Seiten erfolgen vergleichsweise ruhige Schilderungen einer Kindheit inmitten von Natur. Dass diese nicht normal ist, wird rasch deutlich, doch für die Offenlegung gewisser Begebenheiten und Entwicklungen braucht es dann doch seine Zeit.

Helena wächst mit ihren Eltern mitten in der Einöde der Upper Peninsula in Michigan auf - als mitteleuropäischer Leserin fällt mir die Vorstellung schwer, dass es mitten in den USA riesige, vollkommen abgelegene Regionen gibt, auch in einem Bundesstaat mit einer so bekannten Großstadt wie Detroit. Die Schilderungen der Natur und ihrer Ureineinwohner sind eingängig, aber dennoch lag für mich gleich der Vergleich zu Louise Erdrich, einer meiner Lieblingsautorinnen, auf der Hand, die aus meiner Sicht dann doch in einer ganz anderen, wesentlich höheren Liga spielt. Zwischen ihren Eltern gibt es keine einvernehmliche Kommunikation und im Laufe der Zeit wird selbst Helena, die nichts anderes kennt, klar, dass das nicht normal ist. Die Wahrheit jedoch in all ihren Facetten eröffnet sich ihr erst Jahre später nach einer Flucht, vor und während das damals erst 12jährige Mädchen zu Handlungen der extremsten Art gezwungen wurde.

Jahre später - Helena ist inzwischen Ehefrau und Mutter - wird ihr Leben durch eine andere Flucht wieder auf den Kopf gestellt - und wieder zieht es sie in die Einsamkeit der Wälder, aus der sie vor Jahren floh.

Ein ganz besonderer, eindringlicher Roman, der den Menschen und sein Tun in Extremsituationen zeigt, der allerdings auch Längen aufweist und das nicht zu knapp! Zudem bleiben die Figuren aus meiner Sicht blass - abgesehen von der Protagonistin Helena, die wir im Romanverlauf gründlich kennen lernen.

Überhaupt ist Gründlichkeit offenbar eine der Haupttugenden der Autorin - hier wird alles ausgesprochen gründlich ausgearbeitet, der Bogen wird - in Bezug auf jedes, aber wirklich jedes Detail - ganz schön weit gespannt. Wenn man der Autorin Böses will, könnte man dies auch als umständlich bezeichnen. Will ich aber nicht und so empfehle ich dieses Buch geduldigen Lesern mit einer Vorliebe für Natur und komplexe Familienstrukturen.