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Veröffentlicht am 26.10.2016

Gutes Thema, etwas fehlt

Noah will nach Hause
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Janie liebt ihren Sohn Noah über alles. Die Alleinerziehende hat es nicht leicht und kämpft für sich und ihren Sohn. Doch Noah hat Albträume und schreit immer wieder nach seiner anderen Mama. Seine Mutter ...

Janie liebt ihren Sohn Noah über alles. Die Alleinerziehende hat es nicht leicht und kämpft für sich und ihren Sohn. Doch Noah hat Albträume und schreit immer wieder nach seiner anderen Mama. Seine Mutter weiß sich nicht mehr zu helfen und sucht bei Psychologen Rat. Jerome Anderson hat sein Buch über das Phänomen der Wiedergeburt eigentlich schon beendet, als Janie ihn kontaktiert. Sie will ihrem Sohn helfen, zu vergessen und ist an die Grenzen des für sie Glaubhaften gestoßen. Aber will Anderson das auch?
Noah will nach Hause ist ein Buch über Vergessen und Erinnern in seinen extremsten Formen. Während Noah von einem anderen Leben träumt, steht Jerome vor der Gefahr, alles im Leben zu verlieren. Das große Vergessen steht vor ihm. Eine Krankheit droht, im die Fähigkeiten des Ausdrückens, der Sprache zu nehmen. Und Sprache ist ihm so ungemein wichtig. Sprache und Erinnerung bilden eine feste Einheit. Verlieren wir das eine, was bleibt noch vom anderen? Und anders herum hilft uns das Erinnern, Wörter zu finden, die wir eigentlich noch nicht kennen, wie es bei Noah der Fall ist. Ein sehr gut gewähltes Thema, eine ausdrucksstarke Verknüpfung von Erinnern und Vergessen, Reden und Schweigen, Sprache und Tod.
Neben dieser ausgeklügelten Thematik ist die Umsetzung leider nicht ganz so ausgereift. Großartig Umgesetzt ist die Verzweiflung der Figuren. Janies Machtlosigkeit vor Noahs Anfällen. Jeromes Angst vor dem Vergessen. Und der umfassende Schmerz, der anhand der „anderen“ Familie gezeigt wird. Daneben leider immer wieder Oberflächlichkeiten und Konflikte, die zu schnell vom Tisch sind, die tiefe Geschichte zu einfach machen. Immer wieder Spannungsmomente, die einfach fallen gelassen werden. Das verschwundene Kind, die Konfrontation mit dem Täter, das Erkennen des Gegenübers. Viel wird da einfach nicht aufgegriffen und umgesetzt. Und das ist wirklich schade.
So wird Noah will nach Hause zu einem gemütlichen Lesegenuss, der die Tiefe, die er haben könnte, nie erreicht. Das finde ich einfach nur schade. Die großartig angelegte Thematik wird dadurch zusammengestaucht und nicht ausgespielt. Die Konflikte und die Auswirkungen von Noahs Erinnerungen werden gerade zu Beginn toll gezeigt und schrumpfen im Verlauf schrecklich zusammen. Noah will nach Hause ist kein spirituelles Buch, sondern versucht durch Beispiele und Zitate aus anderen Beispielen, die zumindest teilweise realen Berichten entsprechen (beispielsweise dem Fall Shanti Devis) eine gewisse Glaubhaftigkeit aufzubauen, die mehr wissenschaftlicher Untersuchung entspricht.
Das kann der Roman aber in keinem Fall leisten. Stattdessen stattet er das Thema Widergeburt mit einer Leichtigkeit aus, die der Tiefe der Thematik nicht gerecht wird. Vieles bleibt dabei nur angetastet und verliert sich. Für Zwischendurch ist das Buch ideal, mir hat einfach etwas mehr Tiefe und Spannung gefehlt, um die verschiedenen Ebenen zusammenzuführen und zu einem würdigen Ergebnis zu kommen.

Veröffentlicht am 20.10.2016

Die Promotion als Zwischenhölle

Studierst du noch oder lebst du schon?
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Jeanne Dargan ist unzufrieden mit ihrem Leben als Lehrerin. Da kommt es ihr gerade recht, dass sie als Doktorandin zugelassen wurde. Enthusiastisch stürzt sie sich zurück in die Uni, ohne Stipendium und ...

