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Veröffentlicht am 17.09.2021

Lügen auf Rügen

Zeugin der Toten
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Gleich vorweg: ich bin ein großer Fan von Elisabeth Herrmanns Krimis und habe sie alle verschlungen. Ihnen gemein sind die intelligenten Einblicke in und Verweise auf verschiedene Stationen historischer ...

Gleich vorweg: ich bin ein großer Fan von Elisabeth Herrmanns Krimis und habe sie alle verschlungen. Ihnen gemein sind die intelligenten Einblicke in und Verweise auf verschiedene Stationen historischer Art sowie auf die Gesellschaft und soziale Phänomene in unserem Land. Im Mittelpunkt sind stets Figuren mit Macken - Menschen, denen es - vor allem psychisch, gelegentlich auch finanziell - an etwas mangelt und die definitiv nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen, die dies jedoch häufig nicht oder nur teilweise selbst verschuldet haben. Sie müssen im Alltag - oft gegen gesellschaftliche Einflüsse - ihren Mann - oder wie im Fall der Cleanerin Judith - ihre Frau stehen und geraten auch noch in den Strudel krimineller Machenschaften, deren Ursache bei Hermann oft in der Vergangenheit liegt. Wer wie ich dieser Art von Lektüre etwas abgewinnen kann, ist bei dieser Autorin gut bedient und wird das Buch nicht aus der Hand legen könne.

Der neue Herrmann startet wie soviele andere: mit einem Knaller aus der jüngsten deutschen Geschichte, der sich mithilfe vieler Schnörkeleien und Verwinklungen bis in die Gegenwart verdichtet. Hier wird der Faden in der DDR der 1980er Jahre aufgenommen: Christel kommt ins Heim in Sassnitz/ Rügen und heisst ab jetzt Judith. Die Betreuerin wird bestochen, um ab sofort dicht zu halten. Der Leser hingegen ist irritiert. Wer ist Christel und warum heisst sie ab jetzt Judith? Wer ist die erwachsene Judith, der wir im 21. Jh in ihrem Job als Cleanerin in Berlin begegnen? Das Buch entwickelt sich zur Suche Judiths nach ihrer Identität, diese wiederum gestaltet sich zu einer Verbrecherjagd unter Einbindung aktueller und ehemaliger Agenten.

Herrmanns gefälliger, durchaus anspruchsvoller Schreibstil unterstreicht noch die Entwicklungen, die den Leser neben dem Dreh- und Angelpunkt des Geschehens - oder sollte man sagen, des Bösen? - Sassnitz auf Rügen auch nach Berlin, München und ins schwedische Malmö führen und ihm einen Einblick in die Welt der Geheimdienste nicht ersparen.

Ein Geheimnis rankt sich um Elisabeth Herrmanns neuestes Romansujet. Eingebettet in eine ereignisreiche Epoche der deutschen Geschichte, ist es wie so oft bei dieser Autorin lehrreich und unglaublich unterhaltsam zugleich. Die Mosaiksteine aus Vergangenheit und Gegenwart fügen sich auf geschickte und unerwartete Weise zusammen, das Ende ist zwar absehbar, aber doch anders als erwartet.

Geht nicht?

Doch! Selber lesen - man wird sich wundern!

Veröffentlicht am 17.09.2021

Ein Australier in London

Elf Leben
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Xavier hat ein Geheimnis: er lebt mit einer großen Schuld. Diese belastet sein nach außen hin angenehmes Leben als Radiomoderator und Scrabble-Turnierspieler in London. Nach und nach erst eröffnet sich ...

Xavier hat ein Geheimnis: er lebt mit einer großen Schuld. Diese belastet sein nach außen hin angenehmes Leben als Radiomoderator und Scrabble-Turnierspieler in London. Nach und nach erst eröffnet sich Xaviers Welt: vor allem durch die Kommunikation mit seinen Mitmenschen in Vergangenheit und Gegenwart.

