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Veröffentlicht am 17.02.2017

Love, Drugs and Dreams?

Traumhaft 2: Das Vergessen
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Klara hat der Abmachung mit ihrer Professorin zugestimmt und damit ihren Bruder gerettet. Doch das Wiedersehen muss noch warten, denn sofort wird Klara mit Adrian nach Amerika geschickt. Weg von Matthias. ...

Klara hat der Abmachung mit ihrer Professorin zugestimmt und damit ihren Bruder gerettet. Doch das Wiedersehen muss noch warten, denn sofort wird Klara mit Adrian nach Amerika geschickt. Weg von Matthias. Aber auch weg von Tobi, der ihr den Traum mit Adrian nicht vergeben hat. Verletzt und vollgepumpt mit Alkohol, Gras und den Träumerpillen lässt Klara sich wieder auf Adrian ein. Da steht auf einmal Eva vor ihr, ihre totgeglaubte Tante, die ihr Gedächtnis verloren hat. Ehe sie sich versieht, befindet sich Klara wieder in einem Strudel aus Gefühlen, Verpflichtungen und Bedrohung.
Hier werden die Träume zu einer zweiten Welt, in der oft mehr passiert, als in der Realität. Die ist durch Klaras Reise nach Amerika zu einer riesigen Party geworden. Sex, Drugs and Dreams. Diese Mischung war ich schnell Leid. Nervig für mich war, dass Klara die Bedrohung vom ersten Tag an merkt, sie aber immer wieder abwinkt, ignoriert und nur allzu gern zu Flasche, Tüte, Brownie und Pille greift. Angestachelt von ihrer Verletztheit durch Tobis Reaktion in den gemeinsamen Träumen wirft sie sich dem an den Hals, den sie gleichzeitig verabscheut. Dieses masochistische Verhalten würde ich ihr durchgehen lassen, wenn sie nicht als Ich-Erzählerin immer wieder Vernunft, Klarsicht und Vorsicht zeigen würde. Dass sie aber nicht danach handelt, macht sie zutiefst unglaubwürdig.
Auf großen Strecken passiert dann in diesem Band auch nichts. Ein bisschen untergründige Spannung, viel Verwirrung, Sex. Aber richtige Handlung? Eher weniger. Die auftauchende und erinnerungslose Tante nimmt den Antrieb ein, den im ersten Band der Bruder im Koma geliefert hatte. Da möchte ich doch leise das Wörtchen Schema ins Spiel bringen.
Lichtblick war in diesem Band ausgerechnet der unausstehliche Adrian. Die Figur, die bereits im ersten Band bereit war, über Leichen zu gehen, manipulativ und mit der Tendenz zum Größenwahn ausgestattet, zeigt hier, dass die Autorin durchaus Tiefe zeigen kann. Vieles bleibt für Karla zwar im Verborgenen, doch nach und nach ergeben sich tatsächlich Wahrheiten zu erkennen. Diese Vielschichtigkeit zeigen die anderen Figuren leider kaum. Gerade bei Klara selbst wird sie zwar versucht, zu erzeugen, bleibt aber, aus den oben genannten Gründen, unglaubwürdig für ihre Figur.
Stilistisch ist das Buch wieder gut. Da möchte ich gar nicht drüber meckern. Auch mich konnten die Formulierungen immer wieder locken. Atmosphäre war da. Ich glaube, mein großes Problem ist, dass Das Vergessen im Ganzen wie ein Roman wirkt, der aus einem wesentlich kürzeren Abschnitt entstanden ist und in die Länge gezogen wurde. Die leichte Entwicklung hätte anders effektiver umgesetzt werden können. Ob ich mir nun den dritten Teil noch hole, bleibt abzuwarten. Das Ende hat mich insofern wieder versöhnt, weil es hier figurentechnisch wieder etwas stimmiger wird.

Veröffentlicht am 15.02.2017

Mitreißend und spannend!

Der Kuss der Lüge
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Lia ist als älteste Tochter das wichtigste Kind ihrer Eltern, des Königspaares von Morrighan. Mit 17 soll sie verheiratet werden, an einen Mann, den sie nie gesehen hat. Doch Lia liebt ihre Freiheit und ...