Jeanne Dargan ist unzufrieden mit ihrem Leben als Lehrerin. Da kommt es ihr gerade recht, dass sie als Doktorandin zugelassen wurde. Enthusiastisch stürzt sie sich zurück in die Uni, ohne Stipendium und Job. Ihr berühmter Doktorvater stellt sich als Egomane heraus, die Institutssekretärin lebt nach dem Motto, wer arbeitet verliert und auch das Unterrichten an der Uni läuft nicht so, wie Jeanne sich das erträumt hat. Außerdem liegt ihr ihre Familie schnell damit in den Ohren, wie lange so eine Promotion denn braucht und was danach eigentlich kommt. Fragen, auf die auch Jeanne keine Antwort weiß.
Die Inhaltsangabe zeigt es deutlich, es geht hier weniger um ein Studium, als eine Promotion. Jeanne geht selbst nicht in Seminare, sondern gibt welche. Das ist ein ziemlicher Unterschied. Gleichzeitig schlittert Jeanne aber gerade darum in die Lethargie des eigenverantwortlichen Lernens und Schreibens. Niemand sagt ihr, was sie zu tun hat, das muss sie schön alleine herausfinden. Und schnell zeigt sich, dass so eine Arbeit gar nicht so einfach zu organisieren ist. Von wegen einfach nur schreiben.
Immer wieder gibt es in der Grafik Novel Zeitsprünge von mehreren Jahren. Dadurch geht durchaus etwas verloren. Jeanne wird von der euphorischen Neudoktorandin zur lethargischen Dauerpromovierenden. Überall sieht sie sich darum angegriffen. Beziehungen, Freundschaften, Familie – Jeanne schafft es einfach nicht, ihre Promotion da auszuklammern und von ihrem Privatleben zu trennen. Ein wichtiger Punkt, der auf viele Promotionssituationen zutrifft. Wer sich tagein tagaus mit einem Thema beschäftigt, dem fällt es schwer, über etwas anderes zu reden. Und der Unwille der Mitmenschen wächst.
Jeanne versteht nicht und wird gleichzeitig missverstanden. Gleichzeitig kann die Dissertation nicht die erste Rolle in ihrem Leben spielen, weil sie Geld verdienen und arbeiten muss, um die Promotion überhaupt zu finanzieren. Keine leichte Situation, die auch an Jeanne ihre Spuren zeigt. Nun ist dieses Grafik Novel aber keinesfalls ein schwarzgezeichnetes Manifest gegen Promotionen. Viel mehr arbeitet es die schwierigen Punkte gelungen komödiantisch ab. Etwa wenn Jeanne nackt in ihrer Wohnung die tiefen Fragen ihrer Dissertation zergrübelt, oder wenn ihr Doktorvater ihr sinnlose Antworten auf ernste Fragen liefert. Ein bisschen schwarzer Humor, durchaus, aber er sitzt.
Dass Jeanne ihr Ziel erreicht, ist ein fragliches Ergebnis. Immerhin zeigt Studierst du noch oder lebst du schon anhand befreundeter Doktoranden die Lage auf dem wissenschaftlichen Arbeitsmarkt – miserabel. Auch die Aussichten, was mit der Promotion am Ende anzufangen ist sind eher ernüchtern – im Grunde nichts. Promovieren, das zeigt sich aber, muss mit Leidenschaft und Durchhaltevermögen angegangen werden. Es ist keine schnelle Sache und eine, die das Leben so vereinnahmt, dass die Frage berechtigt ist, ob ein Doktorand denn noch studiert oder schon lebt. Eine Frage, die Jeanne jedenfalls nicht beantwortet.
Die als Zwischenhölle zugespitzte Situation jedenfalls ist makaber, aber amüsant. Heillos übertrieben, und gerade dadurch im Bann des Sarkasmus auf die Realität ausgerichtet. Die Zeichnungen passend und gerade in ihren Eigenheiten stark. Nicht beschönigend, sondern wie die Geschichte realistisch, sarkastisch, amüsant. Ein Buch, das jedem Promovierenden und allen im Uni-Betrieb Freude machen wird.

Veröffentlicht am 19.10.2016

Interessant, kleine Schwächen

Confidence Code
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Der Untertitel „Neueste wissenschaftliche Erkenntnisse und revolutionäre Praxis-Tipps“ lässt schon vermuten, dass Confidence Code irgendwo eine Mischung aus Laien-Sachbuch und Ratgeber ist. Der Schwerpunkt ...

