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Venatrix

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Veröffentlicht am 18.02.2018

Das schwere Erbe einer Familie

Und was hat das mit mir zu tun?
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Der Autor entstammt dem bekannten ungarischen Adelsgeschlecht, der Batthyanys, das in der Donaumonarchie einige großartige Persönlichkeiten hervorgebracht hat.

Er selbst ist Jahrgang 1973 und lebt als ...

Der Autor entstammt dem bekannten ungarischen Adelsgeschlecht, der Batthyanys, das in der Donaumonarchie einige großartige Persönlichkeiten hervorgebracht hat.

Er selbst ist Jahrgang 1973 und lebt als Journalist in der Schweiz.

Mit seinen prominenten Vorfahren hatte er bislang wenig zu tun, bis er durch eine Kollegin auf einen Artikel über seine Großtante Margit Thyssen-Batthyany aufmerksam gemacht wird. Sie soll im März 1945 auf ihrem Schloss in Rechnitz (Österreich, nahe der ungarischen Grenze) ein Fest für allerlei Nazi-Bonzen gegeben haben, bei dem dann als „Belustigung“ rund 180 Juden erschossen wurden.

Vorsichtig fragt er in der Familie nach. Er erhält ausweichende Antworten, einige Abfuhren, den Auftrag die Vergangenheit doch endlich ruhen zu lassen und „die Familienehre“ nicht zu beschmutzen. Doch alle diese seltsamen Verhaltensweisen stacheln seine Neugierde an. Er begibt auf Spurensuche und stößt auf die Titel gebende Frage „Und was hat das mit mir zu tun?“. Eine solche Vergangenheit hat „alles und nichts“ mit einem zutun.

Persönlich kann der Autor für die Taten der Großtanten nichts, doch lastet auf ihm nicht doch die Verantwortung eines langen Adelsgeschlechts? Und genau in dem Spannungsfeld befindet sich der Autor.

Batthyany fragt den eigenen Vater, der ihm eigentlich zeitlebens fremd ist, erfährt das dessen Vater Ferenc (also sein Großvater) zehn Jahre im russischen Gulag als Kriegsgefangener verbracht hat.

Er stellt sich die Frage, warum nur die Nazizeit als barbarisch dargestellt wird und die Stalin-Ära nicht? Er wundert sich, dass es Denkmäler für die Opfer des Holocaust gibt, für die Opfer des Stalinismus nicht.

Sacha Batthyany erhält nach dem Tod seiner Großmutter Maritta, deren Tagebuch. Aus dem geht hervor, dass sie zeitlebens von Schuldgefühlen „nicht wenigstens die Mandls gerettet zu haben“ geplagt wird.
Sacha Batthyany reist nach Südamerika und lernt Agnes, die Tochter eben jenes jüdischen Kaufmanns Mandl aus Rechnitz kennen, die nun hoch betagt im Kreise ihrer Familie in Uruguay lebt. Ihr und ihrem Bruder Sandor ist es mit Müh’ und Not gelungen, Auschwitz zu überleben.

Bei seinen Recherchen enthüllt sich eine Lüge, die seinen Großonkel und die Großtante schützen, aber die Familie von Agnes nun in größte Bedrängnis stürzen könnte – den gefälschten Eintrag in Sterbebuch von Rechnitz. Agnes’ Töchter und er beschließen dies vor Agnes zu verheimlichen. Doch für Mirta Kupferminc wird diese Enthüllung weit reichende Folgen haben.

Ich habe eine Verwirrung beim Autor wahrgenommen. Auf der einen Seite, kennt er die Inhalte von Geschichtsbüchern und Literatur, die zwar eindringlich, aber dennoch entfernt über die Schreckensherrschaft berichten und auf der anderen Seite, die Beteiligung seiner eigenen Verwandten, die niemals auch nur entfernt zur Rechenschaft gezogen wurden.

