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Venatrix

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Veröffentlicht am 29.11.2020

Die letzten Monate vor Kriegsende

Angriff auf Wien
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Das Duo Johannes Sachslehner und Robert Bouchal begeben sich zum wiederholten Male auf eine Spurensuche durch Wien: Diesmal steht der Anfang vom Ende des „Angriffs auf Wien“ in ihrem Fokus.

Beginnend ...

Das Duo Johannes Sachslehner und Robert Bouchal begeben sich zum wiederholten Male auf eine Spurensuche durch Wien: Diesmal steht der Anfang vom Ende des „Angriffs auf Wien“ in ihrem Fokus.

Beginnend mit September 1944 verstärken die USAAF ihre Angriffe auf den „Reichsgau Wien“. Gleichzeitig dringt die Rote Arme von Osten und Südosten in Richtung der ehemaligen österreichischen Grenze vor. Als Wien Anfang April 1945 von Hitler zum Verteidigungsbereich erklärt wird, das „bis zum letzten Mann gehalten werden müsse“, sterben noch tausende Menschen. Regimegegner, Deserteure, Verwundete sowie Frauen und Kinder, die als Zivilisten als Faustpfand des NS-Regimes herhalten müssen.

In sechs großen Kapiteln, die mit bisher noch unveröffentlichten Fotos und Augenzeugenberichten hinterlegt sind, schildern die Autoren die letzten Monate der NS-Herrschaft über Österreich und Wien:

Die STAVKA plant die Offensive
Wenn schon alles erst vorüber wäre!
Die Front rückt näher
Die Schlacht um Wien
Letzte Kämpfe und letzte Verbrechen
Austria Karascho!

Meine Meinung:

Den Autoren ist ein guter Mix aus Dokumentation, Augenzeugenberichten, damaliger und aktueller Fotos gelungen. Sachslehner und Bouchal begeben sich seit vielen Jahren auf Spurensuche nach den letzten Resten des Zweiten Weltkriegs. Dafür steigen sie in verlassene Bunkersysteme ein und sind immer wieder vor Ort, wenn Kriegsrelikte gefunden werden. So gibt es Fotos und einen Bericht über die „Ausgrabungen“ auf dem ehemaligen Flugfeld Aspern, das seit einigen Jahren Stadtentwicklungsgebiet ist und auf dem zahlreiche Wohnbauten errichtet werden (S. 140).

Ein Foto, das mich persönlich berührt ist jenes aus der zerbombten Staatsoper, das den Blick auf die Albertina freigibt, in deren Keller meine Großmutter und Mutter verschüttet waren. Denn, so wie viele andere Menschen, haben sie in der Innenstadt Schutz gesucht, da man es nicht für möglich gehalten hat, dass die Alliierten, die an Kulturgütern reiche Hauptstadt bombardieren werden. Eigentlich ein völliger Trugschluss, wenn man an die „Operation Gomorrha“ (Hamburg 1943) und den Angriff auf Dresden vom Februar 1945 denkt.

In diesem Buch wird auch Bezug auf den zivilen und militärischen Widerstand genommen. So wird auf das Scheitern der „Operation Radetzky“ des Major Carl Szokoll, durch Verrat und die Hinrichtung dreier Mitverschwörer, Karl Biedermann, Alfred Huth und Rudolf Raschke eingegangen.

Wie die meisten Bücher über den Zweiten Weltkrieg ist es aus männlicher Sicht geschrieben. Frauen kommen nur mit wenigen Ausnahmen zu Wort (S.22, S.135, S. 185). Für Interessierte findet sich im Anhang ein ausführliches Literatur- und Quellenverzeichnis.

Fazit:

Ein guter Überblick über die Ereignisse zum Kriegsende 1945 in Groß-Wien, dem ich 5 Sterne gebe.

Veröffentlicht am 29.11.2020

Hat mich nicht vollends überzeugt

Annette, ein Heldinnenepos
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Dieses Buch ist ein Auszug aus dem bewegten Leben der Anne Beaumanoir, die alle Welt Annette nennt.

Annette, die außerhalb Frankreichs (bis jetzt) völlig unbekannt ist, wird 1923 als Kind eines sozialistisch ...

Dieses Buch ist ein Auszug aus dem bewegten Leben der Anne Beaumanoir, die alle Welt Annette nennt.