Der Untertitel „Neueste wissenschaftliche Erkenntnisse und revolutionäre Praxis-Tipps“ lässt schon vermuten, dass Confidence Code irgendwo eine Mischung aus Laien-Sachbuch und Ratgeber ist. Der Schwerpunkt liegt aber klar auf der Sachbuch-Ebene. Katty Kay und Claire Shipman machen sich gemeinsam auf, Forschungen, Ergebnisse, Versuche und Theorien das Selbstvertrauen betreffend unter die Lupe zu nehmen. Im Mittelpunkt steht dabei speziell das weibliche Selbstvertrauen, dass sich nach Meinung der Autorinnen vom männlichen unterscheidet. Dabei sprechen sie mit Fachleuten, Wissenschaftlern, erfolgreichen Frauen unterschiedlichster Bereiche und kommentieren Versuchsreihen.
Dass die Welt der Karriere auch eine Welt des Selbstvertrauen ist, dürfte keine große Überraschung sein. Nicht nur Leistung zählt im Leben, das wissen wir schon lange. Auch, wie man sich selbst präsentiert ist wichtig. Der Künstler nennt das Bühnenpräsenz, manche reden auch vom Bild, das jemand von sich selbst zeigt. Selbstvertrauen wird hier schnell heruntergebrochen auf Auftreten. Und doch schaffen es die Autorinnen Vorsicht walten zu lassen. Indem sie nämlich von Anfang an nicht erklären, was Selbstvertrauen ist, und sich dann auf die Suche nach Strategien machen, sondern viel mehr immer wieder fragen, was Selbstvertrauen alles sein kann. Nicht klar zu definieren zieht sich dieser Begriff durch das Buch und gewinnt gerade dadurch Schärfe.
Neben dem Bild nach Außen gehört zu Selbstvertrauen nämlich auch das Bild nach Innen. Und hier zeigt sich gerade in den zahlreichen Gesprächen mit Profisportlerinnen, Politikerinnen, Geschäftsfrauen, dass Selbstvertrauen keine feste Größe ist, sondern immer Situationsabhängig. Frauen, so suggeriert es das Buch, leben in einem stetigen Selbstzweifel, der auch noch so viel Selbstvertrauen nicht wettmachen kann. Jeder Fehltritt wird von ihnen selbst als Katastrophe gewertet. Und so oft die Autorinnen sich bemühen, das Selbstvertrauen allgemein zu fassen und erst dann auf die Frauen zu schauen, fehlt hier der Blick auf den Mann. Dem wird eine Unbekümmertheit unterstellt, eine Ignoranz der eigenen Fehler und damit auch ein umfassendes Selbstvertrauen per se. Gespräche mit Männern über diesen Punkt aber liefert das Buch nicht und geht schlicht von einer alltäglichen Differenz aus.
Biologisch gesehen, das zeigen Katty Kay und Claire Shipman anhand verschiedener Forschungen, gibt es wohl tatsächlich einen. Hormonell betrachtet und durch verschiedene Strukturen. Auch auf die Genetik werfen die beiden einen genauen Blick, scheuen sich auch nicht ihre eigenen Gene auf Selbstvertrauen untersuchen zu lassen. Schnell wird aber klar, dass es zwar verschiedene biologische Gründe geben mag, warum jemand über mehr oder weniger Selbstvertrauen verfügt, diese aber nicht absolut sind. Vielmehr kommt auch hier der äußere Einfluss auf den Plan. Eltern, Umwelt, Erziehung, Erfahrungen. All das kann aus jemandem, der nach seinen Genen ein Selbstvertrauens-Überflieger sein müsste, einen zurückhaltenden, ängstlichen und unterwürfigen Menschen machen, und andererseits kann jemand ohne genetische Vorteile Selbstvertrauen trainieren und behalten.
So interessant und durchaus neu die verschiedenen Forschungsergebnisse auf das Selbstvertrauen auch sind, so simpel und alltäglich scheinen die Praxis-Tipps, die das Buch liefert. Von Meditation bis zu Übungen, von leeren Phrasen bis zum guten Rat, den schon Oma parat hatte – hier liefert Confidence Code zwar ausgezeichnete Begründungen für die jeweiligen Strategien, die Tipps selbst dagegen sind weniger innovativ.
Ich fand Confidence Code sehr interessant und betrachte nach dem Lesen mein eigenen Auftreten durchaus anders. Immer wieder erwische ich mich dabei, wie ich über meine Haltung, meinen Gang und auch meinen Sprechanteil in Unterhaltungen anders denke und aktiv etwas ändere. Im Vergleich zum „männlichen“ Selbstvertrauen hat mir der direkte Vergleich gefehlt. Hier bietet das Buch doch eher Mutmaßungen, als Untersuchungen, so dass ich nach dem Lesen keinesfalls behaupten kann, Männer hätten von Grund auf ein anderes Selbstvertrauen. Dafür kenne ich aber zu viele Männer, die ihre eigenen Handlungen oft so zerdenken, wie es die Autorinnen allein den Frauen zuschreiben.