Der Befangenheit entsprechend springt der Autor durch Zeit und Raum, doch sind die einzelnen Sequenzen durch Überschriften gut gekennzeichnet. In seiner Unsicherheit begibt er sich in Psychoanalyse und versucht seine Gefühle einzuordnen. Doch auch der Analytiker hat sein Scherflein zu tragen – sein Vater hat versucht, verfolgte Juden aus Deutschland und Österreich zu retten.


Batthyany verquickt seine Familiengeschichte mit der Geschichte Europas. Die schrecklichen Ereignisse von vor siebzig Jahren, haben seine Familie geprägt.

Das Schloss der Batthyanys in Rechnitz wurde von den Russen niedergebrannt. Großtante Margit und ihr Mann Ivan flüchten knapp nach dem Einmarsch der Roten Armee 1945 aus Rechnitz in die Schweiz. Sie werden niemals zur Rechenschaft gezogen.

Die Überreste der 180 beim Bankett getöteten jüdischen Zwangsarbeiter sind nach wie vor nicht geborgen, da niemand über den Standort des Massengrabs eindeutige Angaben macht, obwohl er bekannt sein muss. Die letzten Augenzeugen, die Auskunft geben könnten, sind bald nicht mehr am Leben.

Der Tatort soll in unmittelbarer Umgebung des „Rechnitzer Kreuzstadels“ liegen, dessen Ruine heute eine Gedenkstätte zur Erinnerung an diese Gräueltat ist (www.kreuzstadel.net und www.refugius.at).

Für mich sind einige Fragen, offen geblieben. Wird sich der Autor weiter seiner Familiengeschichte stellen?

Veröffentlicht am 18.02.2018

Sagenhafte Bretagne

Bretonische Flut
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Der fünfte Fall für Kommissar Dupin beginnt mit seinem üblichen „So ein Scheiß!“ Diesmal wird weniger geflucht als üblich, obwohl er guten Grund dazu hätte.

Er muss sich um drei Todesfälle kümmern, die ...

Der fünfte Fall für Kommissar Dupin beginnt mit seinem üblichen „So ein Scheiß!“ Diesmal wird weniger geflucht als üblich, obwohl er guten Grund dazu hätte.

Er muss sich um drei Todesfälle kümmern, die augenscheinlich zusammenhängen. Allerdings weiß Dupin noch nicht wie. Die Ermittlungen gestalten sich als zäh, da die wortkargen Bretonen noch weniger sagen wollen als sonst.

Dafür wird der Leser durch die Vielfalt der Sagen und Mythen, der lukullischen Genüsse und der Beschreibung der traumhaften Landschaft entschädigt.

Commissaire Dupin steht als Pariser dem Meer skeptisch gegenüber und empfindet es als persönliche Beleidigung, wenn er zu seinen Amtshandlungen in ein Boot steigen muss.

Diesmal ist es nicht der lästige Präfekt, der ihm das Leben schwer macht, sondern Mr. Morin, der in der gesamten Bretagne als „Fischerkönig“ bekannt ist. Jeder weiß, dass er an kriminellen Machenschaften beteiligt oder sogar der Drahtzieher derselben ist, doch bislang konnte man ihm nie etwas nachweisen.

Das muss auch Dupin zähneknirschend zu Kenntnis nehmen. Für uns Leser birgt dieser Umstand Hoffnung auf den Fall Nummer 6. Dann wäre das halbe Dutzend voll.

Veröffentlicht am 18.02.2018

Meisterhaft erzählt

Lunapark
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Wir Leser mussten fast zwei Jahre auf die Fortsetzung von Volker Kutschers Gereon Rath-Reihe warten. Doch das Warten hat sich gelohnt!

In gewohnter Weise versteht es der Autor die Veränderung, die in ...

Wir Leser mussten fast zwei Jahre auf die Fortsetzung von Volker Kutschers Gereon Rath-Reihe warten. Doch das Warten hat sich gelohnt!