Annette, die außerhalb Frankreichs (bis jetzt) völlig unbekannt ist, wird 1923 als Kind eines sozialistisch eingestellten Gastwirtehepaares in der Bretagne geboren. Die links Gesinnung der Eltern färbt ab und deshalb schließt sie sich recht früh der Résistance an und versteckt zwei jüdische Kinder. Nach dem Zweiten Weltkrieg wird sie ihr Medizinstudium abschließen, heiraten und drei Kinder bekommen. Später wird sie ihre Familie verlassen und sich für die Unabhängigkeit Algerien von Frankreich engagieren. Dafür wird sie Frankreich zu zehn Jahren Haft verurteilt, vor deren Vollzug sie sich durch Flucht entzieht.

Das Buch, das in einer unüblichen Schreibweise, eben als nicht reimendes Versmaß daherkommt, ist dann recht flott zu Ende. Das hat mich ein wenig gestört. Um die Persönlichkeit der Anne Beaumanoir besser darzustellen, wäre es in meinen Augen notwendig, eine lückenlose Biografie zu verfassen, denn viele Facetten ihres langen Lebens bleiben offen. Immerhin ist Anne Beaumanoir eine - unter ihren Berufskollegen - anerkannte und geschätzte Wissenschaftlerin. Diese Jahre werden einfach nicht beleuchtet. Schade!

Gut gefällt mir, dass die Autorin interessante Fragen stellt. Nicht immer werden sie befriedigend beantwortet. Ist Annette eine Terroristin, weil sie sich gegen ein (Unrechts)Regime stellt oder ist sie genau deswegen eine Heldin? Im Fall ihres Engagements gegen Nazi-Deutschland ist man geneigt, mit einem lauten „natürlich eine Heldin“ zu antworten. Doch wie steht es damit im Algerienkrieg? Hier wie dort ist es eine Frage des Blickwinkels. Dass sie sich der Verbüßung der Haft durch Flucht entzieht, kratzt ein wenig am Heldenmythos. Wahre Helden gehen für ihre Gesinnung auch ins Gefängnis, manche in den Tod, oder?

Fazit:

Dieses Buch wurde mit dem Deutschen Buchpreis 2020 ausgezeichnet und sticht aufgrund seines ungewöhnlichen Formats aus der Fülle der Kandidaten heraus. Ich hätte mir eine echte Biografie der Anne Beaumanoir gewünscht. Aber was noch nicht ist, kann ja noch werden. Ganz hat mich dieses Buch nicht überzeugt, daher gibt es nur 3 Sterne.

Veröffentlicht am 28.11.2020

Hat mich gut unterhalten

Teatime mit Lilibet
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Marion Crawford, eine junge Lehramtsstudentin aus Schottland, hat sich in den Kopf gesetzt, Kinder aus den Slums zu unterrichten. Doch es kommt anders und unversehens findet sie sich für ein Probemonat ...

Marion Crawford, eine junge Lehramtsstudentin aus Schottland, hat sich in den Kopf gesetzt, Kinder aus den Slums zu unterrichten. Doch es kommt anders und unversehens findet sie sich für ein Probemonat als Gouvernante im Haus der Yorks wieder. Sie soll zwei kleine Mädchen, die behütet, aber ohne jegliche Grenzen aufwachsen, unterrichten: die Namen der Mädchen Elizabeth und Margret.
Aus dem Probemonat werden 16 Jahre, in denen Marion, die alle Welt nur „Crawfie“ bei den Yorks, die sich dann Windsors nennen, verbringt. Denn als ihr Großvater König George VI. im Jänner 1936 stirbt, geht die Krone vorerst an Edward VIII., der bereits im Dezember desselben Jahres abdankt. Nun ist der Vater der beiden Mädchen König und für Elizabeth und Margret ändert sich einfach alles.

Leider wird Marions Engagement von ihren Arbeitgebern nicht wirklich gewürdigt. Mit der ihnen eigenen Nonchalance, die schon an Chuzpe und Ausbeutung grenzt, wird von Marion allerhand abverlangt und das bei relativ mieser Bezahlung. Mehrmals versucht sie, zu kündigen, was aber an der manipulativen Art der Queen scheitert.

Marion verzichtet auf ihr persönliches Glück und versucht so gut es geht, den beiden ein Leben außerhalb des goldenen Käfigs zu zeigen. Es gelingt ihr nur bedingt, denn die Hofkamarilla hat anders mit der Thronfolgerin vor. Immerhin sind Marion und Elizabeth einmal U-Bahn gefahren.

Letzten Endes ist Marion ihrer Illusionen beraubt. Sie fällt quasi in Ungnade, weil ihr ewig klammer nichtsnutziger Ehemann, sie zu einem Zeitungsartikel über die Thronfolgerin überredet.


