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Veröffentlicht am 20.12.2017

Aller Anfang ist Köln

Max
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Naja, fast, denn Max Ernst, der große Künstler des 20. Jahrhunderts, kommt eigentlich aus Brühl, das aber nur einen Katzensprung von der Domstadt entfernt ist. Und dorthin zieht es ihn auch mit seiner ...

Naja, fast, denn Max Ernst, der große Künstler des 20. Jahrhunderts, kommt eigentlich aus Brühl, das aber nur einen Katzensprung von der Domstadt entfernt ist. Und dorthin zieht es ihn auch mit seiner ersten Frau, Mit seiner ersten Ehefrau (von insgesamt vier!) der Kunsthistorikerin Louise Straus-Ernst, lebt er dort und wird zu einer der Gallionsfiguren der Kölner Dadaismus-Bewegung, bis es ihn fortzieht - fort von der Familie, hin zur nächsten Frau.

Markus Orths kleidet das Leben des Künstlers in einen Roman und hangelt sich dabei an den Frauen im Leben Max Ernsts entlang - an sechs ausgewählten, denn es waren einige mehr, die sich für eine Zeit zu Max gesellten. Auf diese oder jene Art und Weise.

Die dichterische Freiheit gepaart mit historischen Fakten zu präsentieren ist nicht leicht - Markus Orths meistert diese Herausforderung mit Bravour, spannend schreibt er und mitreißend, vermag die Charaktere, die ja "in Echt" existiert haben, in wenigen Sätzen darzustellen. Und neben den sechs Frauen Lou, Gala, Marie-Berthe, Leonora, Peggy und Dorothea sind dies noch eine Menge anderer Gestalten, Weggefährten Ernsts in der ein oder anderen Phase seines Lebens oder auch - wie Paul Elouard, Hans Arp oder Marcel Duchamp - mehr oder weniger lebenslang.

Der Roman liest sich fast wie ein Umschlag der Geschehnisse in Westeuropa in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhundert - danach wird es um Max Ernst merklich stiller - es ist tollkühn, was Markus Orths hier wagt. Und mit Bravour meistert.

Ein Meisterwerk also, eines, das ich in vollen Zügen genossen habe, nicht nur, weil ich Max Ernst als Sohn (naja, fast - siehe oben) meiner Heimatstadt Köln schon lange kenne und schätze, das Max-Ernst-Museum in Brühl oft besucht, seine Bilder im Kölner Museum Ludwig oft gesehen habe, teilweise von Kindesbeinen an.

Ein Meisterwerk also, das einem (Maler-)Meister gewidmet ist und dem ich viele, viele Leser gönne! So sollte eine literarische Biographie geschrieben sein, aber ich kann mir vorstellen, dass das nur die Wenigsten schaffen. Das ist auch gut so - wenn es zu viele Meisterwerke auf der Welt gibt, relativieren sie sich!

Aber so: Ein Hoch auf den großartigen Maler Max Ernst und ein weiteres auf den Autor Markus Orths, der ihm mit diesem Roman ein einzigartiges Denkmal geschaffen hat!

Veröffentlicht am 20.12.2017

Ein Okapi als Todesbote

Was man von hier aus sehen kann
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Im kleinen Westerwälder Dorf kündigt sich der Tod auf ungewöhnliche Weise an: durch ein Okapi, das Selma, der Großmutter der Ich-Erzählerin Luise im Traum erscheint. Den tragischsten Todesfällen im Umfeld ...

Im kleinen Westerwälder Dorf kündigt sich der Tod auf ungewöhnliche Weise an: durch ein Okapi, das Selma, der Großmutter der Ich-Erzählerin Luise im Traum erscheint. Den tragischsten Todesfällen im Umfeld von Selma ging seit Jahrzehnten dieser Traum voraus und so ist auch Luises erste Erfahrung damit eine tragische, die ihr im Alter von zehn Jahren widerfährt und die ihr weiteres Leben - zumindest, so lange wir sie begleiten dürfen, prägen wird.

Neben Selma, DER prägenden Gestalt in Luises Leben, lernen wir eine Reihe anderer Dorfbewohner kennen, die allesamt - jeder auf seine Weise - speziell sind - die Vorstellung vom knorrigen Westerwälder, die zumindest im Rheinland (ich bin Kölnerin) gang und gäbe ist, manifestiert sich hier in Gänze.

Neben Selma und dem jahrzehntelang unglücklich in sie verliebten Optiker sind dies Luises Eltern - die sie beide, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, nicht zu fassen bekommt, ihr gleichaltriger Freund Martin, der Einzelhändler, Elsbeth und Marlies, um nur mal ein paar Namen zu nennen. Jeder von ihnen wird von Autorin Marianna Leky in aller Kürze so eindringlich geschildert, dass man ihn gleich vor sich sieht, in einigen Fällen auch hört bzw. riecht.