Er und seine nächtliche Sendung stehen im Zentrum des unterhaltsamen Romans, um den sich die restlichen 10 Leben ranken? Aber sind es tatsächlich elf Leben(swege), um die es in diesem Buch geht? Die Darstellung ist durch zahlreiche Rückblenden ein wenig wirr und unübersichtlich. Abgerundet wird dies durch Vorausschauen, die auf Ereignisse verweisen, die irgendwann in der Zukunft der Figuren eine Rolle spielen werden. Sie gemahnen an den wunderschönen Roman "Die Kunst des Lokomotivführens" des Australiers Steven Carroll. Im vorliegenden Roman trägt dieser Erzählstil, obwohl durchaus originell, eher zur Verwirrung bei. Wessen Leben gehört zu den "Elf" dazu? Zahlreiche Figuren aus Xaviers früherem australischen und gegenwärtigen Londoner Leben geben sich quasi die Klinke in die Hand. Diese fehlende klare Struktur und der somit nicht vorhandene rote Faden sind der stringenten Handlung des recht kurzen Romans ausgesprochen abträglich.

Mein Fazit: Obwohl eigentlich gefällig und nett geschrieben und sowohl von einem gewissen Unterhaltungswert als auch nicht ohne Anspruch, reißt mich dieses Buch nicht vom Hocker. Ich habe den Eindruck, der Autor müsste noch ordentlich üben, bevor er mit seinem Werk in der Öffentlichkeit reüssieren kann. Aber Potential ist durchaus da!

Veröffentlicht am 17.09.2021

Todesdrohungen

Blutstein
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Gleich vorneweg: die Lektüre dieses Krimis lohnt sich! Johan Theorins dritter Öland-Krimi "Blutstein" startet dramatisch - Per Mörner droht in der Walpurgisnacht verbrannt zu werden. So brutal geht es ...

Gleich vorneweg: die Lektüre dieses Krimis lohnt sich! Johan Theorins dritter Öland-Krimi "Blutstein" startet dramatisch - Per Mörner droht in der Walpurgisnacht verbrannt zu werden. So brutal geht es gottseidank nicht durchgehend weiter: eher subtil werden die Ereignisse aufgerollt, die Erzählstränge miteinander verquickt.

Es sind deren drei, bei denen es sich um eine neu entstehende Konstellation von Nachbarn handelt, die jeder auf ihre eigene Art und Weise mit der Insel Öland verbunden sind. Zunächst lernen wir den fast 85jährigen pensionierten Kapitän zur See Gerlof Davidsson kennen - den Lesern der beiden vorherigen Öland-Bände ist er allerdings bereits bekannt - der die Rückkehr aus dem Pflegeheim in sein eigenes Haus durchsetzt. Er meint, bald sterben zu müssen und möchte den Rest seines Lebens nach seinen eigenen Vorstellungen genießen.

In seiner Nachbarschaft lebt - zumindest zeitweise - der alleinerziehende, geschiedene Per Mörner, der sich Sorgen um seine kranke Tochter Nilla macht - es lässt sich einfach nicht herausfinden, was ihr fehlt. Während sie auf dem Festland in Kalmar im Krankenhaus zu Untersuchungszwecken weilt, fährt Per mit seinem Sohn, Nillas Zwillingsbruder Jesper auf die Insel: der Öland-Aufenthalt von Vater und Sohn Mörner beginnt mit einem Knall - einem Unfall, der den Leser gespannt auf den weiteren Erzählverlauf werden lässt. Dabei lernt der Leser gleich die Protagonisten des dritten Erzählstrangs, Vendela und ihren unsympathischen Mann, den Psychologen und Buchautor Max kennen. Mehr und mehr verbindet sich die Handlung mit der Insel, mit ihrer Natur und mit den alten Sagen, mit Drohungen und alten Geschichten, bis Pers Vater, ein Mann mit Vergangenheit, überfahren wird. Sein Sohn beobachtet den Unfall und ihm ist nach den vorherigen Ereignissen klar, dass dieser mit Absicht herbeigeführt wurde.