Veröffentlicht am 14.10.2016

Spannend, manchmal fehlt die Tiefe

Glimmernächte
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Pippa zieht mit auch ein Schloss nach Dänemark, als ihre Mutter einen echten Grafen heiraten will. Während ihr kleiner Bruder davon träumt, ein kleiner Prinz zu sein, ist Pippa wenig begeistert davon, ...

Pippa zieht mit auch ein Schloss nach Dänemark, als ihre Mutter einen echten Grafen heiraten will. Während ihr kleiner Bruder davon träumt, ein kleiner Prinz zu sein, ist Pippa wenig begeistert davon, Berlin hinter sich zu lassen. Ihre neue Stiefschwester ist freundlich, ihr Stiefbruder lässt Pippas Herz höher schlagen. Doch seltsame Dinge geschehen und bald traut Pippa ihren eigenen Augen nicht mehr. Ungeahnte Kräfte sind am Werk und bald muss Pippa alles einsetzten, weil sie droht, alles zu verlieren.
So märchenhaft und fantastisch die Zusammenfassung scheint, so spannend ist der Roman tatsächlich. Nicht gegen magische Kräfte geht es hier, sondern um Verschwörer und sehr reale Bedrohungen. Thrill statt Fantasy also. Und gut gemacht. Der Leser folgt Pippa uns weiß darum auch nicht mehr als sie. Ein gemeinsames Aufdecken, Rätseln, Suchen, das zwischen diesen Zeilen liegt.
Der Roman spielt dabei sehr stark mit Schein und Sein. Vieles, was Pippa sieht, ist nur Täuschung. Das Tatsächliche dagegen liegt verborgen und niemand glaubt Pippa, als sie es erkennt. Auch der Stiefbruder Nils ist so eine Figur, von der Pippa lange nicht weiß, was sie halten soll. Darf sie ihrem Herz trauen, oder muss sie glauben, was über ihn erzählt wird? Dass er gefährlich ist und krank. Pippa findet ihren ganz eigenen Weg.
Ihren eigenen Weg findet sie auch bei dem Thema der Geschlechterrollen. Pippa soll sich in hübsche Kleider werden und liebt einfache Hosen. Das Oberflächliche ist es, was sie nicht leiden kann und genau darauf trifft sie in Glimmernächte. Nicht zuletzt verweist der Titel auf die im Roman erwähnten Scheingoldstücke, den Glimmer, der eben wertvoller scheint, als er ist. Das Wirkliche also liegt auch hier tief und ist nicht so leicht erkennbar.
Gelungen finde ich, dass Pippa keinesfalls liebesblind wird oder sich in ihrer neuen Existenz verliert. Sie behält ihren Blick und spürt dabei deutlich die Verführung des Geldes. Eine Verführung, die Pippas Bruder und auch ihre Mutter erlegen. Trotzdem wird Pippa keinesfalls als überlegen dargestellt. Sie ist nur in der Position, alt genug, aber kritisch genug zu sein, um mehr zu hinterfragen. Und auch Pippa muss mit den Eindrücken kämpfen, die auf sie warten.
Der Stil ist locker und leicht. Das Buch ist gut und schnell zu lesen. Gerade da hätte ich mir etwas mehr Tiefe gewünscht. Pippa trägt ein Trauma mit sich, dass zwar genau gezeigt wird, aber trotz seiner Stärke kaum Auswirkungen hat. Auch an anderer Stelle hätte ich mir gerne mehr Tiefe gewünscht. Die „Liebe“ zu Nils wirkt an den Haaren herbei gezogen – die beiden kennen sich ja im Grunde gar nicht. Und auch diese Verteilung von Unschuld am Ende wirkt auf mich unausgegoren. Trotz mehrfacher Todesgefahr wird die Schuld am Ende so verteilt, dass sie irgendwie niemandem wirklich zu fällt. Alle sind Opfer der Umstände.
Spannend und in vielerlei Hinsicht gut aufgebaut ist Glimmernächte allemal. Die Anzeichen der Verschwörung beispielsweise, die anfangs so unwirklich wirken. Aber auch die Elemente, die mal den einen, mal den anderen in den Fokus von Pippas Misstrauen ziehen. Viele Verdächtige eben. Und Nils, der auch nicht über jeden Verdacht erhaben ist. Eine kurzweilige und spannende Unterhaltung, der es einfach hin und wieder an Tiefe fehlt.

Veröffentlicht am 11.10.2016

Sehr gut, aber nicht immer leicht

Hier bin ich
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Jacob und Julia sind verheiratet, haben drei Kinder, einen Hund, ein Haus und stehen vor dem Ende. Jacobs Großvater Isaac hat den Holocaust überlebt, seine Frau überlebt, die Geburt seine Urenkel überlebt ...

