Der Adel als willfähriger Helfer der Nazis
Hitlers heimliche HelferDie britische Historikerin Karina Urbach hat in diesem Buch die Rolle des Adels als inoffizielle Botschafter des Deutschen Reichs untersucht.
Das Buch ist in zwei Teile gegliedert:
„Heimliche Helfer ...
Die britische Historikerin Karina Urbach hat in diesem Buch die Rolle des Adels als inoffizielle Botschafter des Deutschen Reichs untersucht.
Das Buch ist in zwei Teile gegliedert:
„Heimliche Helfer in der Ära VOR Hitler“
„Hitlers heimliche Helfer“
Im ersten Teil, der recht lang ausfällt, wird der Begriff „Go-Betweens“ genau erklärt, der sich von (Berufs)Diplomaten und Geheimdiensten unterscheidet. Diesen „Go-Betweens“ kommt in der Zeit vom Ersten bis weit in den Zweiten Weltkrieg eine große geopolitische Bedeutung zu. Vornehmlich Mitglieder von europäischen Adelshäusern engagieren sich als Vermittler und Türöffner. Die adeligen Familien Europas sind untereinander mehrfach verwandt und verschwägert und können auf ein weitverzweigtes Netzwerk verfügen. Wer würde hinter einem gemütlichen Familienbesuch eine diplomatische Mission vermuten? Eben!
Auch die diversen Netzwerke der Frauen sind nicht zu unterschätzen. Oft als literarische Zirkel getarnt, wird dennoch handfeste Politik gemacht (S.149).
Dass das manchmal auch schiefgehen kann, beweist die als „Sixtus-Affäre“ bekannten Bemühungen von Kaiserin Zita von Österreich-Ungarn, die ihre Brüder mit ihrem Ersuchen um einen Separatfrieden nach Frankreich entsendet hat. Damit hat sie nicht nur ihren Ehemann Kaiser Karl desavouiert, sondern den Untergang der Habsburger-Monarchie beschleunigt.
Auch nach dem Ende der großen europäischen Monarchien sind die Netzwerke aktiv.
Von Durchlaucht zu Durchlaucht redet es sich einfach besser. Man ist unter sich und kennt die diversen Sprachregelungen.
Außerdem haben die Adelsfamilien eine weitere Gemeinsamkeit: Die Angst vor den Bolschewiki. Die Ermordung und Enteignung von Mitgliedern der Adelshäuser in Russland versetzen auch ihre Verwandten in Angst und Schrecken.
„Der Faschismus ist zwar auch eine Gewaltherrschaft, aber immerhin lässt er Raum für Fortschritt, Schönheit, Kunst, Literatur, für ein Heim und für das gesellschaftliche Leben, für gute Sitten und Sauberkeit; der Bolschewismus hingegen macht das alles zunichte.“ (S. 213).
Damit haben wir gleich die Überleitung zu Teil zwei. Warum haben sich viele Adelige den Nazis so bereitwillig angedient?
Zum einen liegt es wohl daran, dass viele männliche Adelige keinen zivilen Beruf erlernt haben, sondern als Offiziere in den diversen Armeen im Ersten Weltkrieg kämpften. Zum anderen scheint die NS-Diktatur anfangs Stabilität in das Staatsgefüge zu bringen. Nach den diversen Experimenten wie Weimarer Republik oder der
Bayrischen Räterepublik in Deutschland und dem Ständestaat in Österreich, glauben einige Mitglieder an eine Wiedererstarkung des Adels.
Dass sie dabei bei Hitler auf Granit beißen, der ja den Adel hasst, ist vielen erst später bewusst. Natürlich bedient sich das Regime der (salopp ausgedrückt) „nützlichen Idioten“, die sich geradezu aufdrängen.
Als Beispiel führt die Autorin u.a. Carl Eduard, den Herzog von Sachsen-Coburg und Gotha (ein Enkel Königin Victorias), Max von Hohenlohe-Langenburg, Lord Rothermere und Prinzessin Stephanie von Hohenlohe an. Als Stephanie Richter in Wien geboren, umgibt sich die ehrgeizige junge Frau bald mit einflussreichen, meist verheirateten Männern. Nach der Heirat mit Friedrich Franz Augustin Maria Prinz zu Hohenlohe-Waldenburg-Schillingsfürst hat sie Zugang in adelige Kreise. Schon kurz nach der Scheidung 1920 begibt sie sich als Geheimdiplomatin des ungarischen Reichsverwesers Miklos Horthy nach England und macht die Bekanntschaft mit Lord Rothermere. Einige Mitglieder des britischen Königshauses haben, wie wir ja wissen, gewisse Sympathien für Hitler und Nazi-Deutschland. Diese Konstellation beleuchtet Karina Urbach ebenso, wie den Umstand, dass Hohenlohe sich dann ein wenig später mit Fritz Wiedemann verbündet und ein eigenes Süppchen kocht. Das lässt wiederum den Minister des Auswärtigen Amtes, Joachim von Ribbentrop, im Quadrat springen (S.345). Nicht einmal die Tatsache, dass Hohenlohe eigentlich Jüdin ist, kann ihren Umtrieben etwas anhaben.
Ein interessantes Kapitel ist auch dem Abgesang“ der „Go-Betweens“ gewidmet. Was ist mit ihnen nach dem Ende der NS-Zeit passiert?
Stephanie Hohenlohe reist schon in den 1940 in die USA, um Wiedemann zu folgen, der Botschafter wird. Allerdings wird sie mit Unterbrechungen bis 1945 interniert. Später trifft sie sich mit Männern wie Harry Truman, John F. Kennedy oder Lyndon B. Johnson. Sie wird ihre Schäfchen ins Trockene bringen und mit dem Axel-Springer-Verlag einen lukrativen Vertrag abschließen.
Offiziell werden die Go-Betweens heute nicht mehr eingesetzt, doch wenn man die aktiven Lobbyisten z.B. bei der EU in Brüssel oder zwischen großen Firmen genauer betrachtet, wird der eine oder andere illustre Namen wieder aufscheinen.
Was die Autorin auch nicht verschweigt, sind Schwierigkeiten, die sie bei der Recherche und Akteneinsicht für dieses Buch hatte. Viele Familienarchive sind nicht zugänglich, und die die es sind, sind häufig einem „Reinigungsprozess“ unterworfen worden, bei dem allzu kompromittierende Stellen entfernt worden sind. Hier z.B. die Biografie von Stephanie von Hohenlohe („Stephanie. Meine Mutter“) zu nennen, die ihr Sohn Franz von belastendem Material gesäubert hat. Martha Schads Biografie „Stephanie. Hitlers Spionin“ dagegen ist sauber recherchiert und bringt auch ein paar unangenehme Wahrheiten ans Tageslicht.
Viele bislang unbekannte Fotos, ein ausführliches Quellen- und Literaturverzeichnis lassen die Herzen der Sachbuchleser höher schlagen.
Fazit:
Dieses Buch ist penibel recherchiert, informativ, aufschlussreich, spannend und gut strukturiert. Gerne gebe ich hier eine Leseempfehlung und 5 Sterne.