Und wie ein Damoklesschwert schwebt das Wissen über die folgende, unglücksselige Walpurgisnacht und die damit verbundene Todesdrohung für Per Mörner über dem Leser, der zum Abwarten verdammt ist...

Theorin ist auch mit seinem dritten Öland-Krimi wieder ein Geniestreich geglückt ist. Seine wiederkehrenden Themen: das Aufeinandertreffen sowohl verschiedener Generationen als auch der "Ureinwohner" Ölands und der Städter, die die Insel als Feriengäste bevölkern ziehen sichauch durch seinen dritten Roman wie ein roter Faden. Dazu gesellen sich die Beschreibungen von Ölands Natur und alten Sagen und Naturgeistern, die häufig auf ergreifende, mitreißende Weise die Stimmung der Handlung aufgreifen und verstärken.

Johan Theorin hat einen eigenen, überaus spannenden Stil: wer wie ich bereits "Öland" und "Nebelsturm" mit Begeisterung verschlungen hat, wird den dritten Band kaum erwarten können. Und ich kann hier wiederum eine Steigerung feststellen: war "Nebelsturm" schon um einiges packender als das durchaus spannende "Öland", setzt der Autor mit Blutstein noch einen drauf. Doch auch für neue Leser ist ein schneller Einstieg möglich, da sich die Bücher auch recht gut isoliert lesen lassen. Ein Muss für jeden Liebhaber skandinavischer Krimis, der offen für Neues ist: sowohl im Hinblick auf die landschaftliche Einbettung als auch auf den Erzählstil.

Veröffentlicht am 17.09.2021

"Auch die Guten werden ermordet"

Gotteszahl
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Das sagt Kriminalkommissar Yngvar Stubo zu seiner Frau Inger Johanne, als beide spät am Heiligabend von dem Mord an der sympathischen Bischöfin Eva Karin Lysgaard erfahren. Doch was verbindet die gütige ...

Das sagt Kriminalkommissar Yngvar Stubo zu seiner Frau Inger Johanne, als beide spät am Heiligabend von dem Mord an der sympathischen Bischöfin Eva Karin Lysgaard erfahren. Doch was verbindet die gütige Bischöfin, die sich sowohl für Homosexuelle als auch gegen den Schwangerschaftsabbruch einsetzt, den Strichjungen und den drogensüchtigen "Penner, beide am unteren Ende der sozialen Hierarchie stehend, den egozentrischen Künstler und die gutaussehende Australienreisende? Sie alle werden ermordet, möglicherweise von ein und demselben Täter. Wer sind hier die "Guten", wer hat hier Deck am Stecken und wie, um Himmels willen, fügen sich all die Lebensläufe, die uns von der Autorin vorgesetzt werden, zusammen?

Anne Holt legt mit "Gotteszahl" den vierten Krimi mit Ermittler Yngvar Stubo vor. Er ist nicht nur im Hinblick auf die Spannung, sondern auch auf die sprachliche und stilistische Gestaltung ein wahrer Lesegenuss. Die Autorin ist eine Meisterin der Übergänge: Humorvoll die Überleitung von der schaurigen Beschreibung der Bergung einer aufgedunsenen Wasserleiche zum Weihnachtsessen bei Kommissar Stubo und seiner Familie: vom Gruselfisch, der aus dem Auge der Leiche in den Mund des schockierten Augenzeugen fällt, leitet die Autorin nahtlos über zum Kabeljau-Augen essenden Kommissar und dem familiären Geplänkel am festlich gedeckten Tisch. An anderer Stelle werden Gedanken über das Nicht-Wissen, die ein Kapitel abschliessen, zu Beginn des nachfolgenden wieder aufgenommen. Die doch sehr vielschichtigen und weitläufigen Handlungsstränge werden so ineinander übergeleitet und der Leser hat angesichts der spannenden Handlung kaum eine Chance, den Faden zu verlieren.