Lia ist als älteste Tochter das wichtigste Kind ihrer Eltern, des Königspaares von Morrighan. Mit 17 soll sie verheiratet werden, an einen Mann, den sie nie gesehen hat. Doch Lia liebt ihre Freiheit und ist nicht bereit, auf Liebe zu verzichten. Sie flieht und begeht damit Hochverrat. An der Seite ihrer treuen Zofe und Freundin beginnt sie ein neues Leben als Bedienung in einer Taverne. Sie weiß nicht, was alles im Königreich vor sich geht. Und sie weiß nicht, dass nicht nur der verschmähte Prinz auf ihren Fersen ist, sondern auch ein Kopfgeldjäger. Als Lia die beiden trifft, verheimlichen sie, wer sie wirklich sind. Und Lia muss zugeben, dass beide sie anziehen.
Ein kleines Stopp von mir, gleich hier. Nein, das wird keine Dreiecksbeziehung, bei der die Protagonistin mal hier mal dort glücklich wird. Sie ist sich auf den ersten Blick sicher, wer ihr besser gefällt, doch es dauert einfach einen Moment, bis sie es auch dem Leser gesteht. Oder besser gesagt, sich selbst, denn Lia ist die Erzählerin. Aber sie ist nicht die einzige. Neben ihr treten der Attentäter und der Prinz auf, gleichzeitig werden manche Kapitel Rafe und Kaden zugeschrieben. Die beiden sind keine anderen, als die zwei Männer, die aus so unterschiedlichen Gründen Lia suchen. Doch wer wer ist, erfährt der Leser erst, wenn sich die Handlung in eine unerwartete Richtung entwickelt.
Dieser Dreh hat genau dann nochmal für Faszination und Interesse gesorgt, als es wichtig war. Während am Anfang die Spannung einer ungesehenen Bedrohung sich angestaut hat, geht es im zweiten Teil des Buches um Bewegung. Nicht nur wortwörtlich, sondern auch metaphorisch. Lia erfährt mehr über das Reich (das ja eigentlich ihres ist), als ihr alle Lehrer je hätten vermitteln können. Und sie kommt ihrer Gabe auf die Spur. Jener ominösen Macht der Vorausahnung, die eigentlich jede erste Tochter haben sollte, die bei Lia aber bisher nie gesehen wurde.
Insofern ist das Buch auf weite Strecken mit wenig fantastischen Elementen ausgestattet. Keine redenden Tiere, keine große Magie. Und auch, als sie im Buch eine Rolle spielt, ist „die Gabe“ etwas sehr Persönliches und Verhaltenes. Das hat mir sehr gut gefallen, weil gekonnt dabei Psychologisches und Figurenentwicklung verwoben wurden. Doch auch Politik und Gesellschaft spielen eine große Rolle. Hier erahnt Lia – und damit auch der Leser – erst, wie groß die Verschwörung ist, der sie zum Opfer fällt. Ein großer Anreiz für die folgenden Bände und erste Hinweise für einen größeren Zusammenhang.
Den gibt es auch bei den ersten Zügen der Liebesgeschichte, die in Der Kuss der Lüge behandelt wird. Motive, die anfangs eine Rolle spielen und am Ende wieder aufgeworfen werden, runden den Roman ab und lassen ihn dennoch voll Erwartungen enden. Eine wunderbare Mischung, um zufrieden und dennoch gespannt aus dem Buch hinaus zu gehen.
Wunderbar fand ich auch die Nebenfiguren, die ihren eigenen Charme haben. Alle haben ihre Päckchen und Geheimnisse. Tiefe entsteht, die dem Roman Farbe verleihen und eine angenehme Dynamik geben. Auch hier gibt es Handlungsstränge, die sich entwickeln und die bereits in die weiteren Bände hinein reichen. Dass diese Stränge so unterschiedlich sind und gleichzeitig miteinander eng verwoben ist großartig gemacht.
Doch auch die Hauptfiguren sind mit einer mitreißenden Tiefe ausgestattet. Angefangen bei Lia, die von Grund auf wenig prinzessinnenhaft ist (mit Begründung!) und deren Verantwortungsgefühl immer wieder auf die Probe gestellt wird. Auch die Männer, die hier so gleichzeitig und doch grundverschieden in ihr Leben treten haben ihre intensive Vorgeschichte. Noch kennt der Leser sie nicht alle. Ein weiterer Grund, sich auf das große Ganze in den weiteren Bänden zu freuen.
Der Kuss der Lüge ist ein wirklich lesenswertes Buch. Ich habe es in einem Rutsch gelesen und war danach ganz hibbelig, bis zum Sommer zum nächsten Band warten zu müssen. Danke an Bastei Lübbe für das Rezensionsexemplar!

