Eine literarische Abrechnung mit den Kleingeistern
HippocampusHelene Schulze ist tot. Helene Wer? Helene Schulze, jene in Vergessenheit geratene feministische Autorin, die mit ihren Werken viele Menschen vor den Kopf gestoßen hat und ihre Karriere zu Gunsten der ...
Helene Schulze ist tot. Helene Wer? Helene Schulze, jene in Vergessenheit geratene feministische Autorin, die mit ihren Werken viele Menschen vor den Kopf gestoßen hat und ihre Karriere zu Gunsten der Familie geopfert hat. Nun, posthum wird sie als Kandidatin für den Deutschen Buchpreis gehandelt. Dafür soll ihre Freundin Elvira Katzenschlager den Nachlass sortieren und ein Interview geben. Doch das gerät zu einer Farce, in der es weder um das Werk selbst noch um die verstorbene Künstlerin, sondern um das Absatz fördernde Marketing geht. Ob der Leichenfledderei wütend, bricht Elvira das Interview ab und besinnt sich auf ihre Vergangenheit, als feministische Provokateurin.
Gemeinsam mit dem viel jüngeren Kameramann Adrian begibt sie sich im Campingbus auf eine Reise durch Helenes Leben. Schritt für Schritt will Elvira die Biografie Helenes an markanten Punkten zurecht und ins Licht rücken. Was anfangs originell wirkt, artet langsam in kriminelle Sachbeschädigung aus. So werden zu Beginn der „Mission“ Statuen von Helden und Heiligen verkleidet. Wenige Wochen später werden Preisverleihungen durch Elviras Auftritt gestört. Alles fein säuberlich durch Fotos bzw. Videoaufnahmen dokumentiert. Obwohl Elvira eine Signatur hinterlässt, nämlich die Zeichnung eines „Hippocampus“, des Seepferdchens, jener Tierart, bei der die Männchen die Brutpflege übernehmen, sehen weder Polizei noch Medien, die Zusammenhänge.
Meine Meinung:
Dieser Roman ist nicht einfach zu lesen. Man muss sich zur Gänze auf die sprachlich anspruchsvolle Geschichte einlassen.
Schonungslos zeigt die Autorin die bigotte Welt u.a. in der Literaturbranche auf. Sie weist eindringlich darauf hin, dass feministisches Engagement nach wie vor dringend notwendig ist.
So sind nach einer Ende 2015 präsentierten Erhebung für einen Genderatlas zufolge nur 356 von 4269 nach Personen benannten Wiener Verkehrsflächen nach Frauen benannt (Stand 2015). In Neubaugebieten, wie in der Seestadt Aspern werden nun ganze Viertel nach Frauen benannt.
Oder: Das Thema „Frauenpolitik“ war der Regierung Kurz/Strache gerade einmal zwei Seiten, des ohnehin dünnen Regierungsprogrammes wert. Vieles, was heute lebenden Frauen und Mädchen als selbstverständlich erscheint, musste in den 1970er Jahren mühsam und hart erkämpft werden. Doch einiges davon ist in Gefahr, wieder zu Gunsten eines (erz)konservativen Weltbildes, in der Versenkung zu verschwinden.
Nach wie vor herrschen leider Bigotterie und Sexismus vor, gegen die Klemm ihre Protagonisten quasi Sturm laufen lässt.
Gertraud Klemm legt mit diesem Roman den Finger dorthin, wo es weh tut. Sie zeigt auf, wie schief die Optik bezüglich Wahrnehmung und Sichtbarkeit von Frauen tatsächlich ist. Als Beispiel dient ihr die Literaturszene.
Fazit:
Kein einfacher, aber notwendiger Roman, bei dem Gertraud Klemm ihren Finger dorthin legt, wo es weht tut. Gerne gebe ich hier 4 Sterne.