Ein wunderbares Buch, in dessen Verlauf wir Luise von ihrer Kindheit bis ins Erwachsenenalter hinein begleiten und ihr tragikomisches Schicksal - nichts anderes wird hier geschildert - in verschiedenen Lebensabschnitten erleben dürfen. Wir begegnen Luise in ihrer Einsamkeit, aber auch in Zeiten der Liebe. Ja, die Liebe ist es, die im Westerwald - und nicht nur dort - nicht immer schwer zu finden, aber stets schwer zu halten ist! Und zwar in all ihren Formen. Mariana Leky findet wunderbare Worte, um die unterschiedlichen Stimmungen, die den Roman in Bezug auf dieses ganz besondere Gefühl durchdringen, darzustellen.

Ein Roman mit Sogwirkung, so zumindest habe ich es empfunden und sehe es in der Nähe eines frühen Irvings (vor allem von Hotel New Hampshire) oder auch von "Tango für einen Hund" von Sabrina Janesch. Überflüssig zu erwähnen, dass ich beide genannten Bücher ebenfalls sehr schätze und sie bereits oft empfohlen habe. Auch dem vorliegenden wird es so gehen: ich war von der Leseprobe gleich vollkommen ergriffen, auch wenn ich vor Jahren den Vorgängerroman "Die Herrenausstatterin" nur stellenweise genießen konnte. Falls es Ihnen genauso ergeht, zögern Sie trotzdem nicht: es könnte ja sein, dass Sie Luises Charme ebenso erliegen wie es bei mir der Fall war!

Dieser Roman bietet um einiges mehr, als das, "Was man von hier aus sehen kann". Luise zumindest und auch einige andere sind bereit zu wachsen und über den Tellerrand hinweg zu schauen - in vielerlei Hinsicht. Im kleinen Westerwälder Dorf und weit darüber hinaus!

Veröffentlicht am 28.07.2018

It's a very, very nerd world

Die sonderbare Buchhandlung des Mr. Penumbra
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oder ist es doch "a Mad World", wie sie einst Roland Orzabal von "Tears for Fears" besang? Ich würde mal sagen, dieses Buch beinhaltet auf jeden Fall beides!

Ein wunderschönes Cover, das das Buch eines ...

oder ist es doch "a Mad World", wie sie einst Roland Orzabal von "Tears for Fears" besang? Ich würde mal sagen, dieses Buch beinhaltet auf jeden Fall beides!

Ein wunderschönes Cover, das das Buch eines jeden Bibliophilen höher schlagen lässt, eine kleine, verwunschene Buchhandlung mit einem überaus verschrobenen Buchhändler - das schien überaus vielversprechend, ich konnte mich der Magie dieser Versprechungen nicht entziehen. Und fiel - sinnbildlich gesehen - so ziemlich auf die Nase. ich hätte nämlich dem ebenfalls auf dem Cover abgebildeten, sich im Bücherregal befindlichen Monitor mehr Bedeutung beimessen sollen - für meinen Geschmack sind in diesem Buch nämlich eindeutig zu viele Nerds unterwegs, die mit ihren Methoden dem alles überlagerndem Geheimnis auf den Grund zu rücken versuchen.

Was passiert? Ein arbeitslos gewordener Nerd, nämlich Clay Jannon, findet einen neuen Job in einem Buchladen - und in was für einem! Mr. Penumbras Laden mitten in San Francisco ist ein Traum für Bibliophile mit besonderen, ungewöhnlichen Wünschen - wie ungewöhnlich die Wünsche wie auch die Bibliophilen sind, dies offenbart sich erst nach und nach. Und alles zielt auf ein uraltes Geheimnis, dem Penumbra mitsamt den ungewöhnlichen Kunden auf der Spur ist. Clay und seine Freunde - ja, auch ein Nerd hat welche und es gibt auch mal eine Nerd-Romanze zwischendurch - sind bald mittendrin auf einer Jagd durch die Staaten. Diese ist leider nicht verwegen, sondern ziemlich langweilig und fungiert zudem als Werbeträger für Firmen wie Google - die man fast schon als eine der relevantesten Player im ganzen Buch bezeichnen kann, aber auch Kindle und ipads werden erwähnt.

Am Ende versammelt Clay alles seine Lieblingsmenschen in einem Raum und dies ist genauso pathetisch, wie es klingt. Sequenzen wie "Mats Vorhaben ist total größenwahnsinnig, zwanghaft und vermutlich unmöglich. Mit anderen Worten: genau das Richtige für diesen Laden." (S.264) ließen mich lange auf den besonderen Clou hoffen, der sich aber leider in Langatmigkeit und Langeweile verlor. Schade.