Heimatlos
Außer sichEine Frau, eine sehr junge, Ali nämlich, hat sich verloren. Beziehungsweise einen Teil von sich, nämlich ihren Zwillingsbruder Anton. Und sie zieht hinaus in die Welt, um ihn zu suchen, in Richtung Istanbul, ...
Eine Frau, eine sehr junge, Ali nämlich, hat sich verloren. Beziehungsweise einen Teil von sich, nämlich ihren Zwillingsbruder Anton. Und sie zieht hinaus in die Welt, um ihn zu suchen, in Richtung Istanbul, von dort gab es nämlich ein Zeichen.
Wieder einmal zieht sie in die Welt, wie sie es schon in jungen Jahren, zusammen mit ihren Eltern tat - als jüdische Emigranten aus Russland verschlug es sie nach Deutschland.
Hier geht es um Heimat, aber mehr noch um Familie, wobei beides sehr oft eines ist - denn Heimat sollte sein, wo man zu Hause ist. In irgendeiner Form zumindest. Wird es das sein? Eine unruhige Geschichte um schwierige familiäre Beziehungen, um schwierige Beziehungen insgesamt. Denn auch die Suche nach einer neuen Familie, einer Herzensfamilie kann schwer, ja unmöglich sein. Das wird hier deutlich.
Ein Buch, das mich während des Lesens sehr auf Abstand hielt. Und auch nach der Lektüre kann ich keine Nähe zu ihm entwickeln, es entsendet viel Kälte und eine Menge Schmerz dazu. Ein Roman, der mir nachgeht, aber nicht auf eine gute Art und Weise, sondern eher wie ein unheimliches Gespenst, das mich umtreibt.
Absolut nicht warmherzig und positiv, jedoch durchaus gewaltig, was bewirkt, dass ich ihn nicht schnell aus mir vertreiben kann.
Eine Mahnung angesichts der heute sehr aktuellen Themen Exil, Vertreibung, Flucht. Sie alle werden hier thematisiert, wenn auch auf eine ganz eigene Art und Weise. Definitiv ein gewaltiges Buch, das eine ebensolche Wirkung hat.
Ein verstörendes Buch ist es auf jeden Fall und es tut sicher Not in dieser Zeit, ein solches vorzulegen, aber für mich ist es nicht das Richtige in dieser Zeit. Wenn es wenigstens den Punkt, meinen Casus Knaxus sozusagen treffen würde, was aber nicht der Fall ist. Es geht an mir vorbei und trifft mich dennoch.
Sasha Marianna Salzmann ist nämlich eine Autorin, die schreiben kann, die Kraft hat und diese auch rüberbringt. Ich würde vermuten, dass sie sich damit in den Geist all ihrer Leser schreibt, auf welche Art auch immer. Angesichts der Wirkung des Romans auf mich bin ich mir nicht sicher, ob und wann ich wieder zu einem ihrer Bücher greifen werde, aber wer die deutsche zeitgenössische Literatur im Auge hat, sollte es auf jeden Fall registrieren. Und zwar, indem er es liest.
Werde ich vielleicht auch noch mal in einer anderen Zeit, in einem anderen Leben, auch wenn es mir gegenwärtig definitiv nicht guttut. Das ist allerdings auch nicht die Aufgabe hochwertige Literatur, die vielmehr aufrütteln soll. In diesem Sinne hat sie ihre Funktion definitiv erfüllt - ich bleibe zerstört zurück!