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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 11.05.2023

Neubeginn unter schwierigsten Umständen

Das Mädchen aus Ostpreußen
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Die junge, ledige Netti, die in Ostpreußen Hauswirtschafterin bei einem Arzt war, ist gezwungen, mit ihrer Familie - Mutter, Schwägerin und Neffe - in einen anderen Teil Deutschlands zu fliehen und das ...

Die junge, ledige Netti, die in Ostpreußen Hauswirtschafterin bei einem Arzt war, ist gezwungen, mit ihrer Familie - Mutter, Schwägerin und Neffe - in einen anderen Teil Deutschlands zu fliehen und das in den letzten Kriegstagen. Sie haben Glück und landen in Lüneburg, das gerade von den Engländern besetzt wird.

DIe Einheimischen nehmen sie nicht gerade freundlich auf, manche zumindest.

Autorin Karin Lindberg gelingt eine großartige Schilderung der Situation eines Landes im Wandel - wir Leser erleben den direkten Umgang der Sieger mit den Besiegten, Himmler wird erwischt und entzieht sich durch Selbstmord. Kurzum: es ist ein riesiger Wirwarr, unbarmherzige Handlungen erleben wir ebenso wie tiefste Menschlichkeit in allen Nationen und Bevölkerungsgruppen.

Es gibt auch noch einen zweiten Erzählstrang, der in den 1990er Jahren spielt und in dem Nettis Enkelin Johanna die Hauptfigur ist. Dieser kann aus meiner Sicht nicht einmal annähernd mithalten und ist leider der Grund dafür, dass ich diesem Roman die volle Anzahl von fünf Sternen vorenthalten. Jeder, der bereit ist, sich auf das ungeschönte Ende des Zweiten Weltkrieges einzulassen - natürlich nur eines von vielen möglichen - sollte zu dieser wundervoll eindringlichen und plastischen Darstellung greifen!

Veröffentlicht am 07.05.2023

It's the end of the world

Blue Skies
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.. as we know it and I feel fine.

Das sang die us-amerikanische Gruppe REM vor ganz schön vielen Jahren, nämlich 1987 - also ganz zum Schluss des sogenannten Kalten Krieges. Eigentlich war uns gar nicht ...

.. as we know it and I feel fine.

Das sang die us-amerikanische Gruppe REM vor ganz schön vielen Jahren, nämlich 1987 - also ganz zum Schluss des sogenannten Kalten Krieges. Eigentlich war uns gar nicht klar, was für ruhige Zeiten diesem erst einmal für Jahrzehnte folgen sollten - bis wir uns in den blutigen Wirren unserer Gegenwart und der ihr vorauseilenden Jahre wiederfanden.

In T.C. Boyles neuestem Roman finden wir eine derart dramatische Situation konzentriert auf eine einzige amerikanische Familie; Mutter Ottilie, Vater Frank und die beiden erwachsenen Kinder Cat und Cooper, die in Kalifornien bzw. Florida leben, wo eine Naturkatastrophe der nächsten folgt.

Während Cooper sozusagen aus beruflichen Gründen zum Invaliden wird, endet Cats Versuch, eine Familie zu gründen, auf die tragischste vorstellbare Weise.

Hier fühlt sich wirklich niemand mehr "fine", weder in der Familie, noch um sie herum - es ist eine Art Harmageddon, das - möglicherweise als eine Art Vorbote für den Rest der Welt oder zumindest des Landes - über diese eine Familie einbricht.

Der große Schriftsteller T.C. Boyle hat für seinen aktuellen Roman ein großes Thema gewählt, das Ängste mit realen und befürchteten weltweiten Bedrohungen zusammentreffen lässt. Als Ironie ist dies nicht mehr zu bezeichnen, es ist tiefschwarzer Sarkasmus, mit dem er auf seine Leser zielt. Auf eine dermaßen wuchtige Art, dass sich meine Mundwinkel nicht mehr verziehen können, weder nach oben noch nach unten.

Nein, mein Mund bleibt weit offen stehen, mein Herz schlägt erfreulicherweise weiter. Gott sei Dank, muss ich sagen, denn jedes Wort, jeder Gedanke des Autors, trifft mitten hinein. Und lässt micht zunächst entsetzt, dann betroffen und nachdenklich zurück.

Danke, Mr. Boyle, dass Sie mich vorgewarnt haben!

Veröffentlicht am 03.05.2023

Ein neues Buch ist wie ein neues Leben

Die Tage in der Buchhandlung Morisaki
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Takako, 25 Jahre alt, kann nicht mehr: ihr Freund, mit dem ihrer Meinung nach alles gut lief, heiratet. Und zwar eine andere, die Takako aber auch kennt: denn diese ist eine gemeinsame Kollegin. ...

Takako, 25 Jahre alt, kann nicht mehr: ihr Freund, mit dem ihrer Meinung nach alles gut lief, heiratet. Und zwar eine andere, die Takako aber auch kennt: denn diese ist eine gemeinsame Kollegin. Und dazu findet er das alles weiterhin ganz normal und will sich weiter mit Takako treffen.