Jacob und Julia sind verheiratet, haben drei Kinder, einen Hund, ein Haus und stehen vor dem Ende. Jacobs Großvater Isaac hat den Holocaust überlebt, seine Frau überlebt, die Geburt seine Urenkel überlebt und steht vor dem Ende. Jacobs und Julias Sohn Sam soll ein Mann werden und wird wie ein Kind behandelt. Und gerade als Jacobs israelischer Cousin zu Besuch ist, bebt in Israel die Erde und nichts ist mehr, wie es vorher war. Aber wie wird es danach sein?
Ich habe für Here I Am nicht lange gebraucht, weil es ein schlechtes Buch wäre – im Gegenteil. Es ist ein sehr gutes Buch. Die unterschiedlichen Stränge sind dicht miteinander verwoben. Sie ziehen voneinander weg, um aufeinander zuzugehen. Here I Am ist nicht etwa das Buch einer gescheiterten Ehe, das Buch eines Heranwachsens, das Buch einer Katastrophe. Es ist alles auf einmal und noch mehr.
Here I Am ist ein Buch über Apokalypsen und dem, was nach ihnen folgt. Dabei meine ich kein globales Weltende, sondern teilweise sehr persönliche Apokalypsen. Julias Welt ist leer und sie spürt die Risse. Jacob verzweifelt vor lauter Wollen und Nichtstun. Und Sam steht vor der Bar Mitzwa und will diesen Schritt nicht gehen. Er will die umfassende Veränderung der Zustände nicht zulassen. Er widerspricht ihnen. Aber kann er seinem Erwachsenwerden einfach so widersprechen wie Peter Pan? An der Stelle, an der er es tut zeigt er sich im höchsten Maße erwachsen. Ein Buch voller Paradoxe also.
Alles wird aufgefangen im Erdbeben, das Israel verwüstet. Es reißt die Kluft zwischen israelischen Juden und amerikanischen Juden auf, wie es die Erde aufreißt. Und es verschärft den Konflikt mit den arabischen Ländern. Aus der Naturkatastrophe entwickelt sich ein Krieg der Menschen, bei dem Landesgrenzen mit Religionen verwechselt werden – wie es in Wirklichkeit oft der Fall ist. Und als Israel seine Söhne zum Kampf auffordert, will auch Jacob hin. Und kann es doch nicht.
Markant fand ich die Passage, in dem Jacob zum Ich-Erzähler wird, weil seine Angaben zum Schauspielen wiedergegeben werden. Wie Glück gespielt werden soll, erklärt er da, wie Liebe, wie das Dasein. Dabei zählt er Episoden auf, hält Momente fest. Sehr persönlich ist dieser Teil und er wirkt als Abgrenzung. Vorher sieht der Leser das Ende. Die unterschiedlichen Entscheidungen und Handlungen, die zu den jeweiligen Apokalypsen geführt haben und auch das Erdbeben. Danach ist eine kuriose Jetztzeit, in der sich alle außer Jacob einfinden können. Er, mit dem alles gestartet hat, ist der, der nicht loslassen kann.
Das stärkste Symbol hat für mich im Buch Argus, der Hund. Jacob holt ihn für die Kinder, obwohl Julia dagegen ist. Er wird alt und krank. Max, der mittlere Sohn, bittet seinen Vater, ihn einzuschläfern. Und Jacob kann die Anzeichen für Argus Leid nicht anerkennen. Er weigert sich. Argus wird zum Symbol des Aufopferns und des Endes. Julia opfert sich für ihre Familie auf – sie zerfällt. Isaac (in im biblischen Kontext hier sehr gut gewählter Name!) soll in ein Altenheim kommen, sein Leben (Inhalt) soll seinem Leben (Existenz) geopfert werden. Auch das funktioniert nicht. Sam soll ein jüdisches Fest erfahren, obwohl im (und der ganzen Familie) der Glaube irgendwie fremd ist. Er soll den Konventionen und der Tradition geopfert werden. Und er weigert sich. Und alles zeigt sich in dem armen Tier, das am Ende ist, aber nicht sterben darf, weil Jacob sich nicht eingestehen kann, dass es Zeit ist.
Der Roman ist ein sehr nachdenklicher und sehr guter Roman. Nicht immer ist er leicht zu lesen und noch weniger leicht zu verdauen. Doch er hat eine immense Tiefe und so viele Punkte, die ich liebend gerne analysieren würde. Es ist ein dichtes Buch, das viel Reflektion zeigt und komplex aufgebaut ist. Aber es ist es wert! Versprochen.