Fazit:

Dieser Roman, der Fakten und Fiktion gut miteinander verquickt, ist flüssig geschrieben. Allerdings hätte ich mir ein ausführlicheres Nachwort gewünscht.
Trotzdem hat mich das Buch gut unterhalten, auch wenn ich über das britische Königshaus manchmal den Kopf schütteln musste. Gerne gebe ich hier 4 Sterne.

Veröffentlicht am 28.11.2020

Hat mich bestens unterhalten

Uhudler-Verschwörung
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Der Uhudler-Weinbauer Alois Stipsitis, nicht, soweit bekannt, mit dem Autor verwandt oder verschwägert, wird tot in seinem Weinkeller gefunden. Obwohl sowohl die örtliche Polizei als auch der Totenbeschauer ...

Der Uhudler-Weinbauer Alois Stipsitis, nicht, soweit bekannt, mit dem Autor verwandt oder verschwägert, wird tot in seinem Weinkeller gefunden. Obwohl sowohl die örtliche Polizei als auch der Totenbeschauer von einem gewöhnlichen Gärgasunfall ausgehen, kann es der, nach einem Einkaufsbummel mit Mutter Baba, zufällig vorbeikommende Gruppeninspektor Sifkovits vom LKA Eisenstadt nicht lassen, und wittert einen Mordfall.

Sehr zum Missfallen seines Chefs, der lieber den Hühnerdieb gefangen sehen will, der in Stinatz sein Unwesen treibt, beginnt der eigenbrötlerische Sifkovits Fragen zu stellen. Dabei kommen einige Geheimnisse ans Tageslicht, die man lieber vergessen wollte. Und welche Rolle spielen das rumänischen Erntehelfer-Paar und die falsche Postleitzahl auf einer Übertragungsurkunde?

Meine Meinung:

Die Fortsetzung der Krimi-Reihe rund um den spleenigen Chefinspektor Sifkovits ist Autor, Schauspieler und Kabarettisten Thomas Stipsits gut gelungen. Neben dem Chefinspektor, der eine unverkennbare Ähnlichkeit mit Inspector Columbo ausweist, spielen der Uhudler und die Kopftuchmafia eine prominente Rolle.
Der Uhudler, auch bekannt als „Heckenklescher“ oder „Rabiatperle“ ist jener Wein, der aus Direkträgersorten wie „Isabella“ gekeltert wird. Jahrelang war dieser Wein verboten, weil man ihm, aufgrund eines höheren Anteils an Methanol bei der Gärung, nachsagte, die Leute wenn nicht schon blind, dann rabiat werden zu lassen. Allerdings findet der Uhudler nicht nur in den (gesetzliche) beschränkten Anbaugebieten der Region Südburgenland, seine Liebhaber.

Nach und nach erschließen dem Chefinspektor sich die streng gehüteten Geheimnisse rund um den Alois. An der Aufdeckung des Mordes hat die Koptuchmafia, die in Stinatz sowohl Social Media als auch die „Kronen Zeitung“ ersetzt, natürlich auch ihren Anteil. Und so ganz nebenbei, geht dem Käsepappeltee-trinkenden Chefinspektor auch der Hühnerdieb ins Netz.

Wer schon einmal im Südburgendland bzw. in Stinatz war, wird wissen, dass der Autor nicht übertreibt, wenn er seine Charaktere auftreten lässt.

Fazit:

Eine gelungene Fortsetzung, die mich bestens unterhalten hat und dafür 5 Sterne erhält.

Veröffentlicht am 28.11.2020

Gibt den frauen, die Bomben, Gewalt und Vertreibung erlebt haben, eine Stimme

Die verratene Generation
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Christian Hardinghaus, Historiker und Autor von Krimis und Sachbüchern, hat nach seinem letzten Buch „Die verdammte Generation“, in dem die letzten männlichen Zeitzeugen des Zweiten Weltkrieges zu Wort ...

Christian Hardinghaus, Historiker und Autor von Krimis und Sachbüchern, hat nach seinem letzten Buch „Die verdammte Generation“, in dem die letzten männlichen Zeitzeugen des Zweiten Weltkrieges zu Wort gekommen sind, nun 13 Frauen dieser Generation die vermutlich letzte Möglichkeit gegeben, über ihre Erlebnisse zu sprechen.