Veröffentlicht am 09.02.2017

Packender Auftakt

Träume aus Feuer
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Ayanna, Prinzessin, Tochter eines Dichters ohne Inspiration und einer machtgierigen Frau, hat die Gabe. Sie träumt, hat Visionen. Doch diese Träume sind so schrecklich, dass sie weder haltbar noch deutbar ...

Ayanna, Prinzessin, Tochter eines Dichters ohne Inspiration und einer machtgierigen Frau, hat die Gabe. Sie träumt, hat Visionen. Doch diese Träume sind so schrecklich, dass sie weder haltbar noch deutbar sind für die 12jährige. Als der Knappe Karim mit dem Boten des Großkönigspaares am Hof eintrifft, ändert sich ihr Leben für immer. Doch auch Karim hat seine Geheimnisse. Er ist ein Wüstendämon und sein nächstes Ziel hat eine schrecklich persönliche Rache verdient.
Träume aus Feuer ist der Auftakt zu einer Reihe. Vieles wird hier angefangen, was in folgenden Bänden verdient, zu Ende gebracht zu werden. Ayanna steht am Anfang des Romans an der Schwelle zwischen Kindsein und Erwachsenwerden. Sie spielt und denkt kindlich, ihre Visionen sind für sie lediglich Albträume und Gedanken an die Zukunft verschwendet sie nicht. Nach und nach ändert das sich, schon bevor sie auf Karim trifft. Dabei zeigt die junge Prinzessin sich erstaunlich klar, aber auch naiv.
Währen Ayanna die ersten Schritte Richtung Erwachsensein unternimmt, bahnt sich am Hof eine Intrige an. Geheimnisse, Betrug, Machtgier und Listen stacheln sich aus unterschiedlichen Richtungen auf. Und über allem schwebt die Gefahr, die Ayannas Träume, von denen niemand wissen darf, aussenden. Erstaunlich finde ich, dass der Erzähler hier durchaus ein auktorialer ist, was zunehmend seltener geworden ist. Er springt zwischen den Figuren und nimmt zeitweise die Stellung eines personalen Erzählers an, doch die Schnelligkeit des Fokuswechsels, sowie die Möglichkeit, Dinge vorauszusehen und in die Gedankenwelt aller Figuren zu tauchen, enttarnen ihn schnell. Das hat mich neugierig gemacht.
Karim nimmt eigentlich erst etwas später Raum ein. Er bleibt eine Nebenfigur, aber eine zutiefst interessante. Vieles zu seinen Beweggründen erfährt der Leser eigentlich über andere Figuren. Dieses Mysterium, das er dadurch auch für den Leser gewinnt, bringt Spannung, Neugierde und wird immer wieder mit kleinen Eindrücken belohnt. Dass gerade er aber für die Handlung, den Verlauf und Ayannas Schicksal eine Schlüsselrolle einnimmt, wird immer wieder klar.
Der Roman lebt durch die verschiedenen Perspektiven und Nebenstränge richtig auf. Ein komplexes Bild besteht, dessen genauer Verlauf hier noch nicht zu erkennen ist, aber zumindest zu erahnen. Außergewöhnlich finde ich, wie viel Mühe sich die Autorin mit der Tiefe der Figuren macht. Sie alle haben ihre Vorgeschichte, ihre Gründe und Entscheidungen, ihre Geheimnisse, Fehler und Stärken. Diese grandiose Mischung führt dazu, dass der Leser immer wieder zwischen den einzelnen Strängen hin und her geworfen wird und sich nicht entscheiden kann, wer jetzt gut oder böse, richtig oder falsch, heldenhaft oder niederträchtig ist.