Nicht mit ihr! Sie sucht nach Alternativen und ihr fällt nur eine ein: die antiquarische Buchhandlung ihres Onkels, die ebenfalls in Tokio - ihr Lebensmittelpunkt seit einigen Jahren - angesiedelt ist. Obwohl Takako ihm in ihrer Kindheit durchaus nahe stand, hat sie ihn noch nie besucht.

Überraschenderweise jedoch nimmt ihr Onkel - Saturo heißt er - sie sehr gern gerne auf und gibt ihr ein Zimmer über dem Antiquariat. Und schenkt ihr seine Liebe und Aufmerksamkeit.

Takako, die bisher keinen Zugang zu Büchern hatte, nähert sich diesen langsam an. Zunächst nur durch deren Präsenz, bald jedoch auch lesenderweise.

Sie entdeckt Dimensionen, die sie bisher nicht kannte, die jedoch durchaus relevant für sie sind und - wie sie allmählich spürt - immer waren. Auch - bzw.vor allem - im emotionalen und zwischenmenschlichen Bereich. So findet Takako nicht nur zurück ins Leben, sondern erlangt eine Kraft, die ihr Zuversicht und Freude gibt.


Veröffentlicht am 30.04.2023

Hat mich nicht erreicht

Die Herzchirurgin
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Vorneweg: obwohl der Plot nicht der originellste ist, habe ich mir durchaus etwas davon versprochen. Vor allem in Bezug auf Spannung und Emotionen.

Leider bin ich in beiden Fällen enttäuscht ...

Vorneweg: obwohl der Plot nicht der originellste ist, habe ich mir durchaus etwas davon versprochen. Vor allem in Bezug auf Spannung und Emotionen.

Leider bin ich in beiden Fällen enttäuscht worden - der noch junge Autor Jack Jordan hielt sich an gängige Erzählstrukturen in Bezug auf die schon etwas ausgelutschte Handlung.

Auch wenn er sich im Hinblick auf die Erzählstruktur durchaus etwas überlegt hatte: erzählt wird aus der Sicht dreier Frauen: der Hauptfigur, einer Herzchirurgin und Mutter, deren Sohn entführt wird, einer Krankenschwester in derselben Klinik und einer Polizistin.

Doch das macht aus meiner Sicht den Kohl auch nicht mehr fett, denn die Handlung ist so dermaßen absehbar, dass man das Buch ab der Mitte - oder sogar noch eher - hätte selbst weiterschreiben können und zwar ganz im Sinne des Autors. Und auch der Stil war jetzt nicht so besonders, dass es mich aus den Socken gehauen hätte. Nein, Jack Jordan ist kein Name, den ich mir merken möchte!

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Veröffentlicht am 28.04.2023

Ein Fall mit Nachwirkungen

Der treue Spion
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1896 - Wilhelm Freiherr von Gryszinski hat sich mittlerweile in jeder Hinsicht in München etabliert, ebenso wie Gattin Sophie. Gemeinsam sind sie Eltern eines lebhaften kleinen Jungen, der durchaus ...

1896 - Wilhelm Freiherr von Gryszinski hat sich mittlerweile in jeder Hinsicht in München etabliert, ebenso wie Gattin Sophie. Gemeinsam sind sie Eltern eines lebhaften kleinen Jungen, der durchaus seinen eigenen Willen hat, bspw. besteht er auf die allabendliche Topfrunde mit dem Herrn Papa in der Küche. Sophie ihrerseits steht kurz vor der Veröffentlichung ihres ersten Buches und hat eine Art literarischen Salon eröffnet.

Im aktuellen Fall geht es um einen verschwundenen Diplomaten, einen Franzosen. In den Fall soll ein russisches Paar - wenn es denn wirklich eins ist - involviert sein. Dessen deutscher Begleiter, vielmehr Aufpasser, hat ihn offensichtlich einmal zu oft aus den Augen verloren, was diesem einen schlechten Start mit Gryszinski und selbigem einen ungeklären Fall beschert.

Tatsächlich trifft Gryszinskis Sohn Jahre später auf diesen und zwar ausgerechnet in den Schützengräben von Verdun - inzwischen schreiben wir das Jahr 1916. Hier jedoch ist das Verhältnis der beiden ein inniges - wie auch inzwischen mit Vater Gryszinski, denn die beiden schieden im ausgehenden 19. Jahrhundert als Freunde, wie Fritz in Erfahrung bringt.

Ein ausgesprochen unterhaltsamer und sehr humorvoller Krimi, den ich sehr gern gelesen habe. Autorin Uta Seeburg beweist in ihrem Erstling Sinn für Humor, Stil und Atmosphäre. Auch die Recherchen lassen nicht das Geringste zu wünschen übrig.

Und auch sonst hat mich dieser Roman begeistern können, der Gedanke, ihn auf zwei zeitlichen Ebenen spielen zu lassen, hat sich sehr gelohnt - sowohl hinsichtlich der inhaltlichen Entwicklung als auch der Spannung. Eine uneingeschränkte Empfehlung an alle Liebhaber anspruchsvoller historischer Krimis.