Dieser Thriller von Gerd Schilddorfer beginnt ein wenig ander als üblich: Statt zerstückelter Leichen, Verfolgungsjagden oder Polizeieinsatz, befinden wir uns gemeinsam mit Michael Landorff auf einer langweiligen Party des Münchener Industriellen Gregory Winter. Während die anderen Partygäste Spaß haben, fragten sich der Journalist und Buchautor Landorff was er denn hier verloren hätte. Nun gut, er trifft Melissa, eine Werbefachfrau, die ihn als Autor, egal wie, vermarkten möchte, aber sonst?
Auch Alexandra Buschmann, die Tochter von Winters Geschäftspartner, ist eingeladen, obwohl sie seit einem Zerwürfnis nichts mehr mit ihrem Vater zu tun haben wollte, und fühlt sich fehl am Platz.
Als dann der Gastgeber brutal gefoltert und anschließend ermordet wird, scheint das zufällige Zusammentreffen von Michael und Alexandra durchaus vom Opfer geplant worden zu sein. Und Gregory wird nicht der einzige Tote bleiben.
Gemeinsam versuchen Michael und Alex, die Hintergründe aufzuklären. Sie sind zwar der Polizei immer einen Schritt voraus, aber gleichzeitig auch Zielscheibe für..... Genau, wer jagt die beiden? Die vorgebliche Versicherungsagentin, deren Arbeitgeber in Israel sitzt? Oder der anonyme Anrufer aus dem BND? Und was hat es mit dem Tod des jungen Zahlmann auf sich? Hat der Sohn des Caterers etwas gesehen, was er nicht sehen sollte? Hängen die Morde mit dem Firmenkonglomerat, dass Winter erst vor Kurzem um teures Geld verkauft hat, zusammen? Was hat der Konzern so Brisantes hergestellt?
Fragen über Fragen, die Michael und Alex auch nach Wien führen. Wien eine Stadt, die schon immer als Drehscheibe zwischen West und Ost für den Austausch brisanter Informationen diverser Geheimdienste fungiert (hat).
„...Wir sind auf dem Laufenden und kennen sie alle, behindern sie aber nur selten in ihrer Tätigkeit. Man regelt das alles mit Wohlwollen und Diplomatie, auf die österreichische Weise. Da gibt es eine lange Tradition. Wirtschaftliche Interessen der Republik stehen an erster Stelle, dann sehen wir weiter.“ (S. 184)
Hier in Wien erleben sie, dass man niemandem trauen kann und darf. Die Grenze zwischen Freund und Feind verschwimmt mitunter. Puzzleteil um Puzzleteil fügt sich zu einem Gesamtbild zusammen, das einen schaudern lässt.
Meine Meinung:
Gerd Schilddorfer ist es wieder prächtig gelungen, Fakten und Fiktion zu verknüpfen. Er malt das Schreckensszenario des totalen Überwachungsstaates, in dem die Bürger bespitzelt und nötigenfalls auch mit letzter Konsequenz ausgeschalten werden sollen, in schillernden Farben aus. Gekonnt werden darin aktuelle Ereignisse, wie der Tod von Qasem Soleimani, integriert und wissenschaftliche Entwicklungen auf die Spitze getrieben. Denn, während sich viele Menschen noch darüber aufregen, dass die Dohne vom Nachbarjungen über ihren Köpfen surrt, sind die einschlägigen Erfinder schon viel, viel weiter. Die Geheimdienste, und hier nicht nur die der Schurkenstaaten (wobei die Bezeichnung Schurkenstaat von der Perspektive abhängt) rüsten auf, um noch schneller zu ihren Informationen zu kommen. Künstliche Intelligenz, kurz KI, soll dabei helfen, Kriege und Destabilisierung zu erreichen, ohne sich die Finger schmutzig zu machen.
Wer nun glaubt, das wäre ausschließlich den Gedanken des geschätzten Autors entsprungen, den muss ich diese Illusion rauben. Mini-Drohen, die als Insekten getarnt herumschwirren, sind bereits entwickelt. Es stellt sich die Frage, ob die Fliege an der Wand tatsächlich ein Lebewesen oder nicht doch ein künstliches Gebilde ist.
Der Thriller, der zunächst mit der seltsamen und langweiligen Party beginnt, nimmt recht bald gehörig Fahrt auf. Der Journalist und Buchautor Michael Landdorff antwortet seiner neuen Agentin recht treffend auf die Frage nach dem Stand des neuen Buches:
„So ziemlich mittig. Ich erinnere mich nicht mehr an den Anfang, dafür liegt das Ende noch völlig im Dunkeln.“ (S. 11)
Ich mag diese Wortspiele von Gerd Schilddorfer, zeugen sie doch von schwarzem Humor und Menschenkenntnis. Auf jede Frage gibt es eben eine entsprechende Antwort. Mit der Figur der Melissa scheint der Autor mit der Verlagsbranche ein Hühnchen rupfen zu wollen, mit der er in seinem Autorenleben schon den einen oder anderen Strauß ausgefochten haben mag. Die Vermarktungsstrategie von Melissa ist ganz einfach: „Nur tote Dichter pfuschen ihren Agenten nicht ins Handwerk“ (S. 31). Er widerspricht nicht (mehr) und die Auflagen sowie die Verkaufszahlen schnellen in die Höhe.
Das Buch bleibt bis zur letzten Seite spannend und zeigt wieder einmal, dass man genau überlegen sollte, wem man in seinem Umfeld wirklich vertrauen kann.
Der Titel „Tartarus-Projekt“ ist gleichsam Programm. Denn der „Tartaros“ ist in der griechischen Mythologie der Abgrund, in dem die bösen Seelen nach ihrem Tod verweilen müssen. Reißt das Streben nach immer größerem Hightech die Menschheit in den Abgrund?
Fazit:
Ein Thriller, der durch seine sprachliche Gewandtheit und Aktualität brilliert und gleichzeitig zum Nachdenken anregt. Hier gebe ich eine unbedingte Leseempfehlung und 5 Sterne. Schade, dass nicht mehr möglich sind.