In gewohnter Weise versteht es der Autor die Veränderung, die in Deutschland der 1930er Jahre vor sich geht darzustellen.
Die Sturmtruppen der SA verprügeln Kommunisten, Sozialisten und Juden. Sie haben den Staatsapparat unterwandert. Gereon Rath hat seinen eigenen, nicht existenten Hitler-Gruß perfektioniert. Er laviert in den neuen Zeiten herum. Ehefrau Charly ist hier viel klarsichtiger und sieht die drohende Gefahr deutlich. Doch nicht nur das weitere Umfeld macht der kleinen Familie Sorge. Ziehsohn Fritz will unbedingt der HJ beitreten. Mitten in dieses familiäre Spannungsfeld, platzt der nächste Mordfall.
Der, uns aus den Vorgängerbänden als „Herr des schwarzen Kusses“ in unliebsamer Erinnerung gebliebene SA-Mann Kaczmarek, wird ermordet aufgefunden. Nicht, dass Rath ihm eine Träne nachweint, birgt sein Tod ziemlich Brisanz. Bei der Obduktion wird nämlich festgestellt, dass er nicht erschlagen wurde, sondern an einem Glasauge erstickt ist. Die Frage ist nun, wem hat es gehört und warum befindet es sich der Luftröhre des SA-Mannes?

Doch nicht genug mit all dieser Unbill, muss Rath mit seinem ehemaligen Mitarbeiter Gräf, der inzwischen die Karriereleiter bei der Gestapo hinaufgefallen ist, zusammenarbeiten. Während Gräf nach wie vor die Sozialisten als Täter sieht und diese wahllos verhaften lässt, glaubt Rath an eine andere Spur, die ihn in zusätzliche Schwierigkeiten bringt.

Ob es Gereon Rath gelingen wird, sich aus der immer enger werden Schlinge der Zeit zu befreien, wird uns vermutlich erst in einem siebten Band erzählt. Volker Kutscher hat „Luna-Park“ mit einem fiesen Cliffhanger enden lassen.

Veröffentlicht am 18.02.2018

Meisterhaft erzählt

Durchmarsch
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In dieser knapp 30 seitigen Szene zeigt Volker Kutscher, dass er auch auf wenigen Seiten Wortgewaltiges zu Papier bringt. Subtil der zweideutige Titel.

Er lässt seinen Kommissar Gedeon Rath in einen SA-Aufmarsch ...

In dieser knapp 30 seitigen Szene zeigt Volker Kutscher, dass er auch auf wenigen Seiten Wortgewaltiges zu Papier bringt. Subtil der zweideutige Titel.

Er lässt seinen Kommissar Gedeon Rath in einen SA-Aufmarsch geraten und einen toten SA-Mann finden. Als ordentlicher Kriminalist will er der Todesursache auf den Grund gehen und wird prompt rüde zurück gepfiffen.

Seine Amtsauffassung bedingt, dass er trotzdem heimliche Ermittlungen anstellt.
Was er dabei zu Tage fördert und wie er mit diesen Erkenntnissen umgeht, ist ausschließlich seinem Gewissen geschuldet.

Meisterhaft erzählt, verkürzt dieser Kurzkrimi die Wartezeit auf „Lunapark“.

Veröffentlicht am 18.02.2018

Sollte unbedingt gelesen werden

Der totale Rausch
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Mir war wohl bekannt, dass die deutsche Wehrmacht ihre Soldaten des Zweiten Weltkriegs mit Drogen ausgestattet hat.
Die Ausmaße des Drogenkonsums und der Produktion war mir allerdings nicht ganz so geläufig. ...

Mir war wohl bekannt, dass die deutsche Wehrmacht ihre Soldaten des Zweiten Weltkriegs mit Drogen ausgestattet hat.
Die Ausmaße des Drogenkonsums und der Produktion war mir allerdings nicht ganz so geläufig. Auch, dass Göring und Co. Morphinisten waren, ist mir vertraut.

Die Ardennenoffensive ein Höllenritt auf Methamphetamin, damals besser bekannt unter „Pervitin“ (heute als „Crystal Meth“ gerne konsumiert) – hunderte Kilometer im Panzer, anhalten nur um zu tanken. Schlafen, Essen – unnötig. Die kleinen Muntermacher machen’s möglich.