Veröffentlicht am 08.02.2017

Der Wert von Ideen

Der geheimnisvolle Koffer von Herrn Benjamin
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Herr Benjamin muss flüchten, denn in seinem Land herrschen Menschen, die keine neuen Ideen mögen. Sie wollen ihn gefangen nehmen. Aber eine mutige Frau ist bereit, Herrn Benjamin über die Berge zu führen, ...

Herr Benjamin muss flüchten, denn in seinem Land herrschen Menschen, die keine neuen Ideen mögen. Sie wollen ihn gefangen nehmen. Aber eine mutige Frau ist bereit, Herrn Benjamin über die Berge zu führen, in ein Land, in dem er frei sein kann. Obwohl sie eindringlich warnt, nur leichtes Gepäck mitzunehmen, bringt Herr Benjamin einen Koffer mit. Er verrät nicht, was darin ist, nur, dass es die Welt verändern kann.
Dabei geht das Buch sehr vorsichtig vor. Die Geschichte für Kinder zu erzählen ist keine leichte Aufgabe. Wie erzählt man einem kleinen Kind von Nationalsozialisten, Fluchtrouten und Selbstmord? Die Autorin und Illustratorin entscheidet sich hier, einiges weg zu lassen, was uns Erwachsene vielleicht irritiert, die Handlung dafür kindgerecht gemacht und auf den Koffer lenkt. Er steht im Mittelpunkt. Herr Benjamin trägt ihn über gefährliche Bergwege. Der Koffer und dessen Inhalt sind ihm wichtiger, als seine eigene Sicherheit. Dass es Ideen gibt, die so eine Bedeutung haben, die vor dem eigenen Leben stehen, das ist die leise Botschaft des Buches.
Nun kann kritisiert werden, dass Walter Benjamin Jude war und nicht etwa „nur“ wegen seiner Ideen in Gefahr war. Hier werden die Nationalsozialisten vielleicht abgeschwächt. Es geht nicht um Religion oder Kultur, sondern um „Ideen“. Doch was sind kulturelle und religiöse Vorstellungen anderes als Ideen, die uns fremd erscheinen können? Vielleicht ist die Umschreibung, die das Buch wählt gerade deshalb so einprägsam. Die Menschen wurden nicht wegen Dinglichkeiten eingesperrt, sondern wegen Zuschreibungen, die wie Ideen nur in den Köpfen der Menschen existiert haben. So wird Der geheimnisvolle Koffer geradezu zeitlos.
Gelungen finde ich auch durchaus den Bogen, denn die Handlung um Walter Benjamins Selbstmord macht. Der Philosoph hatte sich erschossen, als er nach erfolgreicher Flucht nach Spanien zurückgeschickt wurde, weil seine Papiere in den wenigen Tagen „veraltet“ waren. Den geheimnisvollen Koffer gab es wirklich. Niemand weiß heute, was Benjamin darin vor den Nazis retten wollte. Dass das Buch dieses Rätsel aufgreift und die Kinder neugierig auf Geschichte macht, finde ich wirklich gut.
Eine weiter wichtige Figur des Buches ist die Frau, die Benjamin über die Fluchtroute führte, Lisa Fittko. Auch sie hat ihre „Idee“ von Gerechtigkeit über ihr eigenes Leben gestellt. Diese Nebeneinanderstellung von geistiger Idee in der Metapher des Koffers und tatsächlicher Aktion in der Hilfe die Fittko den Flüchtlingen gab, hat mir gut gefallen. Am Ende des Kinderbuches wird kurz auf die Wirklichen Leben von Benjamin und Fittko referiert. Das Buch zeigt hier klar: Ich habe eine reale Vorgeschichte, bin aber eine fiktive Geschichte.
Der geheimnisvolle Koffer von Herrn Benjamin ist kein leichtes Kinderbuch. Es wirft Fragen auf, denen sich Kinder wie Eltern stellen (müssen). Vielleicht macht es Angst. Dass der Koffer im Mittelpunkt steht, und das Schlusswort ihm gilt, überlagert aber die Flucht selbst und Benjamins Schicksal. Die Idee der Idee, sozusagen, existiert noch immer. Das ist nicht leicht, wie gesagt. Aber deswegen nicht weniger wichtig. Der geheimnisvolle Koffer des Herrn Benjamin erzeugt Neugierde und Interesse, es leistet Aufklärungsarbeit, ohne direkt zu benennen. Ein wichtiges Buch für kluge kleine Köpfe und ihre Eltern.