Noch 75 Jahre nach Kriegsende ist es nicht leicht, über die traumatischen Ereignisse zu sprechen. Umso mehr muss man den Frauen, alle zwischen 90 und 100 Jahre alt, danken und Respekt zollen, dass sie zu Christian Hardinghaus Vertrauen gefasst und über Flucht und Vertreibung, Bombenangriffe, schwanger sein im Dritten Reich sowie über die allgegenwärtige Angst vor Vergewaltigung und Tod, gesprochen haben.

Bevor sich der Leser mit den 13 Frauen widmen kann, gibt es einführende Kapitel. Wie es sich für einen Historiker gehört, sind diese sehr sachlich, kompetent und nicht wertend verfasst. Diese Einführung ist notwendig, um den Lesern von heute die Zu- und Umstände von damals näher zu bringen. Oft wird nämlich, mit dem Wissen von heute, der Generation unserer Großeltern und Eltern der Vorwurf gemacht, nicht bzw. Nicht genügend gegen die NS-Diktatur eingetreten zu sein. Für uns, die wir seit 1945 in Frieden leben, ist es, schwer nachzuvollziehen, wie es damals wirklich war.

In vier großen Kapiteln, von denen die ersten beiden eben die Zeitgeschichte erklären, nehmen wir Anteil an den Biografien der 13 Frauen.

Die Angst der Deutschen vor der Erinnerung
Frauen im Zweiten Weltkrieg: verführt, verbraucht, verraten und vertrieben
Flucht und Vertreibung aus den deutschen Ostgebieten
Bombenkrieg gegen Deutschland

Auch Kapitel 3 und 4 beginnen jeweils mit einer Einleitung, die den historischen Kontext beleuchtet.

Dann kommen die betagten Damen zu Wort, die schier Unglaubliches erlebt haben. Sei dass sie, nach 1945 aus dem ehemaligen Protektorat Böhmen und Mähren innerhalb weniger Stunden brutal vertrieben worden sind, obwohl ihre Familien seit mehreren Generationen dort ansässig waren oder sei es, dass vor der einmarschierenden Sowjetarmee flüchteten.

Nicht minder dramatisch sind die Schilderungen jener, die in Städten wie Hamburg oder Dresden die Flächenbombardements der RAF und USAAF miterleben mussten.

"Ich musste meinem Vater versprechen, dass ich immer nur in Hochbunkern Schutz suche. Die hielt mein Vater für sicher." (Lore S.244)

Eindrucksvoll erzählen die 13 Frauen, wie zeigen wie eng Tod und überleben nebeneinanderliegen - oft genügen wenige Meter oder ein paar Minuten.

Zwischen den Berichten erklärt der Autor historische Zusammenhänge und technische Details wie z.B. das physikalische Phänomen des Entstehens eines Feuersturms wie bei der „Operation Gomorrha“ (Bombardierung von Hamburg).

Obwohl die Frauen dieser Zeit Unglaubliches geleistet und erlebt haben, sind dieses Schicksale von den Historikern bislang kaum untersucht worden. Nur gelegentlich nimmt sich die Frauenforschung dieses Themas an, wie z.B. Margarete Dörr in ihrem Buch „Durchkommen und Überleben“ oder Sabine Bode mit ihren Büchern zur generationenübergreifenden Traumaforschung, aber sonst?

Diese Lücke in der Geschichtsforschung, wie Frauen im Zweiten Weltkrieg vom Regime verführt, verbraucht, verraten und von den Siegern vertrieben worden sind, versucht Christian Hardinghaus mit diesem Buch zu füllen. Leider bleibt nicht mehr allzu viel Zeit, denn die bewegten Leben der Zeitzeuginnen neigen sich ihrem Ende zu. Einige haben die Fertigstellung des Buches leider nicht mehr erlebt, andere hingegen können ihre Erinnerungen an die Zeit des NS-Staates noch lesen, obwohl sie dieses gar nicht bedürfen, denn diese Jahre haben sich unauslöschlich in die Psyche eingebrannt. Manche von den Überlebenden zittern heute noch, wenn eine (Feuerwehr)Sirene ertönt.

Hut ab und ein herzliches Danke an die 13 Frauen für ihre sehr persönlichen Erzählungen.

Fazit:

Mit diesem Buch hat Christian Hardinghaus allen jenen Frauen eine Stimme verliehen, die nicht in der Lage waren oder sind, über die alltägliche Gewalt an Frauen und Kindern im Zweiten Weltkrieg zu sprechen. Das Buch verdient volle 5 Sterne und eine absolute Leseempfehlung.