Yngvar Stubo und seine Frau Inger Johanne, von Yngvars Kollegen als "the reluctant detective", die widerwillige, zögernde Ermittlerin bezeichnet, sind eine originelle und warmherzige Bereicherung der ermittelnden Teams der Krimi-Szene. Ihr Leben als Patchwork-Familie mit den beiden Töchtern Kristiane und Ragnhild, Kristianes Vater Isak, den Eltern/Schwiegereltern und Yngvars Enkel, wird immer wieder aufgegriffen und in die Handlung eingefügt und hat sich so als fester Bestandteil dieser Krimireihe etabliert. Diesmal spielt Kristiane im aktuellen Kriminalfall sogar eine entscheidende Rolle.

Anne Holt schreibt für ihre Fangemeinde - als langjähriger Leserin und Kennerin ihres Gesamtwerks fällt es mir schwer zu sagen, ob es ebenso leicht fällt, der Handlung zu folgen, wenn man vorher keines ihrer Werke gelesen hat, doch die vielen Bezüge auf frühere Werke legen die Empfehlung nahe, sich zunächst einmal mit den vorhergehenden Bänden der Stubo-Reihe auseinanderzusetzen.

Keine Sorge, es lohnt sich auf jeden Fall! Wen die teilweise doch etwas düstere, eben nordische Atmospäre bei Anne Holt, die doch immer wieder von humorvollen Elementen - sei es in Form von skurrilen Figuren, sei es durch das Einfügen einer heiteren Episode - durchsetzt wird, nicht schreckt, der könnte rasch zum Anne-Holt-Fan werden und in Zukunft wie ich jedem neuen Krimi dieser Autorin entgegenfiebern!

Veröffentlicht am 17.09.2021

Ein gestörtes Hinn... oder vielmehr eine gestörte Nation...

Das Einstein-Mädchen
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Von tochteralice
Einsteins Mädchen wird in Caputh in der Nähe der Einsteinschen Sommerresidenz aufgefunden - im Herbst 1932, also quasi am Vorabend der Machtergreifung Hitlers. Sie ist bewusstlos und ...

Von tochteralice
Einsteins Mädchen wird in Caputh in der Nähe der Einsteinschen Sommerresidenz aufgefunden - im Herbst 1932, also quasi am Vorabend der Machtergreifung Hitlers. Sie ist bewusstlos und bleibt nach dem Erwachen ohne Erinnerung - alles, was sie bei sich hat, ist ein Faltblatt mit der Ankündigung einer Vorlesung von Einstein - so hat sie ihren Spitznamen weg. Der zuständige Arzt an der Charité, wohin die Patientin eingewiesen wird, Dr. Martin Kirsch, ist fasziniert von der Schönheit der Patientin und von ihrem geheimnisvollen Fall und verstrickt sich immer tiefer hinein. Kirsch trägt selbst an schweren Lasten: am Verlust seines Bruders im 1. Weltkrieg sowie an einer kaum heilbaren Krankheit, an der er sich in ebendiesem Krieg angesteckt hat. Zudem hadert er mit seiner Zukunft: sowohl der privaten als auch der beruflichen.

Spannend? Könnte es sein, doch der gewisse "Klick" fehlt. Mir als Leserin erscheinen die Figuren seltsam konturlos, der Geschichte fehlt aus meiner Sicht der rote Faden. Ich habe mich zwar nicht gerade durch das Buch gequält, doch von einem Lesegenuss war es ebenso weit entfernt. Für Thrillerfreunde ist es schon gar nicht geeignet: ausser der Spannung fehlen auch die entsprechenden Effekte. Wissenschafts-Fans und Leser, die Romane über die Nazi-Zeit mögen, sind eher der Zielgruppe zuzuordnen, zumal der Wahnsinn in den Anfängen des Dritten Reiches, der Weg zur gestörten Nation, durchaus herausgearbeitet ist: Für mich eine der wenigen Stärken des Buches!