Veröffentlicht am 30.01.2017

fabelhafter Roman

Das Nest
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Als Leo so richtig Mist baut, muss dafür die Erbschaft angezapft werden, die eigentlich bald an ihn und seine drei Geschwister ausgezahlt werden sollte. Das Nest, wie die vier es immer genannt haben, ist ...

Als Leo so richtig Mist baut, muss dafür die Erbschaft angezapft werden, die eigentlich bald an ihn und seine drei Geschwister ausgezahlt werden sollte. Das Nest, wie die vier es immer genannt haben, ist plötzlich weg. Während die Schriftstellerin Bea eher in einer Schaffens- als in einer finanziellen Krise steht, muss Melody ihre Zwillinge aufs College schicken und eine Hypothek abzahlen und Jacks Antiquitätenladen ist bereits dabei, sein Sommerhaus aufzuzehren. Leo verspricht, das Geld wieder zu bekommen und versucht da einzusteigen, wo er vor seiner Hochzeit ausgestiegen ist. Die Küken müssen sich der Realität stellen.
Allein die durchziehende Metaphorik des Nestes finde ich großartig. Während alle Figuren längst erwachsen sind und Melody, als jüngste, gerade 40 wird, wird schnell klar, wie infantil sie sind. Die Vorstellung des sie behütenden finanziellen Nests, das auf sie wartet, hat die Küken nie wirklich flügge werden lassen. Sie handeln unbedacht, egoistisch, ohne einen realen Sinn für die eigene Zukunft. Ihre Probleme mögen „erwachsen“ geworden sein, sie sind es nicht. Statt sich um erstes schriftstellerische Versuche, Beliebtheit oder erste sexuelle Erfahrungen zu sorgen, geht es ihnen nun plakativ um Geld, Kinder, Heim. Doch wie sie das angehen ist so herrliche kindisch, dass der Familienroman die Adoleszenzgeschichte der alternden Generation festhält. Nie erwachsen zu werden, hat sie zu Karikaturen gemacht, deren Konturen nun auszubrechen drohen.
Die elementare Figur dabei ist Leo. Nicht nur, weil er den Auslöser liefert. Vielmehr ist er die Vaterfigur, die ableget werden muss. Während die Mutter der vier Geschwister schnell als „unmütterlich“ identifiziert werden kann, zeigt sich auch in den Erzählungen über den leiblichen Vater (dessen Name Leo geerbt hat), dass er es war, der das Nest „gebaut“ hat. Nun fällt seinem ältesten Sohn die Aufgabe zu, es wieder zu errichten. Der Eindruck, dass Leo nicht nur der große Bruder ist, sondern Vaterqualitäten hat, wird in den Rückblenden seiner Geschwister nur allzu deutlich und kehrt sich mit dem Buchende zu einem geradezu offensichtlichen Element um.
In manchen Momenten erinnerte mich das Nest durchaus an die großen Klassiker des Familienromans. Ich dachte gerade durch den finanziellen Aspekt mehr als einmal an die Buddenbrooks. Bei Cynthia D‘Aprix Sweeney verfällt die Familie nicht, sie wird erwachsen. Und das trifft den Nerv einer Zeit, der nachgesagt wird, nur große Kinder heranzuziehen. Es gibt Momente, die sich in den Generationen wiederholen, dunkle Eigenschaften, die auftreten. Einprägsam finde ich die Momente des Erkennens. Dass Loslösen zum Weiterentwickeln dazugehört und der Glaube an uns Selbst elementar ist.
Das Nest ist ein großartiger Roman, der das Erwachsenwerden einer Generation zeigt, die es nie richtig gelernt hat. Vielleicht ist es ein Blick in unsere Zukunft, viel eher aber ist es ein Zeitroman. Und so viel mehr.