„Der Erfolg liegt in der Schnelligkeit. Es kommt darauf an, die Verteidiger immer zu überraschen.“ (Angriffsbefehl Panzergruppe von Kleist, S.96).

Dieser größte jemals eingesetzte motorisierte Verband von 41.140 Fahrzeugen produziert einen Megaustau von über 250 km. (Der längste Stau in Europa bis heute.)

Allein das Abwehramt/Ausland (ver)brauchte im Jahr 1943 568 kg reines Kokain und 60 kg reines Heroin. Ein Vielfaches, des medizinischen Jahresbedarfs im ganzen Reich. Haben das die Soldaten alles konsumiert oder wurde einiges zur Devisenbeschaffung „vercheckt“? Das Deutsche Reich als Großdealer?

Die Eigentümer aller großen und kleinen Pharmafirmen (von Temmel bis Merck) profitierten in mehrfacher Hinsicht von der Gier. Einerseits wurden die Firmen, wenn sie im jüdischen Besitz waren, einfach arisiert. Die Umstellung auf staatlich geförderte Drogen brachte höchste Gewinne.

Hauptabnehmer ist die Wehrmacht. Die Luftwaffe kann ohne Pervitin gar nicht (mehr) fliegen und die Soldaten in den U-Booten erhielten die Drogen für ihre Himmelfahrtskommandos.

Doch der Drogenmissbrauch im großen Stil macht auch vor Adolf Hitler nicht Halt. Sein Leibarzt Dr. Morell pumpt ihn mit allen möglichen Suchtgiften voll. Daneben experimentiert Morell mit allerlei Hormonen herum. So lässt er Tonnen von tierischen Innereien aus der Ukraine in seine Pharmafabriken liefern, um sie dort zu Aufputschmitteln zu verarbeiten. Diese Extrakte spritzt er auch Hitler, der recht bald nach diesem Zeug süchtig wird.

Doch nicht nur die Soldaten (egal welchen Dienstgrades) schlucken die Tabletten (anfangs sogar ohne Gebrauchsanweisung und daher viel zu viel), nein auch die Hausfrauen erhalten ihren Teil: als „Hausfrauenschokolade“ (solange es noch Schokolade gab) oder als Konfekt. Diese Drogen sind ganz normal ohne Rezept in der Apotheke erhältlich.

Erst als sich die ersten Nebenwirkungen (Todesfälle durch Herzstillstand, Bluthochdruck etc.) einstellen, wird die Rezeptpflicht eingeführt. Die jedoch von der Wehrmacht auf Grund der riesigen Mengen im Einkauf umgangen wird. Wenn von einer Lieferung von 2.000 Pervitin die Rede ist, so sind das 2.000 Röhrchen mit je 30 Tabletten.
Weitere leistungssteigernde Medikamente werden KZs getestet. Man probiert es mit Kokainkaugummi und ähnlichem.

Auch Heinrich Böll hat als junger Soldat mit Methamphetamin Bekanntschaft gemacht.

Meine Meinung:

Der Autor Norman Ohler ist Journalist und hat sich dieses Themas angenommen. Er stützt sich vor allem auf den Nachlass des Dr. Theo Morell, der ab 1936 Hitlers Leibarzt war. In seiner Kartei hat er die Behandlungen seines Patienten A akribisch, wenn auch verschlüsselt, vermerkt. Das Buch enthält neben einer Reihe von Fotos auch Faksimiles der Patientenakten.

Hin und wieder erscheinen seine Überschriften ein wenig flapsig: „Sieg high“ oder „High Hitler“ oder „Last exit Führerbunker“. Ich vermute, dass ohne diesen Anflug von Galgenhumor die Unterlagen nicht zu sichten gewesen wären.

Was mir persönlich fehlt ist, wie die überlebenden Soldaten ihre Drogensucht wieder losgeworden sind. Hat man ihnen weiterhin Tabletten (Psychopharmaka) verschrieben oder sind sie nahtlos auf Schnaps umgestiegen?

Fazit:

Ein Buch das gelesen werden sollte. Auch um die Auswirkung von „Crystal Meth“ vor Augen geführt